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Sonntags-Blatt. Nr. 15. Berlin, 12. April 1868.

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[Beginn Spaltensatz] wahr, Sie sind mir auch erst heut vorgestellt worden! Jch hatte das
vergessen, weil wir wie alte Bekannte mit einander geplaudert. Zürnen
Sie mir?"

"Jhnen zürnen?" erwiderte er feurig. "O, gnädige Frau --"

Sie fing den Strahl seines Auges auf und nickte befriedigt zu
der abgebrochenen Rede.

"Jch danke Jhnen", sprach sie. "Wissen Sie aber wohl, daß ich
mich schon viel zu lange mit Jhnen unterhalten habe? Dort sitzt
meine gnädige Tante, der ich aus Familienrücksichten eine Viertel-
stunde schuldig bin. Doch ich habe noch nicht genug gehört von
einem Manne, der an Räthsel glaubt und kein Dichter sein will.
Auch muß ich meine Unart wieder gut machen; wir sprechen uns weiter."

Er verbeugte sich tief und trat zurück. Sie schritt mit gütigem
Lächeln an ihm vorüber, auf die bezeichnete alte Dame zu. Sein
Blick folgte ihr, als wollte er nie wieder von ihr lassen. War sie
nicht schön wie das Jdeal eines Künstlers? Diese Hoheit der Gestalt,
die Pracht des Antlitzes, gemildert durch das süßeste Lächeln, der
Rede liebliche Anmuth und des Gesanges bestrickender Zauber; wo
war das Weib, das mit ihr sich messen konnte?"

Jn seiner Brust wogte ein unbeschreibliches Gefühl. Lange stand
er träumend. Er sah sie ihren Platz verlassen, den Saal durch-
kreuzen, hin und wieder ein Gespräch anknüpfen und rasch wieder
abbrechen. Jhr Auge flog suchend umher, bis es mit einem Strahl
des Erkennens auf ihm haften blieb. Er schritt ihr entgegen; sie
war an einem mit Kupferstichen bedeckten Tisch stehen geblieben.
Zögernd, aber glücklich trat er zu ihr. Sie begrüßte ihn mit freund-
lichem Neigen des Hauptes.

"Werden Sie die Gesellschaft nicht mit einem zweiten Lied
erfreuen?" fragte er.

"Nein. Meine Lieder passen doch nicht für die Gesellschaft."

"Warum wählten Sie vorhin ein so tieftrauriges Lied?"

"Meinen Sie, ich dürfte nur Heiteres singen?"

"Jch bin überzeugt, daß Sie in jeder Gattung des Gesanges
Beifall ernten werden."

"Jch singe nicht um Beifall, ich singe nur für mich selbst. Aber
warum wunderten Sie sich über die Wahl meines Liedes?"

"Es athmete eine so grenzenlose Schwermuth --"

"Die Sie in mir nicht wiederfinden?" unterbrach sie ihn lächelnd.
"Reden Sie doch aufrichtig."

"Gnädige Frau, ich halte Sie für ein Schooßkind des Glücks
und der Gesellschaft."

"Wirklich?" sprach sie gedankenvoll. Ein Schatten flog über ihre
Stirn, und wie zu sich selbst redend fügte sie leise hinzu: "Und von
dem großen Schmerz eines einsamen Herzens weiß kein Mensch!"

Er wagte keine Erwiderung. Sie litt? -- Stumm standen sie sich
minutenlang gegenüber.

"Jch finde es hier unerträglich heiß", begann sie im alten Ton;
"wollen wir einen Gang durch den Garten machen?"

"Wie Sie befehlen, gnädige Frau!" sprach er mit wärmerer Be-
tonung, als es die hergebrachte Redensart erforderte. Sie wandten
sich zur Glasthür. Wenige Schritte davor begegnete ihnen der Baron.

"Sehen Sie doch", rief er und trat auf sie zu. Jn seiner
Hand lag ein halbtodter Nachtfalter. "Das arme Thier hat sich am
Gaslicht die Flügel verbrannt!"

"Jch wußte nicht, daß Jhr weiches Herz auch für Nachtfalter
fühlt, Baron", erwiderte die Frau mit eigenthümlicher Schärfe und
schritt schnell an ihm vorüber.

