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Sonntags-Blatt. Nr. 17. Berlin, 26. April 1868.

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[Beginn Spaltensatz] Getränk Wohlgeschmack abgewinnen können, sobald sie den ersten
Widerwillen, den sie in der Regel mitbringen, überwunden haben.
Abgesehen von dem lederartigen Beigeschmack, der von den ledernen
Behältern herrühren mag, in denen er aufbewahrt wird, dürfte ein
ganz ähnliches Getränk mit derselben angenehmen Säure durch
magere, mit etwas herbem Wein versetzte Milch herzustellen sein.

Mit wie glücklichem Erfolge der Kumis auch bei einzelnen
Patienten angewendet wird, so hat man sich doch während der
Kur namentlich des Genusses von Obst im Allgemeinen und ins-
besondere des Strauchobstes zu enthalten, wenn nicht eine entgegen-
gesetzte und nachtheilige Wirkung erzielt werden soll. Daß das Ge-
tränk außerdem für denjenigen berauschend wirkt, dessen Natur nicht
daran gewöhnt ist, dürfte ebenfalls hinreichend bekannt sein; ich möchte
daher nur noch bemerken, daß man sich nach dem Genuß besonders
vor zu starken Erschütterungen zu hüten hat, wenn nicht Unwohlsein
und Erbrechen die Folge sein soll, wie dies namentlich beim Reiten
und Fahren der Fall ist.

Alles das, was ich im Vorhergehenden insbesondere von den
Baschkiren sagte, gilt auch im Allgemeinen von den Kirgisen und an-
deren Steppenbewohnern, nur daß der Kirgise sich noch auf einer weit
niedrigeren Kulturstufe befindet, und während jener nur die Steppe
zu seinem glücklichen Sommerwohnsitz wählt, dieser auch den Winter
dort in seiner elenden Hütte verbringt und bei einem in der Mitte
derselben brennenden Feuerchen Sturm und eine Kälte von 30 bis
40° R. zu ertragen vermag.

Fassen wir die in aller Kürze zusammengedrängte Schilderung des
Steppenlebens zusammen und vergegenwärtigen uns ein solches in
der unermeßlichen, von Gras bewachsenen Fläche aufgeschlagenes
Baschkirenlager und erblicken vor uns eine lange Reihe aufgestellter
Zelte ( Kibitken ) , vor denselben eine zahllose Menge Pferde, Rin-
der, Schafe und Ziegen im buntesten Gewühl untereinander, ferner
die zwischen den Zelten auf Dreifüßen ruhenden und dampfenden
Kessel, sowie die darum beschäftigten Gestalten der Frauen und halb
oder ganz nackten Kinder, und in einiger Entfernung innerhalb einer
kleinen Umzäunung von Stangen zu verschiedenen Tageszeiten den
betenden, auf seinen Knien liegenden Mukate, und endlich rings-
umher die stille, eintönige, unübersehbare Steppenlandschaft: so er-
halten wir ein Motiv für Maler, wie es wirksamer kaum angetroffen
werden dürfte.

Lassen wir es an dem, was ich speziell über die Steppe sagte,
genug sein, um noch einen Blick auf das Leben in den feststehenden
Aulen zu werfen, wohin die Baschkiren mit dem Beginn der kalten
Jahreszeit wieder zurückkehren.

Man muß zugestehen, daß die Aule der Baschkiren an Sauber-
keit und Freundlichkeit in den meisten Fällen die Dörfer der Russen
übertreffen -- ein Vorzug, den wir mit Vergnügen und mit
wenigen Ansnahmen auch im Jnnern der Wohnungen wiederfinden
können. Wenn auch die in zwei Reihen aus Holz aufgeführten Häu-
ser, mit Ausnahme weniger, deren Giebel mit zierlichen Schnitzereien
und deren Fenster mit Glas versehen sind, unseren Baukünstlern ein
hohes Jnteresse nicht abgewinnen würden, so ist doch der Eindruck,
den das Ganze macht, ein angenehmer.

