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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

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Nachdenken, und wenn man auch ohne den
gewünschten Fund von dannen geht, so hat
man doch tausend merkwürdige Entdeckungen
in sich selbst gemacht, die dem Leben einen
neuen Glanz und dem Gemüth eine lange,
belohnende Beschäftigung geben. Das Leben
auf einem längst bewohnten und ehemals
schon durch Fleiß, Thätigkeit und Neigung
verherrlichten Boden hat einen besondern
Reiz. Die Natur scheint dort menschlicher
und verständlicher geworden, eine dunkle Er¬
innerung unter der durchsichtigen Gegenwart
wirft die Bilder der Welt mit scharfen Um¬
rissen zurück, und so genießt man eine dop¬
pelte Welt, die eben dadurch das Schwere
und Gewaltsame verliert und die zauberische
Dichtung und Fabel unserer Sinne wird.
Wer weiß, ob nicht auch ein unbegreiflicher
Einfluß der ehemaligen, jetzt unsichtbaren Be¬
wohner mit ins Spiel kommt, und vielleicht

Nachdenken, und wenn man auch ohne den
gewünſchten Fund von dannen geht, ſo hat
man doch tauſend merkwürdige Entdeckungen
in ſich ſelbſt gemacht, die dem Leben einen
neuen Glanz und dem Gemüth eine lange,
belohnende Beſchäftigung geben. Das Leben
auf einem längſt bewohnten und ehemals
ſchon durch Fleiß, Thätigkeit und Neigung
verherrlichten Boden hat einen beſondern
Reiz. Die Natur ſcheint dort menſchlicher
und verſtändlicher geworden, eine dunkle Er¬
innerung unter der durchſichtigen Gegenwart
wirft die Bilder der Welt mit ſcharfen Um¬
riſſen zurück, und ſo genießt man eine dop¬
pelte Welt, die eben dadurch das Schwere
und Gewaltſame verliert und die zauberiſche
Dichtung und Fabel unſerer Sinne wird.
Wer weiß, ob nicht auch ein unbegreiflicher
Einfluß der ehemaligen, jetzt unſichtbaren Be¬
wohner mit ins Spiel kommt, und vielleicht

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[122/0130] Nachdenken, und wenn man auch ohne den gewünſchten Fund von dannen geht, ſo hat man doch tauſend merkwürdige Entdeckungen in ſich ſelbſt gemacht, die dem Leben einen neuen Glanz und dem Gemüth eine lange, belohnende Beſchäftigung geben. Das Leben auf einem längſt bewohnten und ehemals ſchon durch Fleiß, Thätigkeit und Neigung verherrlichten Boden hat einen beſondern Reiz. Die Natur ſcheint dort menſchlicher und verſtändlicher geworden, eine dunkle Er¬ innerung unter der durchſichtigen Gegenwart wirft die Bilder der Welt mit ſcharfen Um¬ riſſen zurück, und ſo genießt man eine dop¬ pelte Welt, die eben dadurch das Schwere und Gewaltſame verliert und die zauberiſche Dichtung und Fabel unſerer Sinne wird. Wer weiß, ob nicht auch ein unbegreiflicher Einfluß der ehemaligen, jetzt unſichtbaren Be¬ wohner mit ins Spiel kommt, und vielleicht

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Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/130>, abgerufen am 24.11.2024.