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Sonntags-Blatt. Nr. 9. Berlin, 1. März 1868.

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[Beginn Spaltensatz] getrieben wird, so könnte man glauben, es müsse nicht schwer halten,
die legitimen und illegitimen Quacksalber zu entlarven und dadurch,
daß man die Leuchte der wissenschaftlichen Kritik an die Jrrlehre an-
legt und auf rationelle Weise ihr Fundament erschüttert, wenigstens
zu verhindern, daß sie ihre Netze nicht so ungestört und überall hin
ausdehnen können, allein die Erfahrung redet dieser Ansicht nicht
das Wort.

Was zunächst den Staat betrifft, der in andern Fällen seine
Staatsangehörigen vor Täuschung behütet und beschirmt, der die
Presse so väterlich bevormundet und nicht duldet, daß gegen die Moral
und Sittlichkeit in öffentlichen Blättern gefrevelt und dem Publikum
das Gift sogenannter revolutionärer Jdeen durch Wort und Rede
eingehaucht werde, so könnte die strenge Anwendung der bereits erlassenen
Gesetze die verlockenden und das Publikum irre führenden Anpreisun-
gen von sogenannten Geheimmitteln zum Theil wenigstens verhüten.
Jch erinnere hier an die Cirkular=Verfügung des Ministers des
Jnnern und der geistlichen, Unterrichts= und Medizinal=Angelegenheiten
vom 7. November 1848*), nach welcher es der Polizeibehörde und
den Kreisphysikern zur Pflicht gemacht wird, "auf die ergehenden An-
kündigungen jener Art, oder die ohne vorherige Ankündigung statt-
findenden Verkäufe von Geheimmitteln aufmerksam zu sein und die
vorkommenden Uebertretungen zur Rüge zu bringen. Das Publikum
aber ist Seitens der Polizeibehörden auf die bestehenden Gesetze mit
dem Hinzufügen hinzuweisen, daß jeder Verkauf und jede Ankündigung
von Geheimmitteln und ähnlicher Arznei als strafbar werde verfolgt
werden, die nicht durch ein amtliches Attest des Kreisphysikus des
Orts ausdrücklich nachgelassen sind. Die Kreisphysiker ihrerseits wer-
den dergleichen Atteste nicht selbstständig zu ertheilen, sondern nur aus-
zustellen haben, wenn die oberste Medizinal=Jnstanz den Debit des
betreffenden Geheimmittels ausdrücklich genehmigt hat". Ferner bedroht
der §. 345. ad 2. des Strafgesetzbuches mit Geldbuße bis zu fünfzig
Thalern oder Gefängniß bis zu sechs Wochen denjenigen, welcher ohne
polizeiliche Erlaubniß Gift oder Arzeneien, so weit deren Handel nicht
durch besondere Verordnungen freigegeben ist, zubereitet, verkauft oder
sonst an Andere überläßt. Jn neuester Zeit endlich macht ein
Reskript des Ministers der geistlichen, Unterrichts= und Medizinal-
Angelegenheiten vom 1. April 1864 noch besonders auf das letzte
Alinea dieses Paragraphen des Strafgesetzbuches aufmerksam, welches
die Konfiskation der Arzeneien verordnet, und giebt den zu verfolgen-
den Weg an: in der Feststellung 1 ) daß das Mittel zu denen gehöre,
welche die Bekanntmachung vom 29. Juli 1857 nur den Apothekern
zu verkaufen erlaubt; 2 ) daß wirklich ein Verkauf stattgefunden;
3 ) Existenz eines verbotenen ( durch die Staatsanwaltschaft zu kon-
fiszirenden ) Arzeneibestandes **). Werden die Gesetze aber gegeben,
damit sie nicht zur Anwendung kommen? Was nutzen die strengen
Vorschriften über das Apothekerwesen, wenn Geheimmittelkrämer sich
erfrechen dürfen, sie öffentlich zu umgehen? Darf doch der approbirte
Arzt nur mit Genehmigung der Behörde Arzeneien dispensiren, und
Jnhabern einer Geheimmittelfirma wird es gestattet, ihre Waare
öffentlich feil zu bieten und auszuposaunen!

