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Sonntags-Blatt. Nr. 23. Berlin, 7. Juni 1868.

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[Beginn Spaltensatz]

Der Assessor überlegte nur kurze Zeit, dann willigte er ein.

"Wie eine Verbrecherin fliehe ich aus diesem Hause", sagte Helene mit
einem Seufzer. "Jch hatte nicht geglaubt, es so verlassen zu müssen!"

Sie hatte sich dabei in einen Shawl gehüllt und war im Begriff,
den Hut aufzusetzen, als der Banquier eintrat und verwundert fragte,
wohin sie sich begeben wolle.

Helene zögerte; dann schritt sie schnell auf ihn zu.

"Sie selbst haben eine Tochter und fordern von ihr Gehorsam.
Jch will, wie mein Vater es verlangt, zu ihm zurückkehren. Er
wird, so hoffe ich, seine Hartherzigkeit erkennen, und dann werden wir
uns wiedersehen. Gott sei mit Jhnen!"

Sie suchte ihre Kräfte zusammenzuraffen und die Thür zu erreichen,
der Banquier eilte ihr nach und zog sie zurück. Sie sank erschöpft
auf das Sopha.

Hohenfeld hatte ein sehr ernstes, feierliches Aussehen, als er den
Assessor bat, ihn mit Helene allein zu lassen. Er ersuchte ihn, seine
Tochter in ihrem Zimmer aufzusuchen; er werde ihn benachrichtigen,
wenn die Unterredung zu Ende sei und dann seine Hülfe in Anspruch
nehmen.

Der [unleserliches Material - 8 Zeichen fehlen]Assessor ging; Hohenfeld setzte sich neben das Sopha, auf
welchem Helene schwer athmend mit geschlossenen Augen saß.

"Hören Sie mich an", begann er, "ruhig an, und sparen Sie jede
Widerrede, bis ich ausgesprochen habe. Alles, was ich jetzt vorbringe,
würde Jhnen verschwiegen geblieben sein, wenn nicht die Umstände mich
zu einem Entschluß gewaltsam drängten. Es mag für Sie ein
Schweres sein, aus diesem Hause, in welchem Sie sich wohl befanden,
zu scheiden, um in eine widerwärtige Lage zurückzukehren; ich glaube,
es ist für Sie schwer, aber Sie sind jung, und in der Jugend ver-
zagt man nicht, wenn das Schicksal gegen uns ankämpft; die Hoff-
nung auf endlichen Sieg ist ja nicht so leicht zu vernichten. Jch bin
ein alter Mann und kenne das Wort: Verloren! Als ich jung war,
hatte ich mit vieler Mühe und vielem Ringen -- Helene, mit einem
Verbrechen mir ein Glück erkauft, welches ich festzuhalten suchte, wie
der Dieb seinen Raub. Eines Tages war es dahin; das Weib,
für deren Besitz ich kein Mittel gescheut, und deren Besitz mich
glücklich gemacht hatte, war verschwunden, war mir verloren. Jch
habe sie auf dieser Erde gesucht -- nach keinem Kleinod wird eif-
riger geforscht, als ich nach ihr forschte; ich durchreiste alle Länder, ich
habe sie nicht mehr gefunden. Nichts besitze ich mehr, was an sie
erinnert, als jenes Bild, welches ich Jhnen gezeigt habe. Die Aehn-
lichkeit, die fast völlige Gleichheit der Züge hat Sie mir werth ge-
macht, Helene. Und dennoch sind Jhre Lebensumstände, wie Sie
mir [unleserliches Material - 9 Zeichen fehlen]dieselben mitgetheilt haben und die ich noch genauer ergründen
werde, derartig, daß ich an einen Zusammenhang, an eine Verwandt-
schaft mit jener Frau, welche ich über Alles liebte, nicht glauben
kann. Durch Sie aber ist mir jenes verlorene Paradies wieder in
der Tiefe der Seele auferstanden, und es ist mir ein Bedürfniß ge-
worden, Sie anzuschauen. Sie sind kein fremdes Wesen in meiner
Häuslichkeit; wenn ich auch von Jhrer Liebenswürdigkeit und Jhrem
Charakter absehe, ist schon das Eine genügend, mich an Sie zu
fesseln, die süße Erinnerung, welche Jhr Anblick mir gewährt. Und
können Sie jetzt, nachdem Sie diese Aufklärung angehört haben,
daran zweifeln, daß Jhr Scheiden mich in die größte Betrübniß ver-
setzen würde? Jch würde mich wieder elend und verlassen fühlen, wie
zuvor. Aber es ist mir kein Recht gewährt, Sie zu halten, Sie
gegen die Forderung Jhres Vaters in Schutz zu nehmen. Und auf
diesen Punkt möchte ich jetzt Jhre Aufmerksamkeit lenken. Ein ein-
ziges Mittel giebt es, Sie Jhrem Vater zu entreißen. Sie können
sich nur dann von ihm lossagen, wenn Sie sich vermählen. Jch
habe lange geschwankt und alle Bedenken, welche in diesem Falle
groß genug sind, bei mir erwogen; aber ich finde kein anderes Mittel
und [unleserliches Material - 10 Zeichen fehlen]erschrecke nicht mehr davor, Jhnen den Antrag zu machen --
meine Frau zu werden. Sie beben zurück? Glauben Sie mir,
[unleserliches Material - 6 Zeichen fehlen]Helene, ich bin nicht so thöricht, mir, dem bejahrten Manne, es zu-
trauen zu wollen, daß ich Jhre Liebe mir erwerben könnte. Sie
würden in diesem Hause alle die Annehmlichkeiten genießen, welche
Sie bisher gehabt haben; Sie würden außerdem in die bevorzugte
Stellung der Hausfrau eintreten, und ich selbst würde für mich nichts
weiter fordern, als Jhre Achtung und die Anhänglichkeit, welche Sie
bisher schon für mein Haus bewiesen haben."

