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Sonntags-Blatt. Nr. 15. Berlin, 12. April 1868.

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[Beginn Spaltensatz] gesetzt, nicht bekommen könne, das ging denn doch über des alten
Bauern Verständniß, so klug und einsichtsvoll er sich auch dünkte.

War er denn nicht auch einmal jung gewesen? Hatte er die Beate
nicht herzlich lieb gehabt, so lieb wie keine Zweite? Und dennoch hatte
er den Willen seines Vaters befolgt, der ihm vorgestellt, er müsse
eine Reiche heirathen, damit der Ulmenhof, welcher durch die Kriegs-
zeiten in schwere Schuldenlast gerathen, der Familie erhalten werden
könne. War ihm das Scheiden von der stillen Beate, der er sich
zwar nicht angelobt, die er aber doch als seine Erkorene betrachtet hatte,
nicht schwer geworden? So hart war es ihm angekommen, als sie
im Erlenbusch einander Lebewohl gesagt, daß er vermeint, nun es sei
für immer mit Frohsinn und Glück vorbei.

Und trotzdem hatte ihm die Heirath mit dem fremden reichen
[Spaltenumbruch] Mädchen sehr wohl gethan. Mit dem schönen Gelde der Mitgift
und einer ihr bald zufallenden bedeutenden Erbschaft hatte er den
Ulmenhof von Schulden frei gemacht, hatte noch den Rosenbusch
hinzugekauft, und so das Glück des Bruders begründet, indem er ihm
das Gütchen für eine solche Pachtsumme überließ, daß Gottfried
darauf sein gutes Auskommen fand.

Seiner Frau war Kilian, wie es sich geziemt, ein treuer und recht-
schaffener Ehemann gewesen, wenngleich er sie nie so lieb gehabt, wie
Beate, die später, nachdem die Erste gestorben, doch noch sein Weib
ward. Er hatte also erprobt, was es hieß, seiner ersten Jugendliebe zu
entsagen, und er verlangte von seinem Sohne nur, was er selbst geleistet.

Aber es sah durchaus nicht danach aus, als ob Ewald Vernunft
annnehmen wolle.     ( Fortsetzung folgt. )

[Ende Spaltensatz]

Aus der Gesellschaft.
Eine Skizze von R. Robert.
[Beginn Spaltensatz]

Durch die geöffneten Glasthüren wehte ein würziger Sommerabend-
hauch in die hell erleuchteten, von fröhlichen Menschengruppen
belebten Zimmer. Jn der Nähe des Flügels war die schwirrende
Unterhaltung verstummt; man drängte sich um eine schöne Frauen-
gestalt, deren Finger langsam über die Tasten glitten. Nach und
nach fügten sich die zerstreuten Akkorde zur Melodie; dann erhob die
schöne Frau ihre Stimme und sang eine einfache, wehmüthige Weise:

"Und weißt du, warum so trübe,
So schwer mir das Herz muß sein?
Du hast mich geküßt ohne Liebe, --
Das wolle dir Gott verzeihn!"

Die Sängerin hatte in die schlichten Worte ein Weh gelegt, das
durch jedes Herz bebte und sich in jedem Antlitz malte. Sie durfte
zufrieden sein mit der Wirkung ihrer künstlerischen Leistung. Als sie
sich vom Jnstrument erhob, entstand unter den Zuhörern ein eifriges
Bemühen, in ihre Nähe zu gelangen und ihr ein Wort der Anerkennung
zu sagen.

Neben der Glasthür, die zum Garten führte, lehnte ein junger
Mann, dessen Blicke unverwandt an der Sängerin hingen. Sein
Antlitz war bleich und hager, sein Auge voll Seele.

"Wer ist die Dame?" fragte er einen ältlichen Herrn, der eben
zu ihm trat.

"Die erste Schauspielerin des neunzehnten Jahrhunderts", lautete
die Antwort.

