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Sonntags-Blatt. Nr. 29. Berlin, 19. Juli 1868.

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[Beginn Spaltensatz]
Unter Orangen und Reben.
Reiseskizze.
( Schluß. )

Die grünen Schanzen auf dem Tisch waren bald genommen und
von Grund aus geschleift. Der Weinhändler hätte eine Deko-
ration verdient für seine Bravour bei der Affaire. Ein neues
Gericht kam auf die Tafel.

Giovanna brachte, unsere Neugierde nicht wenig erregend, eine
lange, weiß geschälte Ruthe. Die Bäuerin trug Brot, eine gewaltige
Salamiwurst und in einem von grünen Binsen zierlich geflochtenen
Körbchen Ricotta ( Quark aus süßer Milch ) herbei. Brot und Wurst
wurden von der Mutter in Scheiben zerschnitten, aus dem Quark
aber formte die Tochter flache, unseren runden Käschen ähnliche
Kuchen. Sämmtliche Speisen wurden hierauf zu unserm Ergötzen in
der Reihenfolge: Brot, Wurst, Quark, Brot, Wurst, Quark, auf die
erwähnte Ruthe gespießt, bis dieselbe von oben bis unten dem
Schwanzende einer riesigen Klapperschlange glich. Diesen primitiven
Präsentirteller reichte man nun am Tisch herum, und Jeder riß sich,
je nach seinem Bedürfniß, ein oder zwei Glieder des von Platz zu
Platz wandernden Reptils herunter. Das Gericht -- ob es klassisch
war, weiß ich nicht zu sagen -- schmeckte übrigens vortrefflich, und
da es schon lange her war, daß wir unsere von Neapel mitgebrachten
Vorräthe im Wagen verzehrt hatten, so ließen auch wir es am Her-
unterreißen nicht fehlen. König sämmtlicher Schlangenbändiger blieb
aber wiederum der Neapolitaner. Der dreischneppige Weinkrug setzte
übrigens in schnellen Sätzen der Speiseschlange nach, und wären
Engländer unter uns gewesen, so hätten sie sicher gewettet, wer bei
dieser Steeple-chase zuerst bei meiner Frau wieder anlangen werde.

Bis jetzt hatten die Anwesenden mein Gespräch mit dem Bauer
gar wenig beachtet. Das änderte sich aber schnell, als der Bauer,
das grausam abgeschälte Amphibien=Rückgrat in der Hand schwin-
gend, mich fragte, ob wir in England auch guten Wein bauten.

Jch erklärte ihm, daß wir nicht das Glück hätten, zum Volk der
Spleen= und Sterlingbesitzer zu gehören, sondern daß uns nur deutsche
Mütter in deutschen Gauen geboren. Von Deutschland hatte der
Mann aber noch niemals gehört; nur daß es ein "Austria" gäbe, war
ihm bekannt.

"Wie viel Miglien sind es bis Deutschland?" fragte er daher
neugierig weiter.

Jch nannte die Entfernung bis zur Heimath, die, in Miglien
ausgedrückt, ziemlich ansehnlich klang, und die ganze Tischgesellschaft
gerieth über die Größe der Welt in das unverhohlenste Staunen.

Frage auf Frage nach Klima, Beschaffenheit, namentlich aber nach
den Produkten des Landes folgte jetzt von allen Plätzen der Tafel,
und meine Antworten erregten so sehr das Jnteresse der naiven Ge-
sellschaft um uns her, daß die am untern Ende des Tisches Sitzenden
leise heraufschlichen, die schöne Giovanna sich neben mich stellte, ja
daß selbst der schwarze Cylinder des Weinhändlers langsam heran-
zurücken und den zwischen uns ragenden Spitzhut des Bauern immer
näher an meinen Strohhut zu drängen begann.

Da saßen wir denn, wir Sprößlinge des Nordens, unter den
sonnengebräunten Kindern des Südens, und ich erzählte den Lauschen-
den, während uns von draußen Citronen und Orangen und das jetzt
auch wieder hervortretende blaue Meer gar holdselig entgegenlächelten,
von dem Eis und Schnee unserer Heimath. Jch erzählte ihnen, daß
es bei uns Gegenden gebe, in denen die Leute neun Monate lang,
ja manchmal das ganze Jahr hindurch einheizen müßten, daß der
Schnee dort oft bis an die Dächer reiche, und daß die Menschen sich
dann Höhlen durch den Schnee graben müßten, um von einer Thür
zur andern zu gelangen; ich erzählte von unserm düstern Himmel,
von unseren gräulichen Nebeln, und daß bei uns keine Melonen auf
den Feldern, keine Orangen und Feigen in den Gärten gedeihen.