"Geben Sie mir meine Mantille und Jhren Arm", sprach sie zu
ihrem Begleiter, und Beide traten hinaus in die mondhelle Sommer-
nacht.

Herbert war stumm. Sein Blut wallte von der Berührung
ihres Armes, der leicht in dem seinen ruhte; wenn er das Haupt
seitwärts wandte, so athmete er den Duft ihrer Locken ein. Jhm
war es wie ein Märchen, daß die schönste Frau an seiner Seite durch
flüsterndes Gesträuch wandelte.

"Warum sind Sie Jurist geworden?" fragte sie endlich.

"Um den Wunsch meines Vaters zu erfüllen."

"Also doch! Jch rühme mich einiger Menschenkenntniß; nicht eigene
Neigung zog Sie zu den Pandekten."

"Der Dichter Jhres Liedes ist auch Jurist."

"Lassen wir das Lied und erzählen Sie mir von Jhrem Leben.
Oder bin ich Jhnen zu fremd?"

"Zu fremd? Gnädige Frau, wenn Sie wüßten -- allerdings",
unterbrach er sich lächelnd, "ich weiß noch nicht einmal Jhren Namen."

"Meinen Namen? Sie meinen doch meinen Familiennamen? Was
liegt an dem? Jch selbst heiße Viktoria."

"Sie haben ein Recht, so zu heißen."

"Können Sie auch schmeicheln? Jm Ernst, Sie dürfen meinen
Wunsch, mehr von Jhnen zu erfahren, nicht seltsam finden. Es liegt
in Jhrem Wesen eine Frische, ich möchte sagen, eine Unberührtheit,
die mich überrascht bei einem Mann Jhres Alters und Standes."

[Spaltenumbruch]

"Sie sind allerdings Menschenkennerin: ich bin ein Fremdling
im Leben."

"Ein Fremdling?"

"Hören Sie meine einfache Geschichte. Jch bin der Sohn eines
Landgeistlichen -- das einzige Kind. Von früh auf durch körperliches
Leiden vom Verkehr mit meinen Altersgenossen ausgeschlossen, wuchs
ich einsam heran. Einsam -- nicht freudlos. Mein Vater ist ein
sehr gelehrter Mann; er liebt seine Bücher leidenschaftlich und wußte
seinem kranken Kinde nichts Lieberes zu thun, als es recht früh in
seinen einzigen Genuß einzuführen. Jch erfreute ihn durch rasche
Fassungskraft, durch entgegenkommendes Verständniß; in mir steckt
auch etwas vom Bücherwurm. Jch las --"

"Sie lasen und lasen, und lebten nicht."

"So ist es."

"Und wann endete dieser Zustand?

"Mein Leiden, ein[unleserliches Material] Uebel am Fuß, besserte sich. Als ich ohne
Krücken gehen konnte, war ich zur Universität reif."

"Nun begannen Sie zu leben; nun kamen Freundschaft und Liebe,
Sie ins Leben einzuführen."

"Freundschaft -- ja!"

"Und Liebe nicht?"

"Es giebt ein kleines rührendes Lied vom jungen Konradin;
der klagt:

"Jch weiß nicht, Fraue, was Minne ist!"

Schien es ihm nur so, als drücke ihr Arm leise den seinen? Er
schwieg verwirrt.

"So sind Sie wahrlich ein Fremdling im Leben!" sprach sie.
"Halten Sie sich absichtlich fern von den Frauen?"

"Jch halte mich nicht fern; aber meine lange Krankheit hat mich
schüchtern und ungelenk gemacht. Jch besitze nichts Anziehendes für
Frauen."

"Sind Sie dessen so sicher?"

"Auch kenne ich wenige Frauen, und die ich bisher kannte, ent-
sprechen meinem Jdeal nicht", sagte er zögernd.

Die ich kannte -- er wußte wohl, warum er in der Vergangen-
heit sprach. Wußte sie es auch?

Der Vollmond goß seinen Silberschein über die schweigende Welt.
Die Rosen dufteten, leise rauschten die Wipfel der Bäume. Sie
schritten stumm dahin.

