Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sonntags-Blatt. Nr. 9. Berlin, 1. März 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz] Mittelpunkt der revolutionären Bestrebungen in Kiew. Sowohl der Ge-
neral Graf Osten=Sacken wie der General Graf Wittgenstein blieben von
dem, was in ihrer unmittelbaren Nähe vorging, in völliger Unkenntniß.
Pestel, die Seele der südlichen Verschwörung, kommandirte als Oberst das
Regiment Viatka, und da dasselbe am 1. Januar 1826 den Dienst im
Hauptquartier zu Tultchin übernehmen sollte, so bestimmte er diesen Tag
zur Ausführung des entscheidenden Schlages. Die Ermordung aller
Generale und Obersten, mit Ausnahme des sehr populären Generals
Wittgenstein, stand an der Spitze des Programms; dann wollte man auf
Kiew rücken, den General Osten=Sacken gefangen nehmen, dessen Truppen
ebenfalls zur Empörung aufreizen, und darauf die Absetzung des Kaisers
proklamiren. Man rechnete hierbei darauf, daß sich auf das erste Signal
Polen, Liefland und Kurland ebenfalls erheben und sich dem Aufstand an-
schließen würden. Jnzwischen hatte sich Etwas ereignet, wovon Pestel und
seine Mitverschwornen freilich nichts ahnten. Ein Offizier seines Regiments,
der Kapitain Maiboroda, empfand Reue und verlangte von seinem Vor-
gesetzten, dem General Roth, als Courier nach Taganrog gesendet zu
werden, um dort dem Kaiser Alexander ( es war im Monat September
1825 ) ein Geständniß abzulegen. Roth schlug ihm seine Bitte ab, schickte
aber, als er erfuhr, um was es sich handelte, sogleich einen andern Courier
nach der Krimm ab, der aber den Kaiser nicht mehr am Leben fand.
General Diebitsch traf aber im Einverständniß mit dem Fürsten Wol-
konski sofort die nöthigen Maßregeln, und in Folge derselben wurde
Pestel mit noch zwölf andern Regiments=Kommandeuren plötzlich in Tultchin
verhaftet und seine Papiere mit Beschlag belegt. Hierdurch wurde aller-
dings in der Armee des Grafen Wittgenstein einer Schilderhebung vor-
gebeugt, aber in dem Korps des Generals Osten=Sacken gelang dies nicht.
Dort brach in der Gegend von Wassilkof, einige Meilen von Kiew, der
Aufstand aus, der freilich jetzt nur noch als eine Handlung der Verzweiflung
betrachtet werden konnte. Die erste Veranlassung hierzu gab die Ver-
haftung der Gebrüder Murawieff und deren kurz darauf erfolgte gewalt-
same Befreiung durch eine Anzahl junger Offiziere. Nun erklärte Sergius
Murawieff=Apostol den zahlreich herbeiströmenden Soldaten des Regiments
Tschernigof, daß er den Befehl über dasselbe übernommen habe, und for-
derte sie auf, dem rechtmäßigen Herrscher Constantin die Treue zu be-
wahren. Nachdem er noch mehrere Kompagnien an sich gezogen, richtete
er seinen Marsch nach der Stadt Wassilkof. Dort verstärkten sich die
Aufständischen durch weitere Ueberläufer, so daß ihre Streitkräfte nunmehr
aus sechs Kompagnien bestanden.     ( Schluß folgt. )



Zur Geschichte der Kopfbedeckung.
Nach englischen Quellen.

Wenn die Kopfbedeckung ein Kleidungsstück genannt werden darf, so
unterliegt es kaum einem Zweifel, daß von allen Kleidungsstücken,
was Stoff und Form betrifft, irgend eines häufigern und größern
Wechsel erfahren hat, als eben die Kopfbedeckung. Zum Theil rührt dies
vom Flattersinn der Mode, hauptsächlich aber von den Einflüssen des
Klimas, von der Verschiedenheit des Nationalgeschmacks und von dem
bemerkenswerthen Umstande her, daß im Punkt der vorherrschenden Kopf-
tracht beide Geschlechter fast überall und zu jeder Zeit von einander ab-
gewichen sind.

Die ältesten historisch bekannten Völker wohnten in Asien und Afrika
beträchtlich warm und trugen deßhalb sehr leichte Kopfbedeckung. Binden
von Schleiertuch und ähnlichen dünnen Stoffen, locker um die Schläfe
gelegt, waren in den Tagen der Patriarchen der gewöhnliche Kopfputz der
Juden, und daraus bildete sich im Fortgang der Zeit die zierlichste Kopf-
tracht, die es je gegeben und noch giebt, der morgenländische Turban.
Gleich allgemein wurden in Aegypten und Arabien Mützen getragen von
Leinwand, Wolle, Stroh, Baumrinde und Leder, meist spitz oder schnabel-
förmig auslaufend. Wie mannichfaltig die ägyptischen Frauen den Kopf
bekleideten, hat der englische Schriftsteller Wilkinson in seinem Werke
der Kleidertrachten veranschaulicht. Am üblichsten scheint es jedoch ge-
wesen zu sein, das Haar rings um den Kopf in einen Büschel herab-
hängender Flechten zu ordnen und diese mit einem Bande oder unter einem
Netz zu befestigen. Frauen, die, gleichviel aus welchem Grunde, der Mütze
den Vorzug gaben, schmückten sie oft mit einem Strauß wallender Federn.
Auch waren schon im alten Aegypten falsche Locken und vollständige Per-
rücken gebräuchlich, und unter den tausend Kuriositäten des britischen
Museums zu London ist die Perrücke einer vornehmen Aegypterin schon
[Spaltenumbruch] wegen ihrer enormen Größe keine der unbedeutendsten. Es dürfte zu den
ältesten Triumphen der Mode über den gesunden Menschenverstand ge-
hören, daß in der heißen ägyptischen Zone ein so warmer und schwer-
fälliger Kopfputz aufkommen konnte.