"Aber was essen denn Eure Armen?" fragte der Bauer.

"Kartoffeln", sagte ich; "Viele nur Kartoffeln das ganze Jahr,
Mittags und Abends."

"Warum essen sie keine Fische?" bemerkte Giovanna.

"Weil die Fische sehr theuer sind bei uns."

"Jst denn das Meer so weit?" fragte sie weiter.

"So weit, Giovanna, daß viele Tausende sterben und haben es
niemals gesehen."

"Das Meer nicht gesehen? Cristo Madonna! Aber von allen
Bergen sieht man doch das Meer?"

"Bei uns auch von den Bergen nicht", war meine Antwort.

"Armes Land, armes Land!" rief sie da traurig aus.

"Und doch, Giovanna", fuhr ich, ihr fest in die melancholischen
Augen sehend, fort, "und doch sind die Leute sehr fröhlich in diesem
Lande."

[Spaltenumbruch]

Das Wort traf sie sichtlich. Sie senkte den Blick und sprach bis
zum Abschied kein Wort mehr.

Der Hausherr aber wurde ganz lebendig bei meinem Erzählen.
Das Finstere in seinen Zügen verlor sich, und während die Bäuerin
die Tafel zum Nachtisch mit Körben voll herrlicher Kirschen, Orangen
und unreifer, aber gerade in diesem Zustande mit der grünen Schale
von den Jtalienern am liebsten gegessenen Mandeln besetzte, schob
mir ihr Gatte den Dreischnepper in immer kürzer werdenden Zwi-
schenräumen zu, ja, er befahl endlich, den Krug noch aus einem
andern, sein Bestes enthaltenden Faß zu füllen. Und um den Wohl-
geschmack dieses neuen, sehr an den Burgunder erinnernden Getränks
noch zu erhöhen, ließ er seine Tochter einige der zur Thür herein-
schauenden Limonen pflücken, schnitt die großen, nur angenehm säuer-
lich, nicht sauer schmeckenden Früchte in vier Stücke und warf sie in
den Krug.

Jch aber, vom Wein erregt, erzählte mehr und mehr von der Hei-
math, doch jetzt nur Solches, was unser Vaterland in den Augen der
Fremden wieder zu heben vermochte. Jch sprach von unseren grünen
Wiesen und unseren schattigen Fichten; ich erzählte, daß bei uns fast
keine Elle Land unbenutzt liege und daß in Deutschland auch der
Niedrigste zu lesen und zu schreiben verstehe. Dieses Letzte wollte
aber der Schwarzrock, der in den genannten Künsten wahrscheinlich
selbst nicht sehr erfahren war, durchaus nicht glauben; auch schien ihm
eine solche Gelahrtheit des Volks etwas unnütz und gefährlich oben-
drein -- wenigstens murmelte und brummte er, den Kopf schüttelnd,
lange vor sich hin.

Giovanna dagegen horchte hoch auf bei meinen Worten. Sie
glaubte mir, und man konnte es in ihren träumerisch auf mich ge-
richteten Augen lesen, daß dieses ferne, kalte Land ihr gar Manches
zu denken gab. Sie mußte noch andern Umgang im Leben gehabt
haben als ihren bigotten Vater und den heuchlerischen Tölpel an
seiner Seite, das wurde mir immer klarer.

Mit einer fast werthlosen Kleinigkeit machte ich den Leuten zuletzt
noch eine ganz besondere Freude. Jch brannte mir nämlich eine
Cigarre an und steckte dieselbe in eine jener Pfenningspitzen, wie sie
im Erzgebirge aus Lindenholz verfertigt werden. Die Leute hielten
das glänzend weiße Holz für Meerschaum. Da erzählte ich ihnen
denn von den Arbeiten der Leute in jenen Gebirgen, wo der viele
Schnee falle; ich sprach vom Spitzenklöppeln, von den Spiel= und
Holzwaaren aller Art, bis ich endlich auch auf die Cigarrenpfeifchen
kam und als Probe die meinige hinwies. Die Verwunderung der
Leute über den Glanz und die Billigkeit des Fabrikats war wirklich
zum Lachen. Die Spitze wanderte von Hand zu Hand; Jeder wollte
sich überzeugen, ob das auch wirklich nur Holz sei. Glücklicherweise
hatte ich noch vier oder fünf nicht gebrauchte in meiner Umhänge-
tasche. Diese vertheilte ich unter die Gesellschaft, und die Leute freuten
sich wie die Kinder über die armselige Gabe. Jch bin überzeugt,
daß der Bauer die seinige noch heut zum Andenken aufbewahrt.