Unter den hin und wieder in der Steppe auftauchenden Aulen,
die mitunter so schnell entstehen, daß sie wie aus der Erde gewachsen
erscheinen, giebt es allerdings auch solche, die uns nicht in dem Maße
wie jene für sich einnehmen. Es sind dies solche Aulen einer ab-
gezweigten ärmeren Baschkirengruppe, die sich von einer größeren Ge-
meinde lostrennte und wie ein Bienenschwarm ausschwärmte, um
dauernd zu verbleiben, wo sie einfiel. Jn diesem Falle bestehen die
kleinen, im Quadrat aufgeführten Häuser oder Hütten und in wenigen
Tagen fertig hingestellt, meist aus schwachem vierzölligem Lindenholz,
und sind sehr häufig statt der Bedachtung mit einer Erdschicht oder
mit Rasen bedeckt, während die Fenster aus viereckigen ausgeschnittenen
Löchern bestehen, die statt der Gläser mit dünn gegerbten Thier-
häuten oder Rindsblase beklebt werden, durch welche das Tageslicht
nur schwach hindurchdringt und das Durchblicken nur dadurch mög-
lich wird, daß man mit einer Nadel kleine Löcher durchsticht und
das Auge dicht daran hält.

So leicht nun diese Hütten auch sind und so wenig sie gegen
die sengenden Sonnenstrahlen im Sommer und gegen Sturm und
Frost im Winter Schutz zu gewähren scheinen, um so mehr muß es
überraschen, auch bei der strengsten Kälte im Jnnern dieser Kästen
nicht nur eine ausreichende Wärme, sondern sogar sehr häufig eine
wahrhaft erdrückende Hitze vorzufinden, was sich sehr leicht dadurch
erklärt, daß die Wohnungen zum Theil oder auch ganz in der
außerordentlich hohen Schneedecke derartig vergraben liegen, daß man,
namentlich weiter im Norden, über Dörfer hinwegfährt, und oft-
mals auf der Reise die ersehnten Ortschaften nicht früher entdeckt,
als bis man darin ist und die Rauchsäulen aus dem Schnee empor-
wirbeln sieht.

( Fortsetzung folgt. )

[Spaltenumbruch]
Süddeutsche Zollparlamentswahlen.
Als einst der Herr in diese Welt
Herabstieg von des Himmels Stufen,
Hat er zu Zöllnern sich gesellt
Und zu Aposteln sie berufen.
Die Kirche wählt Apostel jetzt
Aus ihres heil'gen Worts Verkündern,
Und macht, weil sie das Volk verhetzt,
Zu Zöllnern sie -- und großen Sündern.


Ernst Rietschel.
( Schluß. )

Vater Rietschel wollte davon nichts wissen, denn er sah keine Mög-
lichkeit vor Augen, den Sohn auf der Kunstschule zu unterhalten. So
sandte er seinen Ernst hinter den Ladentisch zurück. Acht Wochen lang
war Rietschel Krämerlehrling; da erkrankte er und ging, um bessere Pflege
zu finden, ins Vaterhaus zurück. Seine Kaufmannsthätigkeit wieder auf-
zunehmen hatte er nicht die geringste Lust; er meldete sich zu etlichen
Schreiberstellen, ohne Antwort zu erhalten; er erklärte sich schließlich
bereit, wenn es sein müßte, Schreiner oder Drechsler zu werden. Der
Vater, welcher aus diesem Entschluß die Verzweiflung des Sohnes heraus-
fühlte, zeigte dessen Zeichnungen einem Dresdener Baubeamten, welcher ab
und zu nach Pulsnitz kam. Dieser erkannte das darin ausgesprochene
Talent, meinte, daß es nicht so schwer sein werde, in Dresden durch-
zukommen, und um den Herzenswunsch des einzigen Sohnes zu erfüllen,
machte sich Vater Rietschel im Herbst 1820 nach Dresden auf, seinen
Ernst der Kunstschule zu übergeben. Sechs Thaler, das war Alles, was
der gute Mann seinem Sohn auf die beschwerliche Lebensreise mitgeben
konnte, und das waren theils Geschenke guter Leute, theils der Ueberrest
von des Knaben Zeichen= und Schreibverdienst. Aber er hatte im Vater-
hause gelernt, mit Wenigem zufrieden zu sein.

