Oest, Johann Friedrich: Versuch einer Beantwortung der pädagogischen Frage: Wie man Kinder und junge Leute vor dem Leib und Seele verwüstenden Laster der Unzucht überhaupt, und der Selbstschwächung insonderheit verwahren, oder, wofern sie schon davon angesteckt waren, wie man sie davon heilen könne? Wien, 1787.2) Ein Knabe ward zu einem Prediger aufs Land geschickt, der in dem Ruf eines guten Erziehers stand. Dieser erschrak nicht wenig, als er einen kümmerlichen Menschen erblickte, der blaß und ausgezehrt war und dabei so schüchtern und verlegen aussahe, daß man zweifeln sollte, ob er je mit Menschen umgegangen wäre. Er antwortete auf alles verkehrt, und jeder fällte gleich das Urtheil, er sey nicht richtig im Kopfe. Daß er ein Selbstschwächer sey, gestand er auf die erste Frage und verrieth es nachher auch jedem flüchtigen Beobachter. Es war erbärmlich, wie rasend er sich schändete. Sein Verstand war ganz zerrüttet. Er lief oft umher, als wenn ihn jemand verfolgte. Oft versteckte er sich und kam Tagelang nicht zum Vorschein. Jeden Unbekannten sah er als einen Mörder an und verkroch sich. Wenn es dunkel ward, sah er sich mit Teufeln umringt und schrie um Hülfe. Zuletzt zerhackte und zerschnitte er sich seine Kleider und zeigte überall Spuren einer völligen Manie. Der Prediger suchte seiner los zu werden, und seine Verwandten wusten für ihn keinen beßern Ort ausfindig zu machen, als das Zuchthaus. 3) Ein Primaner war an dem Orte, wo er die lateinische Schule besuchte, zweimal mit der 2) Ein Knabe ward zu einem Prediger aufs Land geschickt, der in dem Ruf eines guten Erziehers stand. Dieser erschrak nicht wenig, als er einen kümmerlichen Menschen erblickte, der blaß und ausgezehrt war und dabei so schüchtern und verlegen aussahe, daß man zweifeln sollte, ob er je mit Menschen umgegangen wäre. Er antwortete auf alles verkehrt, und jeder fällte gleich das Urtheil, er sey nicht richtig im Kopfe. Daß er ein Selbstschwächer sey, gestand er auf die erste Frage und verrieth es nachher auch jedem flüchtigen Beobachter. Es war erbärmlich, wie rasend er sich schändete. Sein Verstand war ganz zerrüttet. Er lief oft umher, als wenn ihn jemand verfolgte. Oft versteckte er sich und kam Tagelang nicht zum Vorschein. Jeden Unbekannten sah er als einen Mörder an und verkroch sich. Wenn es dunkel ward, sah er sich mit Teufeln umringt und schrie um Hülfe. Zuletzt zerhackte und zerschnitte er sich seine Kleider und zeigte überall Spuren einer völligen Manie. Der Prediger suchte seiner los zu werden, und seine Verwandten wusten für ihn keinen beßern Ort ausfindig zu machen, als das Zuchthaus. 3) Ein Primaner war an dem Orte, wo er die lateinische Schule besuchte, zweimal mit der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0032" n="33"/> <p> 2) Ein Knabe ward zu einem Prediger aufs Land geschickt, der in dem Ruf eines guten Erziehers stand. Dieser erschrak nicht wenig, als er einen kümmerlichen Menschen erblickte, der blaß und ausgezehrt war und dabei so schüchtern und verlegen aussahe, daß man zweifeln sollte, ob er je mit Menschen umgegangen wäre. Er antwortete auf alles verkehrt, und jeder fällte gleich das Urtheil, er sey nicht richtig im Kopfe. Daß er ein Selbstschwächer sey, gestand er auf die erste Frage und verrieth es nachher auch jedem flüchtigen Beobachter. Es war erbärmlich, wie rasend er sich schändete. Sein Verstand war ganz zerrüttet. Er lief oft umher, als wenn ihn jemand verfolgte. Oft versteckte er sich und kam Tagelang nicht zum Vorschein. Jeden Unbekannten sah er als einen Mörder an und verkroch sich. Wenn es dunkel ward, sah er sich mit Teufeln umringt und schrie um Hülfe. Zuletzt zerhackte und zerschnitte er sich seine Kleider und zeigte überall Spuren einer völligen Manie. Der Prediger suchte seiner los zu werden, und seine Verwandten wusten für ihn keinen beßern Ort ausfindig zu machen, als das Zuchthaus.</p> <p>3) Ein Primaner war an dem Orte, wo er die lateinische Schule besuchte, zweimal mit der </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [33/0032]
2) Ein Knabe ward zu einem Prediger aufs Land geschickt, der in dem Ruf eines guten Erziehers stand. Dieser erschrak nicht wenig, als er einen kümmerlichen Menschen erblickte, der blaß und ausgezehrt war und dabei so schüchtern und verlegen aussahe, daß man zweifeln sollte, ob er je mit Menschen umgegangen wäre. Er antwortete auf alles verkehrt, und jeder fällte gleich das Urtheil, er sey nicht richtig im Kopfe. Daß er ein Selbstschwächer sey, gestand er auf die erste Frage und verrieth es nachher auch jedem flüchtigen Beobachter. Es war erbärmlich, wie rasend er sich schändete. Sein Verstand war ganz zerrüttet. Er lief oft umher, als wenn ihn jemand verfolgte. Oft versteckte er sich und kam Tagelang nicht zum Vorschein. Jeden Unbekannten sah er als einen Mörder an und verkroch sich. Wenn es dunkel ward, sah er sich mit Teufeln umringt und schrie um Hülfe. Zuletzt zerhackte und zerschnitte er sich seine Kleider und zeigte überall Spuren einer völligen Manie. Der Prediger suchte seiner los zu werden, und seine Verwandten wusten für ihn keinen beßern Ort ausfindig zu machen, als das Zuchthaus.
3) Ein Primaner war an dem Orte, wo er die lateinische Schule besuchte, zweimal mit der
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Zitationshilfe: | Oest, Johann Friedrich: Versuch einer Beantwortung der pädagogischen Frage: Wie man Kinder und junge Leute vor dem Leib und Seele verwüstenden Laster der Unzucht überhaupt, und der Selbstschwächung insonderheit verwahren, oder, wofern sie schon davon angesteckt waren, wie man sie davon heilen könne? Wien, 1787, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/oest_kinder_1787/32>, abgerufen am 16.07.2024. |