Ein Blick nach der Uhr und ein Griff nach meinem Kopf --
schützte mich doch kein Kranz von Epheu und Rosen vor den Tücken
des Bacchus -- machte mir endlich deutlich, daß es hohe Zeit sei, zu
gehen. Jch erhob mich also rasch, und trotz der wärmsten Bitten
unserer Wirthe, noch zu bleiben, brachen wir auf.

Der Abschied war wie von guten, alten Freunden. Der Bauer
drückte mir immer von Neuem die Hand, und selbst der Weinhändler
-- o hätte er gewußt, daß wir Protestanten seien! -- zeigte zuletzt
einen Anflug von Manier. Giovanna aber wies das Lebewohl noch
zurück.

"Jch begleite Sie noch ein Stück", sagte sie, "damit ich Jhnen
den Weg zeigen kann."

Sie hatte noch irgend Etwas auf dem Herzen gegen uns, das
merkte ich wohl. So gingen wir denn.

Aber welch eine unbeschreibliche Herrlichkeit erwartete uns jetzt
draußen in der erquickten Natur! Wie frisch, wie balsamisch war die
Luft, wie funkelten die Tropfen auf den Blättern, den Halmen, den
tausend und aber tausend Blüthen um uns her!

Die Gärten, durch welche uns Giovanna jetzt führte, waren zwar
offenbar weit schlechter gepflegt als jene, durch welche wir herauf-
gekommen waren; aber gerade die Verwilderung gab ihnen einen so
wunderbaren Reiz. Maulbeer=, Feigen=, Kastanien=, Nuß=, Citronen=,
Orangenbäume, alle die Kronen dicht in einander verschlungen und
Stamm für Stamm bis zum Gipfel hinauf bekränzt und mit seinen
Nachbarn zusammengesponnen durch die Alles überwuchernde Rebe.
Dazwischen hervorblitzend die Blüthen der Granaten, der zahllosen
Oleander und der oft manns=, ja haushohen Cactus, und doch unter
all' diesem, für den Sonnenstrahl fast ganz undurchdringlichen Blätter-
gewirr wie üppig emporschießend die Bohnen, der Waizen, der Liebes-
apfel und was der Mensch sonst noch gepflanzt und gesäet hatte zu
seiner Nahrung!

"O, welch ein Himmel ist das! Ja, wahrlich, armes Land, armes
Land dagegen unsere Heimath!" rief ich unwillkürlich aus -- -- --
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Unter Orangen und Reben.
Reiseskizze.
( Schluß. )

Die grünen Schanzen auf dem Tisch waren bald genommen und
von Grund aus geschleift. Der Weinhändler hätte eine Deko-
ration verdient für seine Bravour bei der Affaire. Ein neues
Gericht kam auf die Tafel.

Giovanna brachte, unsere Neugierde nicht wenig erregend, eine
lange, weiß geschälte Ruthe. Die Bäuerin trug Brot, eine gewaltige
Salamiwurst und in einem von grünen Binsen zierlich geflochtenen
Körbchen Ricotta ( Quark aus süßer Milch ) herbei. Brot und Wurst
wurden von der Mutter in Scheiben zerschnitten, aus dem Quark
aber formte die Tochter flache, unseren runden Käschen ähnliche
Kuchen. Sämmtliche Speisen wurden hierauf zu unserm Ergötzen in
der Reihenfolge: Brot, Wurst, Quark, Brot, Wurst, Quark, auf die
erwähnte Ruthe gespießt, bis dieselbe von oben bis unten dem
Schwanzende einer riesigen Klapperschlange glich. Diesen primitiven
Präsentirteller reichte man nun am Tisch herum, und Jeder riß sich,
je nach seinem Bedürfniß, ein oder zwei Glieder des von Platz zu
Platz wandernden Reptils herunter. Das Gericht — ob es klassisch
war, weiß ich nicht zu sagen — schmeckte übrigens vortrefflich, und
da es schon lange her war, daß wir unsere von Neapel mitgebrachten
Vorräthe im Wagen verzehrt hatten, so ließen auch wir es am Her-
unterreißen nicht fehlen. König sämmtlicher Schlangenbändiger blieb
aber wiederum der Neapolitaner. Der dreischneppige Weinkrug setzte
übrigens in schnellen Sätzen der Speiseschlange nach, und wären
Engländer unter uns gewesen, so hätten sie sicher gewettet, wer bei
dieser Steeple-chase zuerst bei meiner Frau wieder anlangen werde.

