Oest, Johann Friedrich: Versuch einer Beantwortung der pädagogischen Frage: Wie man Kinder und junge Leute vor dem Leib und Seele verwüstenden Laster der Unzucht überhaupt, und der Selbstschwächung insonderheit verwahren, oder, wofern sie schon davon angesteckt waren, wie man sie davon heilen könne? Wien, 1787.Für Mädchen sorgt, daß sie im Hause allerlei Handarbeit bekommen und laßt sie frühe an der Wirthschaft mit Theil nehmen. Was die Hand an Feinheit verliert, gewinnt der ganze Körper an Stärke. Wollen wir auf Weichlichkeit Verzicht thun, so muß, besonders in vornehmern Ständen ein großer Theil Eitelkeit aufgeopfert werden. Kann dies letztere nicht geschehen, so werden jene Stände immer die entschiedensten Wollüstlinge liefern. Daß sie es bisher gethan haben, davon haben mich manche Erfahrungen überzeugt. Manche Veranlaßungen zur Beförderung unkeuscher Leidenschaften bei der Jugend liegen in zufälligen Umständen, auf die man selten aufmerksam genug ist. Jch rechne hieher zuvörderst die Gesellschaften, die die Kinder gerathen können. Befände sich die Jugend immer in der Gesellschaft verständiger tugendhafter Personen, so müßte jede Erziehung von selbst gerathen. Das Betragen solcher Personen gegen die Jugend ist ausübende Erziehungskunst. Jch kenne eine Familie, die ehedem aus Vater, Mutter und neun Kindern bestand. Die Eltern, ein Paar der recht- Für Mädchen sorgt, daß sie im Hause allerlei Handarbeit bekommen und laßt sie frühe an der Wirthschaft mit Theil nehmen. Was die Hand an Feinheit verliert, gewinnt der ganze Körper an Stärke. Wollen wir auf Weichlichkeit Verzicht thun, so muß, besonders in vornehmern Ständen ein großer Theil Eitelkeit aufgeopfert werden. Kann dies letztere nicht geschehen, so werden jene Stände immer die entschiedensten Wollüstlinge liefern. Daß sie es bisher gethan haben, davon haben mich manche Erfahrungen überzeugt. Manche Veranlaßungen zur Beförderung unkeuscher Leidenschaften bei der Jugend liegen in zufälligen Umständen, auf die man selten aufmerksam genug ist. Jch rechne hieher zuvörderst die Gesellschaften, die die Kinder gerathen können. Befände sich die Jugend immer in der Gesellschaft verständiger tugendhafter Personen, so müßte jede Erziehung von selbst gerathen. Das Betragen solcher Personen gegen die Jugend ist ausübende Erziehungskunst. Jch kenne eine Familie, die ehedem aus Vater, Mutter und neun Kindern bestand. Die Eltern, ein Paar der recht- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0075" n="76"/> <p> Für Mädchen sorgt, daß sie im Hause allerlei Handarbeit bekommen und laßt sie frühe an der Wirthschaft mit Theil nehmen. Was die Hand an Feinheit verliert, gewinnt der ganze Körper an Stärke.</p> <p>Wollen wir auf Weichlichkeit Verzicht thun, so muß, besonders in vornehmern Ständen ein großer Theil Eitelkeit aufgeopfert werden. Kann dies letztere nicht geschehen, so werden jene Stände immer die entschiedensten Wollüstlinge liefern. Daß sie es bisher gethan haben, davon haben mich manche Erfahrungen überzeugt.</p> <p> <hi rendition="#et">Manche Veranlaßungen zur Beförderung unkeuscher Leidenschaften bei der Jugend liegen in zufälligen Umständen, auf die man selten aufmerksam genug ist.</hi> </p> <p>Jch rechne hieher zuvörderst die Gesellschaften, die die Kinder gerathen können. Befände sich die Jugend immer in der Gesellschaft verständiger tugendhafter Personen, so müßte jede Erziehung von selbst gerathen. Das Betragen solcher Personen gegen die Jugend ist ausübende Erziehungskunst. Jch kenne eine Familie, die ehedem aus Vater, Mutter und neun Kindern bestand. Die Eltern, ein Paar der recht- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [76/0075]
Für Mädchen sorgt, daß sie im Hause allerlei Handarbeit bekommen und laßt sie frühe an der Wirthschaft mit Theil nehmen. Was die Hand an Feinheit verliert, gewinnt der ganze Körper an Stärke.
Wollen wir auf Weichlichkeit Verzicht thun, so muß, besonders in vornehmern Ständen ein großer Theil Eitelkeit aufgeopfert werden. Kann dies letztere nicht geschehen, so werden jene Stände immer die entschiedensten Wollüstlinge liefern. Daß sie es bisher gethan haben, davon haben mich manche Erfahrungen überzeugt.
Manche Veranlaßungen zur Beförderung unkeuscher Leidenschaften bei der Jugend liegen in zufälligen Umständen, auf die man selten aufmerksam genug ist.
Jch rechne hieher zuvörderst die Gesellschaften, die die Kinder gerathen können. Befände sich die Jugend immer in der Gesellschaft verständiger tugendhafter Personen, so müßte jede Erziehung von selbst gerathen. Das Betragen solcher Personen gegen die Jugend ist ausübende Erziehungskunst. Jch kenne eine Familie, die ehedem aus Vater, Mutter und neun Kindern bestand. Die Eltern, ein Paar der recht-
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