Und wahrlich, die Dresdener Jahre waren keine Herrenjahre für den
armen jungen Künstler! Bei des Vaters höchst beschränkten Mitteln mußte
Alles auf das Bescheidenste eingerichtet werden. Für1 1 / 3 Thaler monatlich
bekam Ernst eine Wohnung in dem Häuschen einer armen Waschfrau ge-
miethet; in der gemeinschaftlichen Wohnstube hatte er ein Fenster nebst
Stuhl und Tisch für sich, den Morgenkaffee und ein Schlafkämmerchen
unterm Dach -- Alles für 1 Thaler 10 Groschen; freilich war das
Stübchen eng und geräuschvoll, das Kämmerchen im Sommer glühheiß,
im Winter fegte der Wind durch die Ziegel und wehte den Schnee auf
die Bettdecke. Butter, Brot und Kartoffeln schickten die Aeltern zeitweise
von Pulsnitz; die ältere Schwester gab, wenn die Noth allzu sehr drängte,
ein Paar Groschen von ihrem Lohn, und wenn der Jüngling um Geld
nach Hause schrieb, dann kam höchstens ein Gulden, oft nur fünf oder
zehn Groschen. Butterbrot und Obst war zumeist die Speise des jungen
Künstlers. Nur einmal, als er für eine wohlgelungene Zeichnung einen
Dukaten hatte verehrt bekommen, gestattete er sich den Luxus, in ein
Speisehaus zu gehen, um sich nach Herzenslust an einem Lieblingsgericht
satt zu essen; und doch, als er daran ging, schämte er sich so sehr der
ungewohnten Ueppigkeit, daß er das Nächste wählte, eilig hinunterschlang,
sich dabei den Mund verbrannte und sofort wieder davonging. Erst in
seiner späteren Dresdener Zeit ging es ihm behaglicher; die Beweise hoher
Begabung, die er abgelegt, gewannen ihm Gönner; er erhielt bei ihnen
freien Tisch, was ihm bei seinem raschen Wachsen nach der bisherigen
schlechten Kost sehr zu statten kam. Als Künstler machte er schnelle Fort-
schritte. Obgleich er das Zeichnen ganz von vorn anfangen mußte, so
zeichnete er doch bald nach Gypsfiguren, nach Gemälden und lebendigen
Modellen; seine Mußestunden benutzte er, um durch Lesen der besten
Dichter, durch das Studium der Geschichte die zahlreichen Lücken seiner
Bildung auszufüllen.

Drei Jahre hatte Rietschel zu Dresden zugebracht und so ziemlich ge-
lernt, was man als zukünftiger Maler dort lernen konnte. Der Minister
Graf Einsiedel suchte damals für sein großes Eisenwerk zu Lauchhammer
einen jungen Mann, welcher bereit wäre, gegen eine Unterstützung bei
seinen Studien sich zum Modelleur auszubilden; Rietschel mochte darin
die Aussicht auf eine dereinstige Versorgung erkennen, und nahm den
Vorschlag an. Er ging somit im Herbst 1823 zur Bildhauerei über,
worin der damalige Hofhildhauer Pettrich sein Lehrer war; dieser muß
freilich, nach Rietschels eigenem Bericht, ein ziemlich armseliger Künstler
gewesen sein, der von der Ausführung größerer Werke gar nichts verstand.
Drei Jahre lang genoß Rietschel Pettrichs Unterricht, ohne etwas Rechtes
zu lernen, und beklommenen Herzens ging er im Spätjahr 1826 nach
Berlin, um dort unter Rauchs Leitung seine Studien zu vollenden.

Es ging dem jungen Sachsen, wie so oft dem Süd= oder Mittel-
deutschen, er fürchtete das "ungemüthliche" Berlin; unser junger Freund
fürchtete außerdem den ernsten, strengen Rauch, unter dessen Leitung er
jetzt arbeiten sollte. Auch schien Rauch anfangs diese Befürchtungen zu
rechtfertigen; kühl, ja bisweilen hart begegnete er dem weichen, stillen
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Getränk Wohlgeschmack abgewinnen können, sobald sie den ersten
Widerwillen, den sie in der Regel mitbringen, überwunden haben.
Abgesehen von dem lederartigen Beigeschmack, der von den ledernen
Behältern herrühren mag, in denen er aufbewahrt wird, dürfte ein
ganz ähnliches Getränk mit derselben angenehmen Säure durch
magere, mit etwas herbem Wein versetzte Milch herzustellen sein.

Mit wie glücklichem Erfolge der Kumis auch bei einzelnen
Patienten angewendet wird, so hat man sich doch während der
Kur namentlich des Genusses von Obst im Allgemeinen und ins-
besondere des Strauchobstes zu enthalten, wenn nicht eine entgegen-
gesetzte und nachtheilige Wirkung erzielt werden soll. Daß das Ge-
tränk außerdem für denjenigen berauschend wirkt, dessen Natur nicht
daran gewöhnt ist, dürfte ebenfalls hinreichend bekannt sein; ich möchte
daher nur noch bemerken, daß man sich nach dem Genuß besonders
vor zu starken Erschütterungen zu hüten hat, wenn nicht Unwohlsein
und Erbrechen die Folge sein soll, wie dies namentlich beim Reiten
und Fahren der Fall ist.

