Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sonntags-Blatt. Nr. 35. Berlin, 29. August 1869.

Bild:
<< vorherige Seite
[Beginn Spaltensatz]

Denkmal König Friedrich Wilhelm des Dritten. Auch
dieser Entwurf wich durchaus von der, seit Rauch in den Grund-
zügen fast stereotyp gewordenen Monumentform ab. Statt seine
Statue auf das gebräuchliche thurmhohe Postament zu stellen, bil-
dete er dies ganz mäßig und niedrig, um desto mächtiger durch vor-
tretende Stufen und an deren Ecken ruhende, Trophäen haltende, Lö-
wen allseitig in die Breite auszuladen. Die Reitergestalt des Königs
selbst ließ er an den vier Ecken des Sockels gleichsam gestützt und
getragen werden von je zwei machtvollen nackten Männergestalten,
als den symbolischen Repräsentanten der ( damaligen ) acht Provinzen,
während die Seitenflächen mit flach gehaltenen Reliefbildern der kriege-
rischen und der friedlichen Größe geschmückt waren.

Man weiß, daß dieser Entwurf in Köln den ersten Preis erhielt
-- war es doch unmöglich, sich der künstlerischen Wucht, der origi-
nalen Größe dieser Schöpfung zu verschließen -- daß die Ausführung
aber andern seiner Mitbewerber nach ihren Entwürfen zufiel.

Der Berliner Jury für die Entscheidung über das Schillerdenkmal,
die sich aus den Vertretern der Königl. Regierung, der Stadt und des
Schillerkomit e 's zusammensetzte, wurde es schwer, zu einem Entschluß
zu kommen. Es wurde von manchen Seiten mit einer wahren Leiden-
schaft ein Heer von ästhetischen und praktischen Gründen gegen die
Möglichkeit der Ausführung des Begas'schen Entwurfs in's Feld ge-
führt. Dieser zeigte den Dichter mit begeistert aufgerichtetem Haupt
leicht vorschreitend, mit der Linken eine Tafel gegen die Brust stem-
mend, auf welcher er die Worte, die ihm der Genius eingiebt, zu ver-
zeichnen im Begriff ist. Ueber das Zeitkostüm war ein Mantel ge-
worfen, der oben von den Schultern herabsinkt. An den vier Seiten-
flächen des Postaments traten halbrunde Schaalen vor, in welche Löwen-
köpfe Wasserstrahlen speien sollten. An den vier Ecken zwischen diesen
Schaalen saßen auf ihren Sockeln die vier Musen des Schiller'schen
Geisteslebens: Die dramatische Poesie, die lyrische, die Philosophie und
die Geschichte, gewaltige Göttinnengestalten in Haltung, Formen, Cha-
rakteristik, grundverschieden von den gebräuchlichen allegorischen Frauen-
zimmern, deren meist nichtssagende allgemeine Charakterlosigkeit sich
auf das beigegebene Attribut verlassen muß, um ihre besondere Bedeu-
tung zu verkünden. Gerade dieser schöne Gedanke, das Monument
des Dichters, der seinem Volk fort und fort die reine lebendige Er-
quickungsquelle spendet, mit einem Brunnen zu verbinden, der jene
Bedeutung aufs natürlichste und glücklichste symbolisirt, gerade er fand
die heftigste Bekämpfung. Und andererseits sollte das ganze Werk
durch seinen Stil in einen unlöslichen Widerspruch zu der Architektur
des Schinkel'schen Schauspielhauses dahinter stehen; es schien darauf
hinauszulaufen, daß das ganze Dichterdenkmal nicht um seiner selbst,
sondern nur des Schinkel'schen Bauwerks wegen zu errichten sei. Das
Resultat all dieser Diskussionen war schließlich nur ein Hinausschieben
der letzten Entscheidung: Begas und Siemering wurden zu einer enge-
ren Concurrenz, zur Einsendung neuer, umgearbeiteter Entwürfe ein-
geladen.

Die Künstler machten dabei manche Concessionen. Begas resignirte
auf den Brunnen, ließ die Schaalen fort, gestaltete danach die Musen
um, gab seinem Schiller das mantellose Zeitkostüm und eine etwas modi-
fizirte Stellung. 1863 saß man noch einmal zu Gericht über beide,
und Begas fand nun Gnade vor den Augen der Majorität: er sollte
die Ausführung übernehmen, aber controllirt darin durch eine dazu
ernannte Ueberwachungs=Commission, aus Künstlern, Aesthetikern und
Architekten zusammengesetzt.

Jnzwischen war er, nachdem er Weimar definitiv aufgegeben, von
Neuem nach Jtalien gegangen ( in schneller Wiederholung 1863 und
1864 ) , von wo er im Herbst des letztern Jahres wieder eine neue
Schöpfung nach Berlin zur Ausstellung brachte, die mehr noch wie
alle seine bisherigen den Kampf gegensätzlicher Meinungen entflammte,
die bekannte Gruppe der Venus mit dem von der Biene
am Aermchen gestochenen Amor.
Wenn man auch die reizende
Naivetät, die heitere, blühende Anmuth der Gruppe nicht abstreiten
konnte, so trat der Realismus, die derbe fleischige Wahrheit der Natur
und des Lebens darin doch zu rücksichtslos auf, um nicht viel ästheti-
sche Entrüstung gegen das prächtige Werk heraufzubeschwören.

Als Begas, heimgekehrt, sich nun den Arbeiten an dem großen
Hilfsmodell zum Schillerdenkmal wieder zuwandte, machte er bald ge-
nug innerlich die Erfahrung, daß unter allem Schweren für einen, seiner
Kunst mit voller Seele hingegebenen, Künstler das Schwierigste, ja
Unmögliche der siegreiche Kampf wider das eigene Gewissen wäre. Wie
er es auch anstellen mochte, er kam immer wieder zu seinem ersten
Entwurf zurück. Die Dichterstatue selbst freilich wurde bei der grö-
ßern Ausführung eine wesentlich andere. Ein in großen Partieen reich
gefalteter, von der Rechten auf der Brust zusammengehaltener Mantel
breitete sich nun über die linke Schulter, den Rock darunter auf jener
Seite völlig verdeckend; die aus den Falten hervortretende Linke hält
eine Rolle gefaßt; der vom Lorbeer bekränzte, edle Kopf ist leise auf-
gerichtet. Die Gestalt ruht im linken Beine, das rechte tritt etwas
zurück. Besonders wenn man seinen Standpunkt nach rechts hin
[Spaltenumbruch] nimmt und so mehr auf die linke ( Mantel= ) Seite der Statue blickt,
gewährt sie einen höchst imponirenden plastischen und echt monumen-
talen Eindruck.

