Das Gift wohnt nur im Reiche der Amphibien, der Zungenthiere, und da der Schmeksinn dem Chymismus entspricht, dieser aber das Alleszerstörende der Natur ist, so muss nothwendig der Schmeksinn in dem Thier, welches ihm eigens gleich- gebildet ist, das Alleszerstörende des Thier- reichs sein; der Speichel ist daher seinem Wesen nach Gift, und in allen Thieren steht er unter dieser Rubrik, denn in allen ist er das erste chymische Zerstörungsmittel der Speisen, da aber die andern Thiere auch mit andern Sinnen, und nicht allein mittels des Schmeksinns die Speisen an sich reissen, und dieser nicht aufs höchste getrieben ist, so ist ihr Speichel weniger gefährlich, aber doch muss alle Theorie der Wirkung der Gifte auf das Wesen des Schmeksinns gegründet werden.
Hoffentlich habe ich nicht nöthig zu erinnern, dass das Arsenik so wenig ein Gift ist, als ein glühendes Eisen, das ihr in den Magen steket; es wirkt chy- misch, unabhängig von der lebendigen Eigenschaft des Körpers, den es zerstört; das Speichelgift aber ist Nichts ausser
der
Das Gift wohnt nur im Reiche der Amphibien, der Zungenthiere, und da der Schmeksinn dem Chymismus entſpricht, dieſer aber das Alleszerſtörende der Natur iſt, so muſs nothwendig der Schmeksinn in dem Thier, welches ihm eigens gleich- gebildet iſt, das Alleszerſtörende des Thier- reichs sein; der Speichel iſt daher seinem Wesen nach Gift, und in allen Thieren ſteht er unter dieſer Rubrik, denn in allen iſt er das erſte chymiſche Zerſtörungsmittel der Speiſen, da aber die andern Thiere auch mit andern Sinnen, und nicht allein mittels des Schmeksinns die Speiſen an sich reiſsen, und dieſer nicht aufs höchſte getrieben iſt, so iſt ihr Speichel weniger gefährlich, aber doch muſs alle Theorie der Wirkung der Gifte auf das Weſen des Schmekſinns gegründet werden.
Hoffentlich habe ich nicht nöthig zu erinnern, daſs das Arſenik so wenig ein Gift iſt, als ein glühendes Eiſen, das ihr in den Magen ſteket; es wirkt chy- miſch, unabhängig von der lebendigen Eigenſchaft des Körpers, den es zerſtört; das Speichelgift aber iſt Nichts auſser
der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0188"n="170"/><p>Das Gift wohnt nur im Reiche der<lb/>
Amphibien, der Zungenthiere, und da der<lb/>
Schmeksinn dem Chymismus entſpricht,<lb/>
dieſer aber das Alleszerſtörende der Natur<lb/>
iſt, so muſs nothwendig der Schmeksinn<lb/>
in <hirendition="#g">dem</hi> Thier, welches ihm eigens gleich-<lb/>
gebildet iſt, das Alleszerſtörende des Thier-<lb/>
reichs sein; der Speichel iſt daher seinem<lb/>
Wesen nach Gift, und in allen Thieren<lb/>ſteht er unter dieſer Rubrik, denn in allen<lb/>
iſt er das erſte chymiſche Zerſtörungsmittel<lb/>
der Speiſen, da aber die andern Thiere<lb/>
auch mit andern Sinnen, und nicht allein<lb/>
mittels des Schmeksinns die Speiſen an<lb/>
sich reiſsen, und dieſer nicht aufs höchſte<lb/>
getrieben iſt, so iſt ihr Speichel weniger<lb/>
gefährlich, aber doch muſs alle Theorie<lb/>
der Wirkung der Gifte auf das Weſen des<lb/>
Schmekſinns gegründet werden.</p><lb/><p>Hoffentlich habe ich nicht nöthig zu<lb/>
erinnern, daſs das Arſenik so wenig ein<lb/>
Gift iſt, als ein glühendes Eiſen, das ihr<lb/>
in den Magen ſteket; es wirkt chy-<lb/>
miſch, <choice><sic>nnabhängig</sic><corr>unabhängig</corr></choice> von der <hirendition="#g">lebendigen</hi><lb/>
Eigenſchaft des Körpers, den es zerſtört;<lb/>
das Speichelgift aber iſt <hirendition="#g">Nichts</hi> auſser<lb/><fwplace="bottom"type="catch">der</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[170/0188]
Das Gift wohnt nur im Reiche der
Amphibien, der Zungenthiere, und da der
Schmeksinn dem Chymismus entſpricht,
dieſer aber das Alleszerſtörende der Natur
iſt, so muſs nothwendig der Schmeksinn
in dem Thier, welches ihm eigens gleich-
gebildet iſt, das Alleszerſtörende des Thier-
reichs sein; der Speichel iſt daher seinem
Wesen nach Gift, und in allen Thieren
ſteht er unter dieſer Rubrik, denn in allen
iſt er das erſte chymiſche Zerſtörungsmittel
der Speiſen, da aber die andern Thiere
auch mit andern Sinnen, und nicht allein
mittels des Schmeksinns die Speiſen an
sich reiſsen, und dieſer nicht aufs höchſte
getrieben iſt, so iſt ihr Speichel weniger
gefährlich, aber doch muſs alle Theorie
der Wirkung der Gifte auf das Weſen des
Schmekſinns gegründet werden.
Hoffentlich habe ich nicht nöthig zu
erinnern, daſs das Arſenik so wenig ein
Gift iſt, als ein glühendes Eiſen, das ihr
in den Magen ſteket; es wirkt chy-
miſch, unabhängig von der lebendigen
Eigenſchaft des Körpers, den es zerſtört;
das Speichelgift aber iſt Nichts auſser
der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Oken, Lorenz: Abriß des Systems der Biologie. Göttingen, 1805, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/oken_biologie_1805/188>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.