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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 2. Solingen, 1844.

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mung des Lebens erfahren müßte. Eine Hemmung ist
aber auch zugleich ein Rückschritt. Ungestraft geht Nie-
mand irre! Darum muß der Staat, eben weil ein
Jrren möglich ist, einen einfachen Gedanken aufstellen,
einen Grundriß zur Anschauung geben, -- stellt sie ja
schon im bürgerlichen Leben überall an Krenzwege Weg-
weiser für Reisende -- damit das turnerische Leben
zwar ungehemmt, in voller Rege aber richtig und sicher
sich entwickeln könne. Mögen denn die Berathungen in
Mitten der Regierungen geschlossen werden, und die
Organisation eintreten, so ist dies nicht mit einer Hem-
mung des Lebens verbunden.

Eine Hemmung des Lebens! dies Wort sollte nicht
da sein, -- es gemahnt Einen an -- Tod! Was ist
denn der Tod anders als Hemmung des Lebens? Aber
eine Hemmung des geistigen Lebens sollte es nicht geben,
und doch! die Turnkunst hat sie erfahren, und viel
Leben starb des frühen Todes, aber die zu Grunde
liegende göttliche Jdee war noch zu mächtig im Volke,
als daß der Tod der Turnkunst hätte erfolgen können.
Damit nun das Leben nicht wieder solche Schlagschatten
erfahre, verlangen wir von der Regierung einen Weg-
weiser für die turnerische Entwickelung.

Zum Organisiren des Turnwesens gehört ein freier
Blick ins Leben des Volks. Und das Leben liegt so
offen da, aber die Meisten sind mit sehenden Augen
blind. Man frage und erlausche die Natur und das
Leben, und die Antwort wird nie fehlen. Sie erfolgt
immer klar und wahr. Das Leben begnügt sich nicht
mit langsamen Gedanken; es will Thaten! Während die
Denkenden denken, geht das Leben im Thatensturm vor-
wärts. Und wenn die denkenden Denker die Augen auf-
schlagen, das Leben anders finden, und ihre Thorheit
einsehen, dann hört man immer und immer die Ent-
schuldigung: ja ich dachte! Denken muß der Mensch,
das ist eine Mitgift des göttlichen Lebens, aber über
dem Denken darf man das Leben und seine unveräußer-

mung des Lebens erfahren müßte. Eine Hemmung iſt
aber auch zugleich ein Rückſchritt. Ungeſtraft geht Nie-
mand irre! Darum muß der Staat, eben weil ein
Jrren möglich iſt, einen einfachen Gedanken aufſtellen,
einen Grundriß zur Anſchauung geben, — ſtellt ſie ja
ſchon im bürgerlichen Leben überall an Krenzwege Weg-
weiſer für Reiſende — damit das turneriſche Leben
zwar ungehemmt, in voller Rege aber richtig und ſicher
ſich entwickeln könne. Mögen denn die Berathungen in
Mitten der Regierungen geſchloſſen werden, und die
Organiſation eintreten, ſo iſt dies nicht mit einer Hem-
mung des Lebens verbunden.

Eine Hemmung des Lebens! dies Wort ſollte nicht
da ſein, — es gemahnt Einen an — Tod! Was iſt
denn der Tod anders als Hemmung des Lebens? Aber
eine Hemmung des geiſtigen Lebens ſollte es nicht geben,
und doch! die Turnkunſt hat ſie erfahren, und viel
Leben ſtarb des frühen Todes, aber die zu Grunde
liegende göttliche Jdee war noch zu mächtig im Volke,
als daß der Tod der Turnkunſt hätte erfolgen können.
Damit nun das Leben nicht wieder ſolche Schlagſchatten
erfahre, verlangen wir von der Regierung einen Weg-
weiſer für die turneriſche Entwickelung.

Zum Organiſiren des Turnweſens gehört ein freier
Blick ins Leben des Volks. Und das Leben liegt ſo
offen da, aber die Meiſten ſind mit ſehenden Augen
blind. Man frage und erlauſche die Natur und das
Leben, und die Antwort wird nie fehlen. Sie erfolgt
immer klar und wahr. Das Leben begnügt ſich nicht
mit langſamen Gedanken; es will Thaten! Während die
Denkenden denken, geht das Leben im Thatenſturm vor-
wärts. Und wenn die denkenden Denker die Augen auf-
ſchlagen, das Leben anders finden, und ihre Thorheit
einſehen, dann hört man immer und immer die Ent-
ſchuldigung: ja ich dachte! Denken muß der Menſch,
das iſt eine Mitgift des göttlichen Lebens, aber über
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[92/0096] mung des Lebens erfahren müßte. Eine Hemmung iſt aber auch zugleich ein Rückſchritt. Ungeſtraft geht Nie- mand irre! Darum muß der Staat, eben weil ein Jrren möglich iſt, einen einfachen Gedanken aufſtellen, einen Grundriß zur Anſchauung geben, — ſtellt ſie ja ſchon im bürgerlichen Leben überall an Krenzwege Weg- weiſer für Reiſende — damit das turneriſche Leben zwar ungehemmt, in voller Rege aber richtig und ſicher ſich entwickeln könne. Mögen denn die Berathungen in Mitten der Regierungen geſchloſſen werden, und die Organiſation eintreten, ſo iſt dies nicht mit einer Hem- mung des Lebens verbunden. Eine Hemmung des Lebens! dies Wort ſollte nicht da ſein, — es gemahnt Einen an — Tod! Was iſt denn der Tod anders als Hemmung des Lebens? Aber eine Hemmung des geiſtigen Lebens ſollte es nicht geben, und doch! die Turnkunſt hat ſie erfahren, und viel Leben ſtarb des frühen Todes, aber die zu Grunde liegende göttliche Jdee war noch zu mächtig im Volke, als daß der Tod der Turnkunſt hätte erfolgen können. Damit nun das Leben nicht wieder ſolche Schlagſchatten erfahre, verlangen wir von der Regierung einen Weg- weiſer für die turneriſche Entwickelung. Zum Organiſiren des Turnweſens gehört ein freier Blick ins Leben des Volks. Und das Leben liegt ſo offen da, aber die Meiſten ſind mit ſehenden Augen blind. Man frage und erlauſche die Natur und das Leben, und die Antwort wird nie fehlen. Sie erfolgt immer klar und wahr. Das Leben begnügt ſich nicht mit langſamen Gedanken; es will Thaten! Während die Denkenden denken, geht das Leben im Thatenſturm vor- wärts. Und wenn die denkenden Denker die Augen auf- ſchlagen, das Leben anders finden, und ihre Thorheit einſehen, dann hört man immer und immer die Ent- ſchuldigung: ja ich dachte! Denken muß der Menſch, das iſt eine Mitgift des göttlichen Lebens, aber über dem Denken darf man das Leben und ſeine unveräußer-

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Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 2. Solingen, 1844, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst02_1844/96>, abgerufen am 03.05.2024.