Von der kriegerischen Kopfbedeckung der Griechen und Römer, ihren
Kriegshauben und Helmen, wissen wir bei Weitem mehr, als von ihrer
friedlichen Kopftracht. Unser Wissen beschränkt sich eigentlich darauf,
daß sie Mützen trugen, die eng an den Kopf schlossen, von Leinwand,
Wolle oder Leder gefertigt waren und meist in eine Spitze ausliefen, die
sich entweder vorwärts beugte oder in den Nacken niederhing. Mit solcher
Einfachheit waren die Griechinnen und Römerinnen nicht zufrieden; zwar
trugen sie selten einen Hut oder überhaupt eine volle Kopfbedeckung, son-
dern sie warfen, wenn sie ausgingen, einen leichten Shawl oder Schleier
über; dafür aber widmeten sie dem Haarschmuck unermüdliche Sorgfalt.
Tiara's oder sichelförmige Diademe, Kränze von künstlichen Blumen, Netze,
Bänder, Schnüre, Nadeln und eine Menge Dinge der Art hatten
Dienst zu leisten. Wie viel Mühe kosteten die Locken! Auch Brenneisen
waren bereits üblich, und die Vertheilung der Locken machte eine eigene
Kunst aus, ein eigenes Studium. Anfangs scheitelten die Griechinnen
ihre Locken auf der Stirn und ließen sie auf beiden Seiten gleichmäßig
niederfallen. Später legten sie das Haar auf dem Hinterkopf in einen
Knoten, in ein Nest, in einen Chignon. Wie die Römerinnen sich frisirten,
erzählt Ovid. Nebenbei gab es Frisirregeln, die noch heute Anwendung
finden, z. B. daß die Jnhaberin eines langen mageren Gesichts das Haar
mitten über den Augenbrauen theilen, hingegen die Jnhaberin eines runden
vollen Gesichts das Haar über der Stirn in einen Knoten binden soll.

Das alte Volk der Kelten und unsere eigenen liebwerthen Vorfahren
scheinen sich die Sache am leichtesten gemacht und entweder gar keine oder
eine möglichst einfache Kopfbedeckung getragen zu haben. "Falls sie ja
den Kopf bedeckten", sagt Planch e in seinem Werk über britische Kostüme,
"so geschah es mit dem cappan, d. h. einer Mütze, deren Kegelform der
der altbritischen Hüte, dem cap, ähnelte, und merkwürdig genug besteht
diese konische Form bis auf den heutigen Tag in dem, was die walliser
Kinder das " cappan cyrnicijel " nennen, einer Art gehörnter Mütze aus
Binsen, die oben zusammen gebunden und am untern Rande geflochten
werden."

Hierbei ist jedoch dem gelehrten Herrn entgangen, wenigstens von ihm
unerwähnt geblieben, daß die Kinder in den schottischen Hochlanden
Mützen aus demselben Material und von derselben Form fertigen. Mo-
difizirt erscheint die konische Form in den schon aus dem jakobitischen
Liede: " The blue bonnets are over the water " wohlbekannten gälischen
Blaumützen, die, vorn hoch, nach hinten allmälig abfallend, in den Tagen
des schottischen Kronprätendenten eine so wichtige Rolle spielten und noch
jetzt die Lieblingskopftracht des Hochländers sind, die er mit einer Feder,
einer Blume oder einem Zweiglein schmückt.

Obschon aller Vermuthung nach die Angelsachsen, Normannen und
Dänen sich meist der besprochenen konischen Mützen bedienten, so leidet
es doch keinen Zweifel, daß sie die von Gellert verherrlichte Kunst ver-
standen, eine Art Filzhüte zu machen. Felten haet, Filzhut, kommt bei
den angelsächsischen Schriftstellern sehr häufig vor. Ob ihnen aber der
Ruhm gebührt, zuerst Wolle und Haar mit einander verbunden zu haben
und so die Erfinder des Filzes zu sein, dürfte nicht erwiesen werden
können. Gewiß hingegen ist, daß grobe Filz= und wollene Hüte vor Wil-
helm dem Eroberer in Frankreich ebenso gewöhnlich waren, als sie es nach
ihm in England wurden, und daß bald darauf der Adel den Luxus eines
feinen Bibers kennen lernte. Chaucer beschreibt seinen nach Canterbury
pilgernden Kaufmann mit einem flaundrish beaver-hat. Die illuminirten
Abdrücke von Froissart liefern eine Auswahl zu seiner Zeit gebräuchlicher
Filz= und wollener Hüte verschiedener Formen. Die Mehrzahl hat kegel-
förmige Köpfe, bald höher, bald niedriger, und die Ränder oder Krämpen
sind bald zusammengebogen, bald mehr oder minder aufgeschlagen. Schnell
genug fiel es auch den Leuten ein, die Hüte zu färben. Das Concilium
zu Lyon von 1245 bestimmte den Kardinälen einen rothen Hut mit rundem
Kopf und breiter Krämpe zur eigenthümlichen Amtstracht. Weiße Hüte
wurden zu Froissarts Zeit, der auch Biberhüte mit Straußfedern erwähnt,
in Gent stark getragen, und anderwärts verzierte man die Hüte, nächst
dem Federschmuck, mit kostbaren Agraffen und fütterte sie mit Seide und
Damast. Jm Nachlaßverzeichniß eines Sir John Falstoefe aus dem Jahre
1459 werden als besonders werthvolle Stücke hervorgehoben: one hat of
beaver, lined with damask gilt, and also two strawen hats
, und Hein-
rich VIII. von England trug einen aus acht indianischen Federn bestehen-
den Stutz, der eines Königs Lösegeld gewesen war.

( Schluß folgt. )

[Ende Spaltensatz]

Wissenschaft, Kunst und Literatur.
[Beginn Spaltensatz]
Ueber Geheimmittel.
( Fortsetzung. )

Man sieht hieraus, was man von der Phrase, Wohlthäter der
leidenden Menschheit, die die Geheimmittelfabrikanten fortwäh-
rend im Munde führen und zu einem unumstößlichen Glaubens-
artikel stempeln möchten, zu halten hat. An einen wahren
Wohlthäter der leidenden Menschheit muß man doch wahrlich ganz
andere Anforderungen stellen; er wird es sicherlich verschmähen, seine
[Spaltenumbruch] Wohlthaten mit enormen Summen sich bezahlen zu lassen, er wird
sie auch denen zuwenden, welche Letztere nicht erschwingen können. Jch
übertreibe daher nicht, wenn ich die Behauptung ausspreche, die Hand-
lungen der angeblichen Menschenbeglücker entspringen zum größten
Theil aus schmutziger Geldgier und verwerflichem Geldwucher, und ich
hätte selbst für den Fall keine Veranlassung, dies Urtheil zu modifi-
ziren, wenn sich die Mittel der Marktschreierbande in der Praxis als
untrüglich bewähren würden.