"Schauspielerin?" und ein verwunderter Blick traf den Auskunft-
geber, der launig erwiderte:

"Freilich nicht von Profession; nicht Bühnen=, sondern Salon-
künstlerin. Uebrigens ist sie eine reiche und vornehme junge Wittwe
und, irre ich nicht, des Wittwenstandes bereits überdrüssig."

"Sind Sie mit ihr bekannt?" fragte der junge Mann weiter,
ohne der boshaften Bemerkungen des Andern zu achten.

"Mehr als bekannt; wir kennen einander sogar."

"Wollen Sie mich ihr vorstellen?"

Der alte Herr verzog das Gesicht und zuckte die Achseln.

"Wenn es nicht anders sein kann! Aber hüten Sie sich. Für
Pfauenaugen, Ordensbänder und Grafen ist diese Frau eine Centi-
folie, für gemeine Nachtfalter und bürgerliche Privatdozenten ein Licht, an
dem sich solche Jnsekten die Flügel und zuweilen das Hirn verbrennen."

"Stellen Sie mich ihr vor!" beharrte der unerschrockene bürger-
liche Privatdozent. Der Andere seufzte tragisch:

"Es sei!" und schritt dem jungen Mann voran, auf die schöne
Wittwe zu, die eben eine Konversation beendigt hatte und prüfend
auf die Ankömmlinge blickte.

Der alte Herr verbeugte sich und begann:

"Gnädige Frau, ich bringe Jhnen hier einen Odysseus, dessen
Begriffe über Sirenengesang noch einiger Aufklärung bedürfen. Jm
gewöhnlichen Leben nennt er sich Herbert und ist seit Kurzem Privat-
dozent an unserer guten Universität. Gott sei dem armen Sünder
gnädig!"

Damit wandte er sich ab und hängte sich an den Arm eines Vor-
übergehenden.

Herberts Antlitz hatte sich mit flammender Röthe bedeckt.

"Gnädige Frau", bat er verwirrt, "lassen Sie mich das Un-
passende dieser Vorstellung nicht entgelten."

"Seien Sie ganz ruhig", fiel sie ihm heiter in die Rede. "Der
Baron ist ein alter Bekannter, an dessen zuweilen etwas derbe Scherze
ich gewöhnt bin. Kennen Sie ihn näher?"

"Er ist ein Universitätsfreund meines Vaters, der mich an ihn
empfahl. Doch habe ich während meines kurzen Aufenthalts hier
noch nicht viel Zeit gehabt, seine Güte in Anspruch zu nehmen."

"Jst dies heut Jhr Debut in unserem Gesellschaftskreise?"

[Spaltenumbruch]

"Allerdings", versetzte Herbert und fuhr zögernd fort: "Jch darf
es wohl ein glückliches nennen. Jch kam spät; gleich nach meinem
Eintritt sangen Sie, gnädige Frau". Er hielt inne. Sie sah in
seine Augen, die schüchtern und doch beredt auf ihr ruhten, und ein
unbeschreiblich liebenswürdiges Lächeln spielte um ihren Mund.

"Jch sang ein kleines einfaches Lied", sprach sie bescheiden.

"Ein Lied voll Hintergrund, wie ich es liebe."

"Sie sind Gefühlsmensch?"

"Wenigstens liebe ich Alles, was mich auf die Räthsel und Tiefen
des Herzens hinweist."

"So giebt es für Sie noch Räthsel, und sogar Herzensräthsel?"
rief sie mit anmuthigem Staunen. "Das ist eine Seltenheit bei
einem Mann unserer Zeit."

"Sind denn die Männer unserer Zeit klug genug, jede Lösung zu
finden?"

"Nein; aber zu blasirt, um überhaupt an Räthsel zu glauben."

"So darf ich mich eine Ausnahme nennen, weil ich keine Be-
rechtigung habe, blasirt zu sein."

"Warum? Kommen Sie aus einem Urwald?"

"Nein; aber aus einem Dorf."

