Talvj, Volkslieder der Serben, 1825Alsobald rief der Woiwode Milosch: "Du, in Gott mein Bruder, Briefpostbote! Bring' mir, ich beschwöre Dich, ein Blättlein, 25 Mir zu einem feinbeschriebnen Briefe!" Und um Gott erbarmte sich der Bote, Ihm, wie er verlangt, ein Blättlein bringend. Milosch aber saß zum Schreiben nieder. Seinem Freund', dem Königsohne Marko, 30 Schrieb er nach Prilip, der weißen Feste: "Freund und Bruder, Königsprosse Marko! Denkst Du unsrer nicht mehr, Deiner Freunde? Großes Leid hat mich befallen, Bruder, In den Händen der Madschjaren bin ich: 35 Denn gefangen hält mich Feldherr Wutscha, Mich und meine beiden Waffenbrüder. Und er warf uns in des Kerkers Tiefe, Wo das Wasser reicht bis an die Kniee, Und Gebein' der Helden zu den Schultern. 40 Schon ist's her drei weiße Tage, Bruder, Aber werden's abermals drei Tage, Wirst Du nimmer mehr mich wieder sehen! Rette mich, mein Freund und Bruder Marko, Sey's mit Gelde, sey es mit den Waffen!" 45 Drauf in's Antlitz mit der Feder stechend, Träufelt' rothes Blut er aus der Wange, Siegelte den Brief mit feinem Blute. Uebergab dem Boten dann das Schreiben, Und den Dienst belohnend mit zwölf Goldstück, 50 Alsobald rief der Woiwode Milosch: „Du, in Gott mein Bruder, Briefpostbote! Bring' mir, ich beschwöre Dich, ein Blättlein, 25 Mir zu einem feinbeschriebnen Briefe!“ Und um Gott erbarmte sich der Bote, Ihm, wie er verlangt, ein Blättlein bringend. Milosch aber saß zum Schreiben nieder. Seinem Freund', dem Königsohne Marko, 30 Schrieb er nach Prilip, der weißen Feste: „Freund und Bruder, Königsprosse Marko! Denkst Du unsrer nicht mehr, Deiner Freunde? Großes Leid hat mich befallen, Bruder, In den Händen der Madschjaren bin ich: 35 Denn gefangen hält mich Feldherr Wutscha, Mich und meine beiden Waffenbrüder. Und er warf uns in des Kerkers Tiefe, Wo das Wasser reicht bis an die Kniee, Und Gebein' der Helden zu den Schultern. 40 Schon ist's her drei weiße Tage, Bruder, Aber werden's abermals drei Tage, Wirst Du nimmer mehr mich wieder sehen! Rette mich, mein Freund und Bruder Marko, Sey's mit Gelde, sey es mit den Waffen!“ 45 Drauf in's Antlitz mit der Feder stechend, Träufelt' rothes Blut er aus der Wange, Siegelte den Brief mit feinem Blute. Uebergab dem Boten dann das Schreiben, Und den Dienst belohnend mit zwölf Goldstück, 50 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0268" n="202"/> <lg> <l>Alsobald rief der Woiwode Milosch:</l><lb/> <l>„Du, in Gott mein Bruder, Briefpostbote!</l><lb/> <l>Bring' mir, ich beschwöre Dich, ein Blättlein, <note place="right">25</note></l><lb/> <l>Mir zu einem feinbeschriebnen Briefe!“</l><lb/> <l>Und um Gott erbarmte sich der Bote,</l><lb/> <l>Ihm, wie er verlangt, ein Blättlein bringend.</l><lb/> <l>Milosch aber saß zum Schreiben nieder.</l><lb/> <l>Seinem Freund', dem Königsohne Marko, <note place="right">30</note></l><lb/> <l>Schrieb er nach Prilip, der weißen Feste:</l><lb/> <l>„Freund und Bruder, Königsprosse Marko!</l><lb/> <l>Denkst Du unsrer nicht mehr, Deiner Freunde?</l><lb/> <l>Großes Leid hat mich befallen, Bruder,</l><lb/> <l>In den Händen der Madschjaren bin ich: <note place="right">35</note></l><lb/> <l>Denn gefangen hält mich Feldherr Wutscha,</l><lb/> <l>Mich und meine beiden Waffenbrüder.</l><lb/> <l>Und er warf uns in des Kerkers Tiefe,</l><lb/> <l>Wo das Wasser reicht bis an die Kniee,</l><lb/> <l>Und Gebein' der Helden zu den Schultern. <note place="right">40</note></l><lb/> <l>Schon ist's her drei weiße Tage, Bruder,</l><lb/> <l>Aber werden's abermals drei Tage,</l><lb/> <l>Wirst Du nimmer mehr mich wieder sehen!</l><lb/> <l>Rette mich, mein Freund und Bruder Marko,</l><lb/> <l>Sey's mit Gelde, sey es mit den Waffen!“ <note place="right">45</note></l> </lg><lb/> <lg> <l>Drauf in's Antlitz mit der Feder stechend,</l><lb/> <l>Träufelt' rothes Blut er aus der Wange,</l><lb/> <l>Siegelte den Brief mit feinem Blute.</l><lb/> <l>Uebergab dem Boten dann das Schreiben,</l><lb/> <l>Und den Dienst belohnend mit zwölf Goldstück, <note place="right">50</note></l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [202/0268]
Alsobald rief der Woiwode Milosch:
„Du, in Gott mein Bruder, Briefpostbote!
Bring' mir, ich beschwöre Dich, ein Blättlein,
Mir zu einem feinbeschriebnen Briefe!“
Und um Gott erbarmte sich der Bote,
Ihm, wie er verlangt, ein Blättlein bringend.
Milosch aber saß zum Schreiben nieder.
Seinem Freund', dem Königsohne Marko,
Schrieb er nach Prilip, der weißen Feste:
„Freund und Bruder, Königsprosse Marko!
Denkst Du unsrer nicht mehr, Deiner Freunde?
Großes Leid hat mich befallen, Bruder,
In den Händen der Madschjaren bin ich:
Denn gefangen hält mich Feldherr Wutscha,
Mich und meine beiden Waffenbrüder.
Und er warf uns in des Kerkers Tiefe,
Wo das Wasser reicht bis an die Kniee,
Und Gebein' der Helden zu den Schultern.
Schon ist's her drei weiße Tage, Bruder,
Aber werden's abermals drei Tage,
Wirst Du nimmer mehr mich wieder sehen!
Rette mich, mein Freund und Bruder Marko,
Sey's mit Gelde, sey es mit den Waffen!“
Drauf in's Antlitz mit der Feder stechend,
Träufelt' rothes Blut er aus der Wange,
Siegelte den Brief mit feinem Blute.
Uebergab dem Boten dann das Schreiben,
Und den Dienst belohnend mit zwölf Goldstück,
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