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Sonntags-Blatt. Nr. 27. Berlin, 5. Juli 1868.

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[Beginn Spaltensatz]

"Gegen das Jahr 1730", sagt Friedrich der Große, "ging die Wuth
nach großen Soldaten dermaßen weit, daß die Nachwelt es kaum glauben
wird. Der gewöhnliche Preis eines Kerls von 5 Fuß 10 Zoll rheinlän-
dischen Maßes war 700 Thlr.; einer von 6 Fuß wurde mit 1000 Thlrn.
bezahlt, und war er noch größer, so stieg der Preis noch höher. Viele
Regimenter hatten keinen Mann, der unter 5 Fuß 8 Zoll hatte, der
kleinste in der ganzen Armee hatte 5 Fuß 6 Zoll."

Diese Notiz ist unbedingt zuverlässig; kaufte doch der König, wie wir
aus anderer Quelle wissen, im Jahr 1731 sechszig Mann für 145,100
Thlr., am 4. Juni 1735 sechsundvierzig Rekruten für 43,000 Thlr., und
am 28. Juli 1736 acht solche für 5982 Thlr., während der General-
Major Graf Dohna für achtzehn Mann 12,664 Thlr. erhielt. Ja, ein
Jrländer, James Kirkland, der mit Gewalt aus London entführt wurde,
kostete dem König in Summa 8862 Thlr., und es wird unseren Lesern
nicht uninteressant sein, des Näheren die Spezialisirung dieser Summe aus
einem Brief des preußischen Geschäftsträgers zu London an den König
vom 10. März 1754 kennen zu lernen. Das Schreiben lautet:

"Allerdurchlauchtigster Jch lebe der festen Zuversicht, daß der von
hier abgehende Kerl, Namens Jonas Kirkland, ein Jrländer von Geburt
und seines Alters zwanzig Jahre, den der Bassist Kottowsky überbringet,
glücklich ankommen und Ew. Majestät Allergnädigste Approbation finden
werde. Jch bin mit seinem Vater einig geworden, daß er mir als Lakai
vor 60 Pfd. Sterl. drei Jahre dienen solle. Er weiß aber nicht, wer ich
bin, und habe denselben mit guter Manier auf ein Hamburgisch Schiff
bringen und eine Kommission aussinnen müssen, die er mir bestellen sollte.
Es ist aber ein stiller uud frommer Kerl, welcher mit Güte zu einer frei-
willigen Kapitulation wohl wird zu bringen sein. Alldieweilen ich ge-
glaubet, daß er meritire, in Ew. Majestät Dienste zu kommen, so habe
ich weder Kosten noch Mühe gespart, ihn fortzuschaffen, und dabei, wie-
wohl mit vieler Behutsamkeit, ein Vieles gewagt, in getreuester Hoffnung,
von Ew. Majestät darin nicht desavouirt zu werden. Die Person, welche
ihn mir verschaffet und Leib und Leben daran gewaget, verlanget 1000
Pfd. Sterl. zur Recompense und bietet dabei zu mehr solchen Diensten an,
hat mich aber äußerst gebeten, sie nie zu nennen, das ich doch meiner
Pflicht erachte, Ew. Königl. Majestät einmal mündlich zu entdecken "
Diesem Brief liegt eine Spezifikation der Kosten bei, aus welcher wir
folgende Posten hervorheben: "An zwei ausgeschickte Kundschafter 18 Pfd.
18 Sh. Dem Kerl, der ihn auf der Reise begleitet, 10 Pfd. 10 Sh.
Einem seiner Bekannten, der ihn zu London helfen persuadiren, 18 Pfd.
18 Sh. An andere dabei gebrauchte Personen 8 Pfd. 7 Sh. Noch an
Jemanden, der davon Wissenschaft zu geben versprochen, 12 Pfd. 12 Sh.
An zwei Soldaten von der Garde, so auch geholfen, 15 Pfd. 15 Sh.
Einem Juge a paix 6 Pfd. 6 Sh. Einem Menschen, der immer bei ihm
sein und ihn bewahren müssen, 3 Pfd. 3 Sh." Dazu kamen noch die
Reisekosten bis Berlin mit 76 Pfd. 12 Sh., seine Einkleidung als Lakai
mit 19 Pfd. 6 Sh., der auf drei Jahre versprochene Lohn mit 60 Pfd.,
so daß der König im Ganzen 1266 Pfd. 10 Sh. bezahlt hatte, bevor er
den Mann in Händen hatte."

Manche "lange Kerls" dagegen erhielt der König auch sehr billig oder
als Geschenk; denn befreundete Fürsten, welche des Königs Leidenschaft
kannten, beeilten sich, ihn durch Uebersendung langer Leute zu erfreuen,
um seine Gunst zu erlangen. So machte sich der König von Polen durch
wiederholte Sendungen sehr beliebt; die Kaiserin Anna von Rußland
sandte 1731 mehrere ungewöhnlich große Rekruten, wofür ihr der König
mehrere von ihr erbetene Klingenschmiede überließ, und Peter der Große
schickte als Erwiderung glänzender Geschenke, die er bei seinem Besuch in
Berlin erhalten hatte, einhundertundfünfzig Riesen, welche die allgemeine
Bewunderung erregten. Aus den allerlängsten Leuten, die nur aufzutreiben
waren, bildete der König das weltbekannte Potsdamer Riesen=Regiment, zu
dessen Oberst er sich selbst ernannte und welches deßhalb das Königs-
Regiment hieß. Aus was für Riesen es bestand, ergiebt sich aus fol-
gender Erzählung eines Zeitgenossen, die uns hier wiederzugeben gestattet
sein möge:

"Als ich mich im Jahre 1713 zu Paris befand und einstweilen in der
Vorstadt St. Germain zur Zeit des dasigen großen Jahrmarkts, der von
Lichtmeß bis auf den Montag in der Charwoche währt, meistentheils aber
in mancherlei Lustbarkeiten, Komödien, Seiltänzereien und Luftspringereien
besteht und mehr bei Nacht als bei Tage allemal von der Vesperzeit an
gehalten wird, herumspaziren ging, ward ich eines Bildnisses vor einem
Hause gewahr, welches, sobald ich es erblickte, meine Augen auf sich zog.
Solches stellte einen langen Mann in einem rothen Heiduckenkleide vor,
der ihm bis auf die Knorren herabhing, mit Romanischen Halbstiefeln,
einer Perrüque auf dem Kopf, und noch über der Perrüque eine Mütze
mit einem großen Reiherfederbusch. Unten war geschrieben: Le geant
allemand
, der deutsche Riese, und auf ferneres Nachfragen hörte ich, es
sei dieser deutsche Riese auf den Jahrmarkt von St. Germain gekommen,
um sich allda vors Geld sehen zu lassen. Er reiste des Nachts und hielt
sich des Tages inne, um von seiner Größe zu profitiren und Geld damit
zu verdienen. Also unterließ ich meines Orts nicht, ebenfalls zwei Groschen
nach unserem Geld daran zu wenden und den deutschen Riesen lebendig zu
sehen... Wie ich aber Anno 1726 im Frühjahr nach Potsdam kam, wo-
hin ich von des Königs Majestät gerufen worden, mußte ich mich nicht
wenig wundern, als ich meinen, in Frankreich vor Geld gesehenen deutschen
Riesen als einen Grenadier unter des Königs Regiment antraf. Wenn
ich nicht irre, war er der vierte oder fünfte Mann unter der Leib-
Kompagnie, und hatte also etliche über sich, die größer waren!" Dieser
Riese litt später an geschwollenen Beinen, wurde deßhalb entlassen und
ging nach England, wo er sich wieder für Geld sehen ließ. "Der größte
Mann", fährt unser Gewährsmann fort, "war damals Jonas, seiner Pro-
fession nach ein Schmiedeknecht, aus Norwegen gebürtig. Nach dessen
Tode hieß der größte und erste Mann unter des Königs Regiment mit
[Spaltenumbruch] Namen Hohmann, ein geborener königlich preußischer Unterthan, der viel-
leicht noch jetzt lebet und der erste Flügelmann ist. Des Königs von
Polen Majestät, glorwürdigen Gedächtnisses, die doch von Person sehr
wohl gewachsen gewesen, versuchten es Anno 1728 bei Jhrer Anwesenheit
in Potsdam, ob Sie diesem Hohmann mit der Hand auf den Kopf möchten
kommen können, allein Dero Bemühen war umsonst!... Alle Grenadiers,
die jemals unter der königlichen Leib=Kompagnie gestanden, sind abgeschil-
dert und stehen in den Gängen des königlichen Schlosses aufgemacht."

( Fortsetzung folgt. )



Die Lumpen und ihre Bedeutung.
Von
Julius Stumpff.

Vielen der geehrten Leser möchte wohl kaum die ganze Bedeutung und
der volle Werth des so hochwichtigen Materials der Lumpen bekannt sein,
und da auch im Zollparlament darüber verhandelt wurde, ist einige
Aufklärung wohl ganz an der Zeit.

Lumpen, von den Papierfabrikanten Hadern genannt, sind aufgebrauchte
Kleidungsstücke, Bett= und Leibwäsche, Säcke, Taue, Stricke, Netze und
Emballagen, welche von Sammlern -- auch mit dem zierlichen Namen
"Lumpack" oder "Plundermatz" benannt -- gegen Geld und Waaren ein-
getauscht werden.

Lieber Leser, wende Deinen Blick nicht mit Verachtung von diesen
Zeilen; sind auch Lumpen keine einladende Waare und überhaupt nicht
Jedermanns Kauf, so spielen dieselben doch in der Entwicklungsgeschichte
großer Völker eine sehr beachtungswerthe und hervorragende Rolle und sind
auch in volkswirthschaftlicher Beziehung nicht ohne Wichtigkeit. Uebrigens
arbeitet die Seifen=, Leder= und Knochenmehl=Fabrikation mit eben nicht
delikateren Rohstoffen.

Ohne die Erfindung des Leinenpapiers, dieses haltbaren und festen
Blattes, wäre an die Verwerthung der Erfindung der Buchdruckerkunst
nicht zu denken gewesen; eben so wurde später durch das Maschinenpapier
der Maschinen=Buchdruck hervorgerufen und ermöglicht. Ohne alle diese
Erfindungen aber besäßen wir keine so billige und ausgebreitete Beleh-
rungs-, Unterhaltungs= und Zeitungs=Literatur, und auch vieles Andere nicht.

Der Kaufmann und Konditor muß alle seine Waaren sauber und
zierlich in Papier einwickeln; wie selten wird wohl dabei gedacht, daß die
so sauberen Torten=Unterlagen und das zart farbige Emballagen=Papier
des Konditors aus den so sehr verachteten Lumpen hervorgegangen sind, und
daß es ohne Papier dabei fast nicht geht?

