Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Talvj, Volkslieder der Serben, 1825

Bild:
<< vorherige Seite
Da versetzte die bulgar'sche Jungfrau:
"Armer Pathe, Doge von Venedig!
Schnell verschlingen würde uns die Erde,
Ueber uns zusamm der Himmel stürzen. 190
Wie doch kann man seine Pathin lieben!"
Und es sprach der Doge von Venedig:
"Sprich nicht thöricht, meine süße Pathin!
Habe ihrer neune schon geküsset,
Deren Path' ich war einst bei der Taufe, 195
Bei der Trauung, wohl schon vier und zwanzig,
Und noch nie hat sich die Erd' eröffnet,
Und der Himmel ist nicht eingestürzet;
Aber setze Dich, daß ich Dich küsse!" --
Da erwiederte die Jungfrau dieses: 200
"O mein Pathe, Doge von Venedig!
Streng' verboten hat mir meine Mutter,
Keinen bärt'gen Helden soll ich küssen,
Einen jungen Helden ohne Bart nur,
Wie der Königsohn, Herr Marko, einer." 205
Als der Doge dieses Wort vernommen,
Ließ er schleunig zween Bader kommen,
Einer wusch ihn, und der And're schor ihn.
Und es bückte sich die schöne Jungfrau,
Nahm den Bart, in's Taschentuch ihn bergend. 210
D'rauf der Doge, fort die Bader treibend,
Flüsternd sprach zur schönen Braut er wieder:
"Setz' Dich nun, o Liebchen, schönste Pathin!"
13
Da versetzte die bulgar'sche Jungfrau:
„Armer Pathe, Doge von Venedig!
Schnell verschlingen würde uns die Erde,
Ueber uns zusamm der Himmel stürzen. 190
Wie doch kann man seine Pathin lieben!“
Und es sprach der Doge von Venedig:
„Sprich nicht thöricht, meine süße Pathin!
Habe ihrer neune schon geküsset,
Deren Path' ich war einst bei der Taufe, 195
Bei der Trauung, wohl schon vier und zwanzig,
Und noch nie hat sich die Erd' eröffnet,
Und der Himmel ist nicht eingestürzet;
Aber setze Dich, daß ich Dich küsse!“ —
Da erwiederte die Jungfrau dieses: 200
„O mein Pathe, Doge von Venedig!
Streng' verboten hat mir meine Mutter,
Keinen bärt'gen Helden soll ich küssen,
Einen jungen Helden ohne Bart nur,
Wie der Königsohn, Herr Marko, einer.“ 205
Als der Doge dieses Wort vernommen,
Ließ er schleunig zween Bader kommen,
Einer wusch ihn, und der And're schor ihn.
Und es bückte sich die schöne Jungfrau,
Nahm den Bart, in's Taschentuch ihn bergend. 210
D'rauf der Doge, fort die Bader treibend,
Flüsternd sprach zur schönen Braut er wieder:
„Setz' Dich nun, o Liebchen, schönste Pathin!“
13
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0259" n="193"/>
            <lg>
              <l>Da versetzte die bulgar'sche Jungfrau:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Armer Pathe, Doge von Venedig!</l><lb/>
              <l>Schnell verschlingen würde uns die Erde,</l><lb/>
              <l>Ueber uns zusamm der Himmel stürzen. <note place="right">190</note></l><lb/>
              <l>Wie doch kann man seine Pathin lieben!&#x201C;</l>
            </lg><lb/>
            <lg>
              <l>Und es sprach der Doge von Venedig:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Sprich nicht thöricht, meine süße Pathin!</l><lb/>
              <l>Habe ihrer neune schon geküsset,</l><lb/>
              <l>Deren Path' ich war einst bei der Taufe, <note place="right">195</note></l><lb/>
              <l>Bei der Trauung, wohl schon vier und zwanzig,</l><lb/>
              <l>Und noch nie hat sich die Erd' eröffnet,</l><lb/>
              <l>Und der Himmel ist nicht eingestürzet;</l><lb/>
              <l>Aber setze Dich, daß ich Dich küsse!&#x201C; &#x2014;</l>
            </lg><lb/>
            <lg>
              <l>Da erwiederte die Jungfrau dieses: <note place="right">200</note></l><lb/>
              <l>&#x201E;O mein Pathe, Doge von Venedig!</l><lb/>
              <l>Streng' verboten hat mir meine Mutter,</l><lb/>
              <l>Keinen bärt'gen Helden soll ich küssen,</l><lb/>
              <l>Einen jungen Helden ohne Bart nur,</l><lb/>
              <l>Wie der Königsohn, Herr Marko, einer.&#x201C; <note place="right">205</note></l><lb/>
              <l>Als der Doge dieses Wort vernommen,</l><lb/>
              <l>Ließ er schleunig zween Bader kommen,</l><lb/>
              <l>Einer wusch ihn, und der And're schor ihn.</l><lb/>
              <l>Und es bückte sich die schöne Jungfrau,</l><lb/>
              <l>Nahm den Bart, in's Taschentuch ihn bergend. <note place="right">210</note></l><lb/>
              <l>D'rauf der Doge, fort die Bader treibend,</l><lb/>
              <l>Flüsternd sprach zur schönen Braut er wieder:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Setz' Dich nun, o Liebchen, schönste Pathin!&#x201C;</l>
            </lg><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">13</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[193/0259] Da versetzte die bulgar'sche Jungfrau: „Armer Pathe, Doge von Venedig! Schnell verschlingen würde uns die Erde, Ueber uns zusamm der Himmel stürzen. Wie doch kann man seine Pathin lieben!“ Und es sprach der Doge von Venedig: „Sprich nicht thöricht, meine süße Pathin! Habe ihrer neune schon geküsset, Deren Path' ich war einst bei der Taufe, Bei der Trauung, wohl schon vier und zwanzig, Und noch nie hat sich die Erd' eröffnet, Und der Himmel ist nicht eingestürzet; Aber setze Dich, daß ich Dich küsse!“ — Da erwiederte die Jungfrau dieses: „O mein Pathe, Doge von Venedig! Streng' verboten hat mir meine Mutter, Keinen bärt'gen Helden soll ich küssen, Einen jungen Helden ohne Bart nur, Wie der Königsohn, Herr Marko, einer.“ Als der Doge dieses Wort vernommen, Ließ er schleunig zween Bader kommen, Einer wusch ihn, und der And're schor ihn. Und es bückte sich die schöne Jungfrau, Nahm den Bart, in's Taschentuch ihn bergend. D'rauf der Doge, fort die Bader treibend, Flüsternd sprach zur schönen Braut er wieder: „Setz' Dich nun, o Liebchen, schönste Pathin!“ 13

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Robert Charlier, AV GWB Berlin: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-05-30T17:55:01Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: keine Angabe; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: keine Angabe;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/259
Zitationshilfe: Talvj, Volkslieder der Serben, 1825, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/259>, abgerufen am 07.05.2024.