Allein selbst die fürsorglichste Sanitätspolizei dürfte schwerlich im
Stande sein, den Geheimmittel=Unfug gründlich zu beseitigen. Denn
als durch Verfügung des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts-
und Medizinal=Angelegenheiten vom 18. Dezember 1850 der Verkauf
der Wundram'schen Kräuter, die übrigens weder aus einem Kraut noch
aus Kräutern bestehen, verboten wurde und die preußischen Zeitungen
den bestehenden Anpreisungen derselben nicht mehr ihre Spalten öffnen
durften, umging der inzwischen zum Wunderdoktor gestempelte und
als Märtyrer glorifizirte weiland Tabakshändler dies Gesetz dadurch,
daß er schnell ein Opus "Ueber Krankheitsstoffe und die Heilkraft
blutreinigender und abführender Kräuter" zusammenstoppelte und durch
eine ganze Fülle von grundfalschen und lächerlichen Behauptungen dem
Laienpublikum einen Brei zusammenrührte, den es mit wahrem Heiß-
hunger verschlang. Den Gläubigen erwuchs durch jenes Verbot die
Mühe, die Waare nunmehr direkt aus der Bezugsquelle entnehmen
zu müssen, und der Fabrikant erzielte nicht nur einen größeren Absatz,
sondern hatte nicht mehr nöthig, seinen Helfershelfern hohe Prozente
zu geben.

Daher sagt schon ein hervorragender Arzt des vorigen Jahrhun-
derts: "Es giebt viele Dinge, die auf das allgemeine Wohl einen
großen Bezug haben, sie sind aber nicht durch Polizeigesetze zu hand-
haben, sondern es sind bloß Sachen des guten Raths und der Be-
lehrung." Hat es aber, frage ich, in Betreff der Geheimmittel je an
gutem Rath und guter Belehrung gefehlt? Oder hat ein gewisses Vor-
nehmthun diejenigen Männer, deren Wort ein bedeutendes Gewicht
in die Wagschaale legen konnte und kann, zurückgehalten, die Ver-
führer auf das Verwerfliche ihres Treibens aufmerksam zu machen
[Spaltenumbruch] und die Verführten auf den richtigen Weg hinzuführen? Wenn es im
Allgemeinen eine richtige Lehre sein mag, daß der Vernünftige zu der
Narrheit seiner Zeit schweige, so hat es doch zu keiner Zeit an Män-
nern von gediegenem Charakter, wissenschaftlicher Bildung und reicher
Erfahrung gefehlt, welche gegen den Unfug der Geheimmittelwirth-
schaft in die Schranken getreten sind; allein waren sie im Stande, ihm
zu steuern oder ihn gänzlich zu beseitigen, oder kann sich die Gegenwart,
trotz des unleugbaren Fortschritts der Bildung, trotz des neuerdings
aufgestellten Rechtsgrundsatzes des preußischen Obertribunals*), von
dem Sanguiniker hofften, "dieser Spruch des preußischen Obertribunals
werde das Todtengeläute der Geheimmittel -- dieser Mißgeburt
unsers Jahrhunderts -- sein", eines besseren Resultats erfreuen? Die
sich tagtäglich in den öffentlichen Blättern wiederholenden Anzeigen
von Jndustrierittern liefern die beste Antwort auf diese Frage.

Warum die kompetenten Stimmen nicht im Stande sind, das
Publikum vom Jrrweg ab auf den richtigen Weg hinüber zu lenken,
will ich, um die Leser nicht zu ermüden, in aller Kürze anzudeuten
versuchen.

Ein Jeder ist gern geneigt, das zu glauben, was er glauben
möchte. Wo giebt es aber einen Kranken, der nicht mit der
größten Bereitwilligkeit demjenigen unbedingtes Vertrauen schenkt,
der ihm mit apodiktischer Gewißheit eine sichere, baldige und dauernde
Genesung verheißt? Das ist gerade das Steckenpferd, auf welchem
die Beutelschneider vortrefflich zu reiten verstehen.

Der Besitzer des echten Bruchheilmittels, Fr. Krüsi=Altherr, prak-
tischer Brucharzt in Gais, übersendet unter Postvorschuß seinen Klienten
seine Schrift "Radikale Heilung der Brüche" mit einem lithographir-
ten Schreiben, in welchem er sagt: "Nach genauer und gründlicher
Prüfung Jhrer werthen Zuschrift bin ich der festen Ueberzeugung, daß
dieses Uebel im vorliegenden Fall noch gänzlich geheilt werden kann;
doch da mir das Uebel nicht näher beschrieben wurde, so kann ich
natürlich nicht näher bestimmen, ob zur vollkommenen Heilung eine
oder mehrere Dosen nothwendig sind"**). Trotz des handgreiflichen
Widerspruches, der in diesen Worten liegt, trotz der Bestrafung des
Krüsi wegen Pfuscherei, der marktschreierischen Ankündigung seines
Bruchpflasters und der unbefugten Anmaßung des Doktortitels wird
immer wieder auf den Köder angebissen, weil der Arzt denjenigen
Kranken, die nicht an einem eingeklemmten Bruch leiden, nur palliative
Hülfe gewährt; "der Besitzer des echten Bruchheilmittels" aber, dem
das Wohl seines Geldbeutels mehr am Herzen liegt als das der
Bruchkranken, die sich an ihn wenden, verspricht ihnen, ohne den Bruch
gesehen und gründlich untersucht zu haben, dennoch in kurzer Zeit eine
radikale Befreiung von dem lästigen Uebel.