Wir sind gegenwärtig so sehr mit dem Papier zusammengewachsen, daß
wir ohne Papier, ich möchte sagen, nicht eine Stunde sein können,
und haben die papiernen Chinesen längst eingeholt, wo nicht schon
übertroffen; papierne Kragen von großer Zartheit und papierne Strümpfe
werden ja schon gemacht, und zu papiernen Taschentüchern, wie bei den
Chinesen, kann immer noch Rath werden.

Schon als kleinen Kindern tritt Papier in Gestalt von Bilderbüchern
uns nahe; später lernen wir lesen, schreiben und zeichnen auf Papier
und benutzen Papier zu mannigfachster Kurzweil und kindlichen Spiele-
reien, und so begleitet uns das Papier auf allen unseren späteren Lebens-
wegen, als Tauf=, Jmpf=, Konfirmandenschein, Lehrbrief, Paß, Aufgebot=,
Trau= und Todtenschein u. s. w., kurz, wir gebrauchen zu allen Zeiten und in
allen Verhältnissen der papiernen Erlaubniß und Legitimation. Der Pre-
diger, Beamte, Kauf= und Geschäftsmann bringt Alles zu Papier, um zu
konstatiren und konserviren; wir benutzen Papier als Geld und zu hohen
Werthzeichen, schließen unsere Kauf= und Streitsachen auf Papier, der
Gelehrte und der Schreiblustige legt seine Erfindungen und Erfahrungen
auf Papier nieder; und überdauern nicht die papiernen Denkmäler einer
großen, ruhmreichen Vergangenheit Stein und Erz? Und was benutzen
wir für Papier zu Familien=, Liebes=, Freundschafts=, Dank=, Trost=,
Geschäfts= und anderen Briefen, und welche Fernen durchmißt dieser ver-
schwiegene Bote? Auch der Telegraph schreibt auf Papier, und unser
Photographien=Album ist auch von Papier.

Ohne Lumpen aber giebt es eben kein Papier nach unseren Anfor-
derungen und Begriffen, und es giebt kein Surrogat, welches die Lum-
pen ersetzen könnte; Alles was davon bis jetzt bekannt ist, so werthvoll
es auch ist, kann die Hadern nur ergänzen, nie ersetzen. So geben
Flachs, Hanf, Baumwolle nur sehr unvollkommene oder eigenthümliche
Papiersorten, die zudem noch so ungemein theuer würden, daß sie für den
allgemeinen und gewöhnlichen Verkehr gar nicht zu gebrauchen wären; die
Papierfabrikation muß diese präparirten Pflanzenstoffe, diese Lumpen
haben.

Aber auch Ehrfurcht sollen wir für diese Ueberbleibsel von Arbeit haben.
Mit welcher Achtung bewacht die Großmutter ihren Wäscheschrank, und
mit welcher Genugthuung und Freude sammelt die Braut die Ausstattung
auf! Welche unendliche Mühe, Entbehrung und Sorge knüpft sich an so
manches Stück, aber auch welche Freude und Hoffnung! Welcher Kontrast
zwischen dem reichen Kleide der reichen Braut und der ersten selbstver-
dienten Schürze, der durch die Nähmaschine gefertigten reichen Ausstattung
und dem ersten selbstgesponnenen, selbstgebleichten und gesäumten Handtuch!

So sind wir denn Alle im Dienst der Lumpenproduktion und arbeiten
fortwährend für dieselbe, und zwar ohne allen Unterschied, vom Sammet-
mantel bis zum Leinenkittel. Folgende Zusammenstellung mag über den
Werth und Absatz dieses Artikels näheren Aufschluß geben.

Frankreich verbraucht jährlich 115 Millionen Kilogramm Hadern; es
betrug in den ersten neun Monaten 1866 die Einfuhr 7,914,000 Kilogramm;
die Ausfuhr 2,829,000 Kilogramm.

[Ende Spaltensatz]
[Beginn Spaltensatz]

„Gegen das Jahr 1730“, sagt Friedrich der Große, „ging die Wuth
nach großen Soldaten dermaßen weit, daß die Nachwelt es kaum glauben
wird. Der gewöhnliche Preis eines Kerls von 5 Fuß 10 Zoll rheinlän-
dischen Maßes war 700 Thlr.; einer von 6 Fuß wurde mit 1000 Thlrn.
bezahlt, und war er noch größer, so stieg der Preis noch höher. Viele
Regimenter hatten keinen Mann, der unter 5 Fuß 8 Zoll hatte, der
kleinste in der ganzen Armee hatte 5 Fuß 6 Zoll.“

Diese Notiz ist unbedingt zuverlässig; kaufte doch der König, wie wir
aus anderer Quelle wissen, im Jahr 1731 sechszig Mann für 145,100
Thlr., am 4. Juni 1735 sechsundvierzig Rekruten für 43,000 Thlr., und
am 28. Juli 1736 acht solche für 5982 Thlr., während der General-
Major Graf Dohna für achtzehn Mann 12,664 Thlr. erhielt. Ja, ein
Jrländer, James Kirkland, der mit Gewalt aus London entführt wurde,
kostete dem König in Summa 8862 Thlr., und es wird unseren Lesern
nicht uninteressant sein, des Näheren die Spezialisirung dieser Summe aus
einem Brief des preußischen Geschäftsträgers zu London an den König
vom 10. März 1754 kennen zu lernen. Das Schreiben lautet:

