Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Talvj, Volkslieder der Serben, 1825

Bild:
<< vorherige Seite
Mir die Schnur, und Dir die treue Gattin?"
Marko drauf entgegnete der Greisin:
"Friedlich, liebe Mutter, war die Reise, 80
Und die Jungfrau hab' ich mir erfreiet,
Hab' drei Lasten Goldes ausgegeben;
Doch, als ich zum weißen Hofe komme,
Spricht zu mir des Mädchens Mutter also:
O mein Eidam, Königsprosse Marko! 85
Nicht ein Fremder darf die Braut mir führen,
Nur ein Bruder oder Sohn des Bruders;
All zu schön ist dieses Mädchen, daß wir
Große Schande nicht zu fürchten hätten.
Und ich habe keinen Bruder, Mutter, 90
Keinen Bruder, keinen Sohn des Bruders." --
Ihm erwiederte die greise Mutter:
"O, mein Sohn, Du Königsprosse Marko!
Hege Du darüber keine Sorge!
Einen klein beschriebnen Brief verfasse, 95
Schick' ihn an den Dogen von Venedig,
Daß er Pathe sei bei Deiner Trauung,
Und fünfhundert Gäste mit sich bringe.
Einen andern send' an Stephan Semlitsch,
Bei der Jungfrau dien' er Dir als Schwager, 100
Führe mit sich auch fünfhundert Gäste:
Also hast Du Schande nicht zu fürchten!" --
Als der Marko nun das Wort begriffen,
Auf der Stelle, wo er es vernommen,
Mir die Schnur, und Dir die treue Gattin?“
Marko drauf entgegnete der Greisin:
„Friedlich, liebe Mutter, war die Reise, 80
Und die Jungfrau hab' ich mir erfreiet,
Hab' drei Lasten Goldes ausgegeben;
Doch, als ich zum weißen Hofe komme,
Spricht zu mir des Mädchens Mutter also:
O mein Eidam, Königsprosse Marko! 85
Nicht ein Fremder darf die Braut mir führen,
Nur ein Bruder oder Sohn des Bruders;
All zu schön ist dieses Mädchen, daß wir
Große Schande nicht zu fürchten hätten.
Und ich habe keinen Bruder, Mutter, 90
Keinen Bruder, keinen Sohn des Bruders.“ —
Ihm erwiederte die greise Mutter:
„O, mein Sohn, Du Königsprosse Marko!
Hege Du darüber keine Sorge!
Einen klein beschriebnen Brief verfasse, 95
Schick' ihn an den Dogen von Venedig,
Daß er Pathe sei bei Deiner Trauung,
Und fünfhundert Gäste mit sich bringe.
Einen andern send' an Stephan Semlitsch,
Bei der Jungfrau dien' er Dir als Schwager, 100
Führe mit sich auch fünfhundert Gäste:
Also hast Du Schande nicht zu fürchten!“ —
Als der Marko nun das Wort begriffen,
Auf der Stelle, wo er es vernommen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0255" n="189"/>
            <lg>
              <l>Mir die Schnur, und Dir die treue Gattin?&#x201C;</l><lb/>
              <l>Marko drauf entgegnete der Greisin:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Friedlich, liebe Mutter, war die Reise, <note place="right">80</note></l><lb/>
              <l>Und die Jungfrau hab' ich mir erfreiet,</l><lb/>
              <l>Hab' drei Lasten Goldes ausgegeben;</l><lb/>
              <l>Doch, als ich zum weißen Hofe komme,</l><lb/>
              <l>Spricht zu mir des Mädchens Mutter also:</l><lb/>
              <l>O mein Eidam, Königsprosse Marko! <note place="right">85</note></l><lb/>
              <l>Nicht ein Fremder darf die Braut mir führen,</l><lb/>
              <l>Nur ein Bruder oder Sohn des Bruders;</l><lb/>
              <l>All zu schön ist dieses Mädchen, daß wir</l><lb/>
              <l>Große Schande nicht zu fürchten hätten.</l><lb/>
              <l>Und ich habe keinen Bruder, Mutter, <note place="right">90</note></l><lb/>
              <l>Keinen Bruder, keinen Sohn des Bruders.&#x201C; &#x2014;</l>
            </lg><lb/>
            <lg>
              <l>Ihm erwiederte die greise Mutter:</l><lb/>
              <l>&#x201E;O, mein Sohn, Du Königsprosse Marko!</l><lb/>
              <l>Hege Du darüber keine Sorge!</l><lb/>
              <l>Einen klein beschriebnen Brief verfasse, <note place="right">95</note></l><lb/>
              <l>Schick' ihn an den Dogen von Venedig,</l><lb/>
              <l>Daß er Pathe sei bei Deiner Trauung,</l><lb/>
              <l>Und fünfhundert Gäste mit sich bringe.</l><lb/>
              <l>Einen andern send' an Stephan Semlitsch,</l><lb/>
              <l>Bei der Jungfrau dien' er Dir als Schwager, <note place="right">100</note></l><lb/>
              <l>Führe mit sich auch fünfhundert Gäste:</l><lb/>
              <l>Also hast Du Schande nicht zu fürchten!&#x201C; &#x2014;</l><lb/>
              <l>Als der Marko nun das Wort begriffen,</l><lb/>
              <l>Auf der Stelle, wo er es vernommen,</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[189/0255] Mir die Schnur, und Dir die treue Gattin?“ Marko drauf entgegnete der Greisin: „Friedlich, liebe Mutter, war die Reise, Und die Jungfrau hab' ich mir erfreiet, Hab' drei Lasten Goldes ausgegeben; Doch, als ich zum weißen Hofe komme, Spricht zu mir des Mädchens Mutter also: O mein Eidam, Königsprosse Marko! Nicht ein Fremder darf die Braut mir führen, Nur ein Bruder oder Sohn des Bruders; All zu schön ist dieses Mädchen, daß wir Große Schande nicht zu fürchten hätten. Und ich habe keinen Bruder, Mutter, Keinen Bruder, keinen Sohn des Bruders.“ — Ihm erwiederte die greise Mutter: „O, mein Sohn, Du Königsprosse Marko! Hege Du darüber keine Sorge! Einen klein beschriebnen Brief verfasse, Schick' ihn an den Dogen von Venedig, Daß er Pathe sei bei Deiner Trauung, Und fünfhundert Gäste mit sich bringe. Einen andern send' an Stephan Semlitsch, Bei der Jungfrau dien' er Dir als Schwager, Führe mit sich auch fünfhundert Gäste: Also hast Du Schande nicht zu fürchten!“ — Als der Marko nun das Wort begriffen, Auf der Stelle, wo er es vernommen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Robert Charlier, AV GWB Berlin: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-05-30T17:55:01Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: keine Angabe; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: keine Angabe;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/255
Zitationshilfe: Talvj, Volkslieder der Serben, 1825, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/255>, abgerufen am 07.05.2024.