Alles das, was ich im Vorhergehenden insbesondere von den
Baschkiren sagte, gilt auch im Allgemeinen von den Kirgisen und an-
deren Steppenbewohnern, nur daß der Kirgise sich noch auf einer weit
niedrigeren Kulturstufe befindet, und während jener nur die Steppe
zu seinem glücklichen Sommerwohnsitz wählt, dieser auch den Winter
dort in seiner elenden Hütte verbringt und bei einem in der Mitte
derselben brennenden Feuerchen Sturm und eine Kälte von 30 bis
40° R. zu ertragen vermag.

Fassen wir die in aller Kürze zusammengedrängte Schilderung des
Steppenlebens zusammen und vergegenwärtigen uns ein solches in
der unermeßlichen, von Gras bewachsenen Fläche aufgeschlagenes
Baschkirenlager und erblicken vor uns eine lange Reihe aufgestellter
Zelte ( Kibitken ) , vor denselben eine zahllose Menge Pferde, Rin-
der, Schafe und Ziegen im buntesten Gewühl untereinander, ferner
die zwischen den Zelten auf Dreifüßen ruhenden und dampfenden
Kessel, sowie die darum beschäftigten Gestalten der Frauen und halb
oder ganz nackten Kinder, und in einiger Entfernung innerhalb einer
kleinen Umzäunung von Stangen zu verschiedenen Tageszeiten den
betenden, auf seinen Knien liegenden Mukate, und endlich rings-
umher die stille, eintönige, unübersehbare Steppenlandschaft: so er-
halten wir ein Motiv für Maler, wie es wirksamer kaum angetroffen
werden dürfte.

Lassen wir es an dem, was ich speziell über die Steppe sagte,
genug sein, um noch einen Blick auf das Leben in den feststehenden
Aulen zu werfen, wohin die Baschkiren mit dem Beginn der kalten
Jahreszeit wieder zurückkehren.

Man muß zugestehen, daß die Aule der Baschkiren an Sauber-
keit und Freundlichkeit in den meisten Fällen die Dörfer der Russen
übertreffen — ein Vorzug, den wir mit Vergnügen und mit
wenigen Ansnahmen auch im Jnnern der Wohnungen wiederfinden
können. Wenn auch die in zwei Reihen aus Holz aufgeführten Häu-
ser, mit Ausnahme weniger, deren Giebel mit zierlichen Schnitzereien
und deren Fenster mit Glas versehen sind, unseren Baukünstlern ein
hohes Jnteresse nicht abgewinnen würden, so ist doch der Eindruck,
den das Ganze macht, ein angenehmer.

Unter den hin und wieder in der Steppe auftauchenden Aulen,
die mitunter so schnell entstehen, daß sie wie aus der Erde gewachsen
erscheinen, giebt es allerdings auch solche, die uns nicht in dem Maße
wie jene für sich einnehmen. Es sind dies solche Aulen einer ab-
gezweigten ärmeren Baschkirengruppe, die sich von einer größeren Ge-
meinde lostrennte und wie ein Bienenschwarm ausschwärmte, um
dauernd zu verbleiben, wo sie einfiel. Jn diesem Falle bestehen die
kleinen, im Quadrat aufgeführten Häuser oder Hütten und in wenigen
Tagen fertig hingestellt, meist aus schwachem vierzölligem Lindenholz,
und sind sehr häufig statt der Bedachtung mit einer Erdschicht oder
mit Rasen bedeckt, während die Fenster aus viereckigen ausgeschnittenen
Löchern bestehen, die statt der Gläser mit dünn gegerbten Thier-
häuten oder Rindsblase beklebt werden, durch welche das Tageslicht
nur schwach hindurchdringt und das Durchblicken nur dadurch mög-
lich wird, daß man mit einer Nadel kleine Löcher durchsticht und
das Auge dicht daran hält.

So leicht nun diese Hütten auch sind und so wenig sie gegen
die sengenden Sonnenstrahlen im Sommer und gegen Sturm und
Frost im Winter Schutz zu gewähren scheinen, um so mehr muß es
überraschen, auch bei der strengsten Kälte im Jnnern dieser Kästen
nicht nur eine ausreichende Wärme, sondern sogar sehr häufig eine
wahrhaft erdrückende Hitze vorzufinden, was sich sehr leicht dadurch
erklärt, daß die Wohnungen zum Theil oder auch ganz in der
außerordentlich hohen Schneedecke derartig vergraben liegen, daß man,
namentlich weiter im Norden, über Dörfer hinwegfährt, und oft-
mals auf der Reise die ersehnten Ortschaften nicht früher entdeckt,
als bis man darin ist und die Rauchsäulen aus dem Schnee empor-
wirbeln sieht.

