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Sonntags-Blatt. Nr. 23. Berlin, 7. Juni 1868.

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[Beginn Spaltensatz]

"Wenn hier nur Dein Verhältniß zu Helene in Frage käme",
meinte der Assessor überlegend, "würde ich sie für eine Kokette halten,
welche Hohenfeld nicht um Deinetwillen verlieren möchte und doch
durch Deine Liebe sich geschmeichelt fühlt."

"Helene -- eine Kokette! Meinst Du, daß ich mich durch ein
leichtfertiges Spiel hinreißen ließe?"

"Wie gesagt, wenn sie nicht zugleich auch selbst in größter
Noth wäre."

"Die Pflicht der Dankbarkeit, welche sie gegen die Familie in
solchem Maße übt, hat sie noch mehr gegen mich. Wer hat sie denn
in diese Lage versetzt?"

"Hm; ob sie gerade Dir dafür dankbar sein muß, weiß ich nicht.
Ueberdies, ein Liebender ist nie dankbar."

"Mein Gott!" stöhnte der Arzt. "Die Stunden verrinnen, und
ich muß Alles geschehen lassen, ohne selbst thätig sein zu können!"

"Der Banquier wird schon einen Ausweg finden. Beruhige
Dich, Ludwig; die Sache scheint mir nicht so hoffnungslos, wie Du
sie ansiehst."

"Es giebt keine Rettung. Der Verlust Helenens ist mir gewiß."

Der Assessor stand auf und nahm seinen Hut.

"Jch gehe", sagte er, "zu Hohenfeld; ich will mich über den
Stand der Dinge informiren und zu Deinen Gunsten sprechen.
Bleib' zu Hause; ich werde Dir sobald als möglich Nachricht geben."

Ludwig drückte dem Freunde warm die Hand und bat, ihn nicht
zu lange in dieser peinlichen Ungewißheit zu lassen.

VIII.

Wie der Doktor gesagt hatte, war Helene bewußtlos nieder-
gesunken, und es dauerte ziemlich lange Zeit, bis sie wieder zur Be-
sinnung kam. Marie saß neben dem Sopha, auf welchem Helene
lag, und schluchzte von Zeit zu Zeit laut auf, während der Banquier
im Zimmer unruhig hin und her wandelte. Nicht nur die eben
stattgefundene Scene, auch der Hinweis des Arztes auf die Ent-
fernung Helenens erregte ihn. Endlich bemerkte er den Brief des
Vaters, welcher am Fenster auf dem Boden lag; er hob ihn auf und
las ihn. Die Wuth, welche er in demselben ausgedrückt fand, beschwich-
tigte seine eigene Unruhe. Er ging auf sein Zimmer und schrieb an den
Vater einen Brief, worin er ihm das Unpassende seiner Forderung
auseinandersetzte und zugleich den Ungehorsam der Tochter mit einer
plötzlichen Erkrankung derselben entschuldigte. Als er wieder zu den
Mädchen kam, fand er Helene noch matt auf dem Sopha liegen; er
setzte sich neben sie, und im liebevollsten Ton erklärte er ihr, daß er
sie nicht aus seinem Hause lassen möchte, und was er an ihren Vater
geschrieben habe. Während er selbst die Wirkung davon erwartete,
daß dieser von seinem Verlangen abstehen werde, zeigte sich Helene
resignirt und zugleich muthlos; sie glaubte nicht an den Erfolg und
meinte, es sei das Beste, wenn sie zu ihrem Vater zurückkehre. Der
Banquier versuchte es, auf das eben Stattgefundene einzulenken; allein
als er bemerkte, daß Helene schweigen wollte, Marie aber in lautes
Jammern ausbrach, ließ er wieder davon ab.

Ein neuer Brief des Vaters wurde gebracht; er war an Helene
gerichtet. Und wenn sie auch krank wäre und nur in Betten eingehüllt
zu ihm gebracht werden könne, sie müsse sogleich kommen und aus
diesem Hause sich entfernen; der Vater fordere es.

Helene wollte sogleich gehorchen, Hohenfeld hinderte sie daran.
Er gedachte zuerst, selbst zum Vater hinzugehen und durch eine Unter-
redung eine Aenderung zu erlangen; dann aber, als er von Helene
auf die in den beiden Briefen gegen ihn gebrauchten Aeußerungen
aufmerksam gemacht wurde, sann er auf ein anderes Mittel. Er
bat Helene, nur kurze Zeit sich zu gedulden, und ging auf sein
Zimmer zurück, dort eine ruhige Ueberlegung mit sich selbst zu pflegen.