"Jch möchte ruhen", sprach sie leise. Winkte dort nicht das
Halbdunkel einer Laube? Er führte sie hin, sie ließ sich nieder;
aber er wagte nicht, dasselbe zu thun. Stumm, mit verschränkten
Armen, stand er vor ihr; seine Stirn brannte, seine Pulse klopften
fieberhaft. Sie wies auf einen Strauch weißer Rosen, der nahe
stand. "Pflücken Sie mir eine Rose!"

Er gehorchte. Als er ihr die Blume reichte, berührte ihre Hand
die seine. Es war nicht Zufall; ihre Finger schlossen sich fest um die
Rose und -- um seine Hand.

Er beugte sich nieder; er suchte ihren Blick und fand ihn -- mit
einem Laut des Entzückens sank er nieder und barg sein glühendes
Antlitz in ihrem Schooß.



Wenige Wochen später drängte sich in den Sälen des Grafen W.
eine auserlesene Gesellschaft. Seinem Neffen und Erben zu Ehren,
der vor Kurzem aus fernen Landen zurückgekehrt war, hatte der Graf
einen glänzenden Ball veranstaltet.

Jm bunten Gewühl achtete Niemand auf einen jungen Mann,
der einsam an einem Pfeiler lehnte und mit finsterm Blick ein Paar
verfolgte, das bereits die allgemeine Aufmerksamkeit erregte.

"Kaum angelangt und schon gefangen!" flüsterte man sich lächelnd
zu, als man bemerkte, wie unausgesetzt der Held des Abends sich um
die reizende Wittwe Viktoria von L. bemühte. Sie war strahlend
schön, und man hatte sie kaum je so liebenswürdig gesehen. Jhr
anmuthigstes Lächeln aber, ihre geistvollen Worte gehörten dem jungen
Grafen, der sich willig ihrem Zauber hingab.

Eben waren sie im Tanz durch den Saal geflogen und standen
nun ausruhend neben einander. Als Viktoriens Auge durch die Ver-
sammlung schweifte, begegnete es dem Blick des finstern Mannes.
Ruhig lächelnd hielt sie ihn einen Augenblick aus und wandte sich
dann, einen Scherz auf den Lippen, zu ihrem Tänzer.

Der alte Baron trat zu dem einsamen Zuschauer.

"Ein schönes Paar", sprach er, [unleserliches Material - 3 Zeichen fehlen]auf die Beiden deutend, die sich
eben von Neuem unter die Tanzenden mischten.

Der Angeredete nickte flüchtig und kehrte sich ab. Der alte Herr
sah ihm kopfschüttelnd nach.

"Armer Narr!" dachte er.

Der aber murmelte mit bitterm Lächeln:

"Du hast mich geküßt ohne Liebe!"

Und er wandte sich hinaus in die Nacht.



[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] wahr, Sie sind mir auch erst heut vorgestellt worden! Jch hatte das
vergessen, weil wir wie alte Bekannte mit einander geplaudert. Zürnen
Sie mir?“

„Jhnen zürnen?“ erwiderte er feurig. „O, gnädige Frau —“

Sie fing den Strahl seines Auges auf und nickte befriedigt zu
der abgebrochenen Rede.

„Jch danke Jhnen“, sprach sie. „Wissen Sie aber wohl, daß ich
mich schon viel zu lange mit Jhnen unterhalten habe? Dort sitzt
meine gnädige Tante, der ich aus Familienrücksichten eine Viertel-
stunde schuldig bin. Doch ich habe noch nicht genug gehört von
einem Manne, der an Räthsel glaubt und kein Dichter sein will.
Auch muß ich meine Unart wieder gut machen; wir sprechen uns weiter.“

Er verbeugte sich tief und trat zurück. Sie schritt mit gütigem
Lächeln an ihm vorüber, auf die bezeichnete alte Dame zu. Sein
Blick folgte ihr, als wollte er nie wieder von ihr lassen. War sie
nicht schön wie das Jdeal eines Künstlers? Diese Hoheit der Gestalt,
die Pracht des Antlitzes, gemildert durch das süßeste Lächeln, der
Rede liebliche Anmuth und des Gesanges bestrickender Zauber; wo
war das Weib, das mit ihr sich messen konnte?“