Bis jetzt hatten die Anwesenden mein Gespräch mit dem Bauer
gar wenig beachtet. Das änderte sich aber schnell, als der Bauer,
das grausam abgeschälte Amphibien=Rückgrat in der Hand schwin-
gend, mich fragte, ob wir in England auch guten Wein bauten.

Jch erklärte ihm, daß wir nicht das Glück hätten, zum Volk der
Spleen= und Sterlingbesitzer zu gehören, sondern daß uns nur deutsche
Mütter in deutschen Gauen geboren. Von Deutschland hatte der
Mann aber noch niemals gehört; nur daß es ein „Austria“ gäbe, war
ihm bekannt.

„Wie viel Miglien sind es bis Deutschland?“ fragte er daher
neugierig weiter.

Jch nannte die Entfernung bis zur Heimath, die, in Miglien
ausgedrückt, ziemlich ansehnlich klang, und die ganze Tischgesellschaft
gerieth über die Größe der Welt in das unverhohlenste Staunen.

Frage auf Frage nach Klima, Beschaffenheit, namentlich aber nach
den Produkten des Landes folgte jetzt von allen Plätzen der Tafel,
und meine Antworten erregten so sehr das Jnteresse der naiven Ge-
sellschaft um uns her, daß die am untern Ende des Tisches Sitzenden
leise heraufschlichen, die schöne Giovanna sich neben mich stellte, ja
daß selbst der schwarze Cylinder des Weinhändlers langsam heran-
zurücken und den zwischen uns ragenden Spitzhut des Bauern immer
näher an meinen Strohhut zu drängen begann.

Da saßen wir denn, wir Sprößlinge des Nordens, unter den
sonnengebräunten Kindern des Südens, und ich erzählte den Lauschen-
den, während uns von draußen Citronen und Orangen und das jetzt
auch wieder hervortretende blaue Meer gar holdselig entgegenlächelten,
von dem Eis und Schnee unserer Heimath. Jch erzählte ihnen, daß
es bei uns Gegenden gebe, in denen die Leute neun Monate lang,
ja manchmal das ganze Jahr hindurch einheizen müßten, daß der
Schnee dort oft bis an die Dächer reiche, und daß die Menschen sich
dann Höhlen durch den Schnee graben müßten, um von einer Thür
zur andern zu gelangen; ich erzählte von unserm düstern Himmel,
von unseren gräulichen Nebeln, und daß bei uns keine Melonen auf
den Feldern, keine Orangen und Feigen in den Gärten gedeihen.

„Aber was essen denn Eure Armen?“ fragte der Bauer.

„Kartoffeln“, sagte ich; „Viele nur Kartoffeln das ganze Jahr,
Mittags und Abends.“

„Warum essen sie keine Fische?“ bemerkte Giovanna.

„Weil die Fische sehr theuer sind bei uns.“

„Jst denn das Meer so weit?“ fragte sie weiter.

„So weit, Giovanna, daß viele Tausende sterben und haben es
niemals gesehen.“

„Das Meer nicht gesehen? Cristo Madonna! Aber von allen
Bergen sieht man doch das Meer?“

„Bei uns auch von den Bergen nicht“, war meine Antwort.

„Armes Land, armes Land!“ rief sie da traurig aus.

„Und doch, Giovanna“, fuhr ich, ihr fest in die melancholischen
Augen sehend, fort, „und doch sind die Leute sehr fröhlich in diesem
Lande.“

[Spaltenumbruch]

Das Wort traf sie sichtlich. Sie senkte den Blick und sprach bis
zum Abschied kein Wort mehr.