Die beiden Mädchen blieben allein; Helene lag halb hingestreckt
auf dem Sopha, müd' und matt; Marie saß am Ende des Sopha's
und hielt das Gesicht in die Hände versteckt.

"Arme Marie!" sagte traurig Helene. "Du verlierst heut mehr,
als ich". Marie schluchzte. "Dein Glück schien sicher, und Niemand
hätte daran zweifeln können, daß Dir nichts störend in den Weg
komme; das Meinige war unsicher von seinem Anfang an, und ich
darf kaum beklagen, daß es mir entschwindet. Daß ich noch dazu die
Ursache Deiner Betrübniß werden mußte! Es ist grausam von ihm
gewesen. Mein Gott, wie ich unglücklich bin!"

Helene sank zurück.

Marie sprang auf sie zu und umschlang sie.

"Nein, Helene, laß uns nicht mehr daran denken. Jch will nicht
mehr darum weinen. Er hat mich nie recht geliebt; er liebte Dich,
ich ahnte es, aber ich mochte es nicht aussprechen. Und wollte Gott,
daß Du ihn wieder liebtest; ich würde darum Dir nicht zürnen. Nur
um Dich wollen wir heut uns kümmern; wenn ich auch Dich ver-
lieren müßte, dann wäre alle Freude für mich vorbei."

[Spaltenumbruch]

"Jch muß gehen, Marie. Du kennst nicht den unbeugsamen
Sinn meines Vaters."

"Du kannst uns nicht verlassen wollen, Helene; Du kannst es
nicht. Du hast mir ihn entrissen, und nun mußt Du bei mir
bleiben und mich trösten."

Mein eigenes Herz klagt ja selbst darüber, aber es ist keine
Aenderung möglich. Du wirst es sehen, Marie; selbst Dein Vater
wird nichts finden können."

"Warum will Dich Dein Vater von uns reißen? Er weiß ja,
daß Du hier zufrieden bist."

"Marie, ich glaube, er kann die glücklichen Menschen nicht leiden;
deßhalb haßt er Euch."

"Bin ich nicht unglücklich genug?" Marie begann wieder zu
schluchzen.

Während Helene sie zu trösten suchte, trat der Assessor ein und
erkundigte sich in der gelassensten Weise nach dem Befinden der
Damen. Marie stieß verschiedene Klagen aus, und Helene erklärte
sehr verlegen, daß sie betrübt seien.

"Jch glaube wohl, daß Sie Beide betrübt sind", meinte er, stellte
den Hut auf den Tisch und schickte sich an, sich auf einen Stuhl in
der Nähe des Sopha's niederzulassen. "Jch komme so eben von
meinem Freunde". Marie machte eine entschiedene Geberde des Ab-
scheu 's und wandte sich von ihm ab. "Er ist in Verzweiflung über
das, was hier geschehen ist."

"Schweigen Sie von Jhrem Freunde!" rief Marie. "Jch will
seinen Namen nicht mehr hier genannt hören. Gehen Sie und sagen
Sie ihm, daß --"

"Jhr Freund hat nur dazu beigetragen, meine Lage zu ver-
schlimmern ", fuhr Helene fort. "Wir sind Beide sehr angegriffen."

"Sie wollen sich mit mir in keine Erörterung einlassen?" sagte
der Assessor gemüthlich und nahm jetzt Platz; "ich finde das be-
greiflich. Mein Freund hat sich einer Verletzung des Anstands
schuldig gemacht, die ich selbst für unverantwortlich halte."

Marie nahm eine sehr verächtliche Miene an.

"Er hat mich heut eine Seite seines Charakters erkennen lassen,
welche er bis jetzt verborgen zu halten suchte. Jch will Sie nicht
damit belästigen, mich weiter darüber zu hören. Fräulein Marie,
wenn er nicht in heftiger Aufregung gewesen wäre, würde er es
nicht gewagt haben, Jhnen diese Scene aufzuführen. Erwägen
Sie wohl --"

Marie unterbrach ihn, indem sie sich würdevoll erhob:

"Sie sind von ihm abgesandt, ich merke es, seine Entschuldigun-
gen uns zu überbringen. Für mich haben dieselben keinen Werth.
Aber am meisten hat er meine Freundin, hat er Helene gekränkt; an
diese mögen Sie Alles richten, was Sie für ihn zu sagen haben."
Nach diesen Worten eilte sie aus dem Zimmer.

Der Assessor rieb sich vergnügt die Hände, indem er ihr nachsah.

"Jn acht Tagen wird sie ihm vollständig verziehen haben", damit
wandte er sich an Helene. "Wenn nur mit ihrer Verzeihung Alles
abgemacht wäre! Offen gesprochen, Helene, Ludwig schickt mich zu
Jhnen, um etwas darüber zu erfahren, was mit Jhnen geschehen wird."

"Jch werde zu meinen Vater zurückkehren", sagte sie traurig und
fügte dann leise für sich sprechend hinzu: "Er ist ja selbst die Ver-
anlassung, daß ich dies Haus verlassen muß!"

"Jch sehe nicht ein, in wie fern er dazu Veranlassung ist. Sie
täuschen sich über Jhre Lage."

Mein Gewissen läßt mich als schuldig erscheinen, wenn ich hier
bleibe. Wer anders, als ich, hat Marie's Glück gestört?"

"Ein Verlust, welcher leicht verschmerzt werden wird! Denken Sie
zunächst an sich selbst, denken Sie auch an ihn. Sie haben ihm
gestanden, daß Sie ihn lieben."

"Schweigen Sie!" unterbrach ihn Helene hastig. "Jch habe
diese kurze Verirrung bereits genug bereut; die Worte, welche ich zu
ihm sprach, die Gefühle, welche ich ihm zeigte, sind aus meinem
Herzen verbannt, verbannt für immer. Auf jenen Augenblick mag er
keine Hoffnung bauen!"

"Helene! Und doch ist es die einzige für ihn und -- für Sie!
Diese allein kann Sie vor Allem schützen, was Jhnen zuwider ist."

"Nein, niemals! Um diesen Preis will ich nichts erkaufen. Gehen
Sie zu ihm! Er soll vernünftig sein; bitten Sie ihn, daß er hierher
zurückkehre und Marie zu versöhnen suche. Es wird ihm Verzeihung
werden, wenn ich nicht mehr da bin -- mein Gott!"

"Seien Sie vernünftig, Helene. Weshalb sollen Sie Beide ein-
ander entsagen? Er wird Jhre Hand von Jhrem Vater erbitten, und
dieser wird sie ihm nicht verweigern. Wäre es nicht eine falsche
Großmuth, wenn Sie ihn abwiesen?"

"Jch werde es. Versuchen Sie nicht, meinen Entschluß zu ändern.
Er hat es nicht über mich vermocht; Jhrem Drängen werde ich leichter
widerstehen können." Helene war aufgestanden und ergriff seine Hand.
"Wollen Sie mir ein wahrer Freund sein? Jch muß hinweg, jetzt, so-
gleich. Geleiten Sie mich zu meinem Vater, ich fühle mich so schwach."

[Ende Spaltensatz]
[Beginn Spaltensatz]

„Wenn hier nur Dein Verhältniß zu Helene in Frage käme“,
meinte der Assessor überlegend, „würde ich sie für eine Kokette halten,
welche Hohenfeld nicht um Deinetwillen verlieren möchte und doch
durch Deine Liebe sich geschmeichelt fühlt.“

„Helene — eine Kokette! Meinst Du, daß ich mich durch ein
leichtfertiges Spiel hinreißen ließe?“

„Wie gesagt, wenn sie nicht zugleich auch selbst in größter
Noth wäre.“

„Die Pflicht der Dankbarkeit, welche sie gegen die Familie in
solchem Maße übt, hat sie noch mehr gegen mich. Wer hat sie denn
in diese Lage versetzt?“

„Hm; ob sie gerade Dir dafür dankbar sein muß, weiß ich nicht.
Ueberdies, ein Liebender ist nie dankbar.“

„Mein Gott!“ stöhnte der Arzt. „Die Stunden verrinnen, und
ich muß Alles geschehen lassen, ohne selbst thätig sein zu können!“

„Der Banquier wird schon einen Ausweg finden. Beruhige
Dich, Ludwig; die Sache scheint mir nicht so hoffnungslos, wie Du
sie ansiehst.“

„Es giebt keine Rettung. Der Verlust Helenens ist mir gewiß.“

Der Assessor stand auf und nahm seinen Hut.

„Jch gehe“, sagte er, „zu Hohenfeld; ich will mich über den
Stand der Dinge informiren und zu Deinen Gunsten sprechen.
Bleib' zu Hause; ich werde Dir sobald als möglich Nachricht geben.“

Ludwig drückte dem Freunde warm die Hand und bat, ihn nicht
zu lange in dieser peinlichen Ungewißheit zu lassen.

VIII.

Wie der Doktor gesagt hatte, war Helene bewußtlos nieder-
gesunken, und es dauerte ziemlich lange Zeit, bis sie wieder zur Be-
sinnung kam. Marie saß neben dem Sopha, auf welchem Helene
lag, und schluchzte von Zeit zu Zeit laut auf, während der Banquier
im Zimmer unruhig hin und her wandelte. Nicht nur die eben
stattgefundene Scene, auch der Hinweis des Arztes auf die Ent-
fernung Helenens erregte ihn. Endlich bemerkte er den Brief des
Vaters, welcher am Fenster auf dem Boden lag; er hob ihn auf und
las ihn. Die Wuth, welche er in demselben ausgedrückt fand, beschwich-
tigte seine eigene Unruhe. Er ging auf sein Zimmer und schrieb an den
Vater einen Brief, worin er ihm das Unpassende seiner Forderung
auseinandersetzte und zugleich den Ungehorsam der Tochter mit einer
plötzlichen Erkrankung derselben entschuldigte. Als er wieder zu den
Mädchen kam, fand er Helene noch matt auf dem Sopha liegen; er
setzte sich neben sie, und im liebevollsten Ton erklärte er ihr, daß er
sie nicht aus seinem Hause lassen möchte, und was er an ihren Vater
geschrieben habe. Während er selbst die Wirkung davon erwartete,
daß dieser von seinem Verlangen abstehen werde, zeigte sich Helene
resignirt und zugleich muthlos; sie glaubte nicht an den Erfolg und
meinte, es sei das Beste, wenn sie zu ihrem Vater zurückkehre. Der
Banquier versuchte es, auf das eben Stattgefundene einzulenken; allein
als er bemerkte, daß Helene schweigen wollte, Marie aber in lautes
Jammern ausbrach, ließ er wieder davon ab.

Ein neuer Brief des Vaters wurde gebracht; er war an Helene
gerichtet. Und wenn sie auch krank wäre und nur in Betten eingehüllt
zu ihm gebracht werden könne, sie müsse sogleich kommen und aus
diesem Hause sich entfernen; der Vater fordere es.

Helene wollte sogleich gehorchen, Hohenfeld hinderte sie daran.
Er gedachte zuerst, selbst zum Vater hinzugehen und durch eine Unter-
redung eine Aenderung zu erlangen; dann aber, als er von Helene
auf die in den beiden Briefen gegen ihn gebrauchten Aeußerungen
aufmerksam gemacht wurde, sann er auf ein anderes Mittel. Er
bat Helene, nur kurze Zeit sich zu gedulden, und ging auf sein
Zimmer zurück, dort eine ruhige Ueberlegung mit sich selbst zu pflegen.

Die beiden Mädchen blieben allein; Helene lag halb hingestreckt
auf dem Sopha, müd' und matt; Marie saß am Ende des Sopha's
und hielt das Gesicht in die Hände versteckt.

„Arme Marie!“ sagte traurig Helene. „Du verlierst heut mehr,
als ich“. Marie schluchzte. „Dein Glück schien sicher, und Niemand
hätte daran zweifeln können, daß Dir nichts störend in den Weg
komme; das Meinige war unsicher von seinem Anfang an, und ich
darf kaum beklagen, daß es mir entschwindet. Daß ich noch dazu die
Ursache Deiner Betrübniß werden mußte! Es ist grausam von ihm
gewesen. Mein Gott, wie ich unglücklich bin!“

Helene sank zurück.

Marie sprang auf sie zu und umschlang sie.

„Nein, Helene, laß uns nicht mehr daran denken. Jch will nicht
mehr darum weinen. Er hat mich nie recht geliebt; er liebte Dich,
ich ahnte es, aber ich mochte es nicht aussprechen. Und wollte Gott,
daß Du ihn wieder liebtest; ich würde darum Dir nicht zürnen. Nur
um Dich wollen wir heut uns kümmern; wenn ich auch Dich ver-
lieren müßte, dann wäre alle Freude für mich vorbei.“

[Spaltenumbruch]

„Jch muß gehen, Marie. Du kennst nicht den unbeugsamen
Sinn meines Vaters.“

„Du kannst uns nicht verlassen wollen, Helene; Du kannst es
nicht. Du hast mir ihn entrissen, und nun mußt Du bei mir
bleiben und mich trösten.“

Mein eigenes Herz klagt ja selbst darüber, aber es ist keine
Aenderung möglich. Du wirst es sehen, Marie; selbst Dein Vater
wird nichts finden können.“

„Warum will Dich Dein Vater von uns reißen? Er weiß ja,
daß Du hier zufrieden bist.“

„Marie, ich glaube, er kann die glücklichen Menschen nicht leiden;
deßhalb haßt er Euch.“

„Bin ich nicht unglücklich genug?“ Marie begann wieder zu
schluchzen.

Während Helene sie zu trösten suchte, trat der Assessor ein und
erkundigte sich in der gelassensten Weise nach dem Befinden der
Damen. Marie stieß verschiedene Klagen aus, und Helene erklärte
sehr verlegen, daß sie betrübt seien.

„Jch glaube wohl, daß Sie Beide betrübt sind“, meinte er, stellte
den Hut auf den Tisch und schickte sich an, sich auf einen Stuhl in
der Nähe des Sopha's niederzulassen. „Jch komme so eben von
meinem Freunde“. Marie machte eine entschiedene Geberde des Ab-
scheu 's und wandte sich von ihm ab. „Er ist in Verzweiflung über
das, was hier geschehen ist.“

„Schweigen Sie von Jhrem Freunde!“ rief Marie. „Jch will
seinen Namen nicht mehr hier genannt hören. Gehen Sie und sagen
Sie ihm, daß —“

„Jhr Freund hat nur dazu beigetragen, meine Lage zu ver-
schlimmern “, fuhr Helene fort. „Wir sind Beide sehr angegriffen.“

„Sie wollen sich mit mir in keine Erörterung einlassen?“ sagte
der Assessor gemüthlich und nahm jetzt Platz; „ich finde das be-
greiflich. Mein Freund hat sich einer Verletzung des Anstands
schuldig gemacht, die ich selbst für unverantwortlich halte.“

Marie nahm eine sehr verächtliche Miene an.

„Er hat mich heut eine Seite seines Charakters erkennen lassen,
welche er bis jetzt verborgen zu halten suchte. Jch will Sie nicht
damit belästigen, mich weiter darüber zu hören. Fräulein Marie,
wenn er nicht in heftiger Aufregung gewesen wäre, würde er es
nicht gewagt haben, Jhnen diese Scene aufzuführen. Erwägen
Sie wohl —“

Marie unterbrach ihn, indem sie sich würdevoll erhob:

„Sie sind von ihm abgesandt, ich merke es, seine Entschuldigun-
gen uns zu überbringen. Für mich haben dieselben keinen Werth.
Aber am meisten hat er meine Freundin, hat er Helene gekränkt; an
diese mögen Sie Alles richten, was Sie für ihn zu sagen haben.“
Nach diesen Worten eilte sie aus dem Zimmer.

Der Assessor rieb sich vergnügt die Hände, indem er ihr nachsah.

„Jn acht Tagen wird sie ihm vollständig verziehen haben“, damit
wandte er sich an Helene. „Wenn nur mit ihrer Verzeihung Alles
abgemacht wäre! Offen gesprochen, Helene, Ludwig schickt mich zu
Jhnen, um etwas darüber zu erfahren, was mit Jhnen geschehen wird.“

„Jch werde zu meinen Vater zurückkehren“, sagte sie traurig und
fügte dann leise für sich sprechend hinzu: „Er ist ja selbst die Ver-
anlassung, daß ich dies Haus verlassen muß!“

„Jch sehe nicht ein, in wie fern er dazu Veranlassung ist. Sie
täuschen sich über Jhre Lage.“

Mein Gewissen läßt mich als schuldig erscheinen, wenn ich hier
bleibe. Wer anders, als ich, hat Marie's Glück gestört?“

„Ein Verlust, welcher leicht verschmerzt werden wird! Denken Sie
zunächst an sich selbst, denken Sie auch an ihn. Sie haben ihm
gestanden, daß Sie ihn lieben.“

„Schweigen Sie!“ unterbrach ihn Helene hastig. „Jch habe
diese kurze Verirrung bereits genug bereut; die Worte, welche ich zu
ihm sprach, die Gefühle, welche ich ihm zeigte, sind aus meinem
Herzen verbannt, verbannt für immer. Auf jenen Augenblick mag er
keine Hoffnung bauen!“

„Helene! Und doch ist es die einzige für ihn und — für Sie!
Diese allein kann Sie vor Allem schützen, was Jhnen zuwider ist.“

„Nein, niemals! Um diesen Preis will ich nichts erkaufen. Gehen
Sie zu ihm! Er soll vernünftig sein; bitten Sie ihn, daß er hierher
zurückkehre und Marie zu versöhnen suche. Es wird ihm Verzeihung
werden, wenn ich nicht mehr da bin — mein Gott!“

„Seien Sie vernünftig, Helene. Weshalb sollen Sie Beide ein-
ander entsagen? Er wird Jhre Hand von Jhrem Vater erbitten, und
dieser wird sie ihm nicht verweigern. Wäre es nicht eine falsche
Großmuth, wenn Sie ihn abwiesen?“

„Jch werde es. Versuchen Sie nicht, meinen Entschluß zu ändern.
Er hat es nicht über mich vermocht; Jhrem Drängen werde ich leichter
widerstehen können.“ Helene war aufgestanden und ergriff seine Hand.
„Wollen Sie mir ein wahrer Freund sein? Jch muß hinweg, jetzt, so-
gleich. Geleiten Sie mich zu meinem Vater, ich fühle mich so schwach.“

[Ende Spaltensatz]
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[178/0002] 178 „Wenn hier nur Dein Verhältniß zu Helene in Frage käme“, meinte der Assessor überlegend, „würde ich sie für eine Kokette halten, welche Hohenfeld nicht um Deinetwillen verlieren möchte und doch durch Deine Liebe sich geschmeichelt fühlt.“ „Helene — eine Kokette! Meinst Du, daß ich mich durch ein leichtfertiges Spiel hinreißen ließe?“ „Wie gesagt, wenn sie nicht zugleich auch selbst in größter Noth wäre.“ „Die Pflicht der Dankbarkeit, welche sie gegen die Familie in solchem Maße übt, hat sie noch mehr gegen mich. Wer hat sie denn in diese Lage versetzt?“ „Hm; ob sie gerade Dir dafür dankbar sein muß, weiß ich nicht. Ueberdies, ein Liebender ist nie dankbar.“ „Mein Gott!“ stöhnte der Arzt. „Die Stunden verrinnen, und ich muß Alles geschehen lassen, ohne selbst thätig sein zu können!“ „Der Banquier wird schon einen Ausweg finden. Beruhige Dich, Ludwig; die Sache scheint mir nicht so hoffnungslos, wie Du sie ansiehst.“ „Es giebt keine Rettung. Der Verlust Helenens ist mir gewiß.“ Der Assessor stand auf und nahm seinen Hut. „Jch gehe“, sagte er, „zu Hohenfeld; ich will mich über den Stand der Dinge informiren und zu Deinen Gunsten sprechen. Bleib' zu Hause; ich werde Dir sobald als möglich Nachricht geben.“ Ludwig drückte dem Freunde warm die Hand und bat, ihn nicht zu lange in dieser peinlichen Ungewißheit zu lassen. VIII. Wie der Doktor gesagt hatte, war Helene bewußtlos nieder- gesunken, und es dauerte ziemlich lange Zeit, bis sie wieder zur Be- sinnung kam. Marie saß neben dem Sopha, auf welchem Helene lag, und schluchzte von Zeit zu Zeit laut auf, während der Banquier im Zimmer unruhig hin und her wandelte. Nicht nur die eben stattgefundene Scene, auch der Hinweis des Arztes auf die Ent- fernung Helenens erregte ihn. Endlich bemerkte er den Brief des Vaters, welcher am Fenster auf dem Boden lag; er hob ihn auf und las ihn. Die Wuth, welche er in demselben ausgedrückt fand, beschwich- tigte seine eigene Unruhe. Er ging auf sein Zimmer und schrieb an den Vater einen Brief, worin er ihm das Unpassende seiner Forderung auseinandersetzte und zugleich den Ungehorsam der Tochter mit einer plötzlichen Erkrankung derselben entschuldigte. Als er wieder zu den Mädchen kam, fand er Helene noch matt auf dem Sopha liegen; er setzte sich neben sie, und im liebevollsten Ton erklärte er ihr, daß er sie nicht aus seinem Hause lassen möchte, und was er an ihren Vater geschrieben habe. Während er selbst die Wirkung davon erwartete, daß dieser von seinem Verlangen abstehen werde, zeigte sich Helene resignirt und zugleich muthlos; sie glaubte nicht an den Erfolg und meinte, es sei das Beste, wenn sie zu ihrem Vater zurückkehre. Der Banquier versuchte es, auf das eben Stattgefundene einzulenken; allein als er bemerkte, daß Helene schweigen wollte, Marie aber in lautes Jammern ausbrach, ließ er wieder davon ab. Ein neuer Brief des Vaters wurde gebracht; er war an Helene gerichtet. Und wenn sie auch krank wäre und nur in Betten eingehüllt zu ihm gebracht werden könne, sie müsse sogleich kommen und aus diesem Hause sich entfernen; der Vater fordere es. Helene wollte sogleich gehorchen, Hohenfeld hinderte sie daran. Er gedachte zuerst, selbst zum Vater hinzugehen und durch eine Unter- redung eine Aenderung zu erlangen; dann aber, als er von Helene auf die in den beiden Briefen gegen ihn gebrauchten Aeußerungen aufmerksam gemacht wurde, sann er auf ein anderes Mittel. Er bat Helene, nur kurze Zeit sich zu gedulden, und ging auf sein Zimmer zurück, dort eine ruhige Ueberlegung mit sich selbst zu pflegen. Die beiden Mädchen blieben allein; Helene lag halb hingestreckt auf dem Sopha, müd' und matt; Marie saß am Ende des Sopha's und hielt das Gesicht in die Hände versteckt. „Arme Marie!“ sagte traurig Helene. „Du verlierst heut mehr, als ich“. Marie schluchzte. „Dein Glück schien sicher, und Niemand hätte daran zweifeln können, daß Dir nichts störend in den Weg komme; das Meinige war unsicher von seinem Anfang an, und ich darf kaum beklagen, daß es mir entschwindet. Daß ich noch dazu die Ursache Deiner Betrübniß werden mußte! Es ist grausam von ihm gewesen. Mein Gott, wie ich unglücklich bin!“ Helene sank zurück. Marie sprang auf sie zu und umschlang sie. „Nein, Helene, laß uns nicht mehr daran denken. Jch will nicht mehr darum weinen. Er hat mich nie recht geliebt; er liebte Dich, ich ahnte es, aber ich mochte es nicht aussprechen. Und wollte Gott, daß Du ihn wieder liebtest; ich würde darum Dir nicht zürnen. Nur um Dich wollen wir heut uns kümmern; wenn ich auch Dich ver- lieren müßte, dann wäre alle Freude für mich vorbei.“ „Jch muß gehen, Marie. Du kennst nicht den unbeugsamen Sinn meines Vaters.“ „Du kannst uns nicht verlassen wollen, Helene; Du kannst es nicht. Du hast mir ihn entrissen, und nun mußt Du bei mir bleiben und mich trösten.“ Mein eigenes Herz klagt ja selbst darüber, aber es ist keine Aenderung möglich. Du wirst es sehen, Marie; selbst Dein Vater wird nichts finden können.“ „Warum will Dich Dein Vater von uns reißen? Er weiß ja, daß Du hier zufrieden bist.“ „Marie, ich glaube, er kann die glücklichen Menschen nicht leiden; deßhalb haßt er Euch.“ „Bin ich nicht unglücklich genug?“ Marie begann wieder zu schluchzen. Während Helene sie zu trösten suchte, trat der Assessor ein und erkundigte sich in der gelassensten Weise nach dem Befinden der Damen. Marie stieß verschiedene Klagen aus, und Helene erklärte sehr verlegen, daß sie betrübt seien. „Jch glaube wohl, daß Sie Beide betrübt sind“, meinte er, stellte den Hut auf den Tisch und schickte sich an, sich auf einen Stuhl in der Nähe des Sopha's niederzulassen. „Jch komme so eben von meinem Freunde“. Marie machte eine entschiedene Geberde des Ab- scheu 's und wandte sich von ihm ab. „Er ist in Verzweiflung über das, was hier geschehen ist.“ „Schweigen Sie von Jhrem Freunde!“ rief Marie. „Jch will seinen Namen nicht mehr hier genannt hören. Gehen Sie und sagen Sie ihm, daß —“ „Jhr Freund hat nur dazu beigetragen, meine Lage zu ver- schlimmern “, fuhr Helene fort. „Wir sind Beide sehr angegriffen.“ „Sie wollen sich mit mir in keine Erörterung einlassen?“ sagte der Assessor gemüthlich und nahm jetzt Platz; „ich finde das be- greiflich. Mein Freund hat sich einer Verletzung des Anstands schuldig gemacht, die ich selbst für unverantwortlich halte.“ Marie nahm eine sehr verächtliche Miene an. „Er hat mich heut eine Seite seines Charakters erkennen lassen, welche er bis jetzt verborgen zu halten suchte. Jch will Sie nicht damit belästigen, mich weiter darüber zu hören. Fräulein Marie, wenn er nicht in heftiger Aufregung gewesen wäre, würde er es nicht gewagt haben, Jhnen diese Scene aufzuführen. Erwägen Sie wohl —“ Marie unterbrach ihn, indem sie sich würdevoll erhob: „Sie sind von ihm abgesandt, ich merke es, seine Entschuldigun- gen uns zu überbringen. Für mich haben dieselben keinen Werth. Aber am meisten hat er meine Freundin, hat er Helene gekränkt; an diese mögen Sie Alles richten, was Sie für ihn zu sagen haben.“ Nach diesen Worten eilte sie aus dem Zimmer. Der Assessor rieb sich vergnügt die Hände, indem er ihr nachsah. „Jn acht Tagen wird sie ihm vollständig verziehen haben“, damit wandte er sich an Helene. „Wenn nur mit ihrer Verzeihung Alles abgemacht wäre! Offen gesprochen, Helene, Ludwig schickt mich zu Jhnen, um etwas darüber zu erfahren, was mit Jhnen geschehen wird.“ „Jch werde zu meinen Vater zurückkehren“, sagte sie traurig und fügte dann leise für sich sprechend hinzu: „Er ist ja selbst die Ver- anlassung, daß ich dies Haus verlassen muß!“ „Jch sehe nicht ein, in wie fern er dazu Veranlassung ist. Sie täuschen sich über Jhre Lage.“ Mein Gewissen läßt mich als schuldig erscheinen, wenn ich hier bleibe. Wer anders, als ich, hat Marie's Glück gestört?“ „Ein Verlust, welcher leicht verschmerzt werden wird! Denken Sie zunächst an sich selbst, denken Sie auch an ihn. Sie haben ihm gestanden, daß Sie ihn lieben.“ „Schweigen Sie!“ unterbrach ihn Helene hastig. „Jch habe diese kurze Verirrung bereits genug bereut; die Worte, welche ich zu ihm sprach, die Gefühle, welche ich ihm zeigte, sind aus meinem Herzen verbannt, verbannt für immer. Auf jenen Augenblick mag er keine Hoffnung bauen!“ „Helene! Und doch ist es die einzige für ihn und — für Sie! Diese allein kann Sie vor Allem schützen, was Jhnen zuwider ist.“ „Nein, niemals! Um diesen Preis will ich nichts erkaufen. Gehen Sie zu ihm! Er soll vernünftig sein; bitten Sie ihn, daß er hierher zurückkehre und Marie zu versöhnen suche. Es wird ihm Verzeihung werden, wenn ich nicht mehr da bin — mein Gott!“ „Seien Sie vernünftig, Helene. Weshalb sollen Sie Beide ein- ander entsagen? Er wird Jhre Hand von Jhrem Vater erbitten, und dieser wird sie ihm nicht verweigern. Wäre es nicht eine falsche Großmuth, wenn Sie ihn abwiesen?“ „Jch werde es. Versuchen Sie nicht, meinen Entschluß zu ändern. Er hat es nicht über mich vermocht; Jhrem Drängen werde ich leichter widerstehen können.“ Helene war aufgestanden und ergriff seine Hand. „Wollen Sie mir ein wahrer Freund sein? Jch muß hinweg, jetzt, so- gleich. Geleiten Sie mich zu meinem Vater, ich fühle mich so schwach.“

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 23. Berlin, 7. Juni 1868, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt23_1868/2>, abgerufen am 04.06.2024.