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Sonntags-Blatt. Nr. 17. Berlin, 26. April 1868.

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[Beginn Spaltensatz] der Schluß, der sagte: "Und was Du ewig liebst, ist ewig Dein!"
Das schien mir so trostreich, weil es ja doch von uns abhängt, unser
Liebstes immer zu besitzen, trotz aller Entfernung; und so meine ich,
die Worte sollen unser Trostspruch sein, Ewald, der gehe mit Dir in
die weite ferne Welt und stehe bei mir in dem stillen, alltäglichen,
einsamen Leben hier in der Heimath."

"So sei es!" sagte Ewald kurz, denn er getraute sich nicht, viel
zu sprechen, damit sie nicht merke, wie die Thränen ihm in der Stimme
zitterten und vor seiner tiefen Bewegung ihre schöne Fassung nicht
dahin schwinde.

"Jm Garten an den Sträuchern und Bäumen wollte noch keine
der Rosenknospen aufbrechen, obgleich die Sonne schon so warm ge-
schienen; aber in meinem Stübchen an dem einen Stock ist diese
erblüht; ich brach sie für Dich, weil Du die Rosen immer so gern
mochtest."

Gertrud zog unter ihrem Busentuch eine schöne duftende Rose
hervor, und ehe sie dieselbe Ewald reichte, küßte sie die Blume. So
einfach ihr Thun, sprach dennoch eine solche Liebesinnigkeit daraus, daß
es mit Uebermacht auf den jungen Mann wirkte.

[Spaltenumbruch]

Einen Moment war es ihm, als müsse er die Heißgeliebte in seine
starken Arme nehmen und mit ihr davoneilen, sein Kleinod zu bergen
an einem sichern Ort, und dort Allen zum Trotz glücklich sein. Wer
hinderte ihn daran? Hatte er nicht reichliche Mittel, sich eine neue
Existenz zu gründen? Waren nicht alle Wege geebnet? Doch nur wie
ein flüchtiger Hauch zogen diese Gedanken an ihm vorüber, und
der Versucher entwich vor seiner echten Liebe.

"Jetzt muß ich umkehren, Ewald; ich hab' es dem Vater ver-
sprochen, nicht weiter zu gehen."

Noch ein langer, heißer Kuß -- die Arme lös'ten sich.

"Die heilige Jungfrau sei mit Dir, Ewald, herzlieder Ewald!"

"Gott schütze Dich, meine Gertrud!"

Eilig schritt er dahin, als brenne der Boden unter seinen Füßen.
Noch einmal, ehe der Wald ihn ganz aufnahm, blickte er sich um.
Ein weißes Tuch winkte grüßend durch die dämmernde Nacht, und
ihm war's, als trüge ein Lufthauch ihm die Worte zu: "Und was
Du ewig liebst, ist ewig Dein!"

( Fortsetzung folgt. )

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Völkerleben in der kargalinischen und asiatischen Steppe
und der Baschkirei.

( Fortsetzung. )

Der erste Anblick dieser wandernden Niederlassungen und impro-
visirten Kolonien erinnert nicht wenig an ein kleines Lager un-
serer Felddienst übenden Kavallerie=Abtheilungen, und zwar um
so mehr, je größer die Zahl der in einer Linie aufgeschlagenen
Kibitken ist, die zusammenliegen, welche, um den Pferden und Rin-
dern den Zutritt abzuschneiden und die freien Bewegungen der Ko-
lonisten nicht zu behindern, durch ein starkes, rings um die Zelte lau-
fendes Seil abgegrenzt sind, während außerhalb des Seiles die aus
der Steppe zurückgekehrten und gesättigten Thiere sich umher tummeln
oder je nach ihrer Aufführung auch angebunden stehen oder liegen,
bis die glühende Hitze der Mittagszeit einer milderen Temperatur ge-
wichen ist und neuer Hunger oder Durst sie zu einer abermaligen
Promenade auffordert.