„Allerdurchlauchtigster Jch lebe der festen Zuversicht, daß der von
hier abgehende Kerl, Namens Jonas Kirkland, ein Jrländer von Geburt
und seines Alters zwanzig Jahre, den der Bassist Kottowsky überbringet,
glücklich ankommen und Ew. Majestät Allergnädigste Approbation finden
werde. Jch bin mit seinem Vater einig geworden, daß er mir als Lakai
vor 60 Pfd. Sterl. drei Jahre dienen solle. Er weiß aber nicht, wer ich
bin, und habe denselben mit guter Manier auf ein Hamburgisch Schiff
bringen und eine Kommission aussinnen müssen, die er mir bestellen sollte.
Es ist aber ein stiller uud frommer Kerl, welcher mit Güte zu einer frei-
willigen Kapitulation wohl wird zu bringen sein. Alldieweilen ich ge-
glaubet, daß er meritire, in Ew. Majestät Dienste zu kommen, so habe
ich weder Kosten noch Mühe gespart, ihn fortzuschaffen, und dabei, wie-
wohl mit vieler Behutsamkeit, ein Vieles gewagt, in getreuester Hoffnung,
von Ew. Majestät darin nicht desavouirt zu werden. Die Person, welche
ihn mir verschaffet und Leib und Leben daran gewaget, verlanget 1000
Pfd. Sterl. zur Recompense und bietet dabei zu mehr solchen Diensten an,
hat mich aber äußerst gebeten, sie nie zu nennen, das ich doch meiner
Pflicht erachte, Ew. Königl. Majestät einmal mündlich zu entdecken
Diesem Brief liegt eine Spezifikation der Kosten bei, aus welcher wir
folgende Posten hervorheben: „An zwei ausgeschickte Kundschafter 18 Pfd.
18 Sh. Dem Kerl, der ihn auf der Reise begleitet, 10 Pfd. 10 Sh.
Einem seiner Bekannten, der ihn zu London helfen persuadiren, 18 Pfd.
18 Sh. An andere dabei gebrauchte Personen 8 Pfd. 7 Sh. Noch an
Jemanden, der davon Wissenschaft zu geben versprochen, 12 Pfd. 12 Sh.
An zwei Soldaten von der Garde, so auch geholfen, 15 Pfd. 15 Sh.
Einem Juge à paix 6 Pfd. 6 Sh. Einem Menschen, der immer bei ihm
sein und ihn bewahren müssen, 3 Pfd. 3 Sh.“ Dazu kamen noch die
Reisekosten bis Berlin mit 76 Pfd. 12 Sh., seine Einkleidung als Lakai
mit 19 Pfd. 6 Sh., der auf drei Jahre versprochene Lohn mit 60 Pfd.,
so daß der König im Ganzen 1266 Pfd. 10 Sh. bezahlt hatte, bevor er
den Mann in Händen hatte.“

Manche „lange Kerls“ dagegen erhielt der König auch sehr billig oder
als Geschenk; denn befreundete Fürsten, welche des Königs Leidenschaft
kannten, beeilten sich, ihn durch Uebersendung langer Leute zu erfreuen,
um seine Gunst zu erlangen. So machte sich der König von Polen durch
wiederholte Sendungen sehr beliebt; die Kaiserin Anna von Rußland
sandte 1731 mehrere ungewöhnlich große Rekruten, wofür ihr der König
mehrere von ihr erbetene Klingenschmiede überließ, und Peter der Große
schickte als Erwiderung glänzender Geschenke, die er bei seinem Besuch in
Berlin erhalten hatte, einhundertundfünfzig Riesen, welche die allgemeine
Bewunderung erregten. Aus den allerlängsten Leuten, die nur aufzutreiben
waren, bildete der König das weltbekannte Potsdamer Riesen=Regiment, zu
dessen Oberst er sich selbst ernannte und welches deßhalb das Königs-
Regiment hieß. Aus was für Riesen es bestand, ergiebt sich aus fol-
gender Erzählung eines Zeitgenossen, die uns hier wiederzugeben gestattet
sein möge:

„Als ich mich im Jahre 1713 zu Paris befand und einstweilen in der
Vorstadt St. Germain zur Zeit des dasigen großen Jahrmarkts, der von
Lichtmeß bis auf den Montag in der Charwoche währt, meistentheils aber
in mancherlei Lustbarkeiten, Komödien, Seiltänzereien und Luftspringereien
besteht und mehr bei Nacht als bei Tage allemal von der Vesperzeit an
gehalten wird, herumspaziren ging, ward ich eines Bildnisses vor einem
Hause gewahr, welches, sobald ich es erblickte, meine Augen auf sich zog.
Solches stellte einen langen Mann in einem rothen Heiduckenkleide vor,
der ihm bis auf die Knorren herabhing, mit Romanischen Halbstiefeln,
einer Perrüque auf dem Kopf, und noch über der Perrüque eine Mütze
mit einem großen Reiherfederbusch. Unten war geschrieben: Le géant
allemand
, der deutsche Riese, und auf ferneres Nachfragen hörte ich, es
sei dieser deutsche Riese auf den Jahrmarkt von St. Germain gekommen,
um sich allda vors Geld sehen zu lassen. Er reiste des Nachts und hielt
sich des Tages inne, um von seiner Größe zu profitiren und Geld damit
zu verdienen. Also unterließ ich meines Orts nicht, ebenfalls zwei Groschen
nach unserem Geld daran zu wenden und den deutschen Riesen lebendig zu
sehen... Wie ich aber Anno 1726 im Frühjahr nach Potsdam kam, wo-
hin ich von des Königs Majestät gerufen worden, mußte ich mich nicht
wenig wundern, als ich meinen, in Frankreich vor Geld gesehenen deutschen
Riesen als einen Grenadier unter des Königs Regiment antraf. Wenn
ich nicht irre, war er der vierte oder fünfte Mann unter der Leib-
Kompagnie, und hatte also etliche über sich, die größer waren!“ Dieser
Riese litt später an geschwollenen Beinen, wurde deßhalb entlassen und
ging nach England, wo er sich wieder für Geld sehen ließ. „Der größte
Mann“, fährt unser Gewährsmann fort, „war damals Jonas, seiner Pro-
fession nach ein Schmiedeknecht, aus Norwegen gebürtig. Nach dessen
Tode hieß der größte und erste Mann unter des Königs Regiment mit
[Spaltenumbruch] Namen Hohmann, ein geborener königlich preußischer Unterthan, der viel-
leicht noch jetzt lebet und der erste Flügelmann ist. Des Königs von
Polen Majestät, glorwürdigen Gedächtnisses, die doch von Person sehr
wohl gewachsen gewesen, versuchten es Anno 1728 bei Jhrer Anwesenheit
in Potsdam, ob Sie diesem Hohmann mit der Hand auf den Kopf möchten
kommen können, allein Dero Bemühen war umsonst!... Alle Grenadiers,
die jemals unter der königlichen Leib=Kompagnie gestanden, sind abgeschil-
dert und stehen in den Gängen des königlichen Schlosses aufgemacht.“