Der Hausherr aber wurde ganz lebendig bei meinem Erzählen.
Das Finstere in seinen Zügen verlor sich, und während die Bäuerin
die Tafel zum Nachtisch mit Körben voll herrlicher Kirschen, Orangen
und unreifer, aber gerade in diesem Zustande mit der grünen Schale
von den Jtalienern am liebsten gegessenen Mandeln besetzte, schob
mir ihr Gatte den Dreischnepper in immer kürzer werdenden Zwi-
schenräumen zu, ja, er befahl endlich, den Krug noch aus einem
andern, sein Bestes enthaltenden Faß zu füllen. Und um den Wohl-
geschmack dieses neuen, sehr an den Burgunder erinnernden Getränks
noch zu erhöhen, ließ er seine Tochter einige der zur Thür herein-
schauenden Limonen pflücken, schnitt die großen, nur angenehm säuer-
lich, nicht sauer schmeckenden Früchte in vier Stücke und warf sie in
den Krug.

Jch aber, vom Wein erregt, erzählte mehr und mehr von der Hei-
math, doch jetzt nur Solches, was unser Vaterland in den Augen der
Fremden wieder zu heben vermochte. Jch sprach von unseren grünen
Wiesen und unseren schattigen Fichten; ich erzählte, daß bei uns fast
keine Elle Land unbenutzt liege und daß in Deutschland auch der
Niedrigste zu lesen und zu schreiben verstehe. Dieses Letzte wollte
aber der Schwarzrock, der in den genannten Künsten wahrscheinlich
selbst nicht sehr erfahren war, durchaus nicht glauben; auch schien ihm
eine solche Gelahrtheit des Volks etwas unnütz und gefährlich oben-
drein — wenigstens murmelte und brummte er, den Kopf schüttelnd,
lange vor sich hin.

Giovanna dagegen horchte hoch auf bei meinen Worten. Sie
glaubte mir, und man konnte es in ihren träumerisch auf mich ge-
richteten Augen lesen, daß dieses ferne, kalte Land ihr gar Manches
zu denken gab. Sie mußte noch andern Umgang im Leben gehabt
haben als ihren bigotten Vater und den heuchlerischen Tölpel an
seiner Seite, das wurde mir immer klarer.

Mit einer fast werthlosen Kleinigkeit machte ich den Leuten zuletzt
noch eine ganz besondere Freude. Jch brannte mir nämlich eine
Cigarre an und steckte dieselbe in eine jener Pfenningspitzen, wie sie
im Erzgebirge aus Lindenholz verfertigt werden. Die Leute hielten
das glänzend weiße Holz für Meerschaum. Da erzählte ich ihnen
denn von den Arbeiten der Leute in jenen Gebirgen, wo der viele
Schnee falle; ich sprach vom Spitzenklöppeln, von den Spiel= und
Holzwaaren aller Art, bis ich endlich auch auf die Cigarrenpfeifchen
kam und als Probe die meinige hinwies. Die Verwunderung der
Leute über den Glanz und die Billigkeit des Fabrikats war wirklich
zum Lachen. Die Spitze wanderte von Hand zu Hand; Jeder wollte
sich überzeugen, ob das auch wirklich nur Holz sei. Glücklicherweise
hatte ich noch vier oder fünf nicht gebrauchte in meiner Umhänge-
tasche. Diese vertheilte ich unter die Gesellschaft, und die Leute freuten
sich wie die Kinder über die armselige Gabe. Jch bin überzeugt,
daß der Bauer die seinige noch heut zum Andenken aufbewahrt.

Ein Blick nach der Uhr und ein Griff nach meinem Kopf —
schützte mich doch kein Kranz von Epheu und Rosen vor den Tücken
des Bacchus — machte mir endlich deutlich, daß es hohe Zeit sei, zu
gehen. Jch erhob mich also rasch, und trotz der wärmsten Bitten
unserer Wirthe, noch zu bleiben, brachen wir auf.

Der Abschied war wie von guten, alten Freunden. Der Bauer
drückte mir immer von Neuem die Hand, und selbst der Weinhändler
— o hätte er gewußt, daß wir Protestanten seien! — zeigte zuletzt
einen Anflug von Manier. Giovanna aber wies das Lebewohl noch
zurück.