Da nun der Geheimmittel=Unfug nicht einmal im Verborgenen,
sondern offenkundig vor den Augen der ganzen Welt stattfindet und
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Mittelpunkt der revolutionären Bestrebungen in Kiew. Sowohl der Ge-
neral Graf Osten=Sacken wie der General Graf Wittgenstein blieben von
dem, was in ihrer unmittelbaren Nähe vorging, in völliger Unkenntniß.
Pestel, die Seele der südlichen Verschwörung, kommandirte als Oberst das
Regiment Viatka, und da dasselbe am 1. Januar 1826 den Dienst im
Hauptquartier zu Tultchin übernehmen sollte, so bestimmte er diesen Tag
zur Ausführung des entscheidenden Schlages. Die Ermordung aller
Generale und Obersten, mit Ausnahme des sehr populären Generals
Wittgenstein, stand an der Spitze des Programms; dann wollte man auf
Kiew rücken, den General Osten=Sacken gefangen nehmen, dessen Truppen
ebenfalls zur Empörung aufreizen, und darauf die Absetzung des Kaisers
proklamiren. Man rechnete hierbei darauf, daß sich auf das erste Signal
Polen, Liefland und Kurland ebenfalls erheben und sich dem Aufstand an-
schließen würden. Jnzwischen hatte sich Etwas ereignet, wovon Pestel und
seine Mitverschwornen freilich nichts ahnten. Ein Offizier seines Regiments,
der Kapitain Maiboroda, empfand Reue und verlangte von seinem Vor-
gesetzten, dem General Roth, als Courier nach Taganrog gesendet zu
werden, um dort dem Kaiser Alexander ( es war im Monat September
1825 ) ein Geständniß abzulegen. Roth schlug ihm seine Bitte ab, schickte
aber, als er erfuhr, um was es sich handelte, sogleich einen andern Courier
nach der Krimm ab, der aber den Kaiser nicht mehr am Leben fand.
General Diebitsch traf aber im Einverständniß mit dem Fürsten Wol-
konski sofort die nöthigen Maßregeln, und in Folge derselben wurde
Pestel mit noch zwölf andern Regiments=Kommandeuren plötzlich in Tultchin
verhaftet und seine Papiere mit Beschlag belegt. Hierdurch wurde aller-
dings in der Armee des Grafen Wittgenstein einer Schilderhebung vor-
gebeugt, aber in dem Korps des Generals Osten=Sacken gelang dies nicht.
Dort brach in der Gegend von Wassilkof, einige Meilen von Kiew, der
Aufstand aus, der freilich jetzt nur noch als eine Handlung der Verzweiflung
betrachtet werden konnte. Die erste Veranlassung hierzu gab die Ver-
haftung der Gebrüder Murawieff und deren kurz darauf erfolgte gewalt-
same Befreiung durch eine Anzahl junger Offiziere. Nun erklärte Sergius
Murawieff=Apostol den zahlreich herbeiströmenden Soldaten des Regiments
Tschernigof, daß er den Befehl über dasselbe übernommen habe, und for-
derte sie auf, dem rechtmäßigen Herrscher Constantin die Treue zu be-
wahren. Nachdem er noch mehrere Kompagnien an sich gezogen, richtete
er seinen Marsch nach der Stadt Wassilkof. Dort verstärkten sich die
Aufständischen durch weitere Ueberläufer, so daß ihre Streitkräfte nunmehr
aus sechs Kompagnien bestanden.     ( Schluß folgt. )



Zur Geschichte der Kopfbedeckung.
Nach englischen Quellen.

Wenn die Kopfbedeckung ein Kleidungsstück genannt werden darf, so
unterliegt es kaum einem Zweifel, daß von allen Kleidungsstücken,
was Stoff und Form betrifft, irgend eines häufigern und größern
Wechsel erfahren hat, als eben die Kopfbedeckung. Zum Theil rührt dies
vom Flattersinn der Mode, hauptsächlich aber von den Einflüssen des
Klimas, von der Verschiedenheit des Nationalgeschmacks und von dem
bemerkenswerthen Umstande her, daß im Punkt der vorherrschenden Kopf-
tracht beide Geschlechter fast überall und zu jeder Zeit von einander ab-
gewichen sind.

Die ältesten historisch bekannten Völker wohnten in Asien und Afrika
beträchtlich warm und trugen deßhalb sehr leichte Kopfbedeckung. Binden
von Schleiertuch und ähnlichen dünnen Stoffen, locker um die Schläfe
gelegt, waren in den Tagen der Patriarchen der gewöhnliche Kopfputz der
Juden, und daraus bildete sich im Fortgang der Zeit die zierlichste Kopf-
tracht, die es je gegeben und noch giebt, der morgenländische Turban.
Gleich allgemein wurden in Aegypten und Arabien Mützen getragen von
Leinwand, Wolle, Stroh, Baumrinde und Leder, meist spitz oder schnabel-
förmig auslaufend. Wie mannichfaltig die ägyptischen Frauen den Kopf
bekleideten, hat der englische Schriftsteller Wilkinson in seinem Werke
der Kleidertrachten veranschaulicht. Am üblichsten scheint es jedoch ge-
wesen zu sein, das Haar rings um den Kopf in einen Büschel herab-
hängender Flechten zu ordnen und diese mit einem Bande oder unter einem
Netz zu befestigen. Frauen, die, gleichviel aus welchem Grunde, der Mütze
den Vorzug gaben, schmückten sie oft mit einem Strauß wallender Federn.
Auch waren schon im alten Aegypten falsche Locken und vollständige Per-
rücken gebräuchlich, und unter den tausend Kuriositäten des britischen
Museums zu London ist die Perrücke einer vornehmen Aegypterin schon
[Spaltenumbruch] wegen ihrer enormen Größe keine der unbedeutendsten. Es dürfte zu den
ältesten Triumphen der Mode über den gesunden Menschenverstand ge-
hören, daß in der heißen ägyptischen Zone ein so warmer und schwer-
fälliger Kopfputz aufkommen konnte.