( Fortsetzung folgt. )



Die Lumpen und ihre Bedeutung.
Von
Julius Stumpff.

Vielen der geehrten Leser möchte wohl kaum die ganze Bedeutung und
der volle Werth des so hochwichtigen Materials der Lumpen bekannt sein,
und da auch im Zollparlament darüber verhandelt wurde, ist einige
Aufklärung wohl ganz an der Zeit.

Lumpen, von den Papierfabrikanten Hadern genannt, sind aufgebrauchte
Kleidungsstücke, Bett= und Leibwäsche, Säcke, Taue, Stricke, Netze und
Emballagen, welche von Sammlern — auch mit dem zierlichen Namen
„Lumpack“ oder „Plundermatz“ benannt — gegen Geld und Waaren ein-
getauscht werden.

Lieber Leser, wende Deinen Blick nicht mit Verachtung von diesen
Zeilen; sind auch Lumpen keine einladende Waare und überhaupt nicht
Jedermanns Kauf, so spielen dieselben doch in der Entwicklungsgeschichte
großer Völker eine sehr beachtungswerthe und hervorragende Rolle und sind
auch in volkswirthschaftlicher Beziehung nicht ohne Wichtigkeit. Uebrigens
arbeitet die Seifen=, Leder= und Knochenmehl=Fabrikation mit eben nicht
delikateren Rohstoffen.

Ohne die Erfindung des Leinenpapiers, dieses haltbaren und festen
Blattes, wäre an die Verwerthung der Erfindung der Buchdruckerkunst
nicht zu denken gewesen; eben so wurde später durch das Maschinenpapier
der Maschinen=Buchdruck hervorgerufen und ermöglicht. Ohne alle diese
Erfindungen aber besäßen wir keine so billige und ausgebreitete Beleh-
rungs-, Unterhaltungs= und Zeitungs=Literatur, und auch vieles Andere nicht.

Der Kaufmann und Konditor muß alle seine Waaren sauber und
zierlich in Papier einwickeln; wie selten wird wohl dabei gedacht, daß die
so sauberen Torten=Unterlagen und das zart farbige Emballagen=Papier
des Konditors aus den so sehr verachteten Lumpen hervorgegangen sind, und
daß es ohne Papier dabei fast nicht geht?

Wir sind gegenwärtig so sehr mit dem Papier zusammengewachsen, daß
wir ohne Papier, ich möchte sagen, nicht eine Stunde sein können,
und haben die papiernen Chinesen längst eingeholt, wo nicht schon
übertroffen; papierne Kragen von großer Zartheit und papierne Strümpfe
werden ja schon gemacht, und zu papiernen Taschentüchern, wie bei den
Chinesen, kann immer noch Rath werden.

Schon als kleinen Kindern tritt Papier in Gestalt von Bilderbüchern
uns nahe; später lernen wir lesen, schreiben und zeichnen auf Papier
und benutzen Papier zu mannigfachster Kurzweil und kindlichen Spiele-
reien, und so begleitet uns das Papier auf allen unseren späteren Lebens-
wegen, als Tauf=, Jmpf=, Konfirmandenschein, Lehrbrief, Paß, Aufgebot=,
Trau= und Todtenschein u. s. w., kurz, wir gebrauchen zu allen Zeiten und in
allen Verhältnissen der papiernen Erlaubniß und Legitimation. Der Pre-
diger, Beamte, Kauf= und Geschäftsmann bringt Alles zu Papier, um zu
konstatiren und konserviren; wir benutzen Papier als Geld und zu hohen
Werthzeichen, schließen unsere Kauf= und Streitsachen auf Papier, der
Gelehrte und der Schreiblustige legt seine Erfindungen und Erfahrungen
auf Papier nieder; und überdauern nicht die papiernen Denkmäler einer
großen, ruhmreichen Vergangenheit Stein und Erz? Und was benutzen
wir für Papier zu Familien=, Liebes=, Freundschafts=, Dank=, Trost=,
Geschäfts= und anderen Briefen, und welche Fernen durchmißt dieser ver-
schwiegene Bote? Auch der Telegraph schreibt auf Papier, und unser
Photographien=Album ist auch von Papier.