Er hielt inne und sah nach Helene hin. Diese hatte mit der
einen Hand die Augen verdeckt; sie saß unbeweglich und schwieg.

"Noch ein anderer Bewerber um Jhre Hand", fuhr er fort, "ist
aufgetreten, der mein Schwiegersohn werden sollte und nun jedem
Recht auf meine Tochter entsagt hat, um Jhre Zusage zu erlangen.
[unleserliches Material - 7 Zeichen fehlen]Treffen Sie zwischen uns Beiden Jhre Wahl; prüfen Sie sich ge-
wissenhaft, ob nicht ein lebendiges Jnteresse für ihn, den Jüngeren,
in Jhrem Jnnern spricht. Jch versichere Jhnen, ich werde ohne
irgend welchen Groll zurückstehen. Die Befestigung Jhres Glücks
gilt mir als das Erste, wofür zu sorgen ist, und in beiden Fällen ist
Jhr Schicksal gesichert. Zwar ungern würde ich Sie aus meinem
[Spaltenumbruch] Hause gehen lassen; aber wenn auch die Beziehungen zu mir und
meiner Tochter gelöst wären -- und sie würden es durch diese Hei-
rath sein -- so hätte ich doch wenigstens die Beruhigung, daß Sie in
guter Lage sich befinden; denn wie ich ihm meine Tochter anvertraut
haben würde, so können auch Sie mit sicherem Vertrauen auf eine
frohe Zukunft ihm die Hand reichen. Können Sie sich entscheiden,
Helene? Der Abend bricht an, Jhr Vater muß eine Nachricht erhalten,
welche entscheidend ist. Was wollen Sie thun?"

Sie richtete sich langsam auf und zog ihren Shawl fest um die
Schultern; einen langen besorgten Blick warf sie auf den vor ihr
Stehenden, dann reichte sie ihm die Hand und sagte:

"Sie haben Recht; es ist die höchste Zeit, daß ich -- zu meinem
Vater gehe."

"Helene!" rief der Banquier. "Das also ist Jhr Wille? Alle
unsere Liebe hat Sie nicht an uns fesseln können?"

"Jch weiß nicht, was mich plötzlich entschlossen macht; aber ich
fühle es, ich darf nicht länger hier verweilen", lispelte sie, indem
sie sich von ihm abwandte.

"Sie verwerfen meinen Antrag? Nichtsdestoweniger ist Jhnen
die Gastlichkeit dieses Hauses nicht versagt. Bleiben Sie bei uns,
Helene", sprach er in bittendem Ton.

"Eine unsagbare Angst treibt mich von hier weg. Lassen Sie
mich meinem Gefühl folgen!"

"Werfen Sie einen Blick um sich her! Jst Jhnen so gar nichts
lieb geworden in diesen Räumen, daß Sie in solcher Weise sich ent-
fernen wollen?"

"Mein Vater!" schluchzte sie und reichte ihm beide Hände.

Er zog sie an sich, legte den einen Arm um sie, und leise, als
wenn er ihren Schmerz nicht hätte stören wollen, redete er nochmals
zu seinen Gunsten, drang er nochmals in sie, ihn, der sie als das
Höchste auf Erden schätze, nicht zu verlassen.

Sie sah ihm mit ihrem klaren Blick ohne Bewegung ins Auge,
nur der geschlossene Mund zuckte schmerzlich, als er immer eindring-
licher sprach. Jm Zimmer hatte sich das Halbdunkel der Dämmerung
ausgebreitet; der aufgehende Mond ließ einige Strahlen matt bis in
die Mitte des Zimmers gleiten, wo die Beiden unbeweglich standen.