Jn seiner Brust wogte ein unbeschreibliches Gefühl. Lange stand
er träumend. Er sah sie ihren Platz verlassen, den Saal durch-
kreuzen, hin und wieder ein Gespräch anknüpfen und rasch wieder
abbrechen. Jhr Auge flog suchend umher, bis es mit einem Strahl
des Erkennens auf ihm haften blieb. Er schritt ihr entgegen; sie
war an einem mit Kupferstichen bedeckten Tisch stehen geblieben.
Zögernd, aber glücklich trat er zu ihr. Sie begrüßte ihn mit freund-
lichem Neigen des Hauptes.

„Werden Sie die Gesellschaft nicht mit einem zweiten Lied
erfreuen?“ fragte er.

„Nein. Meine Lieder passen doch nicht für die Gesellschaft.“

„Warum wählten Sie vorhin ein so tieftrauriges Lied?“

„Meinen Sie, ich dürfte nur Heiteres singen?“

„Jch bin überzeugt, daß Sie in jeder Gattung des Gesanges
Beifall ernten werden.“

„Jch singe nicht um Beifall, ich singe nur für mich selbst. Aber
warum wunderten Sie sich über die Wahl meines Liedes?“

„Es athmete eine so grenzenlose Schwermuth —“

„Die Sie in mir nicht wiederfinden?“ unterbrach sie ihn lächelnd.
„Reden Sie doch aufrichtig.“

„Gnädige Frau, ich halte Sie für ein Schooßkind des Glücks
und der Gesellschaft.“

„Wirklich?“ sprach sie gedankenvoll. Ein Schatten flog über ihre
Stirn, und wie zu sich selbst redend fügte sie leise hinzu: „Und von
dem großen Schmerz eines einsamen Herzens weiß kein Mensch!“

Er wagte keine Erwiderung. Sie litt? — Stumm standen sie sich
minutenlang gegenüber.

„Jch finde es hier unerträglich heiß“, begann sie im alten Ton;
„wollen wir einen Gang durch den Garten machen?“

„Wie Sie befehlen, gnädige Frau!“ sprach er mit wärmerer Be-
tonung, als es die hergebrachte Redensart erforderte. Sie wandten
sich zur Glasthür. Wenige Schritte davor begegnete ihnen der Baron.

„Sehen Sie doch“, rief er und trat auf sie zu. Jn seiner
Hand lag ein halbtodter Nachtfalter. „Das arme Thier hat sich am
Gaslicht die Flügel verbrannt!“

„Jch wußte nicht, daß Jhr weiches Herz auch für Nachtfalter
fühlt, Baron“, erwiderte die Frau mit eigenthümlicher Schärfe und
schritt schnell an ihm vorüber.

„Geben Sie mir meine Mantille und Jhren Arm“, sprach sie zu
ihrem Begleiter, und Beide traten hinaus in die mondhelle Sommer-
nacht.

Herbert war stumm. Sein Blut wallte von der Berührung
ihres Armes, der leicht in dem seinen ruhte; wenn er das Haupt
seitwärts wandte, so athmete er den Duft ihrer Locken ein. Jhm
war es wie ein Märchen, daß die schönste Frau an seiner Seite durch
flüsterndes Gesträuch wandelte.

„Warum sind Sie Jurist geworden?“ fragte sie endlich.

„Um den Wunsch meines Vaters zu erfüllen.“

„Also doch! Jch rühme mich einiger Menschenkenntniß; nicht eigene
Neigung zog Sie zu den Pandekten.“

„Der Dichter Jhres Liedes ist auch Jurist.“

„Lassen wir das Lied und erzählen Sie mir von Jhrem Leben.
Oder bin ich Jhnen zu fremd?“

„Zu fremd? Gnädige Frau, wenn Sie wüßten — allerdings“,
unterbrach er sich lächelnd, „ich weiß noch nicht einmal Jhren Namen.“