Ohne Lumpen aber giebt es eben kein Papier nach unseren Anfor-
derungen und Begriffen, und es giebt kein Surrogat, welches die Lum-
pen ersetzen könnte; Alles was davon bis jetzt bekannt ist, so werthvoll
es auch ist, kann die Hadern nur ergänzen, nie ersetzen. So geben
Flachs, Hanf, Baumwolle nur sehr unvollkommene oder eigenthümliche
Papiersorten, die zudem noch so ungemein theuer würden, daß sie für den
allgemeinen und gewöhnlichen Verkehr gar nicht zu gebrauchen wären; die
Papierfabrikation muß diese präparirten Pflanzenstoffe, diese Lumpen
haben.

Aber auch Ehrfurcht sollen wir für diese Ueberbleibsel von Arbeit haben.
Mit welcher Achtung bewacht die Großmutter ihren Wäscheschrank, und
mit welcher Genugthuung und Freude sammelt die Braut die Ausstattung
auf! Welche unendliche Mühe, Entbehrung und Sorge knüpft sich an so
manches Stück, aber auch welche Freude und Hoffnung! Welcher Kontrast
zwischen dem reichen Kleide der reichen Braut und der ersten selbstver-
dienten Schürze, der durch die Nähmaschine gefertigten reichen Ausstattung
und dem ersten selbstgesponnenen, selbstgebleichten und gesäumten Handtuch!

So sind wir denn Alle im Dienst der Lumpenproduktion und arbeiten
fortwährend für dieselbe, und zwar ohne allen Unterschied, vom Sammet-
mantel bis zum Leinenkittel. Folgende Zusammenstellung mag über den
Werth und Absatz dieses Artikels näheren Aufschluß geben.

Frankreich verbraucht jährlich 115 Millionen Kilogramm Hadern; es
betrug in den ersten neun Monaten 1866 die Einfuhr 7,914,000 Kilogramm;
die Ausfuhr 2,829,000 Kilogramm.