"Jch kann nicht Jhre Gattin werden", sagte sie sanft. "Jch würde
Sie betrügen."

"Lieben Sie den Arzt, Helene?" Sie schwieg. "Und dennoch
haben Sie ihn abgewiesen?"

"Jch würde es nochmals thun, wenn er wieder um mich würbe."

"Sie wollen nicht Mariens Glück stören, liebes Kind, und ver-
nichten das eigene!"

"Es ist vernichtet. Und nun lassen Sie mich gehen."

"Zu Jhrem Vater? Wenn Sie jetzt bei ihm, abgeschlossen und
kummervoll leben, müssen Sie zu Grunde gehen."

"Jch habe jetzt eine Erinnerung, welche mich aufrecht erhalten
wird, die mir die Sonnenstrahlen des Glücks ersetzt."

"Jch kenne diesen Ersatz, Helene! Er wirkt wie ein langsames
Gift und zerstört jede Regung unseres Herzens."

Der Diener brachte Licht. Hohenfeld wandte sich mit dem schmerz-
lichen Ton, welcher eben in ihm geklungen hatte, an diesen, so daß
dieser ihn verwundert ansah. Er befahl, den Assessor herbeizurufen.

Kaum hatte der Diener die Thür geschlossen, so rief Helene heftig:

"Sprechen Sie nicht von meiner Liebe zu ihm! Jch schwöre es
Jhnen, daß ich lieber bei meinem Vater untergehen, als ihm ange-
hören will!"

"Dann, Helene, weiß ich nicht mehr, wie ich Sie zurück-
halten kann."

"O, meine Mutter!" rief sie, und die Thränen stürzten ihr aus
den Augen. "Das Bild ihrer letzten Stunde taucht wieder in mir
auf; kein Zug des Leidens war mehr auf ihrem Antlitz."

"Und daran denken Sie jetzt, Helene?"

"Ausgelitten zu haben -- nach langem Kampf!"

"Können Sie nicht selbst einen Versuch bei Jhrem Vater machen,
seinen Sinn zu ändern?"

"Nie werde ich es thun. Jch habe es einst gesehen, wie meine
Mutter ihn flehend anging, und wie er sie hohnlachend zurückwies.
Seit dieser Zeit kam keine Bitte über meine Lippen."

Der Banquier ging unruhig im Zimmer auf und ab. Helene
wandte sich nach dem Fenster; sie sah hinaus auf den Garten und legte
dabei ihre glühende Stirn an die kalte Fensterscheibe.

Plötzlich entfuhr ihr ein heiserer, gepreßter Schrei, und sie bog
sich zurück. An einem der Bäume an dem Ausgang des Gartens lehnte
Ludwig, welcher, von innerer Unruhe getrieben, seine Wohnung ver-
lassen hatte und nun zu dem erleuchteten Zimmer hinauf sah, dessen
Betreten ihm verwehrt war.

Und eben, als sie sich zurück bog, schritt eine zweite Gestalt
schnell an dem Arzt vorüber und eilte auf das Haus zu. Der Arzt
hatte sie erkannt und schlich ihr nach; es war Helenens Vater.

( Fortsetzung folgt. )

[Ende Spaltensatz]
[Beginn Spaltensatz]

Der Assessor überlegte nur kurze Zeit, dann willigte er ein.

„Wie eine Verbrecherin fliehe ich aus diesem Hause“, sagte Helene mit
einem Seufzer. „Jch hatte nicht geglaubt, es so verlassen zu müssen!“

Sie hatte sich dabei in einen Shawl gehüllt und war im Begriff,
den Hut aufzusetzen, als der Banquier eintrat und verwundert fragte,
wohin sie sich begeben wolle.

Helene zögerte; dann schritt sie schnell auf ihn zu.

„Sie selbst haben eine Tochter und fordern von ihr Gehorsam.
Jch will, wie mein Vater es verlangt, zu ihm zurückkehren. Er
wird, so hoffe ich, seine Hartherzigkeit erkennen, und dann werden wir
uns wiedersehen. Gott sei mit Jhnen!“

Sie suchte ihre Kräfte zusammenzuraffen und die Thür zu erreichen,
der Banquier eilte ihr nach und zog sie zurück. Sie sank erschöpft
auf das Sopha.

Hohenfeld hatte ein sehr ernstes, feierliches Aussehen, als er den
Assessor bat, ihn mit Helene allein zu lassen. Er ersuchte ihn, seine
Tochter in ihrem Zimmer aufzusuchen; er werde ihn benachrichtigen,
wenn die Unterredung zu Ende sei und dann seine Hülfe in Anspruch
nehmen.

