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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

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anders ist sie, wenn ein Engel, wenn ein
kräftigerer Geist neben uns ist, als wenn ein
Nothleidender vor uns klagt, oder ein Bauer
uns erzählt, wie ungünstig die Witterung
ihm sey, und wie nöthig er düstre Regentage
für seine Saat brauche. Euch, theuerster
Meister, bin ich dieses Vergnügen schuldig;
ja dieses Vergnügen, denn es giebt kein an¬
deres Wort, was wahrhafter den Zustand
meines Herzens ausdrückte. Freude, Lust
und Entzücken sind nur die Glieder des Ver¬
gnügens, das sie zu einem höhern Leben ver¬
knüpft. Er drückte Mathildens Hand an sein
Herz, und versank mit einem feurigen Blick
in ihr mildes, empfängliches Auge.

Die Natur, versetzte Klingsohr, ist für
unser Gemüth, was ein Körper für das Licht
ist. Er hält es zurück; er bricht es in eigen¬
thümliche Farben; er zündet auf seiner Ober¬
fläche oder in seinem Innern ein Licht an,

anders iſt ſie, wenn ein Engel, wenn ein
kräftigerer Geiſt neben uns iſt, als wenn ein
Nothleidender vor uns klagt, oder ein Bauer
uns erzählt, wie ungünſtig die Witterung
ihm ſey, und wie nöthig er düſtre Regentage
für ſeine Saat brauche. Euch, theuerſter
Meiſter, bin ich dieſes Vergnügen ſchuldig;
ja dieſes Vergnügen, denn es giebt kein an¬
deres Wort, was wahrhafter den Zuſtand
meines Herzens ausdrückte. Freude, Luſt
und Entzücken ſind nur die Glieder des Ver¬
gnügens, das ſie zu einem höhern Leben ver¬
knüpft. Er drückte Mathildens Hand an ſein
Herz, und verſank mit einem feurigen Blick
in ihr mildes, empfängliches Auge.

Die Natur, verſetzte Klingsohr, iſt für
unſer Gemüth, was ein Körper für das Licht
iſt. Er hält es zurück; er bricht es in eigen¬
thümliche Farben; er zündet auf ſeiner Ober¬
fläche oder in ſeinem Innern ein Licht an,

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[238/0246] anders iſt ſie, wenn ein Engel, wenn ein kräftigerer Geiſt neben uns iſt, als wenn ein Nothleidender vor uns klagt, oder ein Bauer uns erzählt, wie ungünſtig die Witterung ihm ſey, und wie nöthig er düſtre Regentage für ſeine Saat brauche. Euch, theuerſter Meiſter, bin ich dieſes Vergnügen ſchuldig; ja dieſes Vergnügen, denn es giebt kein an¬ deres Wort, was wahrhafter den Zuſtand meines Herzens ausdrückte. Freude, Luſt und Entzücken ſind nur die Glieder des Ver¬ gnügens, das ſie zu einem höhern Leben ver¬ knüpft. Er drückte Mathildens Hand an ſein Herz, und verſank mit einem feurigen Blick in ihr mildes, empfängliches Auge. Die Natur, verſetzte Klingsohr, iſt für unſer Gemüth, was ein Körper für das Licht iſt. Er hält es zurück; er bricht es in eigen¬ thümliche Farben; er zündet auf ſeiner Ober¬ fläche oder in ſeinem Innern ein Licht an,

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Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/246>, abgerufen am 24.11.2024.