„Meinen Namen? Sie meinen doch meinen Familiennamen? Was
liegt an dem? Jch selbst heiße Viktoria.“

„Sie haben ein Recht, so zu heißen.“

„Können Sie auch schmeicheln? Jm Ernst, Sie dürfen meinen
Wunsch, mehr von Jhnen zu erfahren, nicht seltsam finden. Es liegt
in Jhrem Wesen eine Frische, ich möchte sagen, eine Unberührtheit,
die mich überrascht bei einem Mann Jhres Alters und Standes.“

[Spaltenumbruch]

„Sie sind allerdings Menschenkennerin: ich bin ein Fremdling
im Leben.“

„Ein Fremdling?“

„Hören Sie meine einfache Geschichte. Jch bin der Sohn eines
Landgeistlichen — das einzige Kind. Von früh auf durch körperliches
Leiden vom Verkehr mit meinen Altersgenossen ausgeschlossen, wuchs
ich einsam heran. Einsam — nicht freudlos. Mein Vater ist ein
sehr gelehrter Mann; er liebt seine Bücher leidenschaftlich und wußte
seinem kranken Kinde nichts Lieberes zu thun, als es recht früh in
seinen einzigen Genuß einzuführen. Jch erfreute ihn durch rasche
Fassungskraft, durch entgegenkommendes Verständniß; in mir steckt
auch etwas vom Bücherwurm. Jch las —“

„Sie lasen und lasen, und lebten nicht.“

„So ist es.“

„Und wann endete dieser Zustand?

„Mein Leiden, ein[unleserliches Material] Uebel am Fuß, besserte sich. Als ich ohne
Krücken gehen konnte, war ich zur Universität reif.“

„Nun begannen Sie zu leben; nun kamen Freundschaft und Liebe,
Sie ins Leben einzuführen.“

„Freundschaft — ja!“

„Und Liebe nicht?“

„Es giebt ein kleines rührendes Lied vom jungen Konradin;
der klagt:

„Jch weiß nicht, Fraue, was Minne ist!“

Schien es ihm nur so, als drücke ihr Arm leise den seinen? Er
schwieg verwirrt.

„So sind Sie wahrlich ein Fremdling im Leben!“ sprach sie.
„Halten Sie sich absichtlich fern von den Frauen?“

„Jch halte mich nicht fern; aber meine lange Krankheit hat mich
schüchtern und ungelenk gemacht. Jch besitze nichts Anziehendes für
Frauen.“

„Sind Sie dessen so sicher?“

„Auch kenne ich wenige Frauen, und die ich bisher kannte, ent-
sprechen meinem Jdeal nicht“, sagte er zögernd.

Die ich kannte — er wußte wohl, warum er in der Vergangen-
heit sprach. Wußte sie es auch?

Der Vollmond goß seinen Silberschein über die schweigende Welt.
Die Rosen dufteten, leise rauschten die Wipfel der Bäume. Sie
schritten stumm dahin.

„Jch möchte ruhen“, sprach sie leise. Winkte dort nicht das
Halbdunkel einer Laube? Er führte sie hin, sie ließ sich nieder;
aber er wagte nicht, dasselbe zu thun. Stumm, mit verschränkten
Armen, stand er vor ihr; seine Stirn brannte, seine Pulse klopften
fieberhaft. Sie wies auf einen Strauch weißer Rosen, der nahe
stand. „Pflücken Sie mir eine Rose!“

Er gehorchte. Als er ihr die Blume reichte, berührte ihre Hand
die seine. Es war nicht Zufall; ihre Finger schlossen sich fest um die
Rose und — um seine Hand.

Er beugte sich nieder; er suchte ihren Blick und fand ihn — mit
einem Laut des Entzückens sank er nieder und barg sein glühendes
Antlitz in ihrem Schooß.



Wenige Wochen später drängte sich in den Sälen des Grafen W.
eine auserlesene Gesellschaft. Seinem Neffen und Erben zu Ehren,
der vor Kurzem aus fernen Landen zurückgekehrt war, hatte der Graf
einen glänzenden Ball veranstaltet.