Der [unleserliches Material – 8 Zeichen fehlen]Assessor ging; Hohenfeld setzte sich neben das Sopha, auf
welchem Helene schwer athmend mit geschlossenen Augen saß.

„Hören Sie mich an“, begann er, „ruhig an, und sparen Sie jede
Widerrede, bis ich ausgesprochen habe. Alles, was ich jetzt vorbringe,
würde Jhnen verschwiegen geblieben sein, wenn nicht die Umstände mich
zu einem Entschluß gewaltsam drängten. Es mag für Sie ein
Schweres sein, aus diesem Hause, in welchem Sie sich wohl befanden,
zu scheiden, um in eine widerwärtige Lage zurückzukehren; ich glaube,
es ist für Sie schwer, aber Sie sind jung, und in der Jugend ver-
zagt man nicht, wenn das Schicksal gegen uns ankämpft; die Hoff-
nung auf endlichen Sieg ist ja nicht so leicht zu vernichten. Jch bin
ein alter Mann und kenne das Wort: Verloren! Als ich jung war,
hatte ich mit vieler Mühe und vielem Ringen — Helene, mit einem
Verbrechen mir ein Glück erkauft, welches ich festzuhalten suchte, wie
der Dieb seinen Raub. Eines Tages war es dahin; das Weib,
für deren Besitz ich kein Mittel gescheut, und deren Besitz mich
glücklich gemacht hatte, war verschwunden, war mir verloren. Jch
habe sie auf dieser Erde gesucht — nach keinem Kleinod wird eif-
riger geforscht, als ich nach ihr forschte; ich durchreiste alle Länder, ich
habe sie nicht mehr gefunden. Nichts besitze ich mehr, was an sie
erinnert, als jenes Bild, welches ich Jhnen gezeigt habe. Die Aehn-
lichkeit, die fast völlige Gleichheit der Züge hat Sie mir werth ge-
macht, Helene. Und dennoch sind Jhre Lebensumstände, wie Sie
mir [unleserliches Material – 9 Zeichen fehlen]dieselben mitgetheilt haben und die ich noch genauer ergründen
werde, derartig, daß ich an einen Zusammenhang, an eine Verwandt-
schaft mit jener Frau, welche ich über Alles liebte, nicht glauben
kann. Durch Sie aber ist mir jenes verlorene Paradies wieder in
der Tiefe der Seele auferstanden, und es ist mir ein Bedürfniß ge-
worden, Sie anzuschauen. Sie sind kein fremdes Wesen in meiner
Häuslichkeit; wenn ich auch von Jhrer Liebenswürdigkeit und Jhrem
Charakter absehe, ist schon das Eine genügend, mich an Sie zu
fesseln, die süße Erinnerung, welche Jhr Anblick mir gewährt. Und
können Sie jetzt, nachdem Sie diese Aufklärung angehört haben,
daran zweifeln, daß Jhr Scheiden mich in die größte Betrübniß ver-
setzen würde? Jch würde mich wieder elend und verlassen fühlen, wie
zuvor. Aber es ist mir kein Recht gewährt, Sie zu halten, Sie
gegen die Forderung Jhres Vaters in Schutz zu nehmen. Und auf
diesen Punkt möchte ich jetzt Jhre Aufmerksamkeit lenken. Ein ein-
ziges Mittel giebt es, Sie Jhrem Vater zu entreißen. Sie können
sich nur dann von ihm lossagen, wenn Sie sich vermählen. Jch
habe lange geschwankt und alle Bedenken, welche in diesem Falle
groß genug sind, bei mir erwogen; aber ich finde kein anderes Mittel
und [unleserliches Material – 10 Zeichen fehlen]erschrecke nicht mehr davor, Jhnen den Antrag zu machen —
meine Frau zu werden. Sie beben zurück? Glauben Sie mir,
[unleserliches Material – 6 Zeichen fehlen]Helene, ich bin nicht so thöricht, mir, dem bejahrten Manne, es zu-
trauen zu wollen, daß ich Jhre Liebe mir erwerben könnte. Sie
würden in diesem Hause alle die Annehmlichkeiten genießen, welche
Sie bisher gehabt haben; Sie würden außerdem in die bevorzugte
Stellung der Hausfrau eintreten, und ich selbst würde für mich nichts
weiter fordern, als Jhre Achtung und die Anhänglichkeit, welche Sie
bisher schon für mein Haus bewiesen haben.“

Er hielt inne und sah nach Helene hin. Diese hatte mit der
einen Hand die Augen verdeckt; sie saß unbeweglich und schwieg.

