Kummervoll führte ich meine trostlose Gattin nach meiner Heymath. Ein stiller Gram mochte den Faden ihres Lebens mürbe ge¬ macht haben. Auf einer Reise, die ich bald darauf unternehmen mußte, auf der sie mich wie immer begleitete, verschied sie sanft und plötzlich in meinen Armen. Es war hier nahe bey, wo unsere irdische Wallfahrt zu Ende ging. Mein Entschluß war im Augen¬ blicke reif. Ich fand, was ich nie erwartet hatte; eine göttliche Erleuchtung kam über mich, und seit dem Tage, da ich sie hier selbst begrub, nahm eine himmlische Hand allen Kummer von meinem Herzen. Das Grabmal habe ich nachher errichten lassen. Oft scheint eine Begebenheit sich zu endigen, wenn sie erst eigentlich beginnt, und dies hat bey meinem Leben statt gefunden. Gott ver¬ leihe euch allen ein seliges Alter, und ein so geruhiges Gemüth wie mir.
N
Kummervoll führte ich meine troſtloſe Gattin nach meiner Heymath. Ein ſtiller Gram mochte den Faden ihres Lebens mürbe ge¬ macht haben. Auf einer Reiſe, die ich bald darauf unternehmen mußte, auf der ſie mich wie immer begleitete, verſchied ſie ſanft und plötzlich in meinen Armen. Es war hier nahe bey, wo unſere irdiſche Wallfahrt zu Ende ging. Mein Entſchluß war im Augen¬ blicke reif. Ich fand, was ich nie erwartet hatte; eine göttliche Erleuchtung kam über mich, und ſeit dem Tage, da ich ſie hier ſelbſt begrub, nahm eine himmliſche Hand allen Kummer von meinem Herzen. Das Grabmal habe ich nachher errichten laſſen. Oft ſcheint eine Begebenheit ſich zu endigen, wenn ſie erſt eigentlich beginnt, und dies hat bey meinem Leben ſtatt gefunden. Gott ver¬ leihe euch allen ein ſeliges Alter, und ein ſo geruhiges Gemüth wie mir.
N
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0201"n="193"/>
Kummervoll führte ich meine troſtloſe Gattin<lb/>
nach meiner Heymath. Ein ſtiller Gram<lb/>
mochte den Faden ihres Lebens mürbe ge¬<lb/>
macht haben. Auf einer Reiſe, die ich bald<lb/>
darauf unternehmen mußte, auf der ſie mich<lb/>
wie immer begleitete, verſchied ſie ſanft und<lb/>
plötzlich in meinen Armen. Es war hier<lb/>
nahe bey, wo unſere irdiſche Wallfahrt zu<lb/>
Ende ging. Mein Entſchluß war im Augen¬<lb/>
blicke reif. Ich fand, was ich nie erwartet<lb/>
hatte; eine göttliche Erleuchtung kam über<lb/>
mich, und ſeit dem Tage, da ich ſie hier<lb/>ſelbſt begrub, nahm eine himmliſche Hand<lb/>
allen Kummer von meinem Herzen. Das<lb/>
Grabmal habe ich nachher errichten laſſen.<lb/>
Oft ſcheint eine Begebenheit ſich zu endigen,<lb/>
wenn ſie erſt eigentlich beginnt, und dies hat<lb/>
bey meinem Leben ſtatt gefunden. Gott ver¬<lb/>
leihe euch allen ein ſeliges Alter, und ein ſo<lb/>
geruhiges Gemüth wie mir.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">N<lb/></fw></div></div></div></body></text></TEI>
[193/0201]
Kummervoll führte ich meine troſtloſe Gattin
nach meiner Heymath. Ein ſtiller Gram
mochte den Faden ihres Lebens mürbe ge¬
macht haben. Auf einer Reiſe, die ich bald
darauf unternehmen mußte, auf der ſie mich
wie immer begleitete, verſchied ſie ſanft und
plötzlich in meinen Armen. Es war hier
nahe bey, wo unſere irdiſche Wallfahrt zu
Ende ging. Mein Entſchluß war im Augen¬
blicke reif. Ich fand, was ich nie erwartet
hatte; eine göttliche Erleuchtung kam über
mich, und ſeit dem Tage, da ich ſie hier
ſelbſt begrub, nahm eine himmliſche Hand
allen Kummer von meinem Herzen. Das
Grabmal habe ich nachher errichten laſſen.
Oft ſcheint eine Begebenheit ſich zu endigen,
wenn ſie erſt eigentlich beginnt, und dies hat
bey meinem Leben ſtatt gefunden. Gott ver¬
leihe euch allen ein ſeliges Alter, und ein ſo
geruhiges Gemüth wie mir.
N
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/201>, abgerufen am 08.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.