Das Postament aber nahm ( und zwar zum Heil für das ganze
Werk ) völlig wieder die alte Gestalt an, von der abgewichen zu sein
Begas sich mit Recht zum Vorwurf machte. Die halbrunden Becken
traten wieder hervor, und zwischen ihnen die Frauen=Gestalten in
ihren ursprünglichen Bewegungsmotiven. Dort vorn die Muse der
Tragödie
mit düsterm starrem Blick, dräuend aufgerichtet dasitzend,
den Dolch in der Rechten; gegenüber die lyrische Muse in schöner
Mädchengestalt, weich zurückgelehnt auf den linken Arm, den rechten
hinüberlegend zur Lyra, die dort zur Seite am Boden steht.
Und an den hintern Ecken hier die Gestalt der Geschichte, die Chro-
nik aller geschehenden Dinge der Tafel eingrabend, die ihre Linke hält,
und dort gegenüber die Philosophie, das greise Haupt in die Hand
gestützt, sinnend hinausblickend in's Unbegrenzte zum Ursprung der Dinge,
zu ihrem Verlauf und ihrem Ziel. -- Als das ganze Hülfsmodell in
Gips vollendet stand, waren die früheren Bedenken überraschenderweise
verschwunden. Die Ueberwachungs=Commission fand nichts zu erinnern.
Der Abguß wurde im Rathhause aufgestellt. Der Künstler hatte bei
der danach beginnenden Marmorarbeit ( denn in diesem edelsten Ma-
terial der plastischen Kunst ist glücklicherweise das ganze Werk aus-
geführt ) endlich die Hände frei. Und diesem nach so vielen überflüssi-
gen und peinlichen Hemmnissen doppelt freudig empfundenen Gefühl
der Freiheit ist sicher nicht mit Unrecht Vieles von der herrlichen schwung-
vollen Schönheit zuzuschreiben, welche die nun in kolossalem Maß-
stab vollendeten Gestalten, besonders die dieser Musen, zeigen. Der
erste frische Zug der Begeisterung, welcher oft genug, auch wo er in
der Skizze lebte, bei den langwierigen Mühen der Ausführung ver-
loren geht, ist in diesem Falle noch ganz unabgeschwächt. Und der viel an-
gefeindete "Realismus" des Meisters hat jenen zwar ihr packendes Leben,
ihre gründliche organische Existenzfähigkeit gegeben, aber keineswegs
verhindert, daß sie als hohe ideale Gebilde, als rechte Verkörperungen
ewiger Geistesmächte erscheinen und wirken. Alle Vorzüge des Werkes
kommen aber dadurch zur schönsten Geltung, daß das Ganze nicht
thurmhoch in die Luft gebaut, sondern nur in mäßiger Höhe sich er-
hebend, den vollen Ueberblick und damit erst den vollen Genuß seiner
Totalität wie jeder Einzelnheit gewährt.

Während der eifrigen Arbeit an der Lösung dieser kolossalen Auf-
gabe fand Begas doch noch immer Zeit und Kraft genug übrig, um
außer zahlreichen Büsten nach dem Leben und nach Todtenmasken
immer neue Werke, meist absichtslose Verherrlichungen der natürlich
schönen Menschengestalt, aus dem "Erdenklos" zu formen oder aus dem
Marmorblock zu schälen. 1866 erschien die lebensgroße Gestalt einer
Badenden, in üppig erblühter weiblicher Anmuth, 1867 die kleinere
prächtige Gruppe des Pan, welcher den Knaben im Flötenspiel
unterrichtet, 1868 die beiden großen Reliefmedaillons in Marmor ( für
Commerzienrath Mendelssohn ) Venus mit dem Taubenwagen
und Ganymed, und auf der Ausstellung desselben Jahres der Knabe
als Brunnenfigur
und jene nackte Gestalt der jungen Mutter,
die ( ähnlich wie die in der Faunenfamiliengruppe ) ihren Buben auf die
Schulter schwingt, dasjenige unter seinen Werken, das unter Allen
vielleicht die ungetheilteste Bewunderung erntete. Der Künstler
steht in der Fülle frischer Mannes= und Schöpferkraft. Von den Ein-
flüssen, welche oft so störend und untergrabend auf die des modernen
Künstlers einwirken, ist er durch die glücklichste geistige Organisation,
die uns immer mehr der eines Meisters des italienischen Cinque cento,
denn eines heutigen Menschen ähnlicher schien, völlig bewahrt und ge-
sichert. Die deutsche Skulptur hat das volle Recht noch Großes und
vielleicht auch noch unbedingter Vollendetes als ihm bisher gelang, von
dem Urheber des Berliner Schillerdenkmals zu erwarten: er wird diese
Hoffnungen nicht täuschen. Mögen sich denn endlich auch die nicht
minder berechtigten Erwartungen Berlins erfüllen, sein Schillerdenkmal
aufgestellt zu sehen.     L. Pietsch.



Aus dem Leben einer großen Sängerin.
Von
W. Lackowitz.
1. Jm Nonnenkloster.

Es war im Jahre 1792. Die furchtbaren Wogen, welche Paris und
das vormals so lustige Frankreich überflutheten, die Stürme, welche das
unglückliche Land bis in seine Grundfesten erschütterten und Alles über den
Haufen warfen, hatten sich noch nicht über die Grenzen hinaus fühlbar
gemacht. Noch spann sich das Leben in den Nachbarstaaten so ruhig ab
wie jemals, wenn auch hie und da schon am Horizont die Blitze mit un-
heimlichem Lichte die näher und näher drohenden Wetterwolken durchzuckten.

Der tiefblaue italienische Himmel spannte sich über die ewige Stadt
aus, und von den Spitzen der Thürme schien das Sonnengold flüssig her-
nieder zu tropfen. Auch das nahe gelegene Sinigaglia lag in dem Grün
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]

Denkmal König Friedrich Wilhelm des Dritten. Auch
dieser Entwurf wich durchaus von der, seit Rauch in den Grund-
zügen fast stereotyp gewordenen Monumentform ab. Statt seine
Statue auf das gebräuchliche thurmhohe Postament zu stellen, bil-
dete er dies ganz mäßig und niedrig, um desto mächtiger durch vor-
tretende Stufen und an deren Ecken ruhende, Trophäen haltende, Lö-
wen allseitig in die Breite auszuladen. Die Reitergestalt des Königs
selbst ließ er an den vier Ecken des Sockels gleichsam gestützt und
getragen werden von je zwei machtvollen nackten Männergestalten,
als den symbolischen Repräsentanten der ( damaligen ) acht Provinzen,
während die Seitenflächen mit flach gehaltenen Reliefbildern der kriege-
rischen und der friedlichen Größe geschmückt waren.