„Noch ein anderer Bewerber um Jhre Hand“, fuhr er fort, „ist
aufgetreten, der mein Schwiegersohn werden sollte und nun jedem
Recht auf meine Tochter entsagt hat, um Jhre Zusage zu erlangen.
[unleserliches Material – 7 Zeichen fehlen]Treffen Sie zwischen uns Beiden Jhre Wahl; prüfen Sie sich ge-
wissenhaft, ob nicht ein lebendiges Jnteresse für ihn, den Jüngeren,
in Jhrem Jnnern spricht. Jch versichere Jhnen, ich werde ohne
irgend welchen Groll zurückstehen. Die Befestigung Jhres Glücks
gilt mir als das Erste, wofür zu sorgen ist, und in beiden Fällen ist
Jhr Schicksal gesichert. Zwar ungern würde ich Sie aus meinem
[Spaltenumbruch] Hause gehen lassen; aber wenn auch die Beziehungen zu mir und
meiner Tochter gelöst wären — und sie würden es durch diese Hei-
rath sein — so hätte ich doch wenigstens die Beruhigung, daß Sie in
guter Lage sich befinden; denn wie ich ihm meine Tochter anvertraut
haben würde, so können auch Sie mit sicherem Vertrauen auf eine
frohe Zukunft ihm die Hand reichen. Können Sie sich entscheiden,
Helene? Der Abend bricht an, Jhr Vater muß eine Nachricht erhalten,
welche entscheidend ist. Was wollen Sie thun?“

Sie richtete sich langsam auf und zog ihren Shawl fest um die
Schultern; einen langen besorgten Blick warf sie auf den vor ihr
Stehenden, dann reichte sie ihm die Hand und sagte:

„Sie haben Recht; es ist die höchste Zeit, daß ich — zu meinem
Vater gehe.“

„Helene!“ rief der Banquier. „Das also ist Jhr Wille? Alle
unsere Liebe hat Sie nicht an uns fesseln können?“

„Jch weiß nicht, was mich plötzlich entschlossen macht; aber ich
fühle es, ich darf nicht länger hier verweilen“, lispelte sie, indem
sie sich von ihm abwandte.

„Sie verwerfen meinen Antrag? Nichtsdestoweniger ist Jhnen
die Gastlichkeit dieses Hauses nicht versagt. Bleiben Sie bei uns,
Helene“, sprach er in bittendem Ton.

„Eine unsagbare Angst treibt mich von hier weg. Lassen Sie
mich meinem Gefühl folgen!“

„Werfen Sie einen Blick um sich her! Jst Jhnen so gar nichts
lieb geworden in diesen Räumen, daß Sie in solcher Weise sich ent-
fernen wollen?“

„Mein Vater!“ schluchzte sie und reichte ihm beide Hände.

Er zog sie an sich, legte den einen Arm um sie, und leise, als
wenn er ihren Schmerz nicht hätte stören wollen, redete er nochmals
zu seinen Gunsten, drang er nochmals in sie, ihn, der sie als das
Höchste auf Erden schätze, nicht zu verlassen.

Sie sah ihm mit ihrem klaren Blick ohne Bewegung ins Auge,
nur der geschlossene Mund zuckte schmerzlich, als er immer eindring-
licher sprach. Jm Zimmer hatte sich das Halbdunkel der Dämmerung
ausgebreitet; der aufgehende Mond ließ einige Strahlen matt bis in
die Mitte des Zimmers gleiten, wo die Beiden unbeweglich standen.

„Jch kann nicht Jhre Gattin werden“, sagte sie sanft. „Jch würde
Sie betrügen.“

„Lieben Sie den Arzt, Helene?“ Sie schwieg. „Und dennoch
haben Sie ihn abgewiesen?“

„Jch würde es nochmals thun, wenn er wieder um mich würbe.“

„Sie wollen nicht Mariens Glück stören, liebes Kind, und ver-
nichten das eigene!“

„Es ist vernichtet. Und nun lassen Sie mich gehen.“

„Zu Jhrem Vater? Wenn Sie jetzt bei ihm, abgeschlossen und
kummervoll leben, müssen Sie zu Grunde gehen.“

„Jch habe jetzt eine Erinnerung, welche mich aufrecht erhalten
wird, die mir die Sonnenstrahlen des Glücks ersetzt.“

„Jch kenne diesen Ersatz, Helene! Er wirkt wie ein langsames
Gift und zerstört jede Regung unseres Herzens.“

Der Diener brachte Licht. Hohenfeld wandte sich mit dem schmerz-
lichen Ton, welcher eben in ihm geklungen hatte, an diesen, so daß
dieser ihn verwundert ansah. Er befahl, den Assessor herbeizurufen.