"So sind Sie groß geworden zwischen Wiesenblumen und Lämmer-
heerden?" fragte sie neckend.

"Zum Theil allerdings."

"Und am Rand eines Baches liegend, ist Jhnen Jhre ganze Ge-
lehrsamkeit -- denn ich nehme an, daß Sie sehr gelehrt sind -- von
den Nymphen des Wassers und Waldes eingehaucht worden?"

"Das nun wohl gerade nicht", lachte er. "Jm römischen und
kanonischen Recht dürften die Nymphen doch wohl nicht ganz
heimisch sein."

"Sie sind Jurist? Nicht möglich!"

"Warum nicht?" fragte er belustigt.

"Wie konnten Sie ein so staubiges Fach wählen! Sie sind ja
von der Natur zum Aesthetiker bestimmt."

"Jst das so gewiß?"

"Natürlich; Jhnen muß weit wichtiger scheinen was schön, als
was recht ist. Nicht wahr, Sie sind ein Dichter?"

"Ein Dichter ohne Worte."

"Komponirt von wem?" neckte sie. "Jch wette dagegen, ein
Dichter mit viel Worten und mehr Bescheidenheit. Sagen Sie, wie
viel leere Blätter hat Jhr Taschenbuch noch aufzuweisen?"

"Jm Ernst, gnädige Frau, ich bin nur Gedankendichter."

"Wie kommt das?"

"Jch bin in derselben Lage wie Moses, der auch einmal das be-
schämende Geständniß ablegen mußte, er habe eine schwere Zunge."

"Wissen Sie, wann Jhre Zunge gelöst sein wird?" entgegnete
sie rasch.

"Wann?"

"Sobald Sie einige Räthsel gelöst haben."

Der Hausherr trat in diesem Augenblick hinzu, um der jungen
Frau einen andern Fremden vorzustellen. Herbert wollte sich be-
scheiden entfernen, aber sie, seine Absicht bemerkend, zog ihn rasch in
das Gespräch. Es bewegte sich auf der allgemeinen Heerstraße, hielt
sich fern von Räthseln und berührte Höhen und Tiefen nur in geogra-
phischer Beziehung. Unter einem schicklichen Vorwand wußte die
schöne Wittwe den Fremden bald zur Abschiedsverbeugung zu ver-
anlassen.

"Gott sei Dank!" sprach sie aufathmend zu Herbert. "Wenn
man mich doch mit diesen ewigen Vorstellungen verschonen wollte!"

"So muß ich um Vergebung bitten, Jhnen lästig gefallen zu
sein", erwiderte Herbert verletzt.

"Mein Gott, was habe ich gethan?" rief sie bestürzt. "Es ist ja
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] gesetzt, nicht bekommen könne, das ging denn doch über des alten
Bauern Verständniß, so klug und einsichtsvoll er sich auch dünkte.

War er denn nicht auch einmal jung gewesen? Hatte er die Beate
nicht herzlich lieb gehabt, so lieb wie keine Zweite? Und dennoch hatte
er den Willen seines Vaters befolgt, der ihm vorgestellt, er müsse
eine Reiche heirathen, damit der Ulmenhof, welcher durch die Kriegs-
zeiten in schwere Schuldenlast gerathen, der Familie erhalten werden
könne. War ihm das Scheiden von der stillen Beate, der er sich
zwar nicht angelobt, die er aber doch als seine Erkorene betrachtet hatte,
nicht schwer geworden? So hart war es ihm angekommen, als sie
im Erlenbusch einander Lebewohl gesagt, daß er vermeint, nun es sei
für immer mit Frohsinn und Glück vorbei.

Und trotzdem hatte ihm die Heirath mit dem fremden reichen
[Spaltenumbruch] Mädchen sehr wohl gethan. Mit dem schönen Gelde der Mitgift
und einer ihr bald zufallenden bedeutenden Erbschaft hatte er den
Ulmenhof von Schulden frei gemacht, hatte noch den Rosenbusch
hinzugekauft, und so das Glück des Bruders begründet, indem er ihm
das Gütchen für eine solche Pachtsumme überließ, daß Gottfried
darauf sein gutes Auskommen fand.

