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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

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die Zierlichkeit seiner Schätze reizten aber
bald ihre Habsucht so sehr, daß sie unter ein¬
ander verabredeten, sich seiner zu bemächti¬
gen, ihn ins Meer zu werfen, und nachher
seine Habe unter einander zu vertheilen.
Wie sie also mitten im Meere waren, fielen
sie über ihn her, und sagten ihm, daß er ster¬
ben müsse, weil sie beschlossen hätten, ihn
ins Meer zu werfen. Er bat sie auf die
rührendste Weise um sein Leben, bot ihnen
seine Schätze zum Lösegeld an, und prophe¬
zeyte ihnen großes Unglück, wenn sie ihren
Vorsatz ausführen würden. Aber weder das
eine, noch das andere konnte sie bewegen:
denn sie fürchteten sich, daß er ihre bösliche
That einmal verrathen möchte. Da er sie
nun einmal so fest entschlossen sah, bat er sie
ihm wenigstens zu erlauben, daß er noch vor
seinem Ende seinen Schwanengesang spielen
dürfe, dann wolle er mit seinem schlichten

die Zierlichkeit ſeiner Schätze reizten aber
bald ihre Habſucht ſo ſehr, daß ſie unter ein¬
ander verabredeten, ſich ſeiner zu bemächti¬
gen, ihn ins Meer zu werfen, und nachher
ſeine Habe unter einander zu vertheilen.
Wie ſie alſo mitten im Meere waren, fielen
ſie über ihn her, und ſagten ihm, daß er ſter¬
ben müſſe, weil ſie beſchloſſen hätten, ihn
ins Meer zu werfen. Er bat ſie auf die
rührendſte Weiſe um ſein Leben, bot ihnen
ſeine Schätze zum Löſegeld an, und prophe¬
zeyte ihnen großes Unglück, wenn ſie ihren
Vorſatz ausführen würden. Aber weder das
eine, noch das andere konnte ſie bewegen:
denn ſie fürchteten ſich, daß er ihre bösliche
That einmal verrathen möchte. Da er ſie
nun einmal ſo feſt entſchloſſen ſah, bat er ſie
ihm wenigſtens zu erlauben, daß er noch vor
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[56/0064] die Zierlichkeit ſeiner Schätze reizten aber bald ihre Habſucht ſo ſehr, daß ſie unter ein¬ ander verabredeten, ſich ſeiner zu bemächti¬ gen, ihn ins Meer zu werfen, und nachher ſeine Habe unter einander zu vertheilen. Wie ſie alſo mitten im Meere waren, fielen ſie über ihn her, und ſagten ihm, daß er ſter¬ ben müſſe, weil ſie beſchloſſen hätten, ihn ins Meer zu werfen. Er bat ſie auf die rührendſte Weiſe um ſein Leben, bot ihnen ſeine Schätze zum Löſegeld an, und prophe¬ zeyte ihnen großes Unglück, wenn ſie ihren Vorſatz ausführen würden. Aber weder das eine, noch das andere konnte ſie bewegen: denn ſie fürchteten ſich, daß er ihre bösliche That einmal verrathen möchte. Da er ſie nun einmal ſo feſt entſchloſſen ſah, bat er ſie ihm wenigſtens zu erlauben, daß er noch vor ſeinem Ende ſeinen Schwanengeſang ſpielen dürfe, dann wolle er mit ſeinem ſchlichten

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Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/64>, abgerufen am 04.05.2024.