Von der kriegerischen Kopfbedeckung der Griechen und Römer, ihren
Kriegshauben und Helmen, wissen wir bei Weitem mehr, als von ihrer
friedlichen Kopftracht. Unser Wissen beschränkt sich eigentlich darauf,
daß sie Mützen trugen, die eng an den Kopf schlossen, von Leinwand,
Wolle oder Leder gefertigt waren und meist in eine Spitze ausliefen, die
sich entweder vorwärts beugte oder in den Nacken niederhing. Mit solcher
Einfachheit waren die Griechinnen und Römerinnen nicht zufrieden; zwar
trugen sie selten einen Hut oder überhaupt eine volle Kopfbedeckung, son-
dern sie warfen, wenn sie ausgingen, einen leichten Shawl oder Schleier
über; dafür aber widmeten sie dem Haarschmuck unermüdliche Sorgfalt.
Tiara's oder sichelförmige Diademe, Kränze von künstlichen Blumen, Netze,
Bänder, Schnüre, Nadeln und eine Menge Dinge der Art hatten
Dienst zu leisten. Wie viel Mühe kosteten die Locken! Auch Brenneisen
waren bereits üblich, und die Vertheilung der Locken machte eine eigene
Kunst aus, ein eigenes Studium. Anfangs scheitelten die Griechinnen
ihre Locken auf der Stirn und ließen sie auf beiden Seiten gleichmäßig
niederfallen. Später legten sie das Haar auf dem Hinterkopf in einen
Knoten, in ein Nest, in einen Chignon. Wie die Römerinnen sich frisirten,
erzählt Ovid. Nebenbei gab es Frisirregeln, die noch heute Anwendung
finden, z. B. daß die Jnhaberin eines langen mageren Gesichts das Haar
mitten über den Augenbrauen theilen, hingegen die Jnhaberin eines runden
vollen Gesichts das Haar über der Stirn in einen Knoten binden soll.

Das alte Volk der Kelten und unsere eigenen liebwerthen Vorfahren
scheinen sich die Sache am leichtesten gemacht und entweder gar keine oder
eine möglichst einfache Kopfbedeckung getragen zu haben. „Falls sie ja
den Kopf bedeckten“, sagt Planch é in seinem Werk über britische Kostüme,
„so geschah es mit dem cappan, d. h. einer Mütze, deren Kegelform der
der altbritischen Hüte, dem cap, ähnelte, und merkwürdig genug besteht
diese konische Form bis auf den heutigen Tag in dem, was die walliser
Kinder das „ cappan cyrnicijel “ nennen, einer Art gehörnter Mütze aus
Binsen, die oben zusammen gebunden und am untern Rande geflochten
werden.“

Hierbei ist jedoch dem gelehrten Herrn entgangen, wenigstens von ihm
unerwähnt geblieben, daß die Kinder in den schottischen Hochlanden
Mützen aus demselben Material und von derselben Form fertigen. Mo-
difizirt erscheint die konische Form in den schon aus dem jakobitischen
Liede: „ The blue bonnets are over the water “ wohlbekannten gälischen
Blaumützen, die, vorn hoch, nach hinten allmälig abfallend, in den Tagen
des schottischen Kronprätendenten eine so wichtige Rolle spielten und noch
jetzt die Lieblingskopftracht des Hochländers sind, die er mit einer Feder,
einer Blume oder einem Zweiglein schmückt.

Obschon aller Vermuthung nach die Angelsachsen, Normannen und
Dänen sich meist der besprochenen konischen Mützen bedienten, so leidet
es doch keinen Zweifel, daß sie die von Gellert verherrlichte Kunst ver-
standen, eine Art Filzhüte zu machen. Felten haet, Filzhut, kommt bei
den angelsächsischen Schriftstellern sehr häufig vor. Ob ihnen aber der
Ruhm gebührt, zuerst Wolle und Haar mit einander verbunden zu haben
und so die Erfinder des Filzes zu sein, dürfte nicht erwiesen werden
können. Gewiß hingegen ist, daß grobe Filz= und wollene Hüte vor Wil-
helm dem Eroberer in Frankreich ebenso gewöhnlich waren, als sie es nach
ihm in England wurden, und daß bald darauf der Adel den Luxus eines
feinen Bibers kennen lernte. Chaucer beschreibt seinen nach Canterbury
pilgernden Kaufmann mit einem flaundrish beaver-hat. Die illuminirten
Abdrücke von Froissart liefern eine Auswahl zu seiner Zeit gebräuchlicher
Filz= und wollener Hüte verschiedener Formen. Die Mehrzahl hat kegel-
förmige Köpfe, bald höher, bald niedriger, und die Ränder oder Krämpen
sind bald zusammengebogen, bald mehr oder minder aufgeschlagen. Schnell
genug fiel es auch den Leuten ein, die Hüte zu färben. Das Concilium
zu Lyon von 1245 bestimmte den Kardinälen einen rothen Hut mit rundem
Kopf und breiter Krämpe zur eigenthümlichen Amtstracht. Weiße Hüte
wurden zu Froissarts Zeit, der auch Biberhüte mit Straußfedern erwähnt,
in Gent stark getragen, und anderwärts verzierte man die Hüte, nächst
dem Federschmuck, mit kostbaren Agraffen und fütterte sie mit Seide und
Damast. Jm Nachlaßverzeichniß eines Sir John Falstoefe aus dem Jahre
1459 werden als besonders werthvolle Stücke hervorgehoben: one hat of
beaver, lined with damask gilt, and also two strawen hats
, und Hein-
rich VIII. von England trug einen aus acht indianischen Federn bestehen-
den Stutz, der eines Königs Lösegeld gewesen war.

( Schluß folgt. )

[Ende Spaltensatz]

Wissenschaft, Kunst und Literatur.
[Beginn Spaltensatz]
Ueber Geheimmittel.
( Fortsetzung. )

Man sieht hieraus, was man von der Phrase, Wohlthäter der
leidenden Menschheit, die die Geheimmittelfabrikanten fortwäh-
rend im Munde führen und zu einem unumstößlichen Glaubens-
artikel stempeln möchten, zu halten hat. An einen wahren
Wohlthäter der leidenden Menschheit muß man doch wahrlich ganz
andere Anforderungen stellen; er wird es sicherlich verschmähen, seine
[Spaltenumbruch] Wohlthaten mit enormen Summen sich bezahlen zu lassen, er wird
sie auch denen zuwenden, welche Letztere nicht erschwingen können. Jch
übertreibe daher nicht, wenn ich die Behauptung ausspreche, die Hand-
lungen der angeblichen Menschenbeglücker entspringen zum größten
Theil aus schmutziger Geldgier und verwerflichem Geldwucher, und ich
hätte selbst für den Fall keine Veranlassung, dies Urtheil zu modifi-
ziren, wenn sich die Mittel der Marktschreierbande in der Praxis als
untrüglich bewähren würden.