Seiner Frau war Kilian, wie es sich geziemt, ein treuer und recht-
schaffener Ehemann gewesen, wenngleich er sie nie so lieb gehabt, wie
Beate, die später, nachdem die Erste gestorben, doch noch sein Weib
ward. Er hatte also erprobt, was es hieß, seiner ersten Jugendliebe zu
entsagen, und er verlangte von seinem Sohne nur, was er selbst geleistet.

Aber es sah durchaus nicht danach aus, als ob Ewald Vernunft
annnehmen wolle.     ( Fortsetzung folgt. )

[Ende Spaltensatz]

Aus der Gesellschaft.
Eine Skizze von R. Robert.
[Beginn Spaltensatz]

Durch die geöffneten Glasthüren wehte ein würziger Sommerabend-
hauch in die hell erleuchteten, von fröhlichen Menschengruppen
belebten Zimmer. Jn der Nähe des Flügels war die schwirrende
Unterhaltung verstummt; man drängte sich um eine schöne Frauen-
gestalt, deren Finger langsam über die Tasten glitten. Nach und
nach fügten sich die zerstreuten Akkorde zur Melodie; dann erhob die
schöne Frau ihre Stimme und sang eine einfache, wehmüthige Weise:

„Und weißt du, warum so trübe,
So schwer mir das Herz muß sein?
Du hast mich geküßt ohne Liebe, —
Das wolle dir Gott verzeihn!“

Die Sängerin hatte in die schlichten Worte ein Weh gelegt, das
durch jedes Herz bebte und sich in jedem Antlitz malte. Sie durfte
zufrieden sein mit der Wirkung ihrer künstlerischen Leistung. Als sie
sich vom Jnstrument erhob, entstand unter den Zuhörern ein eifriges
Bemühen, in ihre Nähe zu gelangen und ihr ein Wort der Anerkennung
zu sagen.

Neben der Glasthür, die zum Garten führte, lehnte ein junger
Mann, dessen Blicke unverwandt an der Sängerin hingen. Sein
Antlitz war bleich und hager, sein Auge voll Seele.

„Wer ist die Dame?“ fragte er einen ältlichen Herrn, der eben
zu ihm trat.

„Die erste Schauspielerin des neunzehnten Jahrhunderts“, lautete
die Antwort.

„Schauspielerin?“ und ein verwunderter Blick traf den Auskunft-
geber, der launig erwiderte:

„Freilich nicht von Profession; nicht Bühnen=, sondern Salon-
künstlerin. Uebrigens ist sie eine reiche und vornehme junge Wittwe
und, irre ich nicht, des Wittwenstandes bereits überdrüssig.“

„Sind Sie mit ihr bekannt?“ fragte der junge Mann weiter,
ohne der boshaften Bemerkungen des Andern zu achten.

„Mehr als bekannt; wir kennen einander sogar.“

„Wollen Sie mich ihr vorstellen?“

Der alte Herr verzog das Gesicht und zuckte die Achseln.

„Wenn es nicht anders sein kann! Aber hüten Sie sich. Für
Pfauenaugen, Ordensbänder und Grafen ist diese Frau eine Centi-
folie, für gemeine Nachtfalter und bürgerliche Privatdozenten ein Licht, an
dem sich solche Jnsekten die Flügel und zuweilen das Hirn verbrennen.“

„Stellen Sie mich ihr vor!“ beharrte der unerschrockene bürger-
liche Privatdozent. Der Andere seufzte tragisch:

„Es sei!“ und schritt dem jungen Mann voran, auf die schöne
Wittwe zu, die eben eine Konversation beendigt hatte und prüfend
auf die Ankömmlinge blickte.