„Jch begleite Sie noch ein Stück“, sagte sie, „damit ich Jhnen
den Weg zeigen kann.“

Sie hatte noch irgend Etwas auf dem Herzen gegen uns, das
merkte ich wohl. So gingen wir denn.

Aber welch eine unbeschreibliche Herrlichkeit erwartete uns jetzt
draußen in der erquickten Natur! Wie frisch, wie balsamisch war die
Luft, wie funkelten die Tropfen auf den Blättern, den Halmen, den
tausend und aber tausend Blüthen um uns her!

Die Gärten, durch welche uns Giovanna jetzt führte, waren zwar
offenbar weit schlechter gepflegt als jene, durch welche wir herauf-
gekommen waren; aber gerade die Verwilderung gab ihnen einen so
wunderbaren Reiz. Maulbeer=, Feigen=, Kastanien=, Nuß=, Citronen=,
Orangenbäume, alle die Kronen dicht in einander verschlungen und
Stamm für Stamm bis zum Gipfel hinauf bekränzt und mit seinen
Nachbarn zusammengesponnen durch die Alles überwuchernde Rebe.
Dazwischen hervorblitzend die Blüthen der Granaten, der zahllosen
Oleander und der oft manns=, ja haushohen Cactus, und doch unter
all' diesem, für den Sonnenstrahl fast ganz undurchdringlichen Blätter-
gewirr wie üppig emporschießend die Bohnen, der Waizen, der Liebes-
apfel und was der Mensch sonst noch gepflanzt und gesäet hatte zu
seiner Nahrung!

„O, welch ein Himmel ist das! Ja, wahrlich, armes Land, armes
Land dagegen unsere Heimath!“ rief ich unwillkürlich aus — — —
[Ende Spaltensatz]