Kaum hatte der Diener die Thür geschlossen, so rief Helene heftig:

„Sprechen Sie nicht von meiner Liebe zu ihm! Jch schwöre es
Jhnen, daß ich lieber bei meinem Vater untergehen, als ihm ange-
hören will!“

„Dann, Helene, weiß ich nicht mehr, wie ich Sie zurück-
halten kann.“

„O, meine Mutter!“ rief sie, und die Thränen stürzten ihr aus
den Augen. „Das Bild ihrer letzten Stunde taucht wieder in mir
auf; kein Zug des Leidens war mehr auf ihrem Antlitz.“

„Und daran denken Sie jetzt, Helene?“

„Ausgelitten zu haben — nach langem Kampf!“

„Können Sie nicht selbst einen Versuch bei Jhrem Vater machen,
seinen Sinn zu ändern?“

„Nie werde ich es thun. Jch habe es einst gesehen, wie meine
Mutter ihn flehend anging, und wie er sie hohnlachend zurückwies.
Seit dieser Zeit kam keine Bitte über meine Lippen.“

Der Banquier ging unruhig im Zimmer auf und ab. Helene
wandte sich nach dem Fenster; sie sah hinaus auf den Garten und legte
dabei ihre glühende Stirn an die kalte Fensterscheibe.

Plötzlich entfuhr ihr ein heiserer, gepreßter Schrei, und sie bog
sich zurück. An einem der Bäume an dem Ausgang des Gartens lehnte
Ludwig, welcher, von innerer Unruhe getrieben, seine Wohnung ver-
lassen hatte und nun zu dem erleuchteten Zimmer hinauf sah, dessen
Betreten ihm verwehrt war.

Und eben, als sie sich zurück bog, schritt eine zweite Gestalt
schnell an dem Arzt vorüber und eilte auf das Haus zu. Der Arzt
hatte sie erkannt und schlich ihr nach; es war Helenens Vater.

( Fortsetzung folgt. )