Der alte Herr verbeugte sich und begann:

„Gnädige Frau, ich bringe Jhnen hier einen Odysseus, dessen
Begriffe über Sirenengesang noch einiger Aufklärung bedürfen. Jm
gewöhnlichen Leben nennt er sich Herbert und ist seit Kurzem Privat-
dozent an unserer guten Universität. Gott sei dem armen Sünder
gnädig!“

Damit wandte er sich ab und hängte sich an den Arm eines Vor-
übergehenden.

Herberts Antlitz hatte sich mit flammender Röthe bedeckt.

„Gnädige Frau“, bat er verwirrt, „lassen Sie mich das Un-
passende dieser Vorstellung nicht entgelten.“

„Seien Sie ganz ruhig“, fiel sie ihm heiter in die Rede. „Der
Baron ist ein alter Bekannter, an dessen zuweilen etwas derbe Scherze
ich gewöhnt bin. Kennen Sie ihn näher?“

„Er ist ein Universitätsfreund meines Vaters, der mich an ihn
empfahl. Doch habe ich während meines kurzen Aufenthalts hier
noch nicht viel Zeit gehabt, seine Güte in Anspruch zu nehmen.“

„Jst dies heut Jhr Debut in unserem Gesellschaftskreise?“

[Spaltenumbruch]

„Allerdings“, versetzte Herbert und fuhr zögernd fort: „Jch darf
es wohl ein glückliches nennen. Jch kam spät; gleich nach meinem
Eintritt sangen Sie, gnädige Frau“. Er hielt inne. Sie sah in
seine Augen, die schüchtern und doch beredt auf ihr ruhten, und ein
unbeschreiblich liebenswürdiges Lächeln spielte um ihren Mund.

„Jch sang ein kleines einfaches Lied“, sprach sie bescheiden.

„Ein Lied voll Hintergrund, wie ich es liebe.“

„Sie sind Gefühlsmensch?“

„Wenigstens liebe ich Alles, was mich auf die Räthsel und Tiefen
des Herzens hinweist.“

„So giebt es für Sie noch Räthsel, und sogar Herzensräthsel?“
rief sie mit anmuthigem Staunen. „Das ist eine Seltenheit bei
einem Mann unserer Zeit.“

„Sind denn die Männer unserer Zeit klug genug, jede Lösung zu
finden?“

„Nein; aber zu blasirt, um überhaupt an Räthsel zu glauben.“

„So darf ich mich eine Ausnahme nennen, weil ich keine Be-
rechtigung habe, blasirt zu sein.“

„Warum? Kommen Sie aus einem Urwald?“

„Nein; aber aus einem Dorf.“

„So sind Sie groß geworden zwischen Wiesenblumen und Lämmer-
heerden?“ fragte sie neckend.

„Zum Theil allerdings.“

„Und am Rand eines Baches liegend, ist Jhnen Jhre ganze Ge-
lehrsamkeit — denn ich nehme an, daß Sie sehr gelehrt sind — von
den Nymphen des Wassers und Waldes eingehaucht worden?“

„Das nun wohl gerade nicht“, lachte er. „Jm römischen und
kanonischen Recht dürften die Nymphen doch wohl nicht ganz
heimisch sein.“

„Sie sind Jurist? Nicht möglich!“

„Warum nicht?“ fragte er belustigt.

„Wie konnten Sie ein so staubiges Fach wählen! Sie sind ja
von der Natur zum Aesthetiker bestimmt.“

„Jst das so gewiß?“

„Natürlich; Jhnen muß weit wichtiger scheinen was schön, als
was recht ist. Nicht wahr, Sie sind ein Dichter?“

„Ein Dichter ohne Worte.“

„Komponirt von wem?“ neckte sie. „Jch wette dagegen, ein
Dichter mit viel Worten und mehr Bescheidenheit. Sagen Sie, wie
viel leere Blätter hat Jhr Taschenbuch noch aufzuweisen?“

„Jm Ernst, gnädige Frau, ich bin nur Gedankendichter.“

„Wie kommt das?“

„Jch bin in derselben Lage wie Moses, der auch einmal das be-
schämende Geständniß ablegen mußte, er habe eine schwere Zunge.“

„Wissen Sie, wann Jhre Zunge gelöst sein wird?“ entgegnete
sie rasch.