( Fortsetzung folgt. )

[Spaltenumbruch]
Süddeutsche Zollparlamentswahlen.
Als einst der Herr in diese Welt
Herabstieg von des Himmels Stufen,
Hat er zu Zöllnern sich gesellt
Und zu Aposteln sie berufen.
Die Kirche wählt Apostel jetzt
Aus ihres heil'gen Worts Verkündern,
Und macht, weil sie das Volk verhetzt,
Zu Zöllnern sie — und großen Sündern.


Ernst Rietschel.
( Schluß. )

Vater Rietschel wollte davon nichts wissen, denn er sah keine Mög-
lichkeit vor Augen, den Sohn auf der Kunstschule zu unterhalten. So
sandte er seinen Ernst hinter den Ladentisch zurück. Acht Wochen lang
war Rietschel Krämerlehrling; da erkrankte er und ging, um bessere Pflege
zu finden, ins Vaterhaus zurück. Seine Kaufmannsthätigkeit wieder auf-
zunehmen hatte er nicht die geringste Lust; er meldete sich zu etlichen
Schreiberstellen, ohne Antwort zu erhalten; er erklärte sich schließlich
bereit, wenn es sein müßte, Schreiner oder Drechsler zu werden. Der
Vater, welcher aus diesem Entschluß die Verzweiflung des Sohnes heraus-
fühlte, zeigte dessen Zeichnungen einem Dresdener Baubeamten, welcher ab
und zu nach Pulsnitz kam. Dieser erkannte das darin ausgesprochene
Talent, meinte, daß es nicht so schwer sein werde, in Dresden durch-
zukommen, und um den Herzenswunsch des einzigen Sohnes zu erfüllen,
machte sich Vater Rietschel im Herbst 1820 nach Dresden auf, seinen
Ernst der Kunstschule zu übergeben. Sechs Thaler, das war Alles, was
der gute Mann seinem Sohn auf die beschwerliche Lebensreise mitgeben
konnte, und das waren theils Geschenke guter Leute, theils der Ueberrest
von des Knaben Zeichen= und Schreibverdienst. Aber er hatte im Vater-
hause gelernt, mit Wenigem zufrieden zu sein.

Und wahrlich, die Dresdener Jahre waren keine Herrenjahre für den
armen jungen Künstler! Bei des Vaters höchst beschränkten Mitteln mußte
Alles auf das Bescheidenste eingerichtet werden. Für1 1 / 3 Thaler monatlich
bekam Ernst eine Wohnung in dem Häuschen einer armen Waschfrau ge-
miethet; in der gemeinschaftlichen Wohnstube hatte er ein Fenster nebst
Stuhl und Tisch für sich, den Morgenkaffee und ein Schlafkämmerchen
unterm Dach — Alles für 1 Thaler 10 Groschen; freilich war das
Stübchen eng und geräuschvoll, das Kämmerchen im Sommer glühheiß,
im Winter fegte der Wind durch die Ziegel und wehte den Schnee auf
die Bettdecke. Butter, Brot und Kartoffeln schickten die Aeltern zeitweise
von Pulsnitz; die ältere Schwester gab, wenn die Noth allzu sehr drängte,
ein Paar Groschen von ihrem Lohn, und wenn der Jüngling um Geld
nach Hause schrieb, dann kam höchstens ein Gulden, oft nur fünf oder
zehn Groschen. Butterbrot und Obst war zumeist die Speise des jungen
Künstlers. Nur einmal, als er für eine wohlgelungene Zeichnung einen
Dukaten hatte verehrt bekommen, gestattete er sich den Luxus, in ein
Speisehaus zu gehen, um sich nach Herzenslust an einem Lieblingsgericht
satt zu essen; und doch, als er daran ging, schämte er sich so sehr der
ungewohnten Ueppigkeit, daß er das Nächste wählte, eilig hinunterschlang,
sich dabei den Mund verbrannte und sofort wieder davonging. Erst in
seiner späteren Dresdener Zeit ging es ihm behaglicher; die Beweise hoher
Begabung, die er abgelegt, gewannen ihm Gönner; er erhielt bei ihnen
freien Tisch, was ihm bei seinem raschen Wachsen nach der bisherigen
schlechten Kost sehr zu statten kam. Als Künstler machte er schnelle Fort-
schritte. Obgleich er das Zeichnen ganz von vorn anfangen mußte, so
zeichnete er doch bald nach Gypsfiguren, nach Gemälden und lebendigen
Modellen; seine Mußestunden benutzte er, um durch Lesen der besten
Dichter, durch das Studium der Geschichte die zahlreichen Lücken seiner
Bildung auszufüllen.