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[228/0004] 228 Unter Orangen und Reben. Reiseskizze. ( Schluß. ) Die grünen Schanzen auf dem Tisch waren bald genommen und von Grund aus geschleift. Der Weinhändler hätte eine Deko- ration verdient für seine Bravour bei der Affaire. Ein neues Gericht kam auf die Tafel. Giovanna brachte, unsere Neugierde nicht wenig erregend, eine lange, weiß geschälte Ruthe. Die Bäuerin trug Brot, eine gewaltige Salamiwurst und in einem von grünen Binsen zierlich geflochtenen Körbchen Ricotta ( Quark aus süßer Milch ) herbei. Brot und Wurst wurden von der Mutter in Scheiben zerschnitten, aus dem Quark aber formte die Tochter flache, unseren runden Käschen ähnliche Kuchen. Sämmtliche Speisen wurden hierauf zu unserm Ergötzen in der Reihenfolge: Brot, Wurst, Quark, Brot, Wurst, Quark, auf die erwähnte Ruthe gespießt, bis dieselbe von oben bis unten dem Schwanzende einer riesigen Klapperschlange glich. Diesen primitiven Präsentirteller reichte man nun am Tisch herum, und Jeder riß sich, je nach seinem Bedürfniß, ein oder zwei Glieder des von Platz zu Platz wandernden Reptils herunter. Das Gericht — ob es klassisch war, weiß ich nicht zu sagen — schmeckte übrigens vortrefflich, und da es schon lange her war, daß wir unsere von Neapel mitgebrachten Vorräthe im Wagen verzehrt hatten, so ließen auch wir es am Her- unterreißen nicht fehlen. König sämmtlicher Schlangenbändiger blieb aber wiederum der Neapolitaner. Der dreischneppige Weinkrug setzte übrigens in schnellen Sätzen der Speiseschlange nach, und wären Engländer unter uns gewesen, so hätten sie sicher gewettet, wer bei dieser Steeple-chase zuerst bei meiner Frau wieder anlangen werde. Bis jetzt hatten die Anwesenden mein Gespräch mit dem Bauer gar wenig beachtet. Das änderte sich aber schnell, als der Bauer, das grausam abgeschälte Amphibien=Rückgrat in der Hand schwin- gend, mich fragte, ob wir in England auch guten Wein bauten. Jch erklärte ihm, daß wir nicht das Glück hätten, zum Volk der Spleen= und Sterlingbesitzer zu gehören, sondern daß uns nur deutsche Mütter in deutschen Gauen geboren. Von Deutschland hatte der Mann aber noch niemals gehört; nur daß es ein „Austria“ gäbe, war ihm bekannt. „Wie viel Miglien sind es bis Deutschland?“ fragte er daher neugierig weiter. Jch nannte die Entfernung bis zur Heimath, die, in Miglien ausgedrückt, ziemlich ansehnlich klang, und die ganze Tischgesellschaft gerieth über die Größe der Welt in das unverhohlenste Staunen. Frage auf Frage nach Klima, Beschaffenheit, namentlich aber nach den Produkten des Landes folgte jetzt von allen Plätzen der Tafel, und meine Antworten erregten so sehr das Jnteresse der naiven Ge- sellschaft um uns her, daß die am untern Ende des Tisches Sitzenden leise heraufschlichen, die schöne Giovanna sich neben mich stellte, ja daß selbst der schwarze Cylinder des Weinhändlers langsam heran- zurücken und den zwischen uns ragenden Spitzhut des Bauern immer näher an meinen Strohhut zu drängen begann. Da saßen wir denn, wir Sprößlinge des Nordens, unter den sonnengebräunten Kindern des Südens, und ich erzählte den Lauschen- den, während uns von draußen Citronen und Orangen und das jetzt auch wieder hervortretende blaue Meer gar holdselig entgegenlächelten, von dem Eis und Schnee unserer Heimath. Jch erzählte ihnen, daß es bei uns Gegenden gebe, in denen die Leute neun Monate lang, ja manchmal das ganze Jahr hindurch einheizen müßten, daß der Schnee dort oft bis an die Dächer reiche, und daß die Menschen sich dann Höhlen durch den Schnee graben müßten, um von einer Thür zur andern zu gelangen; ich erzählte von unserm düstern Himmel, von unseren gräulichen Nebeln, und daß bei uns keine Melonen auf den Feldern, keine Orangen und Feigen in den Gärten gedeihen. „Aber was essen denn Eure Armen?“ fragte der Bauer. „Kartoffeln“, sagte ich; „Viele nur Kartoffeln das ganze Jahr, Mittags und Abends.“ „Warum essen sie keine Fische?“ bemerkte Giovanna. „Weil die Fische sehr theuer sind bei uns.“ „Jst denn das Meer so weit?“ fragte sie weiter. „So weit, Giovanna, daß viele Tausende sterben und haben es niemals gesehen.“ „Das Meer nicht gesehen? Cristo Madonna! Aber von allen Bergen sieht man doch das Meer?“ „Bei uns auch von den Bergen nicht“, war meine Antwort. „Armes Land, armes Land!“ rief sie da traurig aus. „Und doch, Giovanna“, fuhr ich, ihr fest in die melancholischen Augen sehend, fort, „und doch sind die Leute sehr fröhlich in diesem Lande.