Selten geschieht es, daß einzelne Zelte in der Steppe auftauchen;
fast immer ist es die ganze oder doch die Hälfte der begüterten Ein-
wohnerschaft eines Auls, dessen Mittel und Reichthümer es erlauben,
die freien glücklichen Tage der Sommersaison zu genießen, welche ihrer
Zusammengehörigkeit sich bewußt, so wie aus Hang zur Geselligkeit,
kameradschaftlich an einem Orte sich niederläßt und vereint denselben
wieder wechselt, wenn nach einiger Zeit der nächste Umkreis den in
Folge des Ueberflusses nunmehr verwöhnten Viehheerden als Weide
nicht mehr behagen will. Auf diese Weise entstehen in der Steppe
gleichsam wandernde Dörfer oder Lager; mit ihnen verpflanzt sich auch
das rege Leben eines Steppentheils nach einem andern, und der
Jubel, der hier herrscht, wird von Stätte zu Stätte fortgetragen und
überall angetroffen. Die Echo's der jodelnden Baschkiren von nah
und fern begegnen sich, und das Wiehern der Pferde sowie das
Blöken der Rinder und Schafe, wohl auch das Meckern der Ziegen
oder ein Flötenbläser vervollständigen das heitere Konzert des sorg-
losen Hirtenvolks.

Während die triste oder doch im Allgemeinen sehr monotone
Steppe an einzelnen Orten jetzt das Bild eines regen Lebens bietet,
die Stimmen von Menschen und Thieren die tiefe Stille und ihre
individuellen Erscheinungen das weite Gesichtsfeld häufiger unter-
brechen, liefern die verlassenen Aule ein Bild des Gegentheils
und gleichen verlassenen Nestern, die der heimkehrenden Zugvögel
harren. Die Straßen sind todt und öde; selten läuft ein Hund über
dieselben hinweg, seltener noch belebt sie ein Mensch, wenn nicht ein
Zufall oder Langeweile einen Baschkiren aus der Steppe nach Hause
führt, um etwas Vergessenes nachzuholen oder seine in dem Aule
stehenden Bienenstöcke zu überwachen, die einen Theil seines Reich-
thums ausmachen. Selbst die Wohnungen stehen leer, und nur selten
ist in denselben ein Mann oder eine Frau anzutreffen, denen das
drückende Alter nicht mehr gestattet, der jüngeren Generation in die
schöne Steppe zu folgen.

Selbst die ärmere und zahlreichere Klasse, deren Mittel es nicht
erlauben, das Wohlleben jener Glücklichen in der Steppe zu theilen,
ist bemüht, für jene Entbehrungen Ersatz zu finden und sich während
der kurzen Sommerzeit für die Leiden des langen Winters Genug-
thuung zu verschaffen oder sich zu restauriren, um der Noth des
nächstfolgenden um so besser widerstehen zu können, und verläßt ihre
Aule, theils um sich ihren reicheren Verwandten und Freunden an-
zuschließen oder um auszuwandern in die Nähe russischer Dörfer, wo
[Spaltenumbruch] sie im schattigen Gebüsch am Ufer eines Flüßchens ihre Hütten
aufschlagen und ihre Glückseligkeit in Schlaf und Trägheit finden,
bis nach drei oder vier Tagen süßer Ruhe der ungeduldige Magen
energisch nach Thätigkeit verlangt und ihre Füße in eilige
Bewegung setzt, um auszuspähen, ob Allah, der Barmherzige,
ihnen einen feisten Hammel, oder sei es auch ein Rind oder Pferd,
zuführen wird, um ihrem Messer resp. ihrem Appetit zum Opfer zu
fallen, oder wenn ihre Fähigkeiten in dieser Beziehung, aller An-
strengung ungeachtet, der Wachsamkeit der Russen gegenüber sich ohn-
mächtig erweisen sollten, durch irgend eine leichte Arbeit die Mittel
resp. eine geringe Quantität Mehl zu gewinnen, um den unbarmherzigen
Schreier im Jnnern zum Schweigen zu bringen, und wenn es
geschehen ist, von Neuem der Ruhe sich hinzugeben.

So wenig Reiz nun auch ein solches Glück für denjenigen haben
mag, der in einer andern Sphäre geboren und erzogen und an ein
komfortableres Leben gewöhnt ist, so ist dasselbe doch hinreichend, das
Herz des Baschkiren in hohem Maße zu befriedigen, seinen armseligen
Schatz von Wünschen zusammen zu schmelzen und seinem Dichten und
Trachten als einziges und herrliches Ziel zu dienen.