„Wann?“

„Sobald Sie einige Räthsel gelöst haben.“

Der Hausherr trat in diesem Augenblick hinzu, um der jungen
Frau einen andern Fremden vorzustellen. Herbert wollte sich be-
scheiden entfernen, aber sie, seine Absicht bemerkend, zog ihn rasch in
das Gespräch. Es bewegte sich auf der allgemeinen Heerstraße, hielt
sich fern von Räthseln und berührte Höhen und Tiefen nur in geogra-
phischer Beziehung. Unter einem schicklichen Vorwand wußte die
schöne Wittwe den Fremden bald zur Abschiedsverbeugung zu ver-
anlassen.

„Gott sei Dank!“ sprach sie aufathmend zu Herbert. „Wenn
man mich doch mit diesen ewigen Vorstellungen verschonen wollte!“

„So muß ich um Vergebung bitten, Jhnen lästig gefallen zu
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„Mein Gott, was habe ich gethan?“ rief sie bestürzt. „Es ist ja
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annnehmen wolle.  <space dim="horizontal"/>   ( Fortsetzung folgt. ) <note type="editorial">Ausgabe 16, die (vermutlich) den unmittelbar folgenden Teil des Artikels enthält, fehlt. <ref target="nn_sonntagsblatt17_1868#spaet2">Ausgabe 17</ref>, in der ein weiterer Fortsetzungsteil enthalten ist, ist vorhanden.</note></p>
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[116/0004] 116 gesetzt, nicht bekommen könne, das ging denn doch über des alten Bauern Verständniß, so klug und einsichtsvoll er sich auch dünkte. War er denn nicht auch einmal jung gewesen? Hatte er die Beate nicht herzlich lieb gehabt, so lieb wie keine Zweite? Und dennoch hatte er den Willen seines Vaters befolgt, der ihm vorgestellt, er müsse eine Reiche heirathen, damit der Ulmenhof, welcher durch die Kriegs- zeiten in schwere Schuldenlast gerathen, der Familie erhalten werden könne. War ihm das Scheiden von der stillen Beate, der er sich zwar nicht angelobt, die er aber doch als seine Erkorene betrachtet hatte, nicht schwer geworden? So hart war es ihm angekommen, als sie im Erlenbusch einander Lebewohl gesagt, daß er vermeint, nun es sei für immer mit Frohsinn und Glück vorbei. Und trotzdem hatte ihm die Heirath mit dem fremden reichen Mädchen sehr wohl gethan. Mit dem schönen Gelde der Mitgift und einer ihr bald zufallenden bedeutenden Erbschaft hatte er den Ulmenhof von Schulden frei gemacht, hatte noch den Rosenbusch hinzugekauft, und so das Glück des Bruders begründet, indem er ihm das Gütchen für eine solche Pachtsumme überließ, daß Gottfried darauf sein gutes Auskommen fand. Seiner Frau war Kilian, wie es sich geziemt, ein treuer und recht- schaffener Ehemann gewesen, wenngleich er sie nie so lieb gehabt, wie Beate, die später, nachdem die Erste gestorben, doch noch sein Weib ward. Er hatte also erprobt, was es hieß, seiner ersten Jugendliebe zu entsagen, und er verlangte von seinem Sohne nur, was er selbst geleistet. Aber es sah durchaus nicht danach aus, als ob Ewald Vernunft annnehmen wolle. ( Fortsetzung folgt. ) Aus der Gesellschaft. Eine Skizze von R. Robert. Durch die geöffneten Glasthüren wehte ein würziger Sommerabend- hauch in die hell erleuchteten, von fröhlichen Menschengruppen belebten Zimmer. Jn der Nähe des Flügels war die schwirrende Unterhaltung verstummt; man drängte sich um eine schöne Frauen- gestalt, deren Finger langsam über die Tasten glitten. Nach und nach fügten sich die zerstreuten Akkorde zur Melodie; dann erhob die schöne Frau ihre Stimme und sang eine einfache, wehmüthige Weise: „Und weißt du, warum so trübe, So schwer mir das Herz muß sein? Du hast mich geküßt ohne Liebe, — Das wolle dir Gott verzeihn!“ Die Sängerin hatte in die schlichten Worte ein Weh gelegt, das durch jedes Herz bebte und sich in jedem Antlitz malte. Sie durfte zufrieden sein mit der Wirkung ihrer künstlerischen Leistung. Als sie sich vom Jnstrument erhob, entstand unter den Zuhörern ein eifriges Bemühen, in ihre Nähe zu gelangen und ihr ein Wort der Anerkennung zu sagen. Neben der Glasthür, die zum Garten führte, lehnte ein junger Mann, dessen Blicke unverwandt an der Sängerin hingen. Sein Antlitz war bleich und hager, sein Auge voll Seele. „Wer ist die Dame?“ fragte er einen ältlichen Herrn, der eben zu ihm trat. „Die erste Schauspielerin des neunzehnten Jahrhunderts“, lautete die Antwort. „Schauspielerin?“ und ein verwunderter Blick traf den Auskunft- geber, der launig erwiderte: „Freilich nicht von Profession; nicht Bühnen=, sondern Salon- künstlerin. Uebrigens ist sie eine reiche und vornehme junge Wittwe und, irre ich nicht, des Wittwenstandes bereits überdrüssig.“ „Sind Sie mit ihr bekannt?“ fragte der junge Mann weiter, ohne der boshaften Bemerkungen des Andern zu achten. „Mehr als bekannt; wir kennen einander sogar.“ „Wollen Sie mich ihr vorstellen?“ Der alte Herr verzog das Gesicht und zuckte die Achseln. „Wenn es nicht anders sein kann! Aber hüten Sie sich. Für Pfauenaugen, Ordensbänder und Grafen ist diese Frau eine Centi- folie, für gemeine Nachtfalter und bürgerliche Privatdozenten ein Licht, an dem sich solche Jnsekten die Flügel und zuweilen das Hirn verbrennen.“ „Stellen Sie mich ihr vor!“ beharrte der unerschrockene bürger- liche Privatdozent. Der Andere seufzte tragisch: „Es sei!“ und schritt dem jungen Mann voran, auf die schöne Wittwe zu, die eben eine Konversation beendigt hatte und prüfend auf die Ankömmlinge blickte. Der alte Herr verbeugte sich und begann: „Gnädige Frau, ich bringe Jhnen hier einen Odysseus, dessen Begriffe über Sirenengesang noch einiger Aufklärung bedürfen. Jm gewöhnlichen Leben nennt er sich Herbert und ist seit Kurzem Privat- dozent an unserer guten Universität. Gott sei dem armen Sünder gnädig!“ Damit wandte er sich ab und hängte sich an den Arm eines Vor- übergehenden. Herberts Antlitz hatte sich mit flammender Röthe bedeckt. „Gnädige Frau“, bat er verwirrt, „lassen Sie mich das Un- passende dieser Vorstellung nicht entgelten.“ „Seien Sie ganz ruhig“, fiel sie ihm heiter in die Rede. „Der Baron ist ein alter Bekannter, an dessen zuweilen etwas derbe Scherze ich gewöhnt bin. Kennen Sie ihn näher?“ „Er ist ein Universitätsfreund meines Vaters, der mich an ihn empfahl. Doch habe ich während meines kurzen Aufenthalts hier noch nicht viel Zeit gehabt, seine Güte in Anspruch zu nehmen.“ „Jst dies heut Jhr Debut in unserem Gesellschaftskreise?