Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

aus köstlich. Ein himmlisches Öl würzte sie
ihm, und aus dem Becher funkelte die Herr¬
lichkeit des irdischen Lebens. Einige Mäd¬
chen brachten dem alten Schwaning einen
frischen Kranz. Er setzte ihn auf, küßte sie,
und sagte: Auch unserm Freund Klingsohr
müßt ihr einen bringen, wir wollen beyde
zum Dank euch ein paar neue Lieder lehren.
Das meinige sollt ihr gleich haben. Er
gab der Musik ein Zeichen, und sang mit
lauter Stimme:

Sind wir nicht geplagte Wesen?
Ist nicht unser Loos betrübt?
Nur zu Zwang und Noth erlesen
In Verstellung nur geübt,
Dürfen selbst nicht unsre Klagen
Sich aus unserm Busen wagen.
Allem was die Eltern sprechen,
Widerspricht das volle Herz.

aus köſtlich. Ein himmliſches Öl würzte ſie
ihm, und aus dem Becher funkelte die Herr¬
lichkeit des irdiſchen Lebens. Einige Mäd¬
chen brachten dem alten Schwaning einen
friſchen Kranz. Er ſetzte ihn auf, küßte ſie,
und ſagte: Auch unſerm Freund Klingsohr
müßt ihr einen bringen, wir wollen beyde
zum Dank euch ein paar neue Lieder lehren.
Das meinige ſollt ihr gleich haben. Er
gab der Muſik ein Zeichen, und ſang mit
lauter Stimme:

Sind wir nicht geplagte Weſen?
Iſt nicht unſer Loos betrübt?
Nur zu Zwang und Noth erleſen
In Verſtellung nur geübt,
Dürfen ſelbſt nicht unſre Klagen
Sich aus unſerm Buſen wagen.
Allem was die Eltern ſprechen,
Widerſpricht das volle Herz.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0227" n="219"/>
aus kö&#x017F;tlich. Ein himmli&#x017F;ches Öl würzte &#x017F;ie<lb/>
ihm, und aus dem Becher funkelte die Herr¬<lb/>
lichkeit des irdi&#x017F;chen Lebens. Einige Mäd¬<lb/>
chen brachten dem alten Schwaning einen<lb/>
fri&#x017F;chen Kranz. Er &#x017F;etzte ihn auf, küßte &#x017F;ie,<lb/>
und &#x017F;agte: Auch un&#x017F;erm Freund Klingsohr<lb/>
müßt ihr einen bringen, wir wollen beyde<lb/>
zum Dank euch ein paar neue Lieder lehren.<lb/>
Das meinige &#x017F;ollt ihr gleich haben. Er<lb/>
gab der Mu&#x017F;ik ein Zeichen, und &#x017F;ang mit<lb/>
lauter Stimme:</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l>Sind wir nicht geplagte We&#x017F;en?</l><lb/>
                <l>I&#x017F;t nicht un&#x017F;er Loos betrübt?</l><lb/>
                <l>Nur zu Zwang und Noth erle&#x017F;en</l><lb/>
                <l>In Ver&#x017F;tellung nur geübt,</l><lb/>
                <l>Dürfen &#x017F;elb&#x017F;t nicht un&#x017F;re Klagen</l><lb/>
                <l>Sich aus un&#x017F;erm Bu&#x017F;en wagen.</l><lb/>
              </lg>
              <lg n="2">
                <l>Allem was die Eltern &#x017F;prechen,</l><lb/>
                <l>Wider&#x017F;pricht das volle Herz.</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[219/0227] aus köſtlich. Ein himmliſches Öl würzte ſie ihm, und aus dem Becher funkelte die Herr¬ lichkeit des irdiſchen Lebens. Einige Mäd¬ chen brachten dem alten Schwaning einen friſchen Kranz. Er ſetzte ihn auf, küßte ſie, und ſagte: Auch unſerm Freund Klingsohr müßt ihr einen bringen, wir wollen beyde zum Dank euch ein paar neue Lieder lehren. Das meinige ſollt ihr gleich haben. Er gab der Muſik ein Zeichen, und ſang mit lauter Stimme: Sind wir nicht geplagte Weſen? Iſt nicht unſer Loos betrübt? Nur zu Zwang und Noth erleſen In Verſtellung nur geübt, Dürfen ſelbſt nicht unſre Klagen Sich aus unſerm Buſen wagen. Allem was die Eltern ſprechen, Widerſpricht das volle Herz.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/227
Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/227>, abgerufen am 09.05.2024.