Daß jedoch auch die Mitglieder dieser Klasse die Sehnsucht nach
der Steppe nicht lange überwinden, wo jetzt ihre wohlhabenderen
Brüder in Fülle und Genüssen aller Art schwelgen, ist natürlich, und
dem Begehren des Einzelnen folgt schnell, wie der Gedanke, Ent-
schluß und That. Unbekümmert um diejenigen, die er verläßt, und nicht
sonderlich vermißt von denjenigen, die er verlassen hat, verschwindet
er plötzlich, um erst nach Tagen und Wochen eben so plötzlich wieder
zu erscheinen.

Und in der That hat das Wohlleben in der Steppe allmälig den
Gipfelpunkt erreicht, verführerisch genug für das Herz eines Basch-
kiren, um sein Verlangen bis zu einem unwiderstehlichen Grade zu
steigern und ihn mitten in seinem schönsten Traum aufzustören.

Die Steppe ist jetzt das Land, wo Milch und Honig fließt. Die
Pferde haben sich beim Sommerfutter bald erholt; die Stuten geben
reichlich Milch, die Lederbeutel werden mit Kumis gefüllt und täglich
frische und bedeutende Quantitäten gewonnen und massenhaft ge-
trunken. Die vor den Kibitken auf Gestellen ruhenden Kessel brodeln,
und die unter denselben prasselnden Feuer verlöschen erst spät mit
einbrechender Nacht. Die Frauen backen oder rösten kleine runde
Kuchen oder Brote von besonderem Wohlgeschmack; es wird gegessen
und Kumis getrunken; die jungen Frauen erheitern ihrem Ehe-
gemahl die schlaflosen Stunden, die älteren, deren Erfolge zweifel-
hafter werden und die an Schönheit und Reiz verloren, übernehmen
die wirthschaftlichen Verrichtungen, kurzum, es ist ein so herrliches
und schönes Leben, daß der Baschkire kein Paradies ohne Steppe
sich denken kann.

Die Dekoration im Jnnern der Zelte ist eine Wiederholung im
Kleinen, wie wir sie in den Wohnungen der Aule antreffen. Auf
einem auf dem Fußboden ausgebreiteten Teppich, dem Eingange gegen-
über, erblickt man die Ruhekissen des Hausherrn. Rechts und links
Kästen, die die Vorräthe enthalten und gleichzeitig als Sitze dienen,
und links am Eingang einen riesigen Lederbeutel zur Aufnahme der
frisch gewonnenen Pferdemilch, in welchem dieselbe durch eine theil-
weise Gährung in Kumis umgewandelt wird. Mit diesen wenigen
Gegenständen dürfte die innere Ausstattung für beendigt angesehen
werden können.

Es möchte hier rathsam scheinen, einige Worte über dieses aus
Pferdemilch gewonnene Getränk der Steppenbewohner einzuflechten.

Die Urtheile unserer Aerzte bezüglich der günstigen Wirkung des
Kumis bei Brustkranken dürfte indessen schon genügend bekannt sein;
ich will daher nur noch hinzufügen, daß auch Nichtkranke dem
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] der Schluß, der sagte: „Und was Du ewig liebst, ist ewig Dein!“
Das schien mir so trostreich, weil es ja doch von uns abhängt, unser
Liebstes immer zu besitzen, trotz aller Entfernung; und so meine ich,
die Worte sollen unser Trostspruch sein, Ewald, der gehe mit Dir in
die weite ferne Welt und stehe bei mir in dem stillen, alltäglichen,
einsamen Leben hier in der Heimath.“

„So sei es!“ sagte Ewald kurz, denn er getraute sich nicht, viel
zu sprechen, damit sie nicht merke, wie die Thränen ihm in der Stimme
zitterten und vor seiner tiefen Bewegung ihre schöne Fassung nicht
dahin schwinde.

„Jm Garten an den Sträuchern und Bäumen wollte noch keine
der Rosenknospen aufbrechen, obgleich die Sonne schon so warm ge-
schienen; aber in meinem Stübchen an dem einen Stock ist diese
erblüht; ich brach sie für Dich, weil Du die Rosen immer so gern
mochtest.“

Gertrud zog unter ihrem Busentuch eine schöne duftende Rose
hervor, und ehe sie dieselbe Ewald reichte, küßte sie die Blume. So
einfach ihr Thun, sprach dennoch eine solche Liebesinnigkeit daraus, daß
es mit Uebermacht auf den jungen Mann wirkte.