[Ende Spaltensatz]
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[179/0003] 179 Der Assessor überlegte nur kurze Zeit, dann willigte er ein. „Wie eine Verbrecherin fliehe ich aus diesem Hause“, sagte Helene mit einem Seufzer. „Jch hatte nicht geglaubt, es so verlassen zu müssen!“ Sie hatte sich dabei in einen Shawl gehüllt und war im Begriff, den Hut aufzusetzen, als der Banquier eintrat und verwundert fragte, wohin sie sich begeben wolle. Helene zögerte; dann schritt sie schnell auf ihn zu. „Sie selbst haben eine Tochter und fordern von ihr Gehorsam. Jch will, wie mein Vater es verlangt, zu ihm zurückkehren. Er wird, so hoffe ich, seine Hartherzigkeit erkennen, und dann werden wir uns wiedersehen. Gott sei mit Jhnen!“ Sie suchte ihre Kräfte zusammenzuraffen und die Thür zu erreichen, der Banquier eilte ihr nach und zog sie zurück. Sie sank erschöpft auf das Sopha. Hohenfeld hatte ein sehr ernstes, feierliches Aussehen, als er den Assessor bat, ihn mit Helene allein zu lassen. Er ersuchte ihn, seine Tochter in ihrem Zimmer aufzusuchen; er werde ihn benachrichtigen, wenn die Unterredung zu Ende sei und dann seine Hülfe in Anspruch nehmen. Der ________Assessor ging; Hohenfeld setzte sich neben das Sopha, auf welchem Helene schwer athmend mit geschlossenen Augen saß. „Hören Sie mich an“, begann er, „ruhig an, und sparen Sie jede Widerrede, bis ich ausgesprochen habe. Alles, was ich jetzt vorbringe, würde Jhnen verschwiegen geblieben sein, wenn nicht die Umstände mich zu einem Entschluß gewaltsam drängten. Es mag für Sie ein Schweres sein, aus diesem Hause, in welchem Sie sich wohl befanden, zu scheiden, um in eine widerwärtige Lage zurückzukehren; ich glaube, es ist für Sie schwer, aber Sie sind jung, und in der Jugend ver- zagt man nicht, wenn das Schicksal gegen uns ankämpft; die Hoff- nung auf endlichen Sieg ist ja nicht so leicht zu vernichten. Jch bin ein alter Mann und kenne das Wort: Verloren! Als ich jung war, hatte ich mit vieler Mühe und vielem Ringen — Helene, mit einem Verbrechen mir ein Glück erkauft, welches ich festzuhalten suchte, wie der Dieb seinen Raub. Eines Tages war es dahin; das Weib, für deren Besitz ich kein Mittel gescheut, und deren Besitz mich glücklich gemacht hatte, war verschwunden, war mir verloren. Jch habe sie auf dieser Erde gesucht — nach keinem Kleinod wird eif- riger geforscht, als ich nach ihr forschte; ich durchreiste alle Länder, ich habe sie nicht mehr gefunden. Nichts besitze ich mehr, was an sie erinnert, als jenes Bild, welches ich Jhnen gezeigt habe. Die Aehn- lichkeit, die fast völlige Gleichheit der Züge hat Sie mir werth ge- macht, Helene. Und dennoch sind Jhre Lebensumstände, wie Sie mir _________dieselben mitgetheilt haben und die ich noch genauer ergründen werde, derartig, daß ich an einen Zusammenhang, an eine Verwandt- schaft mit jener Frau, welche ich über Alles liebte, nicht glauben kann. Durch Sie aber ist mir jenes verlorene Paradies wieder in der Tiefe der Seele auferstanden, und es ist mir ein Bedürfniß ge- worden, Sie anzuschauen. Sie sind kein fremdes Wesen in meiner Häuslichkeit; wenn ich auch von Jhrer Liebenswürdigkeit und Jhrem Charakter absehe, ist schon das Eine genügend, mich an Sie zu fesseln, die süße Erinnerung, welche Jhr Anblick mir gewährt. Und können Sie jetzt, nachdem Sie diese Aufklärung angehört haben, daran zweifeln, daß Jhr Scheiden mich in die größte Betrübniß ver- setzen würde? Jch würde mich wieder elend und verlassen fühlen, wie zuvor. Aber es ist mir kein Recht gewährt, Sie zu halten, Sie gegen die Forderung Jhres Vaters in Schutz zu nehmen. Und auf diesen Punkt möchte ich jetzt Jhre Aufmerksamkeit lenken. Ein ein- ziges Mittel giebt es, Sie Jhrem Vater zu entreißen. Sie können sich nur dann von ihm lossagen, wenn Sie sich vermählen. Jch habe lange geschwankt und alle Bedenken, welche in diesem Falle groß genug sind, bei mir erwogen; aber ich finde kein anderes Mittel und __________erschrecke nicht mehr davor, Jhnen den Antrag zu machen — meine Frau zu werden. Sie beben zurück? Glauben Sie mir, ______Helene, ich bin nicht so thöricht, mir, dem bejahrten Manne, es zu- trauen zu wollen, daß ich Jhre Liebe mir erwerben könnte. Sie würden in diesem Hause alle die Annehmlichkeiten genießen, welche Sie bisher gehabt haben; Sie würden außerdem in die bevorzugte Stellung der Hausfrau eintreten, und ich selbst würde für mich nichts weiter fordern, als Jhre Achtung und die Anhänglichkeit, welche Sie bisher schon für mein Haus bewiesen haben.