Ferner pflegt man es einen Eingriff in die Rechte des mündigen
Publikums zu nennen, wenn man es zu hindern sucht, in Dingen,
wo es eines Wegweisers bedarf, nach eigenem Ermessen zu handeln;
das Bevormundungssystem ist nicht beliebt und findet jetzt keinen
Anklang mehr. Man dünkt sich jetzt erfahren und klug genug, sein
eigener Anwalt sein zu können, und legt denen, welche die Anwalt-
schaft in der edlen Absicht übernehmen, die Moralität zu fördern, den
Aberglauben zu verscheuchen und richtige Ansichten zu verbreiten, un-
lautere Beweggründe für ihre Handlungen unter. Man legt, so
raisonnirt man, die Lanze nur "für den eigenen Heerd" ein, um sein
tägliches Brot nicht geschmälert zu sehen, und das nennt man "einen
Kampf für Wahrheit und Recht", das ist aber nichts Anderes, als
"elendes Parteigetriebe". Man müsse sich von den Aerzten emanzipiren
und zu dem Urzustande zurückkehren, wo es doch auch keine legitimen
Heilkünstler, und deßhalb auch nicht so viele Krankheiten gab. Warum
solle man es dem Kranken nicht anheim geben, seine Medikamente zu
beziehen, aus welcher Quelle er wolle? Warum ihn auf die Apotheken
beschränken, deren Privilegien er bezahlen helfen müsse? Man hält
Arzeneimittel für um so wirksamer, aus je größerer Entfernung sie
bezogen werden, und die Mittel, welche "eine sichere Hülfe schaffen und
eine untrügliche Wirksamkeit äußern", können selbstverständlich auch
nicht billig, sondern müssen theuer sein. Je grobsinnlicher die Wir-
kung eines Geheimmittels ist, desto "probater" müsse es sein, und
bekundet es, wie die Panacee des Barry du Barry u. a. m., gar
keine in die Augen fallende Wirkung, so müsse ihm eine übersinnliche
innewohnen, und es müsse, da des Menschen Leben im Blut sei, die
Schärfen, die Ursache der Krankheit, aus dem Blut entfernen.
Solcher und ähnlicher Unsinn verbreitet sich von den Palästen zu den
Hütten und wuchert zu einer kontinuirlichen Krankheit fort. Gegen
solche eingewurzelte, insbesondere von den aftergebildeten höheren
Ständen genährte und geförderte Vorurtheile ist aber erfahrungs-
gemäß eine jede Belehrung und Ermahnung fast ohnmächtig und
wirkungslos, und die Jahrbücher der Geschichte bestätigen es hin-
[Ende Spaltensatz]

*) Horns Medizinalwesen, Theil I. pag. 136.
**) Berliner klinische Wochenschrift, No. 42. vom 15. Oktober 1866.
*) Pharmaceutische Zeitung des norddeutschen Apotheker=Vereins, XI.
Jahrg., Nr. 103. vom 29. Dezember 1866.
**) Neuerdings operirt der Pfuscher Krüsi schlauer, denn er bestimmt
in dem lithographirten Schreiben von vornherein die Zahl der Dosen.

[Beginn Spaltensatz] getrieben wird, so könnte man glauben, es müsse nicht schwer halten,
die legitimen und illegitimen Quacksalber zu entlarven und dadurch,
daß man die Leuchte der wissenschaftlichen Kritik an die Jrrlehre an-
legt und auf rationelle Weise ihr Fundament erschüttert, wenigstens
zu verhindern, daß sie ihre Netze nicht so ungestört und überall hin
ausdehnen können, allein die Erfahrung redet dieser Ansicht nicht
das Wort.