“ „Allerdings“, versetzte Herbert und fuhr zögernd fort: „Jch darf es wohl ein glückliches nennen. Jch kam spät; gleich nach meinem Eintritt sangen Sie, gnädige Frau“. Er hielt inne. Sie sah in seine Augen, die schüchtern und doch beredt auf ihr ruhten, und ein unbeschreiblich liebenswürdiges Lächeln spielte um ihren Mund. „Jch sang ein kleines einfaches Lied“, sprach sie bescheiden. „Ein Lied voll Hintergrund, wie ich es liebe.“ „Sie sind Gefühlsmensch?“ „Wenigstens liebe ich Alles, was mich auf die Räthsel und Tiefen des Herzens hinweist.“ „So giebt es für Sie noch Räthsel, und sogar Herzensräthsel?“ rief sie mit anmuthigem Staunen. „Das ist eine Seltenheit bei einem Mann unserer Zeit.“ „Sind denn die Männer unserer Zeit klug genug, jede Lösung zu finden?“ „Nein; aber zu blasirt, um überhaupt an Räthsel zu glauben.“ „So darf ich mich eine Ausnahme nennen, weil ich keine Be- rechtigung habe, blasirt zu sein.“ „Warum? Kommen Sie aus einem Urwald?“ „Nein; aber aus einem Dorf.“ „So sind Sie groß geworden zwischen Wiesenblumen und Lämmer- heerden?“ fragte sie neckend. „Zum Theil allerdings.“ „Und am Rand eines Baches liegend, ist Jhnen Jhre ganze Ge- lehrsamkeit — denn ich nehme an, daß Sie sehr gelehrt sind — von den Nymphen des Wassers und Waldes eingehaucht worden?“ „Das nun wohl gerade nicht“, lachte er. „Jm römischen und kanonischen Recht dürften die Nymphen doch wohl nicht ganz heimisch sein.“ „Sie sind Jurist? Nicht möglich!“ „Warum nicht?“ fragte er belustigt. „Wie konnten Sie ein so staubiges Fach wählen! Sie sind ja von der Natur zum Aesthetiker bestimmt.“ „Jst das so gewiß?“ „Natürlich; Jhnen muß weit wichtiger scheinen was schön, als was recht ist. Nicht wahr, Sie sind ein Dichter?“ „Ein Dichter ohne Worte.“ „Komponirt von wem?“ neckte sie. „Jch wette dagegen, ein Dichter mit viel Worten und mehr Bescheidenheit. Sagen Sie, wie viel leere Blätter hat Jhr Taschenbuch noch aufzuweisen?“ „Jm Ernst, gnädige Frau, ich bin nur Gedankendichter.“ „Wie kommt das?“ „Jch bin in derselben Lage wie Moses, der auch einmal das be- schämende Geständniß ablegen mußte, er habe eine schwere Zunge.“ „Wissen Sie, wann Jhre Zunge gelöst sein wird?“ entgegnete sie rasch. „Wann?“ „Sobald Sie einige Räthsel gelöst haben.“ Der Hausherr trat in diesem Augenblick hinzu, um der jungen Frau einen andern Fremden vorzustellen. Herbert wollte sich be- scheiden entfernen, aber sie, seine Absicht bemerkend, zog ihn rasch in das Gespräch. Es bewegte sich auf der allgemeinen Heerstraße, hielt sich fern von Räthseln und berührte Höhen und Tiefen nur in geogra- phischer Beziehung. Unter einem schicklichen Vorwand wußte die schöne Wittwe den Fremden bald zur Abschiedsverbeugung zu ver- anlassen. „Gott sei Dank!“ sprach sie aufathmend zu Herbert. „Wenn man mich doch mit diesen ewigen Vorstellungen verschonen wollte!“ „So muß ich um Vergebung bitten, Jhnen lästig gefallen zu sein“, erwiderte Herbert verletzt. „Mein Gott, was habe ich gethan?“ rief sie bestürzt. „Es ist ja

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Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 15. Berlin, 12. April 1868, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt15_1868/4>, abgerufen am 01.06.2024.