Jm bunten Gewühl achtete Niemand auf einen jungen Mann,
der einsam an einem Pfeiler lehnte und mit finsterm Blick ein Paar
verfolgte, das bereits die allgemeine Aufmerksamkeit erregte.

„Kaum angelangt und schon gefangen!“ flüsterte man sich lächelnd
zu, als man bemerkte, wie unausgesetzt der Held des Abends sich um
die reizende Wittwe Viktoria von L. bemühte. Sie war strahlend
schön, und man hatte sie kaum je so liebenswürdig gesehen. Jhr
anmuthigstes Lächeln aber, ihre geistvollen Worte gehörten dem jungen
Grafen, der sich willig ihrem Zauber hingab.

Eben waren sie im Tanz durch den Saal geflogen und standen
nun ausruhend neben einander. Als Viktoriens Auge durch die Ver-
sammlung schweifte, begegnete es dem Blick des finstern Mannes.
Ruhig lächelnd hielt sie ihn einen Augenblick aus und wandte sich
dann, einen Scherz auf den Lippen, zu ihrem Tänzer.

Der alte Baron trat zu dem einsamen Zuschauer.

„Ein schönes Paar“, sprach er, [unleserliches Material – 3 Zeichen fehlen]auf die Beiden deutend, die sich
eben von Neuem unter die Tanzenden mischten.

Der Angeredete nickte flüchtig und kehrte sich ab. Der alte Herr
sah ihm kopfschüttelnd nach.

„Armer Narr!“ dachte er.

Der aber murmelte mit bitterm Lächeln:

„Du hast mich geküßt ohne Liebe!“

Und er wandte sich hinaus in die Nacht.



