Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Talvj, Volkslieder der Serben, 1825

Bild:
<< vorherige Seite
"Hör' Goluban! Du mein treuer Diener!
Steig' hinunter von dem Schwanenrosse,
Nimm die Herrin bei den weißen Armen, 105
Trag' zurück sie nach dem schlanken Thurme.
Ich erlaub' es Dir, zurück zu bleiben.
Folg' uns nicht, Goluban, auf das Schlachtfeld,
Sondern bleibe Du im weißen Hofe!" --
Als Goluban dieß, der Diener, hörte, 110
Flossen Thränen über seine Wangen;
Doch herab stieg er vom Schwanenrosse,
Nahm die Herrin bei den weißen Armen,
Trug zurück sie nach dem schlanken Thurme;
Doch dem Herzen kann er's nicht verwehren; 115
Daß er nach dem Amselfeld nicht ritte;
Und er sucht sein Schwanenroß von Neuem,
Sitzet auf, zum Amselfeld es lenkend.
Als am Morgen nun der Morgen anbrach,
Sieh', da flatterten zwei schwarze Raben 120
Weit daher vom breiten Amselfelde,
Ließen auf dem weißen Thurm sich nieder,
Auf dem Thurme des erlauchten Fürsten,
Einer krächzend und der Andre sprechend:
"Ist der Thurm dieß des ruhmvollen Fürsten? 125
Und ist Niemand drinnen in dem Thurme?"
Aus dem Thurme tönte keine Stimme,
Aber drinnen hörte sie die Zarin,
17
„Hör' Goluban! Du mein treuer Diener!
Steig' hinunter von dem Schwanenrosse,
Nimm die Herrin bei den weißen Armen, 105
Trag' zurück sie nach dem schlanken Thurme.
Ich erlaub' es Dir, zurück zu bleiben.
Folg' uns nicht, Goluban, auf das Schlachtfeld,
Sondern bleibe Du im weißen Hofe!“ —
Als Goluban dieß, der Diener, hörte, 110
Flossen Thränen über seine Wangen;
Doch herab stieg er vom Schwanenrosse,
Nahm die Herrin bei den weißen Armen,
Trug zurück sie nach dem schlanken Thurme;
Doch dem Herzen kann er's nicht verwehren; 115
Daß er nach dem Amselfeld nicht ritte;
Und er sucht sein Schwanenroß von Neuem,
Sitzet auf, zum Amselfeld es lenkend.
Als am Morgen nun der Morgen anbrach,
Sieh', da flatterten zwei schwarze Raben 120
Weit daher vom breiten Amselfelde,
Ließen auf dem weißen Thurm sich nieder,
Auf dem Thurme des erlauchten Fürsten,
Einer krächzend und der Andre sprechend:
„Ist der Thurm dieß des ruhmvollen Fürsten? 125
Und ist Niemand drinnen in dem Thurme?“
Aus dem Thurme tönte keine Stimme,
Aber drinnen hörte sie die Zarin,
17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0323" n="257"/>
            <lg>
              <l>&#x201E;Hör' Goluban! Du mein treuer Diener!</l><lb/>
              <l>Steig' hinunter von dem Schwanenrosse,</l><lb/>
              <l>Nimm die Herrin bei den weißen Armen, <note place="right">105</note></l><lb/>
              <l>Trag' zurück sie nach dem schlanken Thurme.</l><lb/>
              <l>Ich erlaub' es Dir, zurück zu bleiben.</l><lb/>
              <l>Folg' uns nicht, Goluban, auf das Schlachtfeld,</l><lb/>
              <l>Sondern bleibe Du im weißen Hofe!&#x201C; &#x2014;</l>
            </lg><lb/>
            <lg>
              <l>Als Goluban dieß, der Diener, hörte, <note place="right">110</note></l><lb/>
              <l>Flossen Thränen über seine Wangen;</l><lb/>
              <l>Doch herab stieg er vom Schwanenrosse,</l><lb/>
              <l>Nahm die Herrin bei den weißen Armen,</l><lb/>
              <l>Trug zurück sie nach dem schlanken Thurme;</l><lb/>
              <l>Doch dem Herzen kann er's nicht verwehren; <note place="right">115</note></l><lb/>
              <l>Daß er nach dem Amselfeld nicht ritte;</l><lb/>
              <l>Und er sucht sein Schwanenroß von Neuem,</l><lb/>
              <l>Sitzet auf, zum Amselfeld es lenkend.</l>
            </lg><lb/>
            <lg>
              <l>Als am Morgen nun der Morgen anbrach,</l><lb/>
              <l>Sieh', da flatterten zwei schwarze Raben <note place="right">120</note></l><lb/>
              <l>Weit daher vom breiten Amselfelde,</l><lb/>
              <l>Ließen auf dem weißen Thurm sich nieder,</l><lb/>
              <l>Auf dem Thurme des erlauchten Fürsten,</l><lb/>
              <l>Einer krächzend und der Andre sprechend:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Ist der Thurm dieß des ruhmvollen Fürsten? <note place="right">125</note></l><lb/>
              <l>Und ist Niemand drinnen in dem Thurme?&#x201C;</l><lb/>
              <l>Aus dem Thurme tönte keine Stimme,</l><lb/>
              <l>Aber drinnen hörte sie die Zarin,</l>
            </lg><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom">17</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[257/0323] „Hör' Goluban! Du mein treuer Diener! Steig' hinunter von dem Schwanenrosse, Nimm die Herrin bei den weißen Armen, Trag' zurück sie nach dem schlanken Thurme. Ich erlaub' es Dir, zurück zu bleiben. Folg' uns nicht, Goluban, auf das Schlachtfeld, Sondern bleibe Du im weißen Hofe!“ — Als Goluban dieß, der Diener, hörte, Flossen Thränen über seine Wangen; Doch herab stieg er vom Schwanenrosse, Nahm die Herrin bei den weißen Armen, Trug zurück sie nach dem schlanken Thurme; Doch dem Herzen kann er's nicht verwehren; Daß er nach dem Amselfeld nicht ritte; Und er sucht sein Schwanenroß von Neuem, Sitzet auf, zum Amselfeld es lenkend. Als am Morgen nun der Morgen anbrach, Sieh', da flatterten zwei schwarze Raben Weit daher vom breiten Amselfelde, Ließen auf dem weißen Thurm sich nieder, Auf dem Thurme des erlauchten Fürsten, Einer krächzend und der Andre sprechend: „Ist der Thurm dieß des ruhmvollen Fürsten? Und ist Niemand drinnen in dem Thurme?“ Aus dem Thurme tönte keine Stimme, Aber drinnen hörte sie die Zarin, 17

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Robert Charlier, AV GWB Berlin: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-05-30T17:55:01Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: keine Angabe; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: keine Angabe;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/323
Zitationshilfe: Talvj, Volkslieder der Serben, 1825, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/323>, abgerufen am 06.05.2024.