Drei Jahre hatte Rietschel zu Dresden zugebracht und so ziemlich ge-
lernt, was man als zukünftiger Maler dort lernen konnte. Der Minister
Graf Einsiedel suchte damals für sein großes Eisenwerk zu Lauchhammer
einen jungen Mann, welcher bereit wäre, gegen eine Unterstützung bei
seinen Studien sich zum Modelleur auszubilden; Rietschel mochte darin
die Aussicht auf eine dereinstige Versorgung erkennen, und nahm den
Vorschlag an. Er ging somit im Herbst 1823 zur Bildhauerei über,
worin der damalige Hofhildhauer Pettrich sein Lehrer war; dieser muß
freilich, nach Rietschels eigenem Bericht, ein ziemlich armseliger Künstler
gewesen sein, der von der Ausführung größerer Werke gar nichts verstand.
Drei Jahre lang genoß Rietschel Pettrichs Unterricht, ohne etwas Rechtes
zu lernen, und beklommenen Herzens ging er im Spätjahr 1826 nach
Berlin, um dort unter Rauchs Leitung seine Studien zu vollenden.

Es ging dem jungen Sachsen, wie so oft dem Süd= oder Mittel-
deutschen, er fürchtete das „ungemüthliche“ Berlin; unser junger Freund
fürchtete außerdem den ernsten, strengen Rauch, unter dessen Leitung er
jetzt arbeiten sollte. Auch schien Rauch anfangs diese Befürchtungen zu
rechtfertigen; kühl, ja bisweilen hart begegnete er dem weichen, stillen
[Ende Spaltensatz]

