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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 2. Solingen, 1844.

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Zweiter Abschnitt.
Die Turnkunst unter Jahn's Einfluß von
1810 -- 1819.

So breitete sich die Gymnastik in dem Zeitraume
von 1776 bis 1809 nur langsam aus. Es bedurfte
eines befruchtenden Gewittersturmes, um das dem Boden
anvertraute Samenkorn zur Entfaltung zu bringen. Als
solcher brach die Zwingherrschaft der Franzosen über das
entartete, verweichlichte, in sich zerrissene deutsche Volk
herein. Zu jener Zeit nun, als die Noth am höchsten
gestiegen war, als, geläutert durch so herbes Geschick,
die Edleren voll Begeisterung den Gedanken faßten, das
Vaterland zu befreien, als es galt, für den heißen Kampf
streitbare Männer zu erziehen -- da bildeten sich auf
Jahn's Anregung (1810 im Frühlinge) in Berlin ein
Verein junger Männer für die Pflege kräftigender Leibes-
übungen und vaterländischer Gesinnungen. Alle Aus-
länderei in That und Wort verbannend, wurde die
Gymnastik, für die neue, edlere Richtung zugleich be-
zeichnender, Turnkunst benannt. Alt und Jung bestrebte
sich, in erfreulichem Wetteifer das Versäumte nachzu-
holen. Entscheidend war dabei die hierzu von dem un-
ermüdlichen Jahn ausgehende, fortwährend kräftige An-
regung, auf dessen Betrieb während der Befreiungskriege
das Turnen in Deutschland fast allgemeine Verbreitung
fand. Jnsbesondere war auch er es, welcher im Spät-
sommer 1815 bei einer kurzen Anwesenheit die Turn-
kunst unmittelbar in unsere Stadt verpflanzte. Hier
wurde sie von einer kleinen Schaar Gymnasiasten, denen
sich später auch einige andere junge Leute anschlossen,
noch in dem Herbst desselben Jahres auf der Pfingst-
weide zunächst mit Gerwerfen, Steinstoßen und Weit-
und Hochspringen mit und ohne Stab eröffnet. Die
Geräthe bewahrte man in dem damaligen Gladbachischen
Gartenhause, dicht an der Pfingstweide, auf, wo auch
1816 zwei Recke, 2 Barren, 1 Mast und 1 Drei-

Zweiter Abſchnitt.
Die Turnkunſt unter Jahn’s Einfluß von
1810 — 1819.

So breitete ſich die Gymnaſtik in dem Zeitraume
von 1776 bis 1809 nur langſam aus. Es bedurfte
eines befruchtenden Gewitterſturmes, um das dem Boden
anvertraute Samenkorn zur Entfaltung zu bringen. Als
ſolcher brach die Zwingherrſchaft der Franzoſen über das
entartete, verweichlichte, in ſich zerriſſene deutſche Volk
herein. Zu jener Zeit nun, als die Noth am höchſten
geſtiegen war, als, geläutert durch ſo herbes Geſchick,
die Edleren voll Begeiſterung den Gedanken faßten, das
Vaterland zu befreien, als es galt, für den heißen Kampf
ſtreitbare Männer zu erziehen — da bildeten ſich auf
Jahn’s Anregung (1810 im Frühlinge) in Berlin ein
Verein junger Männer für die Pflege kräftigender Leibes-
übungen und vaterländiſcher Geſinnungen. Alle Aus-
länderei in That und Wort verbannend, wurde die
Gymnaſtik, für die neue, edlere Richtung zugleich be-
zeichnender, Turnkunſt benannt. Alt und Jung beſtrebte
ſich, in erfreulichem Wetteifer das Verſäumte nachzu-
holen. Entſcheidend war dabei die hierzu von dem un-
ermüdlichen Jahn ausgehende, fortwährend kräftige An-
regung, auf deſſen Betrieb während der Befreiungskriege
das Turnen in Deutſchland faſt allgemeine Verbreitung
fand. Jnsbeſondere war auch er es, welcher im Spät-
ſommer 1815 bei einer kurzen Anweſenheit die Turn-
kunſt unmittelbar in unſere Stadt verpflanzte. Hier
wurde ſie von einer kleinen Schaar Gymnaſiaſten, denen
ſich ſpäter auch einige andere junge Leute anſchloſſen,
noch in dem Herbſt desſelben Jahres auf der Pfingſt-
weide zunächſt mit Gerwerfen, Steinſtoßen und Weit-
und Hochſpringen mit und ohne Stab eröffnet. Die
Geräthe bewahrte man in dem damaligen Gladbachiſchen
Gartenhauſe, dicht an der Pfingſtweide, auf, wo auch
1816 zwei Recke, 2 Barren, 1 Maſt und 1 Drei-

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[21/0025] Zweiter Abſchnitt. Die Turnkunſt unter Jahn’s Einfluß von 1810 — 1819. So breitete ſich die Gymnaſtik in dem Zeitraume von 1776 bis 1809 nur langſam aus. Es bedurfte eines befruchtenden Gewitterſturmes, um das dem Boden anvertraute Samenkorn zur Entfaltung zu bringen. Als ſolcher brach die Zwingherrſchaft der Franzoſen über das entartete, verweichlichte, in ſich zerriſſene deutſche Volk herein. Zu jener Zeit nun, als die Noth am höchſten geſtiegen war, als, geläutert durch ſo herbes Geſchick, die Edleren voll Begeiſterung den Gedanken faßten, das Vaterland zu befreien, als es galt, für den heißen Kampf ſtreitbare Männer zu erziehen — da bildeten ſich auf Jahn’s Anregung (1810 im Frühlinge) in Berlin ein Verein junger Männer für die Pflege kräftigender Leibes- übungen und vaterländiſcher Geſinnungen. Alle Aus- länderei in That und Wort verbannend, wurde die Gymnaſtik, für die neue, edlere Richtung zugleich be- zeichnender, Turnkunſt benannt. Alt und Jung beſtrebte ſich, in erfreulichem Wetteifer das Verſäumte nachzu- holen. Entſcheidend war dabei die hierzu von dem un- ermüdlichen Jahn ausgehende, fortwährend kräftige An- regung, auf deſſen Betrieb während der Befreiungskriege das Turnen in Deutſchland faſt allgemeine Verbreitung fand. Jnsbeſondere war auch er es, welcher im Spät- ſommer 1815 bei einer kurzen Anweſenheit die Turn- kunſt unmittelbar in unſere Stadt verpflanzte. Hier wurde ſie von einer kleinen Schaar Gymnaſiaſten, denen ſich ſpäter auch einige andere junge Leute anſchloſſen, noch in dem Herbſt desſelben Jahres auf der Pfingſt- weide zunächſt mit Gerwerfen, Steinſtoßen und Weit- und Hochſpringen mit und ohne Stab eröffnet. Die Geräthe bewahrte man in dem damaligen Gladbachiſchen Gartenhauſe, dicht an der Pfingſtweide, auf, wo auch 1816 zwei Recke, 2 Barren, 1 Maſt und 1 Drei-

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Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 2. Solingen, 1844, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst02_1844/25>, abgerufen am 25.04.2024.