Da nun der Geheimmittel=Unfug nicht einmal im Verborgenen,
sondern offenkundig vor den Augen der ganzen Welt stattfindet und
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div xml:id="geheim3" type="jArticle" n="2">
          <p><pb facs="#f0005" n="69"/><fw type="pageNum" place="top">69</fw><cb type="start"/>
Mittelpunkt der revolutionären Bestrebungen in Kiew. Sowohl der Ge-<lb/>
neral Graf Osten=Sacken wie der General Graf Wittgenstein blieben von<lb/>
dem, was in ihrer unmittelbaren Nähe vorging, in völliger Unkenntniß.<lb/>
Pestel, die Seele der südlichen Verschwörung, kommandirte als Oberst das<lb/>
Regiment Viatka, und da dasselbe am 1. Januar 1826 den Dienst im<lb/>
Hauptquartier zu Tultchin übernehmen sollte, so bestimmte er diesen Tag<lb/>
zur Ausführung des entscheidenden Schlages. Die Ermordung aller<lb/>
Generale und Obersten, mit Ausnahme des sehr populären Generals<lb/>
Wittgenstein, stand an der Spitze des Programms; dann wollte man auf<lb/>
Kiew rücken, den General Osten=Sacken gefangen nehmen, dessen Truppen<lb/>
ebenfalls zur Empörung aufreizen, und darauf die Absetzung des Kaisers<lb/>
proklamiren. Man rechnete hierbei darauf, daß sich auf das erste Signal<lb/>
Polen, Liefland und Kurland ebenfalls erheben und sich dem Aufstand an-<lb/>
schließen würden. Jnzwischen hatte sich Etwas ereignet, wovon Pestel und<lb/>
seine Mitverschwornen freilich nichts ahnten. Ein Offizier seines Regiments,<lb/>
der Kapitain Maiboroda, empfand Reue und verlangte von seinem Vor-<lb/>
gesetzten, dem General Roth, als Courier nach Taganrog gesendet zu<lb/>
werden, um dort dem Kaiser Alexander ( es war im Monat September<lb/>
1825 ) ein Geständniß abzulegen. Roth schlug ihm seine Bitte ab, schickte<lb/>
aber, als er erfuhr, um was es sich handelte, sogleich einen andern Courier<lb/>
nach der Krimm ab, der aber den Kaiser nicht mehr am Leben fand.<lb/>
General Diebitsch traf aber im Einverständniß mit dem Fürsten Wol-<lb/>
konski sofort die nöthigen Maßregeln, und in Folge derselben wurde<lb/>
Pestel mit noch zwölf andern Regiments=Kommandeuren plötzlich in Tultchin<lb/>
verhaftet und seine Papiere mit Beschlag belegt. Hierdurch wurde aller-<lb/>
dings in der Armee des Grafen Wittgenstein einer Schilderhebung vor-<lb/>
gebeugt, aber in dem Korps des Generals Osten=Sacken gelang dies nicht.<lb/>
Dort brach in der Gegend von Wassilkof, einige Meilen von Kiew, der<lb/>
Aufstand aus, der freilich jetzt nur noch als eine Handlung der Verzweiflung<lb/>
betrachtet werden konnte. Die erste Veranlassung hierzu gab die Ver-<lb/>
haftung der Gebrüder Murawieff und deren kurz darauf erfolgte gewalt-<lb/>
same Befreiung durch eine Anzahl junger Offiziere. Nun erklärte Sergius<lb/>
Murawieff=Apostol den zahlreich herbeiströmenden Soldaten des Regiments<lb/>
Tschernigof, daß er den Befehl über dasselbe übernommen habe, und for-<lb/>
derte sie auf, dem rechtmäßigen Herrscher Constantin die Treue zu be-<lb/>
wahren. Nachdem er noch mehrere Kompagnien an sich gezogen, richtete<lb/>
er seinen Marsch nach der Stadt Wassilkof. Dort verstärkten sich die<lb/>
Aufständischen durch weitere Ueberläufer, so daß ihre Streitkräfte nunmehr<lb/>
aus sechs Kompagnien bestanden.  <space dim="horizontal"/>   ( Schluß folgt. ) <note type="editorial">Ausgabe 10, die (vermutlich) den Schlussteil des Artikels enthält, fehlt.</note></p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <head><hi rendition="#fr">Zur Geschichte der Kopfbedeckung.</hi><lb/>
Nach englischen Quellen.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">W</hi>enn die Kopfbedeckung ein Kleidungsstück genannt werden darf, so<lb/>
unterliegt es kaum einem Zweifel, daß von allen Kleidungsstücken,<lb/>
was Stoff und Form betrifft, irgend eines häufigern und größern<lb/>
Wechsel erfahren hat, als eben die Kopfbedeckung. Zum Theil rührt dies<lb/>
vom Flattersinn der Mode, hauptsächlich aber von den Einflüssen des<lb/>
Klimas, von der Verschiedenheit des Nationalgeschmacks und von dem<lb/>
bemerkenswerthen Umstande her, daß im Punkt der vorherrschenden Kopf-<lb/>
tracht beide Geschlechter fast überall und zu jeder Zeit von einander ab-<lb/>
gewichen sind.</p><lb/>
          <p>Die ältesten historisch bekannten Völker wohnten in Asien und Afrika<lb/>
beträchtlich warm und trugen deßhalb sehr leichte Kopfbedeckung. Binden<lb/>
von Schleiertuch und ähnlichen dünnen Stoffen, locker um die Schläfe<lb/>
gelegt, waren in den Tagen der Patriarchen der gewöhnliche Kopfputz der<lb/>
Juden, und daraus bildete sich im Fortgang der Zeit die zierlichste Kopf-<lb/>
tracht, die es je gegeben und noch giebt, der morgenländische Turban.<lb/>
Gleich allgemein wurden in Aegypten und Arabien Mützen getragen von<lb/>
Leinwand, Wolle, Stroh, Baumrinde und Leder, meist spitz oder schnabel-<lb/>
förmig auslaufend. Wie mannichfaltig die ägyptischen Frauen den Kopf<lb/>
bekleideten, hat der englische Schriftsteller Wilkinson in seinem Werke<lb/>
der Kleidertrachten veranschaulicht. Am üblichsten scheint es jedoch ge-<lb/>
wesen zu sein, das Haar rings um den Kopf in einen Büschel herab-<lb/>
hängender Flechten zu ordnen und diese mit einem Bande oder unter einem<lb/>