Man weiß, daß dieser Entwurf in Köln den ersten Preis erhielt
— war es doch unmöglich, sich der künstlerischen Wucht, der origi-
nalen Größe dieser Schöpfung zu verschließen — daß die Ausführung
aber andern seiner Mitbewerber nach ihren Entwürfen zufiel.

Der Berliner Jury für die Entscheidung über das Schillerdenkmal,
die sich aus den Vertretern der Königl. Regierung, der Stadt und des
Schillerkomit é 's zusammensetzte, wurde es schwer, zu einem Entschluß
zu kommen. Es wurde von manchen Seiten mit einer wahren Leiden-
schaft ein Heer von ästhetischen und praktischen Gründen gegen die
Möglichkeit der Ausführung des Begas'schen Entwurfs in's Feld ge-
führt. Dieser zeigte den Dichter mit begeistert aufgerichtetem Haupt
leicht vorschreitend, mit der Linken eine Tafel gegen die Brust stem-
mend, auf welcher er die Worte, die ihm der Genius eingiebt, zu ver-
zeichnen im Begriff ist. Ueber das Zeitkostüm war ein Mantel ge-
worfen, der oben von den Schultern herabsinkt. An den vier Seiten-
flächen des Postaments traten halbrunde Schaalen vor, in welche Löwen-
köpfe Wasserstrahlen speien sollten. An den vier Ecken zwischen diesen
Schaalen saßen auf ihren Sockeln die vier Musen des Schiller'schen
Geisteslebens: Die dramatische Poesie, die lyrische, die Philosophie und
die Geschichte, gewaltige Göttinnengestalten in Haltung, Formen, Cha-
rakteristik, grundverschieden von den gebräuchlichen allegorischen Frauen-
zimmern, deren meist nichtssagende allgemeine Charakterlosigkeit sich
auf das beigegebene Attribut verlassen muß, um ihre besondere Bedeu-
tung zu verkünden. Gerade dieser schöne Gedanke, das Monument
des Dichters, der seinem Volk fort und fort die reine lebendige Er-
quickungsquelle spendet, mit einem Brunnen zu verbinden, der jene
Bedeutung aufs natürlichste und glücklichste symbolisirt, gerade er fand
die heftigste Bekämpfung. Und andererseits sollte das ganze Werk
durch seinen Stil in einen unlöslichen Widerspruch zu der Architektur
des Schinkel'schen Schauspielhauses dahinter stehen; es schien darauf
hinauszulaufen, daß das ganze Dichterdenkmal nicht um seiner selbst,
sondern nur des Schinkel'schen Bauwerks wegen zu errichten sei. Das
Resultat all dieser Diskussionen war schließlich nur ein Hinausschieben
der letzten Entscheidung: Begas und Siemering wurden zu einer enge-
ren Concurrenz, zur Einsendung neuer, umgearbeiteter Entwürfe ein-
geladen.

Die Künstler machten dabei manche Concessionen. Begas resignirte
auf den Brunnen, ließ die Schaalen fort, gestaltete danach die Musen
um, gab seinem Schiller das mantellose Zeitkostüm und eine etwas modi-
fizirte Stellung. 1863 saß man noch einmal zu Gericht über beide,
und Begas fand nun Gnade vor den Augen der Majorität: er sollte
die Ausführung übernehmen, aber controllirt darin durch eine dazu
ernannte Ueberwachungs=Commission, aus Künstlern, Aesthetikern und
Architekten zusammengesetzt.

Jnzwischen war er, nachdem er Weimar definitiv aufgegeben, von
Neuem nach Jtalien gegangen ( in schneller Wiederholung 1863 und
1864 ) , von wo er im Herbst des letztern Jahres wieder eine neue
Schöpfung nach Berlin zur Ausstellung brachte, die mehr noch wie
alle seine bisherigen den Kampf gegensätzlicher Meinungen entflammte,
die bekannte Gruppe der Venus mit dem von der Biene
am Aermchen gestochenen Amor.
Wenn man auch die reizende
Naivetät, die heitere, blühende Anmuth der Gruppe nicht abstreiten
konnte, so trat der Realismus, die derbe fleischige Wahrheit der Natur
und des Lebens darin doch zu rücksichtslos auf, um nicht viel ästheti-
sche Entrüstung gegen das prächtige Werk heraufzubeschwören.

Als Begas, heimgekehrt, sich nun den Arbeiten an dem großen
Hilfsmodell zum Schillerdenkmal wieder zuwandte, machte er bald ge-
nug innerlich die Erfahrung, daß unter allem Schweren für einen, seiner
Kunst mit voller Seele hingegebenen, Künstler das Schwierigste, ja
Unmögliche der siegreiche Kampf wider das eigene Gewissen wäre. Wie
er es auch anstellen mochte, er kam immer wieder zu seinem ersten
Entwurf zurück. Die Dichterstatue selbst freilich wurde bei der grö-
ßern Ausführung eine wesentlich andere. Ein in großen Partieen reich
gefalteter, von der Rechten auf der Brust zusammengehaltener Mantel
breitete sich nun über die linke Schulter, den Rock darunter auf jener
Seite völlig verdeckend; die aus den Falten hervortretende Linke hält
eine Rolle gefaßt; der vom Lorbeer bekränzte, edle Kopf ist leise auf-
gerichtet. Die Gestalt ruht im linken Beine, das rechte tritt etwas
zurück. Besonders wenn man seinen Standpunkt nach rechts hin
[Spaltenumbruch] nimmt und so mehr auf die linke ( Mantel= ) Seite der Statue blickt,
gewährt sie einen höchst imponirenden plastischen und echt monumen-
talen Eindruck.