[Ende Spaltensatz]
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[117/0005] 117 wahr, Sie sind mir auch erst heut vorgestellt worden! Jch hatte das vergessen, weil wir wie alte Bekannte mit einander geplaudert. Zürnen Sie mir?“ „Jhnen zürnen?“ erwiderte er feurig. „O, gnädige Frau —“ Sie fing den Strahl seines Auges auf und nickte befriedigt zu der abgebrochenen Rede. „Jch danke Jhnen“, sprach sie. „Wissen Sie aber wohl, daß ich mich schon viel zu lange mit Jhnen unterhalten habe? Dort sitzt meine gnädige Tante, der ich aus Familienrücksichten eine Viertel- stunde schuldig bin. Doch ich habe noch nicht genug gehört von einem Manne, der an Räthsel glaubt und kein Dichter sein will. Auch muß ich meine Unart wieder gut machen; wir sprechen uns weiter.“ Er verbeugte sich tief und trat zurück. Sie schritt mit gütigem Lächeln an ihm vorüber, auf die bezeichnete alte Dame zu. Sein Blick folgte ihr, als wollte er nie wieder von ihr lassen. War sie nicht schön wie das Jdeal eines Künstlers? Diese Hoheit der Gestalt, die Pracht des Antlitzes, gemildert durch das süßeste Lächeln, der Rede liebliche Anmuth und des Gesanges bestrickender Zauber; wo war das Weib, das mit ihr sich messen konnte?“ Jn seiner Brust wogte ein unbeschreibliches Gefühl. Lange stand er träumend. Er sah sie ihren Platz verlassen, den Saal durch- kreuzen, hin und wieder ein Gespräch anknüpfen und rasch wieder abbrechen. Jhr Auge flog suchend umher, bis es mit einem Strahl des Erkennens auf ihm haften blieb. Er schritt ihr entgegen; sie war an einem mit Kupferstichen bedeckten Tisch stehen geblieben. Zögernd, aber glücklich trat er zu ihr. Sie begrüßte ihn mit freund- lichem Neigen des Hauptes. „Werden Sie die Gesellschaft nicht mit einem zweiten Lied erfreuen?“ fragte er. „Nein. Meine Lieder passen doch nicht für die Gesellschaft.“ „Warum wählten Sie vorhin ein so tieftrauriges Lied?“ „Meinen Sie, ich dürfte nur Heiteres singen?“ „Jch bin überzeugt, daß Sie in jeder Gattung des Gesanges Beifall ernten werden.“ „Jch singe nicht um Beifall, ich singe nur für mich selbst. Aber warum wunderten Sie sich über die Wahl meines Liedes?“ „Es athmete eine so grenzenlose Schwermuth —“ „Die Sie in mir nicht wiederfinden?“ unterbrach sie ihn lächelnd. „Reden Sie doch aufrichtig.“ „Gnädige Frau, ich halte Sie für ein Schooßkind des Glücks und der Gesellschaft.“ „Wirklich?“ sprach sie gedankenvoll. Ein Schatten flog über ihre Stirn, und wie zu sich selbst redend fügte sie leise hinzu: „Und von dem großen Schmerz eines einsamen Herzens weiß kein Mensch!“ Er wagte keine Erwiderung. Sie litt? — Stumm standen sie sich minutenlang gegenüber. „Jch finde es hier unerträglich heiß“, begann sie im alten Ton; „wollen wir einen Gang durch den Garten machen?“ „Wie Sie befehlen, gnädige Frau!“ sprach er mit wärmerer Be- tonung, als es die hergebrachte Redensart erforderte. Sie wandten sich zur Glasthür. Wenige Schritte davor begegnete ihnen der Baron. „Sehen Sie doch“, rief er und trat auf sie zu. Jn seiner Hand lag ein halbtodter Nachtfalter. „Das arme Thier hat sich am Gaslicht die Flügel verbrannt!“ „Jch wußte nicht, daß Jhr weiches Herz auch für Nachtfalter fühlt, Baron“, erwiderte die Frau mit eigenthümlicher Schärfe und schritt schnell an ihm vorüber. „Geben Sie mir meine Mantille und Jhren Arm“, sprach sie zu ihrem Begleiter, und Beide traten hinaus in die mondhelle Sommer- nacht. Herbert war stumm. Sein Blut wallte von der Berührung ihres Armes, der leicht in dem seinen ruhte; wenn er das Haupt seitwärts wandte, so athmete er den Duft ihrer Locken ein. Jhm war es wie ein Märchen, daß die schönste Frau an seiner Seite durch flüsterndes Gesträuch wandelte. „Warum sind Sie Jurist geworden?“ fragte sie endlich. „Um den Wunsch meines Vaters zu erfüllen.“ „Also doch! Jch rühme mich einiger Menschenkenntniß; nicht eigene Neigung zog Sie zu den Pandekten.“ „Der Dichter Jhres Liedes ist auch Jurist.“ „Lassen wir das Lied und erzählen Sie mir von Jhrem Leben. Oder bin ich Jhnen zu fremd?“ „Zu fremd? Gnädige Frau, wenn Sie wüßten — allerdings“, unterbrach er sich lächelnd, „ich weiß noch nicht einmal Jhren Namen.“ „Meinen Namen? Sie meinen doch meinen Familiennamen? Was liegt an dem? Jch selbst heiße Viktoria.“ „Sie haben ein Recht, so zu heißen.