Oest, Johann Friedrich: Nöthige Belehrung und Warnung für Jüngling und solche Knaben. In: Allgemeine Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens: von einer Gesellschaft practischer Erzieher, Bd. 6. Wolfenbüttel, 1787. S. 293-434Jn dem Zustande hatte Wilhelm beinahe ein halb Jahr zugebracht, als der Prediger mit seinen Kindern, die er schon mit Wilhelms Vergehen bekannt gemacht hatte und sie nun durch sein sichtbares Beispiel warnen wollte, nach G* reiste, den unglücklichen Jüngling zu sehen. Entsetzen überfiel ihn und seine Kinder, wie sie ihn da so liegen sahen. Er schien sie nicht zu kennen. Seine erstorbenen Augen verkannten alle Gegenstände, die um ihn waren. Ausser einigen Seufzern hörte man nlchts von ihm, denn er konnte nicht vernehmlich reden. Seine Ausdünstungen waren so unleidlich, daß niemand gern bei ihm bleiben wollte. Ein Geruch der Verwesung scheuchte jeden Menschen von ihm zurück. Wie gern hätte dennoch der gute Prediger etwas zu seiner Erleichterung beigetragen, wäre es auch nur durch ein tröstendes Wort gewesen, welches man auch dem größten Schuldigen nicht versagen muß; aber Wilhelm war für alles todt und lebte nur für seinen Schmerz. Mit beklemmten Herzen mußte er also von ihm gehen, nachdem er seine Kinder ermahnt und gebeten hatte, dies Bild des unglücklichsten Jünglings Lebenslang nicht aus ihrer Seele kommen zu Jn dem Zustande hatte Wilhelm beinahe ein halb Jahr zugebracht, als der Prediger mit seinen Kindern, die er schon mit Wilhelms Vergehen bekannt gemacht hatte und sie nun durch sein sichtbares Beispiel warnen wollte, nach G* reiste, den unglücklichen Jüngling zu sehen. Entsetzen überfiel ihn und seine Kinder, wie sie ihn da so liegen sahen. Er schien sie nicht zu kennen. Seine erstorbenen Augen verkannten alle Gegenstände, die um ihn waren. Ausser einigen Seufzern hörte man nlchts von ihm, denn er konnte nicht vernehmlich reden. Seine Ausdünstungen waren so unleidlich, daß niemand gern bei ihm bleiben wollte. Ein Geruch der Verwesung scheuchte jeden Menschen von ihm zurück. Wie gern hätte dennoch der gute Prediger etwas zu seiner Erleichterung beigetragen, wäre es auch nur durch ein tröstendes Wort gewesen, welches man auch dem größten Schuldigen nicht versagen muß; aber Wilhelm war für alles todt und lebte nur für seinen Schmerz. Mit beklemmten Herzen mußte er also von ihm gehen, nachdem er seine Kinder ermahnt und gebeten hatte, dies Bild des unglücklichsten Jünglings Lebenslang nicht aus ihrer Seele kommen zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0023" n="315"/> <p> Jn dem Zustande hatte Wilhelm beinahe ein halb Jahr zugebracht, als der Prediger mit seinen Kindern, die er schon mit Wilhelms Vergehen bekannt gemacht hatte und sie nun durch sein sichtbares Beispiel warnen wollte, nach G* reiste, den unglücklichen Jüngling zu sehen. Entsetzen überfiel ihn und seine Kinder, wie sie ihn da so liegen sahen. Er schien sie nicht zu kennen. Seine erstorbenen Augen verkannten alle Gegenstände, die um ihn waren. Ausser einigen Seufzern hörte man nlchts von ihm, denn er konnte nicht vernehmlich reden. Seine Ausdünstungen waren so unleidlich, daß niemand gern bei ihm bleiben wollte. Ein Geruch der Verwesung scheuchte jeden Menschen von ihm zurück.</p> <p>Wie gern hätte dennoch der gute Prediger etwas zu seiner Erleichterung beigetragen, wäre es auch nur durch ein tröstendes Wort gewesen, welches man auch dem größten Schuldigen nicht versagen muß; aber Wilhelm war für alles todt und lebte nur für seinen Schmerz. Mit beklemmten Herzen mußte er also von ihm gehen, nachdem er seine Kinder ermahnt und gebeten hatte, dies Bild des unglücklichsten Jünglings Lebenslang nicht aus ihrer Seele kommen zu </p> </div> </body> </text> </TEI> [315/0023]
Jn dem Zustande hatte Wilhelm beinahe ein halb Jahr zugebracht, als der Prediger mit seinen Kindern, die er schon mit Wilhelms Vergehen bekannt gemacht hatte und sie nun durch sein sichtbares Beispiel warnen wollte, nach G* reiste, den unglücklichen Jüngling zu sehen. Entsetzen überfiel ihn und seine Kinder, wie sie ihn da so liegen sahen. Er schien sie nicht zu kennen. Seine erstorbenen Augen verkannten alle Gegenstände, die um ihn waren. Ausser einigen Seufzern hörte man nlchts von ihm, denn er konnte nicht vernehmlich reden. Seine Ausdünstungen waren so unleidlich, daß niemand gern bei ihm bleiben wollte. Ein Geruch der Verwesung scheuchte jeden Menschen von ihm zurück.
Wie gern hätte dennoch der gute Prediger etwas zu seiner Erleichterung beigetragen, wäre es auch nur durch ein tröstendes Wort gewesen, welches man auch dem größten Schuldigen nicht versagen muß; aber Wilhelm war für alles todt und lebte nur für seinen Schmerz. Mit beklemmten Herzen mußte er also von ihm gehen, nachdem er seine Kinder ermahnt und gebeten hatte, dies Bild des unglücklichsten Jünglings Lebenslang nicht aus ihrer Seele kommen zu
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