[Spaltenumbruch]

Einen Moment war es ihm, als müsse er die Heißgeliebte in seine
starken Arme nehmen und mit ihr davoneilen, sein Kleinod zu bergen
an einem sichern Ort, und dort Allen zum Trotz glücklich sein. Wer
hinderte ihn daran? Hatte er nicht reichliche Mittel, sich eine neue
Existenz zu gründen? Waren nicht alle Wege geebnet? Doch nur wie
ein flüchtiger Hauch zogen diese Gedanken an ihm vorüber, und
der Versucher entwich vor seiner echten Liebe.

„Jetzt muß ich umkehren, Ewald; ich hab' es dem Vater ver-
sprochen, nicht weiter zu gehen.“

Noch ein langer, heißer Kuß — die Arme lös'ten sich.

„Die heilige Jungfrau sei mit Dir, Ewald, herzlieder Ewald!“

„Gott schütze Dich, meine Gertrud!“

Eilig schritt er dahin, als brenne der Boden unter seinen Füßen.
Noch einmal, ehe der Wald ihn ganz aufnahm, blickte er sich um.
Ein weißes Tuch winkte grüßend durch die dämmernde Nacht, und
ihm war's, als trüge ein Lufthauch ihm die Worte zu: „Und was
Du ewig liebst, ist ewig Dein!“

( Fortsetzung folgt. )

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Völkerleben in der kargalinischen und asiatischen Steppe
und der Baschkirei.

( Fortsetzung. )

Der erste Anblick dieser wandernden Niederlassungen und impro-
visirten Kolonien erinnert nicht wenig an ein kleines Lager un-
serer Felddienst übenden Kavallerie=Abtheilungen, und zwar um
so mehr, je größer die Zahl der in einer Linie aufgeschlagenen
Kibitken ist, die zusammenliegen, welche, um den Pferden und Rin-
dern den Zutritt abzuschneiden und die freien Bewegungen der Ko-
lonisten nicht zu behindern, durch ein starkes, rings um die Zelte lau-
fendes Seil abgegrenzt sind, während außerhalb des Seiles die aus
der Steppe zurückgekehrten und gesättigten Thiere sich umher tummeln
oder je nach ihrer Aufführung auch angebunden stehen oder liegen,
bis die glühende Hitze der Mittagszeit einer milderen Temperatur ge-
wichen ist und neuer Hunger oder Durst sie zu einer abermaligen
Promenade auffordert.

Selten geschieht es, daß einzelne Zelte in der Steppe auftauchen;
fast immer ist es die ganze oder doch die Hälfte der begüterten Ein-
wohnerschaft eines Auls, dessen Mittel und Reichthümer es erlauben,
die freien glücklichen Tage der Sommersaison zu genießen, welche ihrer
Zusammengehörigkeit sich bewußt, so wie aus Hang zur Geselligkeit,
kameradschaftlich an einem Orte sich niederläßt und vereint denselben
wieder wechselt, wenn nach einiger Zeit der nächste Umkreis den in
Folge des Ueberflusses nunmehr verwöhnten Viehheerden als Weide
nicht mehr behagen will. Auf diese Weise entstehen in der Steppe
gleichsam wandernde Dörfer oder Lager; mit ihnen verpflanzt sich auch
das rege Leben eines Steppentheils nach einem andern, und der
Jubel, der hier herrscht, wird von Stätte zu Stätte fortgetragen und
überall angetroffen. Die Echo's der jodelnden Baschkiren von nah
und fern begegnen sich, und das Wiehern der Pferde sowie das
Blöken der Rinder und Schafe, wohl auch das Meckern der Ziegen
oder ein Flötenbläser vervollständigen das heitere Konzert des sorg-
losen Hirtenvolks.