[Ende Spaltensatz]
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[214/0006] 214 „Gegen das Jahr 1730“, sagt Friedrich der Große, „ging die Wuth nach großen Soldaten dermaßen weit, daß die Nachwelt es kaum glauben wird. Der gewöhnliche Preis eines Kerls von 5 Fuß 10 Zoll rheinlän- dischen Maßes war 700 Thlr.; einer von 6 Fuß wurde mit 1000 Thlrn. bezahlt, und war er noch größer, so stieg der Preis noch höher. Viele Regimenter hatten keinen Mann, der unter 5 Fuß 8 Zoll hatte, der kleinste in der ganzen Armee hatte 5 Fuß 6 Zoll.“ Diese Notiz ist unbedingt zuverlässig; kaufte doch der König, wie wir aus anderer Quelle wissen, im Jahr 1731 sechszig Mann für 145,100 Thlr., am 4. Juni 1735 sechsundvierzig Rekruten für 43,000 Thlr., und am 28. Juli 1736 acht solche für 5982 Thlr., während der General- Major Graf Dohna für achtzehn Mann 12,664 Thlr. erhielt. Ja, ein Jrländer, James Kirkland, der mit Gewalt aus London entführt wurde, kostete dem König in Summa 8862 Thlr., und es wird unseren Lesern nicht uninteressant sein, des Näheren die Spezialisirung dieser Summe aus einem Brief des preußischen Geschäftsträgers zu London an den König vom 10. März 1754 kennen zu lernen. Das Schreiben lautet: „Allerdurchlauchtigster Jch lebe der festen Zuversicht, daß der von hier abgehende Kerl, Namens Jonas Kirkland, ein Jrländer von Geburt und seines Alters zwanzig Jahre, den der Bassist Kottowsky überbringet, glücklich ankommen und Ew. Majestät Allergnädigste Approbation finden werde. Jch bin mit seinem Vater einig geworden, daß er mir als Lakai vor 60 Pfd. Sterl. drei Jahre dienen solle. Er weiß aber nicht, wer ich bin, und habe denselben mit guter Manier auf ein Hamburgisch Schiff bringen und eine Kommission aussinnen müssen, die er mir bestellen sollte. Es ist aber ein stiller uud frommer Kerl, welcher mit Güte zu einer frei- willigen Kapitulation wohl wird zu bringen sein. Alldieweilen ich ge- glaubet, daß er meritire, in Ew. Majestät Dienste zu kommen, so habe ich weder Kosten noch Mühe gespart, ihn fortzuschaffen, und dabei, wie- wohl mit vieler Behutsamkeit, ein Vieles gewagt, in getreuester Hoffnung, von Ew. Majestät darin nicht desavouirt zu werden. Die Person, welche ihn mir verschaffet und Leib und Leben daran gewaget, verlanget 1000 Pfd. Sterl. zur Recompense und bietet dabei zu mehr solchen Diensten an, hat mich aber äußerst gebeten, sie nie zu nennen, das ich doch meiner Pflicht erachte, Ew. Königl. Majestät einmal mündlich zu entdecken “ Diesem Brief liegt eine Spezifikation der Kosten bei, aus welcher wir folgende Posten hervorheben: „An zwei ausgeschickte Kundschafter 18 Pfd. 18 Sh. Dem Kerl, der ihn auf der Reise begleitet, 10 Pfd. 10 Sh. Einem seiner Bekannten, der ihn zu London helfen persuadiren, 18 Pfd. 18 Sh. An andere dabei gebrauchte Personen 8 Pfd. 7 Sh. Noch an Jemanden, der davon Wissenschaft zu geben versprochen, 12 Pfd. 12 Sh. An zwei Soldaten von der Garde, so auch geholfen, 15 Pfd. 15 Sh. Einem Juge à paix 6 Pfd. 6 Sh. Einem Menschen, der immer bei ihm sein und ihn bewahren müssen, 3 Pfd. 3 Sh.“ Dazu kamen noch die Reisekosten bis Berlin mit 76 Pfd. 12 Sh., seine Einkleidung als Lakai mit 19 Pfd. 6 Sh., der auf drei Jahre versprochene Lohn mit 60 Pfd., so daß der König im Ganzen 1266 Pfd. 10 Sh. bezahlt hatte, bevor er den Mann in Händen hatte.“ Manche „lange Kerls“ dagegen erhielt der König auch sehr billig oder als Geschenk; denn befreundete Fürsten, welche des Königs Leidenschaft kannten, beeilten sich, ihn durch Uebersendung langer Leute zu erfreuen, um seine Gunst zu erlangen. So machte sich der König von Polen durch wiederholte Sendungen sehr beliebt; die Kaiserin Anna von Rußland sandte 1731 mehrere ungewöhnlich große Rekruten, wofür ihr der König mehrere von ihr erbetene Klingenschmiede überließ, und Peter der Große schickte als Erwiderung glänzender Geschenke, die er bei seinem Besuch in Berlin erhalten hatte, einhundertundfünfzig Riesen, welche die allgemeine Bewunderung erregten. Aus den allerlängsten Leuten, die nur aufzutreiben waren, bildete der König das weltbekannte Potsdamer Riesen=Regiment, zu dessen Oberst er sich selbst ernannte und welches deßhalb das Königs- Regiment hieß. Aus was für Riesen es bestand, ergiebt sich aus fol- gender Erzählung eines Zeitgenossen, die uns hier wiederzugeben gestattet sein möge: „Als ich mich im Jahre 1713 zu Paris befand und einstweilen in der Vorstadt St. Germain zur Zeit des dasigen großen Jahrmarkts, der von Lichtmeß bis auf den Montag in der Charwoche währt, meistentheils aber in mancherlei Lustbarkeiten, Komödien, Seiltänzereien und Luftspringereien besteht und mehr bei Nacht als bei Tage allemal von der Vesperzeit an gehalten wird, herumspaziren ging, ward ich eines Bildnisses vor einem Hause gewahr, welches, sobald ich es erblickte, meine Augen auf sich zog. Solches stellte einen langen Mann in einem rothen Heiduckenkleide vor, der ihm bis auf die Knorren herabhing, mit Romanischen Halbstiefeln, einer Perrüque auf dem Kopf, und noch über der Perrüque eine Mütze mit einem großen Reiherfederbusch. Unten war geschrieben: Le géant allemand, der deutsche Riese, und auf ferneres Nachfragen hörte ich, es sei dieser deutsche Riese auf den Jahrmarkt von St. Germain gekommen, um sich allda vors Geld sehen zu lassen. Er reiste des Nachts und hielt sich des Tages inne, um von seiner Größe zu profitiren und Geld damit zu verdienen. Also unterließ ich meines Orts nicht, ebenfalls zwei Groschen nach unserem Geld daran zu wenden und den deutschen Riesen lebendig zu sehen... Wie ich aber Anno 1726 im Frühjahr nach Potsdam kam, wo- hin ich von des Königs Majestät gerufen worden, mußte ich mich nicht wenig wundern, als ich meinen, in Frankreich vor Geld gesehenen deutschen Riesen als einen Grenadier unter des Königs Regiment antraf. Wenn ich nicht irre, war er der vierte oder fünfte Mann unter der Leib- Kompagnie, und hatte also etliche über sich, die größer waren!