Netz zu befestigen. Frauen, die, gleichviel aus welchem Grunde, der Mütze<lb/>
den Vorzug gaben, schmückten sie oft mit einem Strauß wallender Federn.<lb/>
Auch waren schon im alten Aegypten falsche Locken und vollständige Per-<lb/>
rücken gebräuchlich, und unter den tausend Kuriositäten des britischen<lb/>
Museums zu London ist die Perrücke einer vornehmen Aegypterin schon<lb/><cb n="2"/>
wegen ihrer enormen Größe keine der unbedeutendsten. Es dürfte zu den<lb/>
ältesten Triumphen der Mode über den gesunden Menschenverstand ge-<lb/>
hören, daß in der heißen ägyptischen Zone ein so warmer und schwer-<lb/>
fälliger Kopfputz aufkommen konnte.</p><lb/>
          <p>Von der kriegerischen Kopfbedeckung der Griechen und Römer, ihren<lb/>
Kriegshauben und Helmen, wissen wir bei Weitem mehr, als von ihrer<lb/>
friedlichen Kopftracht. Unser Wissen beschränkt sich eigentlich darauf,<lb/>
daß sie Mützen trugen, die eng an den Kopf schlossen, von Leinwand,<lb/>
Wolle oder Leder gefertigt waren und meist in eine Spitze ausliefen, die<lb/>
sich entweder vorwärts beugte oder in den Nacken niederhing. Mit solcher<lb/>
Einfachheit waren die Griechinnen und Römerinnen nicht zufrieden; zwar<lb/>
trugen sie selten einen Hut oder überhaupt eine volle Kopfbedeckung, son-<lb/>
dern sie warfen, wenn sie ausgingen, einen leichten Shawl oder Schleier<lb/>
über; dafür aber widmeten sie dem Haarschmuck unermüdliche Sorgfalt.<lb/>
Tiara's oder sichelförmige Diademe, Kränze von künstlichen Blumen, Netze,<lb/>
Bänder, Schnüre, Nadeln und eine Menge Dinge der Art hatten<lb/>
Dienst zu leisten. Wie viel Mühe kosteten die Locken! Auch Brenneisen<lb/>
waren bereits üblich, und die Vertheilung der Locken machte eine eigene<lb/>
Kunst aus, ein eigenes Studium. Anfangs scheitelten die Griechinnen<lb/>
ihre Locken auf der Stirn und ließen sie auf beiden Seiten gleichmäßig<lb/>
niederfallen. Später legten sie das Haar auf dem Hinterkopf in einen<lb/>
Knoten, in ein Nest, in einen Chignon. Wie die Römerinnen sich frisirten,<lb/>
erzählt Ovid. Nebenbei gab es Frisirregeln, die noch heute Anwendung<lb/>
finden, z. B. daß die Jnhaberin eines langen mageren Gesichts das Haar<lb/>
mitten über den Augenbrauen theilen, hingegen die Jnhaberin eines runden<lb/>
vollen Gesichts das Haar über der Stirn in einen Knoten binden soll.</p><lb/>
          <p>Das alte Volk der Kelten und unsere eigenen liebwerthen Vorfahren<lb/>
scheinen sich die Sache am leichtesten gemacht und entweder gar keine oder<lb/>
eine möglichst einfache Kopfbedeckung getragen zu haben. &#x201E;Falls sie ja<lb/>
den Kopf bedeckten&#x201C;, sagt Planch <hi rendition="#aq">é</hi> in seinem Werk über britische Kostüme,<lb/>
&#x201E;so geschah es mit dem <hi rendition="#aq">cappan</hi>, d. h. einer Mütze, deren Kegelform der<lb/>
der altbritischen Hüte, dem <hi rendition="#aq">cap</hi>, ähnelte, und merkwürdig genug besteht<lb/>
diese konische Form bis auf den heutigen Tag in dem, was die walliser<lb/>
Kinder das &#x201E; <hi rendition="#aq">cappan cyrnicijel</hi> &#x201C; nennen, einer Art gehörnter Mütze aus<lb/>
Binsen, die oben zusammen gebunden und am untern Rande geflochten<lb/>
werden.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Hierbei ist jedoch dem gelehrten Herrn entgangen, wenigstens von ihm<lb/>
unerwähnt geblieben, daß die Kinder in den schottischen Hochlanden<lb/>
Mützen aus demselben Material und von derselben Form fertigen. Mo-<lb/>
difizirt erscheint die konische Form in den schon aus dem jakobitischen<lb/>
Liede: &#x201E; <hi rendition="#aq">The blue bonnets are over the water</hi> &#x201C; wohlbekannten gälischen<lb/>
Blaumützen, die, vorn hoch, nach hinten allmälig abfallend, in den Tagen<lb/>
des schottischen Kronprätendenten eine so wichtige Rolle spielten und noch<lb/>
jetzt die Lieblingskopftracht des Hochländers sind, die er mit einer Feder,<lb/>
einer Blume oder einem Zweiglein schmückt.</p><lb/>
          <p>Obschon aller Vermuthung nach die Angelsachsen, Normannen und<lb/>
Dänen sich meist der besprochenen konischen Mützen bedienten, so leidet<lb/>
es doch keinen Zweifel, daß sie die von Gellert verherrlichte Kunst ver-<lb/>
standen, eine Art Filzhüte zu machen. <hi rendition="#aq">Felten haet</hi>, Filzhut, kommt bei<lb/>
den angelsächsischen Schriftstellern sehr häufig vor. Ob ihnen aber der<lb/>
Ruhm gebührt, zuerst Wolle und Haar mit einander verbunden zu haben<lb/>
und so die Erfinder des Filzes zu sein, dürfte nicht erwiesen werden<lb/>
können. Gewiß hingegen ist, daß grobe Filz= und wollene Hüte vor Wil-<lb/>
helm dem Eroberer in Frankreich ebenso gewöhnlich waren, als sie es nach<lb/>
ihm in England wurden, und daß bald darauf der Adel den Luxus eines<lb/>
feinen Bibers kennen lernte. Chaucer beschreibt seinen nach Canterbury<lb/>
pilgernden Kaufmann mit einem <hi rendition="#aq">flaundrish beaver-hat</hi>. Die illuminirten<lb/>
Abdrücke von Froissart liefern eine Auswahl zu seiner Zeit gebräuchlicher<lb/>
Filz= und wollener Hüte verschiedener Formen. Die Mehrzahl hat kegel-<lb/>
förmige Köpfe, bald höher, bald niedriger, und die Ränder oder Krämpen<lb/>
sind bald zusammengebogen, bald mehr oder minder aufgeschlagen. Schnell<lb/>
genug fiel es auch den Leuten ein, die Hüte zu färben. Das Concilium<lb/>