Das Postament aber nahm ( und zwar zum Heil für das ganze
Werk ) völlig wieder die alte Gestalt an, von der abgewichen zu sein
Begas sich mit Recht zum Vorwurf machte. Die halbrunden Becken
traten wieder hervor, und zwischen ihnen die Frauen=Gestalten in
ihren ursprünglichen Bewegungsmotiven. Dort vorn die Muse der
Tragödie
mit düsterm starrem Blick, dräuend aufgerichtet dasitzend,
den Dolch in der Rechten; gegenüber die lyrische Muse in schöner
Mädchengestalt, weich zurückgelehnt auf den linken Arm, den rechten
hinüberlegend zur Lyra, die dort zur Seite am Boden steht.
Und an den hintern Ecken hier die Gestalt der Geschichte, die Chro-
nik aller geschehenden Dinge der Tafel eingrabend, die ihre Linke hält,
und dort gegenüber die Philosophie, das greise Haupt in die Hand
gestützt, sinnend hinausblickend in's Unbegrenzte zum Ursprung der Dinge,
zu ihrem Verlauf und ihrem Ziel. — Als das ganze Hülfsmodell in
Gips vollendet stand, waren die früheren Bedenken überraschenderweise
verschwunden. Die Ueberwachungs=Commission fand nichts zu erinnern.
Der Abguß wurde im Rathhause aufgestellt. Der Künstler hatte bei
der danach beginnenden Marmorarbeit ( denn in diesem edelsten Ma-
terial der plastischen Kunst ist glücklicherweise das ganze Werk aus-
geführt ) endlich die Hände frei. Und diesem nach so vielen überflüssi-
gen und peinlichen Hemmnissen doppelt freudig empfundenen Gefühl
der Freiheit ist sicher nicht mit Unrecht Vieles von der herrlichen schwung-
vollen Schönheit zuzuschreiben, welche die nun in kolossalem Maß-
stab vollendeten Gestalten, besonders die dieser Musen, zeigen. Der
erste frische Zug der Begeisterung, welcher oft genug, auch wo er in
der Skizze lebte, bei den langwierigen Mühen der Ausführung ver-
loren geht, ist in diesem Falle noch ganz unabgeschwächt. Und der viel an-
gefeindete „Realismus“ des Meisters hat jenen zwar ihr packendes Leben,
ihre gründliche organische Existenzfähigkeit gegeben, aber keineswegs
verhindert, daß sie als hohe ideale Gebilde, als rechte Verkörperungen
ewiger Geistesmächte erscheinen und wirken. Alle Vorzüge des Werkes
kommen aber dadurch zur schönsten Geltung, daß das Ganze nicht
thurmhoch in die Luft gebaut, sondern nur in mäßiger Höhe sich er-
hebend, den vollen Ueberblick und damit erst den vollen Genuß seiner
Totalität wie jeder Einzelnheit gewährt.

Während der eifrigen Arbeit an der Lösung dieser kolossalen Auf-
gabe fand Begas doch noch immer Zeit und Kraft genug übrig, um
außer zahlreichen Büsten nach dem Leben und nach Todtenmasken
immer neue Werke, meist absichtslose Verherrlichungen der natürlich
schönen Menschengestalt, aus dem „Erdenklos“ zu formen oder aus dem
Marmorblock zu schälen. 1866 erschien die lebensgroße Gestalt einer
Badenden, in üppig erblühter weiblicher Anmuth, 1867 die kleinere
prächtige Gruppe des Pan, welcher den Knaben im Flötenspiel
unterrichtet, 1868 die beiden großen Reliefmedaillons in Marmor ( für
Commerzienrath Mendelssohn ) Venus mit dem Taubenwagen
und Ganymed, und auf der Ausstellung desselben Jahres der Knabe
als Brunnenfigur
und jene nackte Gestalt der jungen Mutter,
die ( ähnlich wie die in der Faunenfamiliengruppe ) ihren Buben auf die
Schulter schwingt, dasjenige unter seinen Werken, das unter Allen
vielleicht die ungetheilteste Bewunderung erntete. Der Künstler
steht in der Fülle frischer Mannes= und Schöpferkraft. Von den Ein-
flüssen, welche oft so störend und untergrabend auf die des modernen
Künstlers einwirken, ist er durch die glücklichste geistige Organisation,
die uns immer mehr der eines Meisters des italienischen Cinque cento,
denn eines heutigen Menschen ähnlicher schien, völlig bewahrt und ge-
sichert. Die deutsche Skulptur hat das volle Recht noch Großes und
vielleicht auch noch unbedingter Vollendetes als ihm bisher gelang, von
dem Urheber des Berliner Schillerdenkmals zu erwarten: er wird diese
Hoffnungen nicht täuschen. Mögen sich denn endlich auch die nicht
minder berechtigten Erwartungen Berlins erfüllen, sein Schillerdenkmal
aufgestellt zu sehen.     L. Pietsch.



Aus dem Leben einer großen Sängerin.
Von
W. Lackowitz.
1. Jm Nonnenkloster.

Es war im Jahre 1792. Die furchtbaren Wogen, welche Paris und
das vormals so lustige Frankreich überflutheten, die Stürme, welche das
unglückliche Land bis in seine Grundfesten erschütterten und Alles über den
Haufen warfen, hatten sich noch nicht über die Grenzen hinaus fühlbar
gemacht. Noch spann sich das Leben in den Nachbarstaaten so ruhig ab
wie jemals, wenn auch hie und da schon am Horizont die Blitze mit un-
heimlichem Lichte die näher und näher drohenden Wetterwolken durchzuckten.