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[133/0005] 133 Getränk Wohlgeschmack abgewinnen können, sobald sie den ersten Widerwillen, den sie in der Regel mitbringen, überwunden haben. Abgesehen von dem lederartigen Beigeschmack, der von den ledernen Behältern herrühren mag, in denen er aufbewahrt wird, dürfte ein ganz ähnliches Getränk mit derselben angenehmen Säure durch magere, mit etwas herbem Wein versetzte Milch herzustellen sein. Mit wie glücklichem Erfolge der Kumis auch bei einzelnen Patienten angewendet wird, so hat man sich doch während der Kur namentlich des Genusses von Obst im Allgemeinen und ins- besondere des Strauchobstes zu enthalten, wenn nicht eine entgegen- gesetzte und nachtheilige Wirkung erzielt werden soll. Daß das Ge- tränk außerdem für denjenigen berauschend wirkt, dessen Natur nicht daran gewöhnt ist, dürfte ebenfalls hinreichend bekannt sein; ich möchte daher nur noch bemerken, daß man sich nach dem Genuß besonders vor zu starken Erschütterungen zu hüten hat, wenn nicht Unwohlsein und Erbrechen die Folge sein soll, wie dies namentlich beim Reiten und Fahren der Fall ist. Alles das, was ich im Vorhergehenden insbesondere von den Baschkiren sagte, gilt auch im Allgemeinen von den Kirgisen und an- deren Steppenbewohnern, nur daß der Kirgise sich noch auf einer weit niedrigeren Kulturstufe befindet, und während jener nur die Steppe zu seinem glücklichen Sommerwohnsitz wählt, dieser auch den Winter dort in seiner elenden Hütte verbringt und bei einem in der Mitte derselben brennenden Feuerchen Sturm und eine Kälte von 30 bis 40° R. zu ertragen vermag. Fassen wir die in aller Kürze zusammengedrängte Schilderung des Steppenlebens zusammen und vergegenwärtigen uns ein solches in der unermeßlichen, von Gras bewachsenen Fläche aufgeschlagenes Baschkirenlager und erblicken vor uns eine lange Reihe aufgestellter Zelte ( Kibitken ) , vor denselben eine zahllose Menge Pferde, Rin- der, Schafe und Ziegen im buntesten Gewühl untereinander, ferner die zwischen den Zelten auf Dreifüßen ruhenden und dampfenden Kessel, sowie die darum beschäftigten Gestalten der Frauen und halb oder ganz nackten Kinder, und in einiger Entfernung innerhalb einer kleinen Umzäunung von Stangen zu verschiedenen Tageszeiten den betenden, auf seinen Knien liegenden Mukate, und endlich rings- umher die stille, eintönige, unübersehbare Steppenlandschaft: so er- halten wir ein Motiv für Maler, wie es wirksamer kaum angetroffen werden dürfte. Lassen wir es an dem, was ich speziell über die Steppe sagte, genug sein, um noch einen Blick auf das Leben in den feststehenden Aulen zu werfen, wohin die Baschkiren mit dem Beginn der kalten Jahreszeit wieder zurückkehren. Man muß zugestehen, daß die Aule der Baschkiren an Sauber- keit und Freundlichkeit in den meisten Fällen die Dörfer der Russen übertreffen — ein Vorzug, den wir mit Vergnügen und mit wenigen Ansnahmen auch im Jnnern der Wohnungen wiederfinden können. Wenn auch die in zwei Reihen aus Holz aufgeführten Häu- ser, mit Ausnahme weniger, deren Giebel mit zierlichen Schnitzereien und deren Fenster mit Glas versehen sind, unseren Baukünstlern ein hohes Jnteresse nicht abgewinnen würden, so ist doch der Eindruck, den das Ganze macht, ein angenehmer. Unter den hin und wieder in der Steppe auftauchenden Aulen, die mitunter so schnell entstehen, daß sie wie aus der Erde gewachsen erscheinen, giebt es allerdings auch solche, die uns nicht in dem Maße wie jene für sich einnehmen. Es sind dies solche Aulen einer ab- gezweigten ärmeren Baschkirengruppe, die sich von einer größeren Ge- meinde lostrennte und wie ein Bienenschwarm ausschwärmte, um dauernd zu verbleiben, wo sie einfiel. Jn diesem Falle bestehen die kleinen, im Quadrat aufgeführten Häuser oder Hütten und in wenigen Tagen fertig hingestellt, meist aus schwachem vierzölligem Lindenholz, und sind sehr häufig statt der Bedachtung mit einer Erdschicht oder mit Rasen bedeckt, während die Fenster aus viereckigen ausgeschnittenen Löchern bestehen, die statt der Gläser mit dünn gegerbten Thier- häuten oder Rindsblase beklebt werden, durch welche das Tageslicht nur schwach hindurchdringt und das Durchblicken nur dadurch mög- lich wird, daß man mit einer Nadel kleine Löcher durchsticht und das Auge dicht daran hält. So leicht nun diese Hütten auch sind und so wenig sie gegen die sengenden Sonnenstrahlen im Sommer und gegen Sturm und Frost im Winter Schutz zu gewähren scheinen, um so mehr muß es überraschen, auch bei der strengsten Kälte im Jnnern dieser Kästen nicht nur eine ausreichende Wärme, sondern sogar sehr häufig eine wahrhaft erdrückende Hitze vorzufinden, was sich sehr leicht dadurch erklärt, daß die Wohnungen zum Theil oder auch ganz in der außerordentlich hohen Schneedecke derartig vergraben liegen, daß man, namentlich weiter im Norden, über Dörfer hinwegfährt, und oft- mals auf der Reise die ersehnten Ortschaften nicht früher entdeckt, als bis man darin ist und die Rauchsäulen aus dem Schnee empor- wirbeln sieht. ( Fortsetzung folgt. ) Süddeutsche Zollparlamentswahlen. Als