zu Lyon von 1245 bestimmte den Kardinälen einen rothen Hut mit rundem<lb/>
Kopf und breiter Krämpe zur eigenthümlichen Amtstracht. Weiße Hüte<lb/>
wurden zu Froissarts Zeit, der auch Biberhüte mit Straußfedern erwähnt,<lb/>
in Gent stark getragen, und anderwärts verzierte man die Hüte, nächst<lb/>
dem Federschmuck, mit kostbaren Agraffen und fütterte sie mit Seide und<lb/>
Damast. Jm Nachlaßverzeichniß eines Sir John Falstoefe aus dem Jahre<lb/>
1459 werden als besonders werthvolle Stücke hervorgehoben: <hi rendition="#aq">one hat of<lb/>
beaver, lined with damask gilt, and also two strawen hats</hi>, und Hein-<lb/>
rich <hi rendition="#aq">VIII</hi>. von England trug einen aus acht indianischen Federn bestehen-<lb/>
den Stutz, der eines Königs Lösegeld gewesen war.</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#c">( Schluß folgt. )</hi> <note type="editorial">Ausgabe 10, die (vermutlich) den Schlussteil des Artikels enthält, fehlt.</note>
          </p>
        </div>
      </div><lb/>
      <cb type="end"/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Wissenschaft, Kunst und Literatur</hi>.</hi> </head><lb/>
        <cb type="start"/>
        <div xml:id="Mittel2" type="jArticle" n="2">
          <head> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Ueber Geheimmittel</hi>.</hi><lb/>
            <ref target="nn_sonntagsblatt08_1868#Mittel1">( Fortsetzung. )</ref>
          </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">M</hi>an sieht hieraus, was man von der Phrase, Wohlthäter der<lb/>
leidenden Menschheit, die die Geheimmittelfabrikanten fortwäh-<lb/>
rend im Munde führen und zu einem unumstößlichen Glaubens-<lb/>
artikel stempeln möchten, zu halten hat. An einen wahren<lb/>
Wohlthäter der leidenden Menschheit muß man doch wahrlich ganz<lb/>
andere Anforderungen stellen; er wird es sicherlich verschmähen, seine<lb/><cb n="2"/>
Wohlthaten mit enormen Summen sich bezahlen zu lassen, er wird<lb/>
sie auch denen zuwenden, welche Letztere nicht erschwingen können. Jch<lb/>
übertreibe daher nicht, wenn ich die Behauptung ausspreche, die Hand-<lb/>
lungen der angeblichen Menschenbeglücker entspringen zum größten<lb/>
Theil aus schmutziger Geldgier und verwerflichem Geldwucher, und ich<lb/>
hätte selbst für den Fall keine Veranlassung, dies Urtheil zu modifi-<lb/>
ziren, wenn sich die Mittel der Marktschreierbande in der Praxis als<lb/>
untrüglich bewähren würden.</p><lb/>
          <p>Da nun der Geheimmittel=Unfug nicht einmal im Verborgenen,<lb/>
sondern offenkundig vor den Augen der ganzen Welt stattfindet und<lb/><cb type="end"/>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0005] 69 Mittelpunkt der revolutionären Bestrebungen in Kiew. Sowohl der Ge- neral Graf Osten=Sacken wie der General Graf Wittgenstein blieben von dem, was in ihrer unmittelbaren Nähe vorging, in völliger Unkenntniß. Pestel, die Seele der südlichen Verschwörung, kommandirte als Oberst das Regiment Viatka, und da dasselbe am 1. Januar 1826 den Dienst im Hauptquartier zu Tultchin übernehmen sollte, so bestimmte er diesen Tag zur Ausführung des entscheidenden Schlages. Die Ermordung aller Generale und Obersten, mit Ausnahme des sehr populären Generals Wittgenstein, stand an der Spitze des Programms; dann wollte man auf Kiew rücken, den General Osten=Sacken gefangen nehmen, dessen Truppen ebenfalls zur Empörung aufreizen, und darauf die Absetzung des Kaisers proklamiren. Man rechnete hierbei darauf, daß sich auf das erste Signal Polen, Liefland und Kurland ebenfalls erheben und sich dem Aufstand an- schließen würden. Jnzwischen hatte sich Etwas ereignet, wovon Pestel und seine Mitverschwornen freilich nichts ahnten. Ein Offizier seines Regiments, der Kapitain Maiboroda, empfand Reue und verlangte von seinem Vor- gesetzten, dem General Roth, als Courier nach Taganrog gesendet zu werden, um dort dem Kaiser Alexander ( es war im Monat September 1825 ) ein Geständniß abzulegen. Roth schlug ihm seine Bitte ab, schickte aber, als er erfuhr, um was es sich handelte, sogleich einen andern Courier nach der Krimm ab, der aber den Kaiser nicht mehr am Leben fand. General Diebitsch traf aber im Einverständniß mit dem Fürsten Wol- konski sofort die nöthigen Maßregeln, und in Folge derselben wurde Pestel mit noch zwölf andern Regiments=Kommandeuren plötzlich in Tultchin verhaftet und seine Papiere mit Beschlag belegt. Hierdurch wurde aller- dings in der Armee des Grafen Wittgenstein einer Schilderhebung vor- gebeugt, aber in dem Korps des Generals Osten=Sacken gelang dies nicht. Dort brach in der Gegend von Wassilkof, einige Meilen von Kiew, der Aufstand aus, der freilich jetzt nur noch als eine Handlung der Verzweiflung betrachtet werden konnte. Die erste Veranlassung hierzu gab die Ver- haftung der Gebrüder Murawieff und deren kurz darauf erfolgte gewalt- same Befreiung durch eine Anzahl junger Offiziere. Nun erklärte Sergius Murawieff=Apostol den zahlreich herbeiströmenden Soldaten des Regiments Tschernigof, daß er den Befehl über dasselbe übernommen habe, und for- derte sie auf, dem rechtmäßigen Herrscher Constantin die Treue zu be- wahren. Nachdem er noch mehrere Kompagnien an