Der tiefblaue italienische Himmel spannte sich über die ewige Stadt
aus, und von den Spitzen der Thürme schien das Sonnengold flüssig her-
nieder zu tropfen. Auch das nahe gelegene Sinigaglia lag in dem Grün
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <pb facs="#f0006" n="278"/>
        <fw type="pageNum" place="top">278</fw>
        <cb type="start"/>
        <p><hi rendition="#g">Denkmal König Friedrich Wilhelm des Dritten.</hi> Auch<lb/><hi rendition="#g">dieser</hi> Entwurf wich durchaus von der, seit Rauch in den Grund-<lb/>
zügen fast stereotyp gewordenen Monumentform ab. Statt seine<lb/>
Statue auf das gebräuchliche thurmhohe Postament zu stellen, bil-<lb/>
dete er dies ganz mäßig und niedrig, um desto mächtiger durch vor-<lb/>
tretende Stufen und an deren Ecken ruhende, Trophäen haltende, Lö-<lb/>
wen allseitig in die Breite auszuladen. Die Reitergestalt des Königs<lb/>
selbst ließ er an den vier Ecken des Sockels gleichsam gestützt und<lb/>
getragen werden von je zwei machtvollen nackten Männergestalten,<lb/>
als den symbolischen Repräsentanten der ( damaligen ) acht Provinzen,<lb/>
während die Seitenflächen mit flach gehaltenen Reliefbildern der kriege-<lb/>
rischen und der friedlichen Größe geschmückt waren.</p><lb/>
        <p>Man weiß, daß dieser Entwurf in Köln den ersten Preis erhielt<lb/>
&#x2014; war es doch unmöglich, sich der künstlerischen Wucht, der origi-<lb/>
nalen Größe dieser Schöpfung zu verschließen &#x2014; daß die Ausführung<lb/>
aber andern seiner Mitbewerber nach ihren Entwürfen zufiel.</p><lb/>
        <p>Der Berliner Jury für die Entscheidung über das Schillerdenkmal,<lb/>
die sich aus den Vertretern der Königl. Regierung, der Stadt und des<lb/>
Schillerkomit <hi rendition="#aq">é</hi> 's zusammensetzte, wurde es schwer, zu einem Entschluß<lb/>
zu kommen. Es wurde von manchen Seiten mit einer wahren Leiden-<lb/>
schaft ein Heer von ästhetischen und praktischen Gründen gegen die<lb/>
Möglichkeit der Ausführung des Begas'schen Entwurfs in's Feld ge-<lb/>
führt. Dieser zeigte den Dichter mit begeistert aufgerichtetem Haupt<lb/>
leicht vorschreitend, mit der Linken eine Tafel gegen die Brust stem-<lb/>
mend, auf welcher er die Worte, die ihm der Genius eingiebt, zu ver-<lb/>
zeichnen im Begriff ist. Ueber das Zeitkostüm war ein Mantel ge-<lb/>
worfen, der oben von den Schultern herabsinkt. An den vier Seiten-<lb/>
flächen des Postaments traten halbrunde Schaalen vor, in welche Löwen-<lb/>
köpfe Wasserstrahlen speien sollten. An den vier Ecken zwischen diesen<lb/>
Schaalen saßen auf ihren Sockeln die vier Musen des Schiller'schen<lb/>
Geisteslebens: Die dramatische Poesie, die lyrische, die Philosophie und<lb/>
die Geschichte, gewaltige Göttinnengestalten in Haltung, Formen, Cha-<lb/>
rakteristik, grundverschieden von den gebräuchlichen allegorischen Frauen-<lb/>
zimmern, deren meist nichtssagende allgemeine Charakterlosigkeit sich<lb/>
auf das beigegebene Attribut verlassen muß, um ihre besondere Bedeu-<lb/>
tung zu verkünden. Gerade dieser schöne Gedanke, das Monument<lb/>
des Dichters, der seinem Volk fort und fort die reine lebendige Er-<lb/>
quickungsquelle spendet, mit einem Brunnen zu verbinden, der jene<lb/>
Bedeutung aufs natürlichste und glücklichste symbolisirt, gerade er fand<lb/>
die heftigste Bekämpfung. Und andererseits sollte das ganze Werk<lb/>
durch seinen Stil in einen unlöslichen Widerspruch zu der Architektur<lb/>
des Schinkel'schen Schauspielhauses dahinter stehen; es schien darauf<lb/>
hinauszulaufen, daß das ganze Dichterdenkmal nicht um seiner selbst,<lb/>
sondern nur des Schinkel'schen Bauwerks wegen zu errichten sei. Das<lb/>
Resultat all dieser Diskussionen war schließlich nur ein Hinausschieben<lb/>
der letzten Entscheidung: Begas und Siemering wurden zu einer enge-<lb/>
ren Concurrenz, zur Einsendung neuer, umgearbeiteter Entwürfe ein-<lb/>
geladen.</p><lb/>
        <p>Die Künstler machten dabei manche Concessionen. Begas resignirte<lb/>
auf den Brunnen, ließ die Schaalen fort, gestaltete danach die Musen<lb/>
um, gab seinem Schiller das mantellose Zeitkostüm und eine etwas modi-<lb/>
fizirte Stellung. 1863 saß man noch einmal zu Gericht über beide,<lb/>
und Begas fand nun Gnade vor den Augen der Majorität: er sollte<lb/>
die Ausführung übernehmen, aber controllirt darin durch eine dazu<lb/>
ernannte Ueberwachungs=Commission, aus Künstlern, Aesthetikern und<lb/>
Architekten zusammengesetzt.</p><lb/>
        <p>Jnzwischen war er, nachdem er Weimar definitiv aufgegeben, von<lb/>
Neuem nach Jtalien gegangen ( in schneller Wiederholung 1863 und<lb/>
1864 ) , von wo er im Herbst des letztern Jahres wieder eine neue<lb/>
Schöpfung nach Berlin zur Ausstellung brachte, die mehr noch wie<lb/>
alle seine bisherigen den Kampf gegensätzlicher Meinungen entflammte,<lb/>
die bekannte <hi rendition="#g">Gruppe der Venus mit dem von der Biene<lb/>
am Aermchen gestochenen Amor.</hi> Wenn man auch die reizende<lb/>
Naivetät, die heitere, blühende Anmuth der Gruppe nicht abstreiten<lb/>
konnte, so trat der Realismus, die derbe fleischige Wahrheit der Natur<lb/>
und des Lebens darin doch zu rücksichtslos auf, um nicht viel ästheti-<lb/>
sche Entrüstung gegen das prächtige Werk heraufzubeschwören.</p><lb/>
        <p>Als Begas, heimgekehrt, sich nun den Arbeiten an dem großen<lb/>
Hilfsmodell zum Schillerdenkmal wieder zuwandte, machte er bald ge-<lb/>
nug innerlich die Erfahrung, daß unter allem Schweren für einen, seiner<lb/>
Kunst mit voller Seele hingegebenen, Künstler das Schwierigste, ja<lb/>
Unmögliche der siegreiche Kampf wider das eigene Gewissen wäre. Wie<lb/>
er es auch anstellen mochte, er kam immer wieder zu seinem ersten<lb/>
Entwurf zurück. Die Dichterstatue selbst freilich wurde bei der grö-<lb/>
ßern Ausführung eine wesentlich andere. Ein in großen Partieen reich<lb/>
gefalteter, von der Rechten auf der Brust zusammengehaltener Mantel<lb/>
breitete sich nun über die linke Schulter, den Rock darunter auf jener<lb/>
Seite völlig verdeckend; die aus den Falten hervortretende Linke hält<lb/>
eine Rolle gefaßt; der vom Lorbeer bekränzte, edle Kopf ist leise auf-<lb/>
gerichtet. Die Gestalt ruht im linken Beine, das rechte tritt etwas<lb/>
zurück. Besonders wenn man seinen Standpunkt nach rechts hin<lb/><cb n="2"/>
nimmt und so mehr auf die linke ( Mantel= ) Seite der Statue blickt,<lb/>
gewährt sie einen höchst imponirenden plastischen und echt monumen-<lb/>
talen Eindruck.</p><lb/>
        <p>Das Postament aber nahm ( und zwar zum Heil für das ganze<lb/>
Werk ) völlig wieder die alte Gestalt an, von der abgewichen zu sein<lb/>
Begas sich mit Recht zum Vorwurf machte. Die halbrunden Becken<lb/>
traten wieder hervor, und zwischen ihnen die Frauen=Gestalten in<lb/>
ihren ursprünglichen Bewegungsmotiven. Dort vorn die <hi rendition="#g">Muse der<lb/>
Tragödie</hi> mit düsterm starrem Blick, dräuend aufgerichtet dasitzend,<lb/>
den Dolch in der Rechten; gegenüber die <hi rendition="#g">lyrische</hi> Muse in schöner<lb/>
Mädchengestalt, weich zurückgelehnt auf den linken Arm, den rechten<lb/>
hinüberlegend zur Lyra, die dort zur Seite am Boden steht.<lb/>
Und an den hintern Ecken hier die Gestalt der <hi rendition="#g">Geschichte,</hi> die Chro-<lb/>
nik aller geschehenden Dinge der Tafel eingrabend, die ihre Linke hält,<lb/>
und dort gegenüber die <hi rendition="#g">Philosophie,</hi> das greise Haupt in die Hand<lb/>
gestützt, sinnend hinausblickend in's Unbegrenzte zum Ursprung der Dinge,<lb/>
zu ihrem Verlauf und ihrem Ziel. &#x2014; Als das ganze Hülfsmodell in<lb/>
Gips vollendet stand, waren die früheren Bedenken überraschenderweise<lb/>
verschwunden. Die Ueberwachungs=Commission fand nichts zu erinnern.<lb/>
Der Abguß wurde im Rathhause aufgestellt. Der Künstler hatte bei<lb/>
der danach beginnenden Marmorarbeit ( denn in diesem edelsten Ma-<lb/>
terial der plastischen Kunst ist glücklicherweise das ganze Werk aus-<lb/>
geführt ) endlich die Hände frei. Und diesem nach so vielen überflüssi-<lb/>
gen und peinlichen Hemmnissen doppelt freudig empfundenen Gefühl<lb/>
der Freiheit ist sicher nicht mit Unrecht Vieles von der herrlichen schwung-<lb/>
vollen Schönheit zuzuschreiben, welche die nun in kolossalem Maß-<lb/>
stab vollendeten Gestalten, besonders die dieser Musen, zeigen. Der<lb/>
erste frische Zug der Begeisterung, welcher oft genug, auch wo er in<lb/>
der Skizze lebte, bei den langwierigen Mühen der Ausführung ver-<lb/>
loren geht, ist in diesem Falle noch ganz unabgeschwächt. Und der viel an-<lb/>
gefeindete &#x201E;Realismus&#x201C; des Meisters hat jenen zwar ihr packendes Leben,<lb/>
ihre gründliche organische Existenzfähigkeit gegeben, aber keineswegs<lb/>
verhindert, daß sie als hohe ideale Gebilde, als rechte Verkörperungen<lb/>
ewiger Geistesmächte erscheinen und wirken. Alle Vorzüge des Werkes<lb/>
kommen aber dadurch zur schönsten Geltung, daß das Ganze nicht<lb/>
thurmhoch in die Luft gebaut, sondern nur in mäßiger Höhe sich er-<lb/>
hebend, den vollen Ueberblick und damit erst den vollen Genuß seiner<lb/>
Totalität wie jeder Einzelnheit gewährt.</p><lb/>
        <p>Während der eifrigen Arbeit an der Lösung dieser kolossalen Auf-<lb/>
gabe fand Begas doch noch immer Zeit und Kraft genug übrig, um<lb/>
außer zahlreichen Büsten nach dem Leben und nach Todtenmasken<lb/>
immer neue Werke, meist absichtslose Verherrlichungen der natürlich<lb/>
schönen Menschengestalt, aus dem &#x201E;Erdenklos&#x201C; zu formen oder aus dem<lb/>
Marmorblock zu schälen. 1866 erschien die lebensgroße Gestalt einer<lb/><hi rendition="#g">Badenden,</hi> in üppig erblühter weiblicher Anmuth, 1867 die kleinere<lb/>
prächtige Gruppe des <hi rendition="#g">Pan, welcher den Knaben im Flötenspiel</hi><lb/>
unterrichtet, 1868 die beiden großen Reliefmedaillons in Marmor ( für<lb/>
Commerzienrath Mendelssohn ) <hi rendition="#g">Venus mit dem Taubenwagen</hi><lb/>
und <hi rendition="#g">Ganymed,</hi> und auf der Ausstellung desselben Jahres der <hi rendition="#g">Knabe<lb/>
als Brunnenfigur</hi> und jene nackte Gestalt der <hi rendition="#g">jungen Mutter,</hi><lb/>
die ( ähnlich wie die in der Faunenfamiliengruppe ) ihren Buben auf die<lb/>
Schulter schwingt, dasjenige unter seinen Werken, das unter Allen<lb/>
vielleicht die <hi rendition="#g">ungetheilteste</hi> Bewunderung erntete. Der Künstler<lb/>
steht in der Fülle frischer Mannes= und Schöpferkraft. Von den Ein-<lb/>
flüssen, welche oft so störend und untergrabend auf die des modernen<lb/>
Künstlers einwirken, ist er durch die glücklichste geistige Organisation,<lb/>
die uns immer mehr der eines Meisters des italienischen <hi rendition="#aq">Cinque cento,</hi><lb/>
denn eines heutigen Menschen ähnlicher schien, völlig bewahrt und ge-<lb/>
sichert. Die deutsche Skulptur hat das volle Recht noch Großes und<lb/>
vielleicht auch noch unbedingter Vollendetes als ihm bisher gelang, von<lb/>
dem Urheber des Berliner Schillerdenkmals zu erwarten: er wird diese<lb/>
Hoffnungen nicht täuschen. Mögen sich denn endlich auch die nicht<lb/>
minder berechtigten Erwartungen Berlins erfüllen, sein Schillerdenkmal<lb/>
aufgestellt zu sehen.  <space dim="horizontal"/>  L. <hi rendition="#g">Pietsch.</hi> </p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head><hi rendition="#fr">Aus dem Leben einer großen Sängerin.</hi><lb/>
Von<lb/>
W. <hi rendition="#g">Lackowitz.</hi><lb/>
1. <hi rendition="#g">Jm Nonnenkloster.</hi></head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">E</hi>s war im Jahre 1792. Die furchtbaren Wogen, welche Paris und<lb/>
das vormals so lustige Frankreich überflutheten, die Stürme, welche das<lb/>
unglückliche Land bis in seine Grundfesten erschütterten und Alles über den<lb/>
Haufen warfen, hatten sich noch nicht über die Grenzen hinaus fühlbar<lb/>
gemacht. Noch spann sich das Leben in den Nachbarstaaten so ruhig ab<lb/>
wie jemals, wenn auch hie und da schon am Horizont die Blitze mit un-<lb/>
heimlichem Lichte die näher und näher drohenden Wetterwolken durchzuckten.</p><lb/>
        <p>Der tiefblaue italienische Himmel spannte sich über die ewige Stadt<lb/>
aus, und von den Spitzen der Thürme schien das Sonnengold flüssig her-<lb/>
nieder zu tropfen. Auch das nahe gelegene Sinigaglia lag in dem Grün<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0006] 278 Denkmal König Friedrich Wilhelm des Dritten. Auch dieser Entwurf wich durchaus von der, seit Rauch in den Grund- zügen fast stereotyp gewordenen Monumentform ab. Statt seine Statue auf das gebräuchliche thurmhohe Postament zu stellen, bil- dete er dies ganz mäßig und niedrig, um desto mächtiger durch vor- tretende Stufen und an deren Ecken ruhende, Trophäen haltende, Lö- wen allseitig in die Breite auszuladen. Die Reitergestalt des Königs selbst ließ er an den vier Ecken des Sockels gleichsam gestützt und getragen werden von je zwei machtvollen nackten Männergestalten, als den symbolischen Repräsentanten der ( damaligen ) acht Provinzen, während die Seitenflächen mit flach gehaltenen Reliefbildern der kriege- rischen und der friedlichen Größe geschmückt waren. Man weiß, daß dieser Entwurf in Köln den ersten Preis erhielt — war es doch unmöglich, sich der künstlerischen Wucht, der origi- nalen Größe dieser Schöpfung zu verschließen — daß die Ausführung aber andern seiner Mitbewerber nach ihren Entwürfen zufiel. Der Berliner Jury für die Entscheidung über das Schillerdenkmal, die sich aus den Vertretern der Königl. Regierung, der Stadt und des Schillerkomit é 's zusammensetzte, wurde es schwer, zu einem Entschluß zu kommen. Es wurde von manchen Seiten mit einer wahren Leiden- schaft ein Heer von ästhetischen und praktischen Gründen gegen die Möglichkeit der Ausführung des Begas'schen Entwurfs in's Feld ge- führt. Dieser zeigte den Dichter mit begeistert aufgerichtetem Haupt leicht vorschreitend, mit der Linken eine Tafel gegen die Brust stem- mend, auf welcher er die Worte, die ihm der Genius eingiebt, zu ver- zeichnen im Begriff ist. Ueber das Zeitkostüm war ein Mantel ge- worfen, der oben von den Schultern herabsinkt. An den vier Seiten- flächen des Postaments traten halbrunde Schaalen vor, in welche Löwen- köpfe Wasserstrahlen speien sollten. An den vier Ecken zwischen diesen Schaalen saßen auf ihren Sockeln die vier Musen des Schiller'schen Geisteslebens: Die dramatische Poesie, die lyrische, die Philosophie und die Geschichte, gewaltige Göttinnengestalten in Haltung, Formen, Cha- rakteristik, grundverschieden von den gebräuchlichen allegorischen Frauen- zimmern, deren meist nichtssagende allgemeine Charakterlosigkeit sich auf das beigegebene Attribut verlassen muß, um ihre besondere Bedeu- tung zu verkünden. Gerade dieser schöne Gedanke, das Monument des Dichters, der seinem Volk fort und fort die reine lebendige Er- quickungsquelle spendet, mit einem Brunnen zu verbinden, der jene Bedeutung aufs natürlichste und glücklichste symbolisirt, gerade er fand die heftigste Bekämpfung. Und andererseits sollte das ganze Werk durch seinen Stil in einen unlöslichen Widerspruch zu der Architektur des Schinkel'schen Schauspielhauses dahinter stehen; es schien darauf hinauszulaufen, daß das ganze Dichterdenkmal nicht um seiner selbst, sondern nur des Schinkel'schen Bauwerks wegen zu errichten sei. Das Resultat all dieser Diskussionen war schließlich nur ein Hinausschieben der letzten Entscheidung: Begas und Siemering wurden zu einer enge- ren Concurrenz, zur Einsendung neuer, umgearbeiteter Entwürfe ein- geladen. Die Künstler machten dabei manche Concessionen. Begas resignirte auf den Brunnen, ließ die Schaalen fort, gestaltete danach die Musen um, gab seinem Schiller das mantellose Zeitkostüm und eine etwas modi- fizirte Stellung. 1863 saß man noch einmal zu Gericht über beide, und Begas fand nun Gnade vor den Augen der Majorität: er sollte die Ausführung übernehmen, aber controllirt darin durch eine dazu ernannte Ueberwachungs=Commission, aus Künstlern, Aesthetikern und Architekten zusammengesetzt. Jnzwischen war er, nachdem er Weimar definitiv aufgegeben, von Neuem nach Jtalien gegangen ( in schneller Wiederholung 1863 und 1864 ) , von wo er im Herbst des letztern Jahres wieder eine neue Schöpfung nach Berlin zur Ausstellung brachte, die mehr noch wie alle seine bisherigen den Kampf gegensätzlicher Meinungen entflammte, die bekannte Gruppe der Venus mit dem von der Biene am Aermchen gestochenen Amor. Wenn man auch die reizende Naivetät, die heitere, blühende Anmuth der Gruppe nicht abstreiten konnte, so trat der Realismus, die derbe fleischige Wahrheit der Natur und des Lebens darin doch zu rücksichtslos auf, um nicht viel ästheti- sche Entrüstung gegen das prächtige Werk heraufzubeschwören. Als Begas, heimgekehrt, sich nun den Arbeiten an dem großen Hilfsmodell zum Schillerdenkmal wieder zuwandte, machte er bald ge- nug innerlich die Erfahrung, daß unter allem Schweren für einen, seiner Kunst mit voller Seele hingegebenen, Künstler das Schwierigste, ja Unmögliche der siegreiche Kampf wider das eigene Gewissen wäre. Wie er es auch anstellen mochte, er kam immer wieder zu seinem ersten Entwurf zurück. Die Dichterstatue selbst freilich wurde bei der grö- ßern Ausführung