“ „Können Sie auch schmeicheln? Jm Ernst, Sie dürfen meinen Wunsch, mehr von Jhnen zu erfahren, nicht seltsam finden. Es liegt in Jhrem Wesen eine Frische, ich möchte sagen, eine Unberührtheit, die mich überrascht bei einem Mann Jhres Alters und Standes.“ „Sie sind allerdings Menschenkennerin: ich bin ein Fremdling im Leben.“ „Ein Fremdling?“ „Hören Sie meine einfache Geschichte. Jch bin der Sohn eines Landgeistlichen — das einzige Kind. Von früh auf durch körperliches Leiden vom Verkehr mit meinen Altersgenossen ausgeschlossen, wuchs ich einsam heran. Einsam — nicht freudlos. Mein Vater ist ein sehr gelehrter Mann; er liebt seine Bücher leidenschaftlich und wußte seinem kranken Kinde nichts Lieberes zu thun, als es recht früh in seinen einzigen Genuß einzuführen. Jch erfreute ihn durch rasche Fassungskraft, durch entgegenkommendes Verständniß; in mir steckt auch etwas vom Bücherwurm. Jch las —“ „Sie lasen und lasen, und lebten nicht.“ „So ist es.“ „Und wann endete dieser Zustand? „Mein Leiden, ein_ Uebel am Fuß, besserte sich. Als ich ohne Krücken gehen konnte, war ich zur Universität reif.“ „Nun begannen Sie zu leben; nun kamen Freundschaft und Liebe, Sie ins Leben einzuführen.“ „Freundschaft — ja!“ „Und Liebe nicht?“ „Es giebt ein kleines rührendes Lied vom jungen Konradin; der klagt: „Jch weiß nicht, Fraue, was Minne ist!“ Schien es ihm nur so, als drücke ihr Arm leise den seinen? Er schwieg verwirrt. „So sind Sie wahrlich ein Fremdling im Leben!“ sprach sie. „Halten Sie sich absichtlich fern von den Frauen?“ „Jch halte mich nicht fern; aber meine lange Krankheit hat mich schüchtern und ungelenk gemacht. Jch besitze nichts Anziehendes für Frauen.“ „Sind Sie dessen so sicher?“ „Auch kenne ich wenige Frauen, und die ich bisher kannte, ent- sprechen meinem Jdeal nicht“, sagte er zögernd. Die ich kannte — er wußte wohl, warum er in der Vergangen- heit sprach. Wußte sie es auch? Der Vollmond goß seinen Silberschein über die schweigende Welt. Die Rosen dufteten, leise rauschten die Wipfel der Bäume. Sie schritten stumm dahin. „Jch möchte ruhen“, sprach sie leise. Winkte dort nicht das Halbdunkel einer Laube? Er führte sie hin, sie ließ sich nieder; aber er wagte nicht, dasselbe zu thun. Stumm, mit verschränkten Armen, stand er vor ihr; seine Stirn brannte, seine Pulse klopften fieberhaft. Sie wies auf einen Strauch weißer Rosen, der nahe stand. „Pflücken Sie mir eine Rose!“ Er gehorchte. Als er ihr die Blume reichte, berührte ihre Hand die seine. Es war nicht Zufall; ihre Finger schlossen sich fest um die Rose und — um seine Hand. Er beugte sich nieder; er suchte ihren Blick und fand ihn — mit einem Laut des Entzückens sank er nieder und barg sein glühendes Antlitz in ihrem Schooß. Wenige Wochen später drängte sich in den Sälen des Grafen W. eine auserlesene Gesellschaft. Seinem Neffen und Erben zu Ehren, der vor Kurzem aus fernen Landen zurückgekehrt war, hatte der Graf einen glänzenden Ball veranstaltet. Jm bunten Gewühl achtete Niemand auf einen jungen Mann, der einsam an einem Pfeiler lehnte und mit finsterm Blick ein Paar verfolgte, das bereits die allgemeine Aufmerksamkeit erregte. „Kaum angelangt und schon gefangen!“ flüsterte man sich lächelnd zu, als man bemerkte, wie unausgesetzt der Held des Abends sich um die reizende Wittwe Viktoria von L. bemühte. Sie war strahlend schön, und man hatte sie kaum je so liebenswürdig gesehen. Jhr anmuthigstes Lächeln aber, ihre geistvollen Worte gehörten dem jungen Grafen, der sich willig ihrem Zauber hingab. Eben waren sie im Tanz durch den Saal geflogen und standen nun ausruhend neben einander. Als Viktoriens Auge durch die Ver- sammlung schweifte, begegnete es dem Blick des finstern Mannes. Ruhig lächelnd hielt sie ihn einen Augenblick aus und wandte sich dann, einen Scherz auf den Lippen, zu ihrem Tänzer. Der alte Baron trat zu dem einsamen Zuschauer. „Ein schönes Paar“, sprach er, ___auf die Beiden deutend, die sich eben von Neuem unter die Tanzenden mischten. Der Angeredete nickte flüchtig und kehrte sich ab. Der alte Herr sah ihm kopfschüttelnd nach. „Armer Narr!“ dachte er. Der aber murmelte mit bitterm Lächeln: „Du hast mich geküßt ohne Liebe!“ Und er wandte sich hinaus in die Nacht.

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 15. Berlin, 12. April 1868, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt15_1868/5>, abgerufen am 07.06.2024.