“ Er hielt inne und sah nach Helene hin. Diese hatte mit der einen Hand die Augen verdeckt; sie saß unbeweglich und schwieg. „Noch ein anderer Bewerber um Jhre Hand“, fuhr er fort, „ist aufgetreten, der mein Schwiegersohn werden sollte und nun jedem Recht auf meine Tochter entsagt hat, um Jhre Zusage zu erlangen. _______Treffen Sie zwischen uns Beiden Jhre Wahl; prüfen Sie sich ge- wissenhaft, ob nicht ein lebendiges Jnteresse für ihn, den Jüngeren, in Jhrem Jnnern spricht. Jch versichere Jhnen, ich werde ohne irgend welchen Groll zurückstehen. Die Befestigung Jhres Glücks gilt mir als das Erste, wofür zu sorgen ist, und in beiden Fällen ist Jhr Schicksal gesichert. Zwar ungern würde ich Sie aus meinem Hause gehen lassen; aber wenn auch die Beziehungen zu mir und meiner Tochter gelöst wären — und sie würden es durch diese Hei- rath sein — so hätte ich doch wenigstens die Beruhigung, daß Sie in guter Lage sich befinden; denn wie ich ihm meine Tochter anvertraut haben würde, so können auch Sie mit sicherem Vertrauen auf eine frohe Zukunft ihm die Hand reichen. Können Sie sich entscheiden, Helene? Der Abend bricht an, Jhr Vater muß eine Nachricht erhalten, welche entscheidend ist. Was wollen Sie thun?“ Sie richtete sich langsam auf und zog ihren Shawl fest um die Schultern; einen langen besorgten Blick warf sie auf den vor ihr Stehenden, dann reichte sie ihm die Hand und sagte: „Sie haben Recht; es ist die höchste Zeit, daß ich — zu meinem Vater gehe.“ „Helene!“ rief der Banquier. „Das also ist Jhr Wille? Alle unsere Liebe hat Sie nicht an uns fesseln können?“ „Jch weiß nicht, was mich plötzlich entschlossen macht; aber ich fühle es, ich darf nicht länger hier verweilen“, lispelte sie, indem sie sich von ihm abwandte. „Sie verwerfen meinen Antrag? Nichtsdestoweniger ist Jhnen die Gastlichkeit dieses Hauses nicht versagt. Bleiben Sie bei uns, Helene“, sprach er in bittendem Ton. „Eine unsagbare Angst treibt mich von hier weg. Lassen Sie mich meinem Gefühl folgen!“ „Werfen Sie einen Blick um sich her! Jst Jhnen so gar nichts lieb geworden in diesen Räumen, daß Sie in solcher Weise sich ent- fernen wollen?“ „Mein Vater!“ schluchzte sie und reichte ihm beide Hände. Er zog sie an sich, legte den einen Arm um sie, und leise, als wenn er ihren Schmerz nicht hätte stören wollen, redete er nochmals zu seinen Gunsten, drang er nochmals in sie, ihn, der sie als das Höchste auf Erden schätze, nicht zu verlassen. Sie sah ihm mit ihrem klaren Blick ohne Bewegung ins Auge, nur der geschlossene Mund zuckte schmerzlich, als er immer eindring- licher sprach. Jm Zimmer hatte sich das Halbdunkel der Dämmerung ausgebreitet; der aufgehende Mond ließ einige Strahlen matt bis in die Mitte des Zimmers gleiten, wo die Beiden unbeweglich standen. „Jch kann nicht Jhre Gattin werden“, sagte sie sanft. „Jch würde Sie betrügen.“ „Lieben Sie den Arzt, Helene?“ Sie schwieg. „Und dennoch haben Sie ihn abgewiesen?“ „Jch würde es nochmals thun, wenn er wieder um mich würbe.“ „Sie wollen nicht Mariens Glück stören, liebes Kind, und ver- nichten das eigene!“ „Es ist vernichtet. Und nun lassen Sie mich gehen.“ „Zu Jhrem Vater? Wenn Sie jetzt bei ihm, abgeschlossen und kummervoll leben, müssen Sie zu Grunde gehen.“ „Jch habe jetzt eine Erinnerung, welche mich aufrecht erhalten wird, die mir die Sonnenstrahlen des Glücks ersetzt.“ „Jch kenne diesen Ersatz, Helene! Er wirkt wie ein langsames Gift und zerstört jede Regung unseres Herzens.“ Der Diener brachte Licht. Hohenfeld wandte sich mit dem schmerz- lichen Ton, welcher eben in ihm geklungen hatte, an diesen, so daß dieser ihn verwundert ansah. Er befahl, den Assessor herbeizurufen. Kaum hatte der Diener die Thür geschlossen, so rief Helene heftig: „Sprechen Sie nicht von meiner Liebe zu ihm! Jch schwöre es Jhnen, daß ich lieber bei meinem Vater untergehen, als ihm ange- hören will!“ „Dann, Helene, weiß ich nicht mehr, wie ich Sie zurück- halten kann.“ „O, meine Mutter!“ rief sie, und die Thränen stürzten ihr aus den Augen. „Das Bild ihrer letzten Stunde taucht wieder in mir auf; kein Zug des Leidens war mehr auf ihrem Antlitz.“ „Und daran denken Sie jetzt, Helene?“ „Ausgelitten zu haben — nach langem Kampf!“ „Können Sie nicht selbst einen Versuch bei Jhrem Vater machen, seinen Sinn zu ändern?“ „Nie werde ich es thun. Jch habe es einst gesehen, wie meine Mutter ihn flehend anging, und wie er sie hohnlachend zurückwies. Seit dieser Zeit kam keine Bitte über meine Lippen.“ Der Banquier ging unruhig im Zimmer auf und ab. Helene wandte sich nach dem Fenster; sie sah hinaus auf den Garten und legte dabei ihre glühende Stirn an die kalte Fensterscheibe. Plötzlich entfuhr ihr ein heiserer, gepreßter Schrei, und sie bog sich zurück. An einem der Bäume an dem Ausgang des Gartens lehnte Ludwig, welcher, von innerer Unruhe getrieben, seine Wohnung ver- lassen hatte und nun zu dem erleuchteten Zimmer hinauf sah, dessen Betreten ihm verwehrt war. Und eben, als sie sich zurück bog, schritt eine zweite Gestalt schnell an dem Arzt vorüber und eilte auf das Haus zu. Der Arzt hatte sie erkannt und schlich ihr nach; es war Helenens Vater. ( Fortsetzung folgt. )

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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 23. Berlin, 7. Juni 1868, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt23_1868/3>, abgerufen am 04.06.2024.