Was zunächst den Staat betrifft, der in andern Fällen seine
Staatsangehörigen vor Täuschung behütet und beschirmt, der die
Presse so väterlich bevormundet und nicht duldet, daß gegen die Moral
und Sittlichkeit in öffentlichen Blättern gefrevelt und dem Publikum
das Gift sogenannter revolutionärer Jdeen durch Wort und Rede
eingehaucht werde, so könnte die strenge Anwendung der bereits erlassenen
Gesetze die verlockenden und das Publikum irre führenden Anpreisun-
gen von sogenannten Geheimmitteln zum Theil wenigstens verhüten.
Jch erinnere hier an die Cirkular=Verfügung des Ministers des
Jnnern und der geistlichen, Unterrichts= und Medizinal=Angelegenheiten
vom 7. November 1848*), nach welcher es der Polizeibehörde und
den Kreisphysikern zur Pflicht gemacht wird, „auf die ergehenden An-
kündigungen jener Art, oder die ohne vorherige Ankündigung statt-
findenden Verkäufe von Geheimmitteln aufmerksam zu sein und die
vorkommenden Uebertretungen zur Rüge zu bringen. Das Publikum
aber ist Seitens der Polizeibehörden auf die bestehenden Gesetze mit
dem Hinzufügen hinzuweisen, daß jeder Verkauf und jede Ankündigung
von Geheimmitteln und ähnlicher Arznei als strafbar werde verfolgt
werden, die nicht durch ein amtliches Attest des Kreisphysikus des
Orts ausdrücklich nachgelassen sind. Die Kreisphysiker ihrerseits wer-
den dergleichen Atteste nicht selbstständig zu ertheilen, sondern nur aus-
zustellen haben, wenn die oberste Medizinal=Jnstanz den Debit des
betreffenden Geheimmittels ausdrücklich genehmigt hat“. Ferner bedroht
der §. 345. ad 2. des Strafgesetzbuches mit Geldbuße bis zu fünfzig
Thalern oder Gefängniß bis zu sechs Wochen denjenigen, welcher ohne
polizeiliche Erlaubniß Gift oder Arzeneien, so weit deren Handel nicht
durch besondere Verordnungen freigegeben ist, zubereitet, verkauft oder
sonst an Andere überläßt. Jn neuester Zeit endlich macht ein
Reskript des Ministers der geistlichen, Unterrichts= und Medizinal-
Angelegenheiten vom 1. April 1864 noch besonders auf das letzte
Alinea dieses Paragraphen des Strafgesetzbuches aufmerksam, welches
die Konfiskation der Arzeneien verordnet, und giebt den zu verfolgen-
den Weg an: in der Feststellung 1 ) daß das Mittel zu denen gehöre,
welche die Bekanntmachung vom 29. Juli 1857 nur den Apothekern
zu verkaufen erlaubt; 2 ) daß wirklich ein Verkauf stattgefunden;
3 ) Existenz eines verbotenen ( durch die Staatsanwaltschaft zu kon-
fiszirenden ) Arzeneibestandes **). Werden die Gesetze aber gegeben,
damit sie nicht zur Anwendung kommen? Was nutzen die strengen
Vorschriften über das Apothekerwesen, wenn Geheimmittelkrämer sich
erfrechen dürfen, sie öffentlich zu umgehen? Darf doch der approbirte
Arzt nur mit Genehmigung der Behörde Arzeneien dispensiren, und
Jnhabern einer Geheimmittelfirma wird es gestattet, ihre Waare
öffentlich feil zu bieten und auszuposaunen!

Allein selbst die fürsorglichste Sanitätspolizei dürfte schwerlich im
Stande sein, den Geheimmittel=Unfug gründlich zu beseitigen. Denn
als durch Verfügung des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts-
und Medizinal=Angelegenheiten vom 18. Dezember 1850 der Verkauf
der Wundram'schen Kräuter, die übrigens weder aus einem Kraut noch
aus Kräutern bestehen, verboten wurde und die preußischen Zeitungen
den bestehenden Anpreisungen derselben nicht mehr ihre Spalten öffnen
durften, umging der inzwischen zum Wunderdoktor gestempelte und
als Märtyrer glorifizirte weiland Tabakshändler dies Gesetz dadurch,
daß er schnell ein Opus „Ueber Krankheitsstoffe und die Heilkraft
blutreinigender und abführender Kräuter“ zusammenstoppelte und durch
eine ganze Fülle von grundfalschen und lächerlichen Behauptungen dem
Laienpublikum einen Brei zusammenrührte, den es mit wahrem Heiß-
hunger verschlang. Den Gläubigen erwuchs durch jenes Verbot die
Mühe, die Waare nunmehr direkt aus der Bezugsquelle entnehmen
zu müssen, und der Fabrikant erzielte nicht nur einen größeren Absatz,
sondern hatte nicht mehr nöthig, seinen Helfershelfern hohe Prozente
zu geben.

Daher sagt schon ein hervorragender Arzt des vorigen Jahrhun-
derts: „Es giebt viele Dinge, die auf das allgemeine Wohl einen
großen Bezug haben, sie sind aber nicht durch Polizeigesetze zu hand-
haben, sondern es sind bloß Sachen des guten Raths und der Be-
lehrung.“ Hat es aber, frage ich, in Betreff der Geheimmittel je an
gutem Rath und guter Belehrung gefehlt? Oder hat ein gewisses Vor-
nehmthun diejenigen Männer, deren Wort ein bedeutendes Gewicht
in die Wagschaale legen konnte und kann, zurückgehalten, die Ver-
führer auf das Verwerfliche ihres Treibens aufmerksam zu machen
[Spaltenumbruch] und die Verführten auf den richtigen Weg hinzuführen? Wenn es im
Allgemeinen eine richtige Lehre sein mag, daß der Vernünftige zu der
Narrheit seiner Zeit schweige, so hat es doch zu keiner Zeit an Män-
nern von gediegenem Charakter, wissenschaftlicher Bildung und reicher
Erfahrung gefehlt, welche gegen den Unfug der Geheimmittelwirth-
schaft in die Schranken getreten sind; allein waren sie im Stande, ihm
zu steuern oder ihn gänzlich zu beseitigen, oder kann sich die Gegenwart,
trotz des unleugbaren Fortschritts der Bildung, trotz des neuerdings
aufgestellten Rechtsgrundsatzes des preußischen Obertribunals*), von
dem Sanguiniker hofften, „dieser Spruch des preußischen Obertribunals
werde das Todtengeläute der Geheimmittel — dieser Mißgeburt
unsers Jahrhunderts — sein“, eines besseren Resultats erfreuen? Die
sich tagtäglich in den öffentlichen Blättern wiederholenden Anzeigen
von Jndustrierittern liefern die beste Antwort auf diese Frage.

Warum die kompetenten Stimmen nicht im Stande sind, das
Publikum vom Jrrweg ab auf den richtigen Weg hinüber zu lenken,
will ich, um die Leser nicht zu ermüden, in aller Kürze anzudeuten
versuchen.

Ein Jeder ist gern geneigt, das zu glauben, was er glauben
möchte. Wo giebt es aber einen Kranken, der nicht mit der
größten Bereitwilligkeit demjenigen unbedingtes Vertrauen schenkt,
der ihm mit apodiktischer Gewißheit eine sichere, baldige und dauernde
Genesung verheißt? Das ist gerade das Steckenpferd, auf welchem
die Beutelschneider vortrefflich zu reiten verstehen.

Der Besitzer des echten Bruchheilmittels, Fr. Krüsi=Altherr, prak-
tischer Brucharzt in Gais, übersendet unter Postvorschuß seinen Klienten
seine Schrift „Radikale Heilung der Brüche“ mit einem lithographir-
ten Schreiben, in welchem er sagt: „Nach genauer und gründlicher
Prüfung Jhrer werthen Zuschrift bin ich der festen Ueberzeugung, daß
dieses Uebel im vorliegenden Fall noch gänzlich geheilt werden kann;
doch da mir das Uebel nicht näher beschrieben wurde, so kann ich
natürlich nicht näher bestimmen, ob zur vollkommenen Heilung eine
oder mehrere Dosen nothwendig sind“**). Trotz des handgreiflichen
Widerspruches, der in diesen Worten liegt, trotz der Bestrafung des
Krüsi wegen Pfuscherei, der marktschreierischen Ankündigung seines
Bruchpflasters und der unbefugten Anmaßung des Doktortitels wird
immer wieder auf den Köder angebissen, weil der Arzt denjenigen
Kranken, die nicht an einem eingeklemmten Bruch leiden, nur palliative
Hülfe gewährt; „der Besitzer des echten Bruchheilmittels“ aber, dem
das Wohl seines Geldbeutels mehr am Herzen liegt als das der
Bruchkranken, die sich an ihn wenden, verspricht ihnen, ohne den Bruch
gesehen und gründlich untersucht zu haben, dennoch in kurzer Zeit eine
radikale Befreiung von dem lästigen Uebel.

Ferner pflegt man es einen Eingriff in die Rechte des mündigen
Publikums zu nennen, wenn man es zu hindern sucht, in Dingen,
wo es eines Wegweisers bedarf, nach eigenem Ermessen zu handeln;
das Bevormundungssystem ist nicht beliebt und findet jetzt keinen
Anklang mehr. Man dünkt sich jetzt erfahren und klug genug, sein
eigener Anwalt sein zu können, und legt denen, welche die Anwalt-
schaft in der edlen Absicht übernehmen, die Moralität zu fördern, den
Aberglauben zu verscheuchen und richtige Ansichten zu verbreiten, un-
lautere Beweggründe für ihre Handlungen unter. Man legt, so
raisonnirt man, die Lanze nur „für den eigenen Heerd“ ein, um sein
tägliches Brot nicht geschmälert zu sehen, und das nennt man „einen
Kampf für Wahrheit und Recht“, das ist aber nichts Anderes, als
„elendes Parteigetriebe“. Man müsse sich von den Aerzten emanzipiren
und zu dem Urzustande zurückkehren, wo es doch auch keine legitimen
Heilkünstler, und deßhalb auch nicht so viele Krankheiten gab. Warum
solle man es dem Kranken nicht anheim geben, seine Medikamente zu
beziehen, aus welcher Quelle er wolle? Warum ihn auf die Apotheken
beschränken, deren Privilegien er bezahlen helfen müsse? Man hält
Arzeneimittel für um so wirksamer, aus je größerer Entfernung sie
bezogen werden, und die Mittel, welche „eine sichere Hülfe schaffen und
eine untrügliche Wirksamkeit äußern“, können selbstverständlich auch
nicht billig, sondern müssen theuer sein. Je grobsinnlicher die Wir-
kung eines Geheimmittels ist, desto „probater“ müsse es sein, und
bekundet es, wie die Panacee des Barry du Barry u. a. m., gar
keine in die Augen fallende Wirkung, so müsse ihm eine übersinnliche
innewohnen, und es müsse, da des Menschen Leben im Blut sei, die
Schärfen, die Ursache der Krankheit, aus dem Blut entfernen.
Solcher und ähnlicher Unsinn verbreitet sich von den Palästen zu den
Hütten und wuchert zu einer kontinuirlichen Krankheit fort. Gegen
solche eingewurzelte, insbesondere von den aftergebildeten höheren
Ständen genährte und geförderte Vorurtheile ist aber erfahrungs-
gemäß eine jede Belehrung und Ermahnung fast ohnmächtig und
wirkungslos, und die Jahrbücher der Geschichte bestätigen es hin-
[Ende Spaltensatz]

*) Horns Medizinalwesen, Theil I. pag. 136.
**) Berliner klinische Wochenschrift, No. 42. vom 15. Oktober 1866.
*) Pharmaceutische Zeitung des norddeutschen Apotheker=Vereins, XI.
Jahrg., Nr. 103. vom 29. Dezember 1866.
**) Neuerdings operirt der Pfuscher Krüsi schlauer, denn er bestimmt
in dem lithographirten Schreiben von vornherein die Zahl der Dosen.
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[70/0006] 70 getrieben wird, so könnte man glauben, es müsse nicht schwer halten, die legitimen und illegitimen Quacksalber zu entlarven und dadurch, daß man die Leuchte der wissenschaftlichen Kritik an die Jrrlehre an- legt und auf rationelle Weise ihr Fundament erschüttert, wenigstens zu verhindern, daß sie ihre Netze nicht so ungestört und überall hin ausdehnen können, allein die Erfahrung redet dieser Ansicht nicht das Wort. Was zunächst den Staat betrifft, der in andern Fällen seine Staatsangehörigen vor Täuschung behütet und beschirmt, der die Presse so väterlich bevormundet und nicht duldet, daß gegen die Moral und Sittlichkeit in öffentlichen Blättern gefrevelt und dem Publikum das Gift sogenannter revolutionärer Jdeen durch Wort und Rede eingehaucht werde, so könnte die strenge Anwendung der bereits erlassenen Gesetze die verlockenden und das Publikum irre führenden Anpreisun- gen von sogenannten Geheimmitteln zum Theil wenigstens verhüten. Jch erinnere hier an die Cirkular=Verfügung des Ministers des Jnnern und der geistlichen, Unterrichts= und Medizinal=Angelegenheiten vom 7. November 1848 *), nach welcher es der Polizeibehörde und den Kreisphysikern zur Pflicht gemacht wird, „auf die ergehenden An- kündigungen jener Art, oder die ohne vorherige Ankündigung statt- findenden Verkäufe von Geheimmitteln aufmerksam zu sein und die vorkommenden Uebertretungen zur Rüge zu bringen. Das Publikum aber ist Seitens der Polizeibehörden auf die bestehenden Gesetze mit dem Hinzufügen hinzuweisen, daß jeder Verkauf und jede Ankündigung von Geheimmitteln und ähnlicher Arznei als strafbar werde verfolgt werden, die nicht durch ein amtliches Attest des Kreisphysikus des Orts ausdrücklich nachgelassen sind. Die Kreisphysiker ihrerseits wer- den dergleichen Atteste nicht selbstständig zu ertheilen, sondern nur aus- zustellen haben, wenn die oberste Medizinal=Jnstanz den Debit des betreffenden Geheimmittels ausdrücklich genehmigt hat“. Ferner bedroht der §. 345. ad 2. des Strafgesetzbuches mit Geldbuße bis zu fünfzig Thalern oder Gefängniß bis zu sechs Wochen denjenigen, welcher ohne polizeiliche Erlaubniß Gift oder Arzeneien, so weit deren Handel nicht durch besondere Verordnungen freigegeben ist, zubereitet, verkauft oder sonst an Andere überläßt. Jn neuester Zeit endlich macht ein Reskript des Ministers der geistlichen, Unterrichts= und Medizinal- Angelegenheiten vom 1. April 1864 noch besonders auf das letzte Alinea dieses Paragraphen des Strafgesetzbuches aufmerksam, welches die Konfiskation der Arzeneien verordnet, und giebt den zu verfolgen- den Weg an: in der Feststellung 1 ) daß das Mittel zu denen gehöre, welche die Bekanntmachung vom 29. Juli 1857 nur den Apothekern zu verkaufen erlaubt; 2 ) daß wirklich ein Verkauf stattgefunden; 3 ) Existenz eines verbotenen ( durch die Staatsanwaltschaft zu kon- fiszirenden ) Arzeneibestandes **). Werden die Gesetze aber gegeben, damit sie nicht zur Anwendung kommen? Was nutzen die strengen Vorschriften über das Apothekerwesen, wenn Geheimmittelkrämer sich erfrechen dürfen, sie öffentlich zu umgehen? Darf doch der approbirte Arzt nur mit Genehmigung der Behörde Arzeneien dispensiren, und Jnhabern einer Geheimmittelfirma wird es gestattet, ihre Waare öffentlich feil zu bieten und auszuposaunen! Allein selbst die fürsorglichste Sanitätspolizei dürfte schwerlich im Stande sein, den Geheimmittel=Unfug gründlich zu beseitigen. Denn als durch Verfügung des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal=Angelegenheiten vom 18. Dezember 1850 der Verkauf der Wundram'schen Kräuter, die übrigens weder aus einem Kraut noch aus Kräutern bestehen, verboten wurde und die preußischen Zeitungen den bestehenden Anpreisungen derselben nicht mehr ihre Spalten öffnen durften, umging der inzwischen zum Wunderdoktor gestempelte und als Märtyrer glorifizirte weiland Tabakshändler dies Gesetz dadurch, daß er schnell ein Opus „Ueber Krankheitsstoffe und die Heilkraft blutreinigender und abführender Kräuter“ zusammenstoppelte und durch eine ganze Fülle von grundfalschen und lächerlichen Behauptungen dem Laienpublikum einen Brei zusammenrührte, den es mit wahrem Heiß- hunger verschlang. Den Gläubigen erwuchs durch jenes Verbot die Mühe, die Waare nunmehr direkt aus der Bezugsquelle entnehmen zu müssen, und der Fabrikant erzielte nicht nur einen größeren Absatz, sondern hatte nicht mehr nöthig, seinen Helfershelfern hohe Prozente zu geben. Daher sagt schon ein hervorragender Arzt des vorigen Jahrhun- derts: „Es giebt viele Dinge, die auf das allgemeine Wohl einen großen Bezug haben, sie sind aber nicht durch Polizeigesetze zu hand- haben, sondern es sind bloß Sachen des guten Raths und der Be- lehrung.“ Hat es aber, frage ich, in Betreff der Geheimmittel je an gutem Rath und guter Belehrung gefehlt? Oder hat ein gewisses Vor- nehmthun diejenigen Männer, deren Wort ein bedeutendes Gewicht in die Wagschaale legen konnte und kann, zurückgehalten, die Ver- führer auf das Verwerfliche ihres Treibens aufmerksam zu machen und die Verführten auf den richtigen Weg hinzuführen? Wenn es im Allgemeinen eine richtige Lehre sein mag, daß der Vernünftige zu der Narrheit seiner Zeit schweige, so hat es doch zu keiner Zeit an Män- nern von gediegenem Charakter, wissenschaftlicher Bildung und reicher Erfahrung gefehlt, welche gegen den Unfug der Geheimmittelwirth- schaft in die Schranken getreten sind; allein waren sie im Stande, ihm zu steuern oder ihn gänzlich zu beseitigen, oder kann sich die Gegenwart, trotz des unleugbaren Fortschritts der Bildung, trotz des neuerdings aufgestellten Rechtsgrundsatzes des preußischen Obertribunals *), von dem Sanguiniker hofften, „dieser Spruch des preußischen Obertribunals werde das Todtengeläute der Geheimmittel — dieser Mißgeburt unsers Jahrhunderts — sein“, eines besseren Resultats erfreuen? Die sich tagtäglich in den öffentlichen Blättern wiederholenden Anzeigen von Jndustrierittern liefern die beste Antwort auf diese Frage. Warum die kompetenten Stimmen nicht im Stande sind, das Publikum vom Jrrweg ab auf den richtigen Weg hinüber zu lenken, will ich, um die Leser nicht zu ermüden, in aller Kürze anzudeuten versuchen. Ein Jeder ist gern geneigt, das zu glauben, was er glauben möchte. Wo giebt es aber einen Kranken, der nicht mit der größten Bereitwilligkeit demjenigen unbedingtes Vertrauen schenkt, der ihm mit apodiktischer Gewißheit eine sichere, baldige und dauernde Genesung verheißt? Das ist gerade das Steckenpferd, auf welchem die Beutelschneider vortrefflich zu reiten verstehen. Der Besitzer des echten Bruchheilmittels, Fr. Krüsi=Altherr, prak- tischer Brucharzt in Gais, übersendet unter Postvorschuß seinen Klienten seine Schrift „Radikale Heilung der Brüche“ mit einem lithographir- ten Schreiben, in welchem er sagt: „Nach genauer und gründlicher Prüfung Jhrer werthen Zuschrift bin ich der festen Ueberzeugung, daß dieses Uebel im vorliegenden Fall noch gänzlich geheilt werden kann; doch da mir das Uebel nicht näher beschrieben wurde, so kann ich natürlich nicht näher bestimmen, ob zur vollkommenen Heilung eine oder mehrere Dosen nothwendig sind“ **). Trotz des handgreiflichen Widerspruches, der in diesen Worten liegt, trotz der Bestrafung des Krüsi wegen Pfuscherei, der marktschreierischen Ankündigung seines Bruchpflasters und der unbefugten Anmaßung des Doktortitels wird immer wieder auf den Köder angebissen, weil der Arzt denjenigen Kranken, die nicht an einem eingeklemmten Bruch leiden, nur palliative Hülfe gewährt; „der Besitzer des echten Bruchheilmittels“ aber, dem das Wohl seines Geldbeutels mehr am Herzen liegt als das der Bruchkranken, die sich an ihn wenden, verspricht ihnen, ohne den Bruch gesehen und gründlich untersucht zu haben, dennoch in kurzer Zeit eine radikale Befreiung von dem lästigen Uebel. Ferner pflegt man es einen Eingriff in die Rechte des mündigen Publikums zu nennen, wenn man es zu hindern sucht, in Dingen, wo es eines Wegweisers bedarf, nach eigenem Ermessen zu handeln; das Bevormundungssystem ist nicht beliebt und findet jetzt keinen Anklang mehr. Man dünkt sich jetzt erfahren und klug genug, sein eigener Anwalt sein zu können, und legt denen, welche die Anwalt- schaft in der edlen Absicht übernehmen, die Moralität zu fördern, den Aberglauben zu verscheuchen und richtige Ansichten zu verbreiten, un- lautere Beweggründe für ihre Handlungen unter. Man legt, so raisonnirt man, die Lanze nur „für den eigenen Heerd“ ein, um sein tägliches Brot nicht geschmälert zu sehen, und das nennt man „einen Kampf für Wahrheit und Recht“, das ist aber nichts Anderes, als „elendes Parteigetriebe“. Man müsse sich von den Aerzten emanzipiren und zu dem Urzustande zurückkehren, wo es doch auch keine legitimen Heilkünstler, und deßhalb auch nicht so viele Krankheiten gab. Warum solle man es dem Kranken nicht anheim geben, seine Medikamente zu beziehen, aus welcher Quelle er wolle? Warum ihn auf die Apotheken beschränken, deren Privilegien er bezahlen helfen müsse? Man hält Arzeneimittel für um so wirksamer, aus je größerer Entfernung sie bezogen werden, und die Mittel, welche „eine sichere Hülfe schaffen und eine untrügliche Wirksamkeit äußern“, können selbstverständlich auch nicht billig, sondern müssen theuer sein. Je grobsinnlicher die Wir- kung eines Geheimmittels ist, desto „probater“ müsse es sein, und bekundet es, wie die Panacee des Barry du Barry u. a. m., gar keine in die Augen fallende Wirkung, so müsse ihm eine übersinnliche innewohnen, und es müsse, da des Menschen Leben im Blut sei, die Schärfen, die Ursache der Krankheit, aus dem Blut entfernen. Solcher und ähnlicher Unsinn verbreitet sich von den Palästen zu den Hütten und wuchert zu einer kontinuirlichen Krankheit fort. Gegen solche eingewurzelte, insbesondere von den aftergebildeten höheren Ständen genährte und geförderte Vorurtheile ist aber erfahrungs- gemäß eine jede Belehrung und Ermahnung fast ohnmächtig und wirkungslos, und die Jahrbücher der Geschichte bestätigen es hin- *) Horns Medizinalwesen, Theil I. pag. 136. **) Berliner klinische Wochenschrift, No. 42. vom 15. Oktober 1866. *) Pharmaceutische Zeitung des norddeutschen Apotheker=Vereins, XI. Jahrg., Nr. 103. vom 29. Dezember 1866. **) Neuerdings operirt der Pfuscher Krüsi schlauer, denn er bestimmt in dem lithographirten Schreiben von vornherein die Zahl der Dosen.

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 9. Berlin, 1. März 1868, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt09_1868/6>, abgerufen am 03.07.2024.