Du Langschläfer, sagte der Vater, wie lange sitze ich schon hier, und feile. Ich ha¬ be deinetwegen nichts hämmern dürfen; die Mutter wollte den lieben Sohn schlafen las¬ sen. Aufs Frühstück habe ich auch warten müssen. Klüglich hast du den Lehrstand er¬ wählt, für den wir wachen und arbeiten. Indeß ein tüchtiger Gelehrter, wie ich mir habe sagen lassen, muß auch Nächte zu Hül¬ fe nehmen, um die großen Werke der weisen Vorfahren zu studiren. Lieber Vater, ant¬ wortete Heinrich, werdet nicht unwillig über meinen langen Schlaf, den ihr sonst nicht an mir gewohnt seid. Ich schlief erst spät ein, und habe viele unruhige Träume ge¬ habt, bis zuletzt ein anmuthiger Traum mir erschien, den ich lange nicht vergessen werde, und von dem mich dünkt, als sey es mehr als bloßer Traum gewesen. Lieber Heinrich, sprach die Mutter, du hast dich gewiß auf
Du Langſchläfer, ſagte der Vater, wie lange ſitze ich ſchon hier, und feile. Ich ha¬ be deinetwegen nichts hämmern dürfen; die Mutter wollte den lieben Sohn ſchlafen laſ¬ ſen. Aufs Frühſtück habe ich auch warten müſſen. Klüglich haſt du den Lehrſtand er¬ wählt, für den wir wachen und arbeiten. Indeß ein tüchtiger Gelehrter, wie ich mir habe ſagen laſſen, muß auch Nächte zu Hül¬ fe nehmen, um die großen Werke der weiſen Vorfahren zu ſtudiren. Lieber Vater, ant¬ wortete Heinrich, werdet nicht unwillig über meinen langen Schlaf, den ihr ſonſt nicht an mir gewohnt ſeid. Ich ſchlief erſt ſpät ein, und habe viele unruhige Träume ge¬ habt, bis zuletzt ein anmuthiger Traum mir erſchien, den ich lange nicht vergeſſen werde, und von dem mich dünkt, als ſey es mehr als bloßer Traum geweſen. Lieber Heinrich, ſprach die Mutter, du haſt dich gewiß auf
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Du Langſchläfer, ſagte der Vater, wie
lange ſitze ich ſchon hier, und feile. Ich ha¬
be deinetwegen nichts hämmern dürfen; die
Mutter wollte den lieben Sohn ſchlafen laſ¬
ſen. Aufs Frühſtück habe ich auch warten
müſſen. Klüglich haſt du den Lehrſtand er¬
wählt, für den wir wachen und arbeiten.
Indeß ein tüchtiger Gelehrter, wie ich mir
habe ſagen laſſen, muß auch Nächte zu Hül¬
fe nehmen, um die großen Werke der weiſen
Vorfahren zu ſtudiren. Lieber Vater, ant¬
wortete Heinrich, werdet nicht unwillig über
meinen langen Schlaf, den ihr ſonſt nicht
an mir gewohnt ſeid. Ich ſchlief erſt ſpät
ein, und habe viele unruhige Träume ge¬
habt, bis zuletzt ein anmuthiger Traum mir
erſchien, den ich lange nicht vergeſſen werde,
und von dem mich dünkt, als ſey es mehr
als bloßer Traum geweſen. Lieber Heinrich,
ſprach die Mutter, du haſt dich gewiß auf
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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/23>, abgerufen am 24.11.2024.
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