eine wesentlich andere. Ein in großen Partieen reich gefalteter, von der Rechten auf der Brust zusammengehaltener Mantel breitete sich nun über die linke Schulter, den Rock darunter auf jener Seite völlig verdeckend; die aus den Falten hervortretende Linke hält eine Rolle gefaßt; der vom Lorbeer bekränzte, edle Kopf ist leise auf- gerichtet. Die Gestalt ruht im linken Beine, das rechte tritt etwas zurück. Besonders wenn man seinen Standpunkt nach rechts hin nimmt und so mehr auf die linke ( Mantel= ) Seite der Statue blickt, gewährt sie einen höchst imponirenden plastischen und echt monumen- talen Eindruck. Das Postament aber nahm ( und zwar zum Heil für das ganze Werk ) völlig wieder die alte Gestalt an, von der abgewichen zu sein Begas sich mit Recht zum Vorwurf machte. Die halbrunden Becken traten wieder hervor, und zwischen ihnen die Frauen=Gestalten in ihren ursprünglichen Bewegungsmotiven. Dort vorn die Muse der Tragödie mit düsterm starrem Blick, dräuend aufgerichtet dasitzend, den Dolch in der Rechten; gegenüber die lyrische Muse in schöner Mädchengestalt, weich zurückgelehnt auf den linken Arm, den rechten hinüberlegend zur Lyra, die dort zur Seite am Boden steht. Und an den hintern Ecken hier die Gestalt der Geschichte, die Chro- nik aller geschehenden Dinge der Tafel eingrabend, die ihre Linke hält, und dort gegenüber die Philosophie, das greise Haupt in die Hand gestützt, sinnend hinausblickend in's Unbegrenzte zum Ursprung der Dinge, zu ihrem Verlauf und ihrem Ziel. — Als das ganze Hülfsmodell in Gips vollendet stand, waren die früheren Bedenken überraschenderweise verschwunden. Die Ueberwachungs=Commission fand nichts zu erinnern. Der Abguß wurde im Rathhause aufgestellt. Der Künstler hatte bei der danach beginnenden Marmorarbeit ( denn in diesem edelsten Ma- terial der plastischen Kunst ist glücklicherweise das ganze Werk aus- geführt ) endlich die Hände frei. Und diesem nach so vielen überflüssi- gen und peinlichen Hemmnissen doppelt freudig empfundenen Gefühl der Freiheit ist sicher nicht mit Unrecht Vieles von der herrlichen schwung- vollen Schönheit zuzuschreiben, welche die nun in kolossalem Maß- stab vollendeten Gestalten, besonders die dieser Musen, zeigen. Der erste frische Zug der Begeisterung, welcher oft genug, auch wo er in der Skizze lebte, bei den langwierigen Mühen der Ausführung ver- loren geht, ist in diesem Falle noch ganz unabgeschwächt. Und der viel an- gefeindete „Realismus“ des Meisters hat jenen zwar ihr packendes Leben, ihre gründliche organische Existenzfähigkeit gegeben, aber keineswegs verhindert, daß sie als hohe ideale Gebilde, als rechte Verkörperungen ewiger Geistesmächte erscheinen und wirken. Alle Vorzüge des Werkes kommen aber dadurch zur schönsten Geltung, daß das Ganze nicht thurmhoch in die Luft gebaut, sondern nur in mäßiger Höhe sich er- hebend, den vollen Ueberblick und damit erst den vollen Genuß seiner Totalität wie jeder Einzelnheit gewährt. Während der eifrigen Arbeit an der Lösung dieser kolossalen Auf- gabe fand Begas doch noch immer Zeit und Kraft genug übrig, um außer zahlreichen Büsten nach dem Leben und nach Todtenmasken immer neue Werke, meist absichtslose Verherrlichungen der natürlich schönen Menschengestalt, aus dem „Erdenklos“ zu formen oder aus dem Marmorblock zu schälen. 1866 erschien die lebensgroße Gestalt einer Badenden, in üppig erblühter weiblicher Anmuth, 1867 die kleinere prächtige Gruppe des Pan, welcher den Knaben im Flötenspiel unterrichtet, 1868 die beiden großen Reliefmedaillons in Marmor ( für Commerzienrath Mendelssohn ) Venus mit dem Taubenwagen und Ganymed, und auf der Ausstellung desselben Jahres der Knabe als Brunnenfigur und jene nackte Gestalt der jungen Mutter, die ( ähnlich wie die in der Faunenfamiliengruppe ) ihren Buben auf die Schulter schwingt, dasjenige unter seinen Werken, das unter Allen vielleicht die ungetheilteste Bewunderung erntete. Der Künstler steht in der Fülle frischer Mannes= und Schöpferkraft. Von den Ein- flüssen, welche oft so störend und untergrabend auf die des modernen Künstlers einwirken, ist er durch die glücklichste geistige Organisation, die uns immer mehr der eines Meisters des italienischen Cinque cento, denn eines heutigen Menschen ähnlicher schien, völlig bewahrt und ge- sichert. Die deutsche Skulptur hat das volle Recht noch Großes und vielleicht auch noch unbedingter Vollendetes als ihm bisher gelang, von dem Urheber des Berliner Schillerdenkmals zu erwarten: er wird diese Hoffnungen nicht täuschen. Mögen sich denn endlich auch die nicht minder berechtigten Erwartungen Berlins erfüllen, sein Schillerdenkmal aufgestellt zu sehen. L. Pietsch. Aus dem Leben einer großen Sängerin. Von W. Lackowitz. 1. Jm Nonnenkloster. Es war im Jahre 1792. Die furchtbaren Wogen, welche Paris und das vormals so lustige Frankreich überflutheten, die Stürme, welche das unglückliche Land bis in seine Grundfesten erschütterten und Alles über den Haufen warfen, hatten sich noch nicht über die Grenzen hinaus fühlbar gemacht. Noch spann sich das Leben in den Nachbarstaaten so ruhig ab wie jemals, wenn auch hie und da schon am Horizont die Blitze mit un- heimlichem Lichte die näher und näher drohenden Wetterwolken durchzuckten. Der tiefblaue italienische Himmel spannte sich über die ewige Stadt aus, und von den Spitzen der Thürme schien das Sonnengold flüssig her- nieder zu tropfen. Auch das nahe gelegene Sinigaglia lag in dem Grün

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt35_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt35_1869/6
Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 35. Berlin, 29. August 1869, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt35_1869/6>, abgerufen am 11.06.2024.