sich gezogen, richtete er seinen Marsch nach der Stadt Wassilkof. Dort verstärkten sich die Aufständischen durch weitere Ueberläufer, so daß ihre Streitkräfte nunmehr aus sechs Kompagnien bestanden. ( Schluß folgt. ) Zur Geschichte der Kopfbedeckung. Nach englischen Quellen. Wenn die Kopfbedeckung ein Kleidungsstück genannt werden darf, so unterliegt es kaum einem Zweifel, daß von allen Kleidungsstücken, was Stoff und Form betrifft, irgend eines häufigern und größern Wechsel erfahren hat, als eben die Kopfbedeckung. Zum Theil rührt dies vom Flattersinn der Mode, hauptsächlich aber von den Einflüssen des Klimas, von der Verschiedenheit des Nationalgeschmacks und von dem bemerkenswerthen Umstande her, daß im Punkt der vorherrschenden Kopf- tracht beide Geschlechter fast überall und zu jeder Zeit von einander ab- gewichen sind. Die ältesten historisch bekannten Völker wohnten in Asien und Afrika beträchtlich warm und trugen deßhalb sehr leichte Kopfbedeckung. Binden von Schleiertuch und ähnlichen dünnen Stoffen, locker um die Schläfe gelegt, waren in den Tagen der Patriarchen der gewöhnliche Kopfputz der Juden, und daraus bildete sich im Fortgang der Zeit die zierlichste Kopf- tracht, die es je gegeben und noch giebt, der morgenländische Turban. Gleich allgemein wurden in Aegypten und Arabien Mützen getragen von Leinwand, Wolle, Stroh, Baumrinde und Leder, meist spitz oder schnabel- förmig auslaufend. Wie mannichfaltig die ägyptischen Frauen den Kopf bekleideten, hat der englische Schriftsteller Wilkinson in seinem Werke der Kleidertrachten veranschaulicht. Am üblichsten scheint es jedoch ge- wesen zu sein, das Haar rings um den Kopf in einen Büschel herab- hängender Flechten zu ordnen und diese mit einem Bande oder unter einem Netz zu befestigen. Frauen, die, gleichviel aus welchem Grunde, der Mütze den Vorzug gaben, schmückten sie oft mit einem Strauß wallender Federn. Auch waren schon im alten Aegypten falsche Locken und vollständige Per- rücken gebräuchlich, und unter den tausend Kuriositäten des britischen Museums zu London ist die Perrücke einer vornehmen Aegypterin schon wegen ihrer enormen Größe keine der unbedeutendsten. Es dürfte zu den ältesten Triumphen der Mode über den gesunden Menschenverstand ge- hören, daß in der heißen ägyptischen Zone ein so warmer und schwer- fälliger Kopfputz aufkommen konnte. Von der kriegerischen Kopfbedeckung der Griechen und Römer, ihren Kriegshauben und Helmen, wissen wir bei Weitem mehr, als von ihrer friedlichen Kopftracht. Unser Wissen beschränkt sich eigentlich darauf, daß sie Mützen trugen, die eng an den Kopf schlossen, von Leinwand, Wolle oder Leder gefertigt waren und meist in eine Spitze ausliefen, die sich entweder vorwärts beugte oder in den Nacken niederhing. Mit solcher Einfachheit waren die Griechinnen und Römerinnen nicht zufrieden; zwar trugen sie selten einen Hut oder überhaupt eine volle Kopfbedeckung, son- dern sie warfen, wenn sie ausgingen, einen leichten Shawl oder Schleier über; dafür aber widmeten sie dem Haarschmuck unermüdliche Sorgfalt. Tiara's oder sichelförmige Diademe, Kränze von künstlichen Blumen, Netze, Bänder, Schnüre, Nadeln und eine Menge Dinge der Art hatten Dienst zu leisten. Wie viel Mühe kosteten die Locken! Auch Brenneisen waren bereits üblich, und die Vertheilung der Locken machte eine eigene Kunst aus, ein eigenes Studium. Anfangs scheitelten die Griechinnen ihre Locken auf der Stirn und ließen sie auf beiden Seiten gleichmäßig niederfallen. Später legten sie das Haar auf dem Hinterkopf in einen Knoten, in ein Nest, in einen Chignon. Wie die Römerinnen sich frisirten, erzählt Ovid. Nebenbei gab es Frisirregeln, die noch heute Anwendung finden, z. B. daß die Jnhaberin eines langen mageren Gesichts das Haar mitten über den Augenbrauen theilen, hingegen die Jnhaberin eines runden vollen Gesichts das Haar über der Stirn in einen Knoten binden soll. Das alte Volk der Kelten und unsere eigenen liebwerthen Vorfahren scheinen sich die Sache am leichtesten gemacht und entweder gar keine oder eine möglichst einfache Kopfbedeckung getragen zu haben. „Falls sie ja den Kopf bedeckten“, sagt Planch é in seinem Werk über britische Kostüme, „so geschah es mit dem cappan, d. h. einer Mütze, deren Kegelform der der altbritischen Hüte, dem cap, ähnelte, und merkwürdig genug besteht diese konische Form bis auf den heutigen Tag in dem, was die walliser Kinder das „ cappan cyrnicijel “ nennen, einer Art gehörnter Mütze aus Binsen, die oben zusammen gebunden und am untern Rande geflochten werden.“ Hierbei ist jedoch dem gelehrten Herrn entgangen, wenigstens von ihm unerwähnt geblieben, daß die Kinder in den schottischen Hochlanden Mützen aus demselben Material und von derselben Form fertigen. Mo- difizirt erscheint die konische Form in den schon aus dem jakobitischen Liede: „ The blue bonnets are over the water “ wohlbekannten gälischen Blaumützen, die, vorn hoch, nach hinten allmälig abfallend, in den Tagen des schottischen Kronprätendenten eine so wichtige Rolle spielten und noch jetzt die Lieblingskopftracht des Hochländers sind, die er mit einer Feder, einer Blume oder einem Zweiglein schmückt. Obschon aller Vermuthung nach die Angelsachsