Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 2. Solingen, 1844.lässigten, bis man letztere gar nicht mehr kannte, so be- Dem Vaterlands- und dem Menschenfreunde ging läſſigten, bis man letztere gar nicht mehr kannte, ſo be- Dem Vaterlands- und dem Menſchenfreunde ging <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0057" n="53"/> läſſigten, bis man letztere gar nicht mehr kannte, ſo be-<lb/> gann die Zeit, wo man durch die franzöſiſche Erziehungs-<lb/> weiſe in Perücken, Zöpfen und Puder den Leib ſyſtema-<lb/> tiſch zu tödten, den Menſchen nach allen Regeln der<lb/> Kunſt zu entleiben beſtrebt war. Auch hier brach zum<lb/> 2ten Male den entnervten Völkern durch Deutſchland<lb/> die Wiedergeburtsſtunde an. Zuerſt ward durch Guts-<lb/> muths und Vieth die „Gymnaſtik“ neubelebt. Da ſie<lb/> aber ohne volksthümliches Gepräge auftrat, ſo hat ſie in<lb/> Deutſchland wenig Eingang gefunden, um ſo mehr aber<lb/> bei den Ausländern, beſonders in Dänemark. Clias<lb/> ſuchte ſeit 1816 die Gutsmuths’ſche Gymnaſtik eigen-<lb/> thümlicher zu geſtalten, und führte ſie in Frankreich und<lb/> England ein, doch ohne ihr ein Volksgepräge aufdrücken<lb/> zu können. Aber beide Völker benutzen ſeine Anwei-<lb/> ſungen zu kriegeriſchen Zwecken, in England, um die<lb/> Matroſen, in Frankreich — wo Clias neuerdings thätig<lb/> iſt — um die Truppen für den Dienſt in Algier vor-<lb/> zubereiten. Da trat Jahn 1810 auf mit ſeinem „deut-<lb/> ſchen Volksthum,“ errichtete 1811 den erſten „Turnplatz.“<lb/> So lange die Wörter „Volksthum und Turnkunſt“ ge-<lb/> ſprochen werden, wird Jahn, der ſie geprägt, genannt<lb/> werden müſſen.</p><lb/> <p>Dem Vaterlands- und dem Menſchenfreunde ging<lb/> mit dieſen Wörtern ein Himmel auf. Die Vaterlands-<lb/> liebe und die Menſchenliebe klammerten ſich an beide feſt.<lb/> Das „Volksthum“ lehrt jede Volksthümlichkeit in ihren<lb/> Grenzen achten, fordert aber auch dieſelbe Achtung für<lb/> ſich und <hi rendition="#g">fördert</hi> ſie zugleich; die Turnkunſt lehrt da-<lb/> gegen jede Bewegung einem Geſetz unterwerfen, damit<lb/><hi rendition="#g">Maß</hi> hineinkomme, fordert und fördert die Bewegung<lb/> mit und in Maß und Ziel, damit „eine geſunde Seele<lb/> in einem geſunden Leibe wohnen könne,“ ohne welche<lb/> Bedingung kein Volksthum möglich iſt. Wie aber der<lb/> Begriff „Volk“ nicht einem Stande allein zukommt, ſon-<lb/> dern allen im Lande, ſo hat alſo auch jeder Anſpruch<lb/> an der Volksthümlichkeit, ſoll zu volksthümlicher Haltung<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [53/0057]
läſſigten, bis man letztere gar nicht mehr kannte, ſo be-
gann die Zeit, wo man durch die franzöſiſche Erziehungs-
weiſe in Perücken, Zöpfen und Puder den Leib ſyſtema-
tiſch zu tödten, den Menſchen nach allen Regeln der
Kunſt zu entleiben beſtrebt war. Auch hier brach zum
2ten Male den entnervten Völkern durch Deutſchland
die Wiedergeburtsſtunde an. Zuerſt ward durch Guts-
muths und Vieth die „Gymnaſtik“ neubelebt. Da ſie
aber ohne volksthümliches Gepräge auftrat, ſo hat ſie in
Deutſchland wenig Eingang gefunden, um ſo mehr aber
bei den Ausländern, beſonders in Dänemark. Clias
ſuchte ſeit 1816 die Gutsmuths’ſche Gymnaſtik eigen-
thümlicher zu geſtalten, und führte ſie in Frankreich und
England ein, doch ohne ihr ein Volksgepräge aufdrücken
zu können. Aber beide Völker benutzen ſeine Anwei-
ſungen zu kriegeriſchen Zwecken, in England, um die
Matroſen, in Frankreich — wo Clias neuerdings thätig
iſt — um die Truppen für den Dienſt in Algier vor-
zubereiten. Da trat Jahn 1810 auf mit ſeinem „deut-
ſchen Volksthum,“ errichtete 1811 den erſten „Turnplatz.“
So lange die Wörter „Volksthum und Turnkunſt“ ge-
ſprochen werden, wird Jahn, der ſie geprägt, genannt
werden müſſen.
Dem Vaterlands- und dem Menſchenfreunde ging
mit dieſen Wörtern ein Himmel auf. Die Vaterlands-
liebe und die Menſchenliebe klammerten ſich an beide feſt.
Das „Volksthum“ lehrt jede Volksthümlichkeit in ihren
Grenzen achten, fordert aber auch dieſelbe Achtung für
ſich und fördert ſie zugleich; die Turnkunſt lehrt da-
gegen jede Bewegung einem Geſetz unterwerfen, damit
Maß hineinkomme, fordert und fördert die Bewegung
mit und in Maß und Ziel, damit „eine geſunde Seele
in einem geſunden Leibe wohnen könne,“ ohne welche
Bedingung kein Volksthum möglich iſt. Wie aber der
Begriff „Volk“ nicht einem Stande allein zukommt, ſon-
dern allen im Lande, ſo hat alſo auch jeder Anſpruch
an der Volksthümlichkeit, ſoll zu volksthümlicher Haltung
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