“ Dieser Riese litt später an geschwollenen Beinen, wurde deßhalb entlassen und ging nach England, wo er sich wieder für Geld sehen ließ. „Der größte Mann“, fährt unser Gewährsmann fort, „war damals Jonas, seiner Pro- fession nach ein Schmiedeknecht, aus Norwegen gebürtig. Nach dessen Tode hieß der größte und erste Mann unter des Königs Regiment mit Namen Hohmann, ein geborener königlich preußischer Unterthan, der viel- leicht noch jetzt lebet und der erste Flügelmann ist. Des Königs von Polen Majestät, glorwürdigen Gedächtnisses, die doch von Person sehr wohl gewachsen gewesen, versuchten es Anno 1728 bei Jhrer Anwesenheit in Potsdam, ob Sie diesem Hohmann mit der Hand auf den Kopf möchten kommen können, allein Dero Bemühen war umsonst!... Alle Grenadiers, die jemals unter der königlichen Leib=Kompagnie gestanden, sind abgeschil- dert und stehen in den Gängen des königlichen Schlosses aufgemacht.“ ( Fortsetzung folgt. ) Die Lumpen und ihre Bedeutung. Von Julius Stumpff. Vielen der geehrten Leser möchte wohl kaum die ganze Bedeutung und der volle Werth des so hochwichtigen Materials der Lumpen bekannt sein, und da auch im Zollparlament darüber verhandelt wurde, ist einige Aufklärung wohl ganz an der Zeit. Lumpen, von den Papierfabrikanten Hadern genannt, sind aufgebrauchte Kleidungsstücke, Bett= und Leibwäsche, Säcke, Taue, Stricke, Netze und Emballagen, welche von Sammlern — auch mit dem zierlichen Namen „Lumpack“ oder „Plundermatz“ benannt — gegen Geld und Waaren ein- getauscht werden. Lieber Leser, wende Deinen Blick nicht mit Verachtung von diesen Zeilen; sind auch Lumpen keine einladende Waare und überhaupt nicht Jedermanns Kauf, so spielen dieselben doch in der Entwicklungsgeschichte großer Völker eine sehr beachtungswerthe und hervorragende Rolle und sind auch in volkswirthschaftlicher Beziehung nicht ohne Wichtigkeit. Uebrigens arbeitet die Seifen=, Leder= und Knochenmehl=Fabrikation mit eben nicht delikateren Rohstoffen. Ohne die Erfindung des Leinenpapiers, dieses haltbaren und festen Blattes, wäre an die Verwerthung der Erfindung der Buchdruckerkunst nicht zu denken gewesen; eben so wurde später durch das Maschinenpapier der Maschinen=Buchdruck hervorgerufen und ermöglicht. Ohne alle diese Erfindungen aber besäßen wir keine so billige und ausgebreitete Beleh- rungs-, Unterhaltungs= und Zeitungs=Literatur, und auch vieles Andere nicht. Der Kaufmann und Konditor muß alle seine Waaren sauber und zierlich in Papier einwickeln; wie selten wird wohl dabei gedacht, daß die so sauberen Torten=Unterlagen und das zart farbige Emballagen=Papier des Konditors aus den so sehr verachteten Lumpen hervorgegangen sind, und daß es ohne Papier dabei fast nicht geht? Wir sind gegenwärtig so sehr mit dem Papier zusammengewachsen, daß wir ohne Papier, ich möchte sagen, nicht eine Stunde sein können, und haben die papiernen Chinesen längst eingeholt, wo nicht schon übertroffen; papierne Kragen von großer Zartheit und papierne Strümpfe werden ja schon gemacht, und zu papiernen Taschentüchern, wie bei den Chinesen, kann immer noch Rath werden. Schon als kleinen Kindern tritt Papier in Gestalt von Bilderbüchern uns nahe; später lernen wir lesen, schreiben und zeichnen auf Papier und benutzen Papier zu mannigfachster Kurzweil und kindlichen Spiele- reien, und so begleitet uns das Papier auf allen unseren späteren Lebens- wegen, als Tauf=, Jmpf=, Konfirmandenschein, Lehrbrief, Paß, Aufgebot=, Trau= und Todtenschein u. s. w., kurz, wir gebrauchen zu allen Zeiten und in allen Verhältnissen der papiernen Erlaubniß und Legitimation. Der Pre- diger, Beamte, Kauf= und Geschäftsmann bringt Alles zu Papier, um zu konstatiren und konserviren; wir benutzen Papier als Geld und zu hohen Werthzeichen, schließen unsere Kauf= und Streitsachen auf Papier, der Gelehrte und der Schreiblustige legt seine Erfindungen und Erfahrungen auf Papier nieder; und überdauern nicht die papiernen Denkmäler einer großen, ruhmreichen Vergangenheit Stein und Erz? Und was benutzen wir für Papier zu Familien=, Liebes=, Freundschafts=, Dank=, Trost=, Geschäfts= und anderen Briefen, und welche Fernen durchmißt dieser ver- schwiegene Bote? Auch der Telegraph schreibt auf Papier, und unser Photographien=Album ist auch von Papier. Ohne Lumpen aber giebt es eben kein Papier nach unseren Anfor- derungen und Begriffen, und es giebt kein Surrogat, welches die Lum- pen ersetzen könnte; Alles was davon bis jetzt bekannt ist, so werthvoll es auch ist, kann die Hadern nur ergänzen, nie ersetzen. So geben Flachs, Hanf, Baumwolle nur sehr unvollkommene oder eigenthümliche Papiersorten, die zudem noch so ungemein theuer würden, daß sie für den allgemeinen und gewöhnlichen Verkehr gar nicht zu gebrauchen wären; die Papierfabrikation muß diese präparirten Pflanzenstoffe, diese Lumpen haben. Aber auch Ehrfurcht sollen wir für diese Ueberbleibsel von Arbeit haben. Mit welcher Achtung bewacht die Großmutter ihren Wäscheschrank, und mit welcher Genugthuung und Freude sammelt die Braut die Ausstattung auf! Welche unendliche Mühe, Entbehrung und Sorge knüpft sich an so manches Stück, aber auch welche Freude und Hoffnung! Welcher Kontrast zwischen dem reichen Kleide der reichen Braut und der ersten selbstver- dienten Schürze, der durch die Nähmaschine gefertigten reichen Ausstattung und dem ersten selbstgesponnenen, selbstgebleichten und gesäumten Handtuch! So sind wir denn Alle im Dienst der Lumpenproduktion und arbeiten fortwährend für dieselbe, und zwar ohne allen Unterschied, vom Sammet- mantel bis zum Leinenkittel. Folgende Zusammenstellung mag über den Werth und Absatz dieses Artikels näheren Aufschluß geben. Frankreich verbraucht jährlich 115 Millionen Kilogramm Hadern; es betrug in den ersten neun Monaten 1866 die Einfuhr 7,914,000 Kilogramm; die Ausfuhr 2,829,000 Kilogramm.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 27. Berlin, 5. Juli 1868, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt27_1868/6>, abgerufen am 27.07.2024.