Während die triste oder doch im Allgemeinen sehr monotone
Steppe an einzelnen Orten jetzt das Bild eines regen Lebens bietet,
die Stimmen von Menschen und Thieren die tiefe Stille und ihre
individuellen Erscheinungen das weite Gesichtsfeld häufiger unter-
brechen, liefern die verlassenen Aule ein Bild des Gegentheils
und gleichen verlassenen Nestern, die der heimkehrenden Zugvögel
harren. Die Straßen sind todt und öde; selten läuft ein Hund über
dieselben hinweg, seltener noch belebt sie ein Mensch, wenn nicht ein
Zufall oder Langeweile einen Baschkiren aus der Steppe nach Hause
führt, um etwas Vergessenes nachzuholen oder seine in dem Aule
stehenden Bienenstöcke zu überwachen, die einen Theil seines Reich-
thums ausmachen. Selbst die Wohnungen stehen leer, und nur selten
ist in denselben ein Mann oder eine Frau anzutreffen, denen das
drückende Alter nicht mehr gestattet, der jüngeren Generation in die
schöne Steppe zu folgen.

Selbst die ärmere und zahlreichere Klasse, deren Mittel es nicht
erlauben, das Wohlleben jener Glücklichen in der Steppe zu theilen,
ist bemüht, für jene Entbehrungen Ersatz zu finden und sich während
der kurzen Sommerzeit für die Leiden des langen Winters Genug-
thuung zu verschaffen oder sich zu restauriren, um der Noth des
nächstfolgenden um so besser widerstehen zu können, und verläßt ihre
Aule, theils um sich ihren reicheren Verwandten und Freunden an-
zuschließen oder um auszuwandern in die Nähe russischer Dörfer, wo
[Spaltenumbruch] sie im schattigen Gebüsch am Ufer eines Flüßchens ihre Hütten
aufschlagen und ihre Glückseligkeit in Schlaf und Trägheit finden,
bis nach drei oder vier Tagen süßer Ruhe der ungeduldige Magen
energisch nach Thätigkeit verlangt und ihre Füße in eilige
Bewegung setzt, um auszuspähen, ob Allah, der Barmherzige,
ihnen einen feisten Hammel, oder sei es auch ein Rind oder Pferd,
zuführen wird, um ihrem Messer resp. ihrem Appetit zum Opfer zu
fallen, oder wenn ihre Fähigkeiten in dieser Beziehung, aller An-
strengung ungeachtet, der Wachsamkeit der Russen gegenüber sich ohn-
mächtig erweisen sollten, durch irgend eine leichte Arbeit die Mittel
resp. eine geringe Quantität Mehl zu gewinnen, um den unbarmherzigen
Schreier im Jnnern zum Schweigen zu bringen, und wenn es
geschehen ist, von Neuem der Ruhe sich hinzugeben.

So wenig Reiz nun auch ein solches Glück für denjenigen haben
mag, der in einer andern Sphäre geboren und erzogen und an ein
komfortableres Leben gewöhnt ist, so ist dasselbe doch hinreichend, das
Herz des Baschkiren in hohem Maße zu befriedigen, seinen armseligen
Schatz von Wünschen zusammen zu schmelzen und seinem Dichten und
Trachten als einziges und herrliches Ziel zu dienen.

Daß jedoch auch die Mitglieder dieser Klasse die Sehnsucht nach
der Steppe nicht lange überwinden, wo jetzt ihre wohlhabenderen
Brüder in Fülle und Genüssen aller Art schwelgen, ist natürlich, und
dem Begehren des Einzelnen folgt schnell, wie der Gedanke, Ent-
schluß und That. Unbekümmert um diejenigen, die er verläßt, und nicht
sonderlich vermißt von denjenigen, die er verlassen hat, verschwindet
er plötzlich, um erst nach Tagen und Wochen eben so plötzlich wieder
zu erscheinen.

Und in der That hat das Wohlleben in der Steppe allmälig den
Gipfelpunkt erreicht, verführerisch genug für das Herz eines Basch-
kiren, um sein Verlangen bis zu einem unwiderstehlichen Grade zu
steigern und ihn mitten in seinem schönsten Traum aufzustören.

Die Steppe ist jetzt das Land, wo Milch und Honig fließt. Die
Pferde haben sich beim Sommerfutter bald erholt; die Stuten geben
reichlich Milch, die Lederbeutel werden mit Kumis gefüllt und täglich
frische und bedeutende Quantitäten gewonnen und massenhaft ge-
trunken. Die vor den Kibitken auf Gestellen ruhenden Kessel brodeln,
und die unter denselben prasselnden Feuer verlöschen erst spät mit
einbrechender Nacht. Die Frauen backen oder rösten kleine runde
Kuchen oder Brote von besonderem Wohlgeschmack; es wird gegessen
und Kumis getrunken; die jungen Frauen erheitern ihrem Ehe-
gemahl die schlaflosen Stunden, die älteren, deren Erfolge zweifel-
hafter werden und die an Schönheit und Reiz verloren, übernehmen
die wirthschaftlichen Verrichtungen, kurzum, es ist ein so herrliches
und schönes Leben, daß der Baschkire kein Paradies ohne Steppe
sich denken kann.