einst der Herr in diese Welt Herabstieg von des Himmels Stufen, Hat er zu Zöllnern sich gesellt Und zu Aposteln sie berufen. Die Kirche wählt Apostel jetzt Aus ihres heil'gen Worts Verkündern, Und macht, weil sie das Volk verhetzt, Zu Zöllnern sie — und großen Sündern. Ernst Rietschel. ( Schluß. ) Vater Rietschel wollte davon nichts wissen, denn er sah keine Mög- lichkeit vor Augen, den Sohn auf der Kunstschule zu unterhalten. So sandte er seinen Ernst hinter den Ladentisch zurück. Acht Wochen lang war Rietschel Krämerlehrling; da erkrankte er und ging, um bessere Pflege zu finden, ins Vaterhaus zurück. Seine Kaufmannsthätigkeit wieder auf- zunehmen hatte er nicht die geringste Lust; er meldete sich zu etlichen Schreiberstellen, ohne Antwort zu erhalten; er erklärte sich schließlich bereit, wenn es sein müßte, Schreiner oder Drechsler zu werden. Der Vater, welcher aus diesem Entschluß die Verzweiflung des Sohnes heraus- fühlte, zeigte dessen Zeichnungen einem Dresdener Baubeamten, welcher ab und zu nach Pulsnitz kam. Dieser erkannte das darin ausgesprochene Talent, meinte, daß es nicht so schwer sein werde, in Dresden durch- zukommen, und um den Herzenswunsch des einzigen Sohnes zu erfüllen, machte sich Vater Rietschel im Herbst 1820 nach Dresden auf, seinen Ernst der Kunstschule zu übergeben. Sechs Thaler, das war Alles, was der gute Mann seinem Sohn auf die beschwerliche Lebensreise mitgeben konnte, und das waren theils Geschenke guter Leute, theils der Ueberrest von des Knaben Zeichen= und Schreibverdienst. Aber er hatte im Vater- hause gelernt, mit Wenigem zufrieden zu sein. Und wahrlich, die Dresdener Jahre waren keine Herrenjahre für den armen jungen Künstler! Bei des Vaters höchst beschränkten Mitteln mußte Alles auf das Bescheidenste eingerichtet werden. Für1 1 / 3 Thaler monatlich bekam Ernst eine Wohnung in dem Häuschen einer armen Waschfrau ge- miethet; in der gemeinschaftlichen Wohnstube hatte er ein Fenster nebst Stuhl und Tisch für sich, den Morgenkaffee und ein Schlafkämmerchen unterm Dach — Alles für 1 Thaler 10 Groschen; freilich war das Stübchen eng und geräuschvoll, das Kämmerchen im Sommer glühheiß, im Winter fegte der Wind durch die Ziegel und wehte den Schnee auf die Bettdecke. Butter, Brot und Kartoffeln schickten die Aeltern zeitweise von Pulsnitz; die ältere Schwester gab, wenn die Noth allzu sehr drängte, ein Paar Groschen von ihrem Lohn, und wenn der Jüngling um Geld nach Hause schrieb, dann kam höchstens ein Gulden, oft nur fünf oder zehn Groschen. Butterbrot und Obst war zumeist die Speise des jungen Künstlers. Nur einmal, als er für eine wohlgelungene Zeichnung einen Dukaten hatte verehrt bekommen, gestattete er sich den Luxus, in ein Speisehaus zu gehen, um sich nach Herzenslust an einem Lieblingsgericht satt zu essen; und doch, als er daran ging, schämte er sich so sehr der ungewohnten Ueppigkeit, daß er das Nächste wählte, eilig hinunterschlang, sich dabei den Mund verbrannte und sofort wieder davonging. Erst in seiner späteren Dresdener Zeit ging es ihm behaglicher; die Beweise hoher Begabung, die er abgelegt, gewannen ihm Gönner; er erhielt bei ihnen freien Tisch, was ihm bei seinem raschen Wachsen nach der bisherigen schlechten Kost sehr zu statten kam. Als Künstler machte er schnelle Fort- schritte. Obgleich er das Zeichnen ganz von vorn anfangen mußte, so zeichnete er doch bald nach Gypsfiguren, nach Gemälden und lebendigen Modellen; seine Mußestunden benutzte er, um durch Lesen der besten Dichter, durch das Studium der Geschichte die zahlreichen Lücken seiner Bildung auszufüllen. Drei Jahre hatte Rietschel zu Dresden zugebracht und so ziemlich ge- lernt, was man als zukünftiger Maler dort lernen konnte. Der Minister Graf Einsiedel suchte damals für sein großes Eisenwerk zu Lauchhammer einen jungen Mann, welcher bereit wäre, gegen eine Unterstützung bei seinen Studien sich zum Modelleur auszubilden; Rietschel mochte darin die Aussicht auf eine dereinstige Versorgung erkennen, und nahm den Vorschlag an. Er ging somit im Herbst 1823 zur Bildhauerei über, worin der damalige Hofhildhauer Pettrich sein Lehrer war; dieser muß freilich, nach Rietschels eigenem Bericht, ein ziemlich armseliger Künstler gewesen sein, der von der Ausführung größerer Werke gar nichts verstand. Drei Jahre lang genoß Rietschel Pettrichs Unterricht, ohne etwas Rechtes zu lernen, und beklommenen Herzens ging er im Spätjahr 1826 nach Berlin, um dort unter Rauchs Leitung seine Studien zu vollenden. Es ging dem jungen Sachsen, wie so oft dem Süd= oder Mittel- deutschen, er fürchtete das „ungemüthliche“ Berlin; unser junger Freund fürchtete außerdem den ernsten, strengen Rauch, unter dessen Leitung er jetzt arbeiten sollte. Auch schien Rauch anfangs diese Befürchtungen zu rechtfertigen; kühl, ja bisweilen hart begegnete er dem weichen, stillen

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Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 17. Berlin, 26. April 1868, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt17_1868/5>, abgerufen am 18.06.2024.