“ Das Wort traf sie sichtlich. Sie senkte den Blick und sprach bis zum Abschied kein Wort mehr. Der Hausherr aber wurde ganz lebendig bei meinem Erzählen. Das Finstere in seinen Zügen verlor sich, und während die Bäuerin die Tafel zum Nachtisch mit Körben voll herrlicher Kirschen, Orangen und unreifer, aber gerade in diesem Zustande mit der grünen Schale von den Jtalienern am liebsten gegessenen Mandeln besetzte, schob mir ihr Gatte den Dreischnepper in immer kürzer werdenden Zwi- schenräumen zu, ja, er befahl endlich, den Krug noch aus einem andern, sein Bestes enthaltenden Faß zu füllen. Und um den Wohl- geschmack dieses neuen, sehr an den Burgunder erinnernden Getränks noch zu erhöhen, ließ er seine Tochter einige der zur Thür herein- schauenden Limonen pflücken, schnitt die großen, nur angenehm säuer- lich, nicht sauer schmeckenden Früchte in vier Stücke und warf sie in den Krug. Jch aber, vom Wein erregt, erzählte mehr und mehr von der Hei- math, doch jetzt nur Solches, was unser Vaterland in den Augen der Fremden wieder zu heben vermochte. Jch sprach von unseren grünen Wiesen und unseren schattigen Fichten; ich erzählte, daß bei uns fast keine Elle Land unbenutzt liege und daß in Deutschland auch der Niedrigste zu lesen und zu schreiben verstehe. Dieses Letzte wollte aber der Schwarzrock, der in den genannten Künsten wahrscheinlich selbst nicht sehr erfahren war, durchaus nicht glauben; auch schien ihm eine solche Gelahrtheit des Volks etwas unnütz und gefährlich oben- drein — wenigstens murmelte und brummte er, den Kopf schüttelnd, lange vor sich hin. Giovanna dagegen horchte hoch auf bei meinen Worten. Sie glaubte mir, und man konnte es in ihren träumerisch auf mich ge- richteten Augen lesen, daß dieses ferne, kalte Land ihr gar Manches zu denken gab. Sie mußte noch andern Umgang im Leben gehabt haben als ihren bigotten Vater und den heuchlerischen Tölpel an seiner Seite, das wurde mir immer klarer. Mit einer fast werthlosen Kleinigkeit machte ich den Leuten zuletzt noch eine ganz besondere Freude. Jch brannte mir nämlich eine Cigarre an und steckte dieselbe in eine jener Pfenningspitzen, wie sie im Erzgebirge aus Lindenholz verfertigt werden. Die Leute hielten das glänzend weiße Holz für Meerschaum. Da erzählte ich ihnen denn von den Arbeiten der Leute in jenen Gebirgen, wo der viele Schnee falle; ich sprach vom Spitzenklöppeln, von den Spiel= und Holzwaaren aller Art, bis ich endlich auch auf die Cigarrenpfeifchen kam und als Probe die meinige hinwies. Die Verwunderung der Leute über den Glanz und die Billigkeit des Fabrikats war wirklich zum Lachen. Die Spitze wanderte von Hand zu Hand; Jeder wollte sich überzeugen, ob das auch wirklich nur Holz sei. Glücklicherweise hatte ich noch vier oder fünf nicht gebrauchte in meiner Umhänge- tasche. Diese vertheilte ich unter die Gesellschaft, und die Leute freuten sich wie die Kinder über die armselige Gabe. Jch bin überzeugt, daß der Bauer die seinige noch heut zum Andenken aufbewahrt. Ein Blick nach der Uhr und ein Griff nach meinem Kopf — schützte mich doch kein Kranz von Epheu und Rosen vor den Tücken des Bacchus — machte mir endlich deutlich, daß es hohe Zeit sei, zu gehen. Jch erhob mich also rasch, und trotz der wärmsten Bitten unserer Wirthe, noch zu bleiben, brachen wir auf. Der Abschied war wie von guten, alten Freunden. Der Bauer drückte mir immer von Neuem die Hand, und selbst der Weinhändler — o hätte er gewußt, daß wir Protestanten seien! — zeigte zuletzt einen Anflug von Manier. Giovanna aber wies das Lebewohl noch zurück. „Jch begleite Sie noch ein Stück“, sagte sie, „damit ich Jhnen den Weg zeigen kann.“ Sie hatte noch irgend Etwas auf dem Herzen gegen uns, das merkte ich wohl. So gingen wir denn. Aber welch eine unbeschreibliche Herrlichkeit erwartete uns jetzt draußen in der erquickten Natur! Wie frisch, wie balsamisch war die Luft, wie funkelten die Tropfen auf den Blättern, den Halmen, den tausend und aber tausend Blüthen um uns her! Die Gärten, durch welche uns Giovanna jetzt führte, waren zwar offenbar weit schlechter gepflegt als jene, durch welche wir herauf- gekommen waren; aber gerade die Verwilderung gab ihnen einen so wunderbaren Reiz. Maulbeer=, Feigen=, Kastanien=, Nuß=, Citronen=, Orangenbäume, alle die Kronen dicht in einander verschlungen und Stamm für Stamm bis zum Gipfel hinauf bekränzt und mit seinen Nachbarn zusammengesponnen durch die Alles überwuchernde Rebe. Dazwischen hervorblitzend die Blüthen der Granaten, der zahllosen Oleander und der oft manns=, ja haushohen Cactus, und doch unter all' diesem, für den Sonnenstrahl fast ganz undurchdringlichen Blätter- gewirr wie üppig emporschießend die Bohnen, der Waizen, der Liebes- apfel und was der Mensch sonst noch gepflanzt und gesäet hatte zu seiner Nahrung! „O, welch ein Himmel ist das! Ja, wahrlich, armes Land, armes Land dagegen unsere Heimath!“ rief ich unwillkürlich aus — — —

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 29. Berlin, 19. Juli 1868, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt29_1868/4>, abgerufen am 06.06.2024.