Die Dekoration im Jnnern der Zelte ist eine Wiederholung im
Kleinen, wie wir sie in den Wohnungen der Aule antreffen. Auf
einem auf dem Fußboden ausgebreiteten Teppich, dem Eingange gegen-
über, erblickt man die Ruhekissen des Hausherrn. Rechts und links
Kästen, die die Vorräthe enthalten und gleichzeitig als Sitze dienen,
und links am Eingang einen riesigen Lederbeutel zur Aufnahme der
frisch gewonnenen Pferdemilch, in welchem dieselbe durch eine theil-
weise Gährung in Kumis umgewandelt wird. Mit diesen wenigen
Gegenständen dürfte die innere Ausstattung für beendigt angesehen
werden können.

Es möchte hier rathsam scheinen, einige Worte über dieses aus
Pferdemilch gewonnene Getränk der Steppenbewohner einzuflechten.

Die Urtheile unserer Aerzte bezüglich der günstigen Wirkung des
Kumis bei Brustkranken dürfte indessen schon genügend bekannt sein;
ich will daher nur noch hinzufügen, daß auch Nichtkranke dem
[Ende Spaltensatz]

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[132/0004] 132 der Schluß, der sagte: „Und was Du ewig liebst, ist ewig Dein!“ Das schien mir so trostreich, weil es ja doch von uns abhängt, unser Liebstes immer zu besitzen, trotz aller Entfernung; und so meine ich, die Worte sollen unser Trostspruch sein, Ewald, der gehe mit Dir in die weite ferne Welt und stehe bei mir in dem stillen, alltäglichen, einsamen Leben hier in der Heimath.“ „So sei es!“ sagte Ewald kurz, denn er getraute sich nicht, viel zu sprechen, damit sie nicht merke, wie die Thränen ihm in der Stimme zitterten und vor seiner tiefen Bewegung ihre schöne Fassung nicht dahin schwinde. „Jm Garten an den Sträuchern und Bäumen wollte noch keine der Rosenknospen aufbrechen, obgleich die Sonne schon so warm ge- schienen; aber in meinem Stübchen an dem einen Stock ist diese erblüht; ich brach sie für Dich, weil Du die Rosen immer so gern mochtest.“ Gertrud zog unter ihrem Busentuch eine schöne duftende Rose hervor, und ehe sie dieselbe Ewald reichte, küßte sie die Blume. So einfach ihr Thun, sprach dennoch eine solche Liebesinnigkeit daraus, daß es mit Uebermacht auf den jungen Mann wirkte. Einen Moment war es ihm, als müsse er die Heißgeliebte in seine starken Arme nehmen und mit ihr davoneilen, sein Kleinod zu bergen an einem sichern Ort, und dort Allen zum Trotz glücklich sein. Wer hinderte ihn daran? Hatte er nicht reichliche Mittel, sich eine neue Existenz zu gründen? Waren nicht alle Wege geebnet? Doch nur wie ein flüchtiger Hauch zogen diese Gedanken an ihm vorüber, und der Versucher entwich vor seiner echten Liebe. „Jetzt muß ich umkehren, Ewald; ich hab' es dem Vater ver- sprochen, nicht weiter zu gehen.“ Noch ein langer, heißer Kuß — die Arme lös'ten sich. „Die heilige Jungfrau sei mit Dir, Ewald, herzlieder Ewald!“ „Gott schütze Dich, meine Gertrud!“ Eilig schritt er dahin, als brenne der Boden unter seinen Füßen. Noch einmal, ehe der Wald ihn ganz aufnahm, blickte er sich um. Ein weißes Tuch winkte grüßend durch die dämmernde Nacht, und ihm war's, als trüge ein Lufthauch ihm die Worte zu: „Und was Du ewig liebst, ist ewig Dein!“ ( Fortsetzung folgt. ) Völkerleben in der kargalinischen und asiatischen Steppe und der Baschkirei. ( Fortsetzung. ) Der erste Anblick dieser wandernden Niederlassungen und impro- visirten Kolonien erinnert nicht wenig an ein kleines Lager un- serer Felddienst übenden Kavallerie=Abtheilungen, und zwar um so mehr, je größer die Zahl der in einer Linie aufgeschlagenen Kibitken ist, die zusammenliegen, welche, um den Pferden und Rin- dern den Zutritt abzuschneiden und die freien Bewegungen der Ko- lonisten nicht zu behindern, durch ein starkes, rings um die Zelte lau- fendes Seil abgegrenzt sind, während außerhalb des Seiles die aus der Steppe zurückgekehrten und gesättigten Thiere sich umher tummeln oder je nach ihrer Aufführung auch angebunden stehen oder liegen, bis die glühende Hitze der Mittagszeit einer milderen Temperatur ge- wichen ist und neuer Hunger oder Durst sie zu einer abermaligen Promenade auffordert. Selten geschieht es, daß einzelne Zelte in der Steppe auftauchen; fast immer ist es die ganze oder doch die Hälfte der begüterten Ein- wohnerschaft eines Auls, dessen Mittel und Reichthümer es erlauben, die freien glücklichen Tage der Sommersaison zu genießen, welche ihrer Zusammengehörigkeit sich bewußt, so wie aus Hang zur Geselligkeit, kameradschaftlich an einem Orte sich niederläßt und vereint denselben wieder wechselt, wenn nach einiger Zeit der nächste Umkreis den in Folge des Ueberflusses nunmehr verwöhnten Viehheerden als Weide nicht mehr behagen will. Auf diese Weise entstehen in der Steppe gleichsam wandernde Dörfer oder Lager; mit ihnen verpflanzt sich auch das rege Leben eines Steppentheils nach einem andern, und der Jubel, der hier herrscht, wird von Stätte zu Stätte fortgetragen und überall angetroffen. Die Echo's der jodelnden Baschkiren von nah und fern begegnen sich, und das Wiehern der Pferde sowie das Blöken der Rinder und Schafe, wohl auch das Meckern der Ziegen oder ein Flötenbläser vervollständigen das heitere Konzert des sorg- losen Hirtenvolks. Während die triste oder doch im Allgemeinen sehr monotone Steppe an einzelnen Orten jetzt das Bild eines regen Lebens bietet, die Stimmen von Menschen und Thieren die tiefe Stille und ihre individuellen Erscheinungen das weite Gesichtsfeld häufiger unter- brechen, liefern die verlassenen Aule ein Bild des Gegentheils und gleichen verlassenen Nestern, die der heimkehrenden Zugvögel harren. Die Straßen sind todt und öde; selten läuft ein Hund über dieselben hinweg, seltener noch belebt sie ein Mensch, wenn nicht ein Zufall oder Langeweile einen Baschkiren aus der Steppe nach Hause führt, um etwas Vergessenes nachzuholen oder seine in dem Aule stehenden Bienenstöcke zu überwachen, die einen Theil seines Reich- thums ausmachen. Selbst die Wohnungen stehen leer, und nur selten ist in denselben ein Mann oder eine Frau anzutreffen, denen das drückende Alter nicht mehr gestattet, der jüngeren Generation in die schöne Steppe zu folgen. Selbst die ärmere und zahlreichere Klasse, deren Mittel es nicht erlauben, das Wohlleben jener Glücklichen in der Steppe zu theilen, ist bemüht, für jene Entbehrungen Ersatz zu finden und sich während der kurzen Sommerzeit für die Leiden des langen Winters Genug- thuung zu verschaffen oder sich zu restauriren, um der Noth des nächstfolgenden um so besser widerstehen zu können, und verläßt ihre Aule, theils um sich ihren reicheren Verwandten und Freunden an- zuschließen oder um auszuwandern in die Nähe russischer Dörfer, wo sie im schattigen Gebüsch am Ufer eines Flüßchens ihre Hütten aufschlagen und ihre Glückseligkeit in Schlaf und Trägheit finden, bis nach drei oder vier Tagen süßer Ruhe der ungeduldige Magen energisch nach Thätigkeit verlangt und ihre Füße in eilige Bewegung setzt, um auszuspähen, ob Allah, der Barmherzige, ihnen einen feisten Hammel, oder sei es auch ein Rind oder Pferd, zuführen wird, um ihrem Messer resp. ihrem Appetit zum Opfer zu fallen, oder wenn ihre Fähigkeiten in dieser Beziehung, aller An- strengung ungeachtet, der Wachsamkeit der Russen gegenüber sich ohn- mächtig erweisen sollten, durch irgend eine leichte Arbeit die Mittel resp. eine geringe Quantität Mehl zu gewinnen, um den unbarmherzigen Schreier im Jnnern zum Schweigen zu bringen, und wenn es geschehen ist, von Neuem der Ruhe sich hinzugeben. So wenig Reiz nun auch ein solches Glück für denjenigen haben mag, der in einer andern Sphäre geboren und erzogen und an ein komfortableres Leben gewöhnt ist, so ist dasselbe doch hinreichend, das Herz des Baschkiren in hohem Maße zu befriedigen, seinen armseligen Schatz von Wünschen zusammen zu schmelzen und seinem Dichten und Trachten als einziges und herrliches Ziel zu dienen. Daß jedoch auch die Mitglieder dieser Klasse die Sehnsucht nach der Steppe nicht lange überwinden, wo jetzt ihre wohlhabenderen Brüder in Fülle und Genüssen aller Art schwelgen, ist natürlich, und dem Begehren des Einzelnen folgt schnell, wie der Gedanke, Ent- schluß und That. Unbekümmert um diejenigen, die er verläßt, und nicht sonderlich vermißt von denjenigen, die er verlassen hat, verschwindet er plötzlich, um erst nach Tagen und Wochen eben so plötzlich wieder zu erscheinen. Und in der That hat das Wohlleben in der Steppe allmälig den Gipfelpunkt erreicht, verführerisch genug für das Herz eines Basch- kiren, um sein Verlangen bis zu einem unwiderstehlichen Grade zu steigern und ihn mitten in seinem schönsten Traum aufzustören. Die Steppe ist jetzt das Land, wo Milch und Honig fließt. Die Pferde haben sich beim Sommerfutter bald erholt; die Stuten geben reichlich Milch, die Lederbeutel werden mit Kumis gefüllt und täglich frische und bedeutende Quantitäten gewonnen und massenhaft ge- trunken. Die vor den Kibitken auf Gestellen ruhenden Kessel brodeln, und die unter denselben prasselnden Feuer verlöschen erst spät mit einbrechender Nacht. Die Frauen backen oder rösten kleine runde Kuchen oder Brote von besonderem Wohlgeschmack; es wird gegessen und Kumis getrunken; die jungen Frauen erheitern ihrem Ehe- gemahl die schlaflosen Stunden, die älteren, deren Erfolge zweifel- hafter werden und die an Schönheit und Reiz verloren, übernehmen die wirthschaftlichen Verrichtungen, kurzum, es ist ein so herrliches und schönes Leben, daß der Baschkire kein Paradies ohne Steppe sich denken kann. Die Dekoration im Jnnern der Zelte ist eine Wiederholung im Kleinen, wie wir sie in den Wohnungen der Aule antreffen. Auf einem auf dem Fußboden ausgebreiteten Teppich, dem Eingange gegen- über, erblickt man die Ruhekissen des Hausherrn. Rechts und links Kästen, die die Vorräthe enthalten und gleichzeitig als Sitze dienen, und links am Eingang einen riesigen Lederbeutel zur Aufnahme der frisch gewonnenen Pferdemilch, in welchem dieselbe durch eine theil- weise Gährung in Kumis umgewandelt wird. Mit diesen wenigen Gegenständen dürfte die innere Ausstattung für beendigt angesehen werden können. Es möchte hier rathsam scheinen, einige Worte über dieses aus Pferdemilch gewonnene Getränk der Steppenbewohner einzuflechten. Die Urtheile unserer Aerzte bezüglich der günstigen Wirkung des Kumis bei Brustkranken dürfte indessen schon genügend bekannt sein; ich will daher nur noch hinzufügen, daß auch Nichtkranke dem

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 17. Berlin, 26. April 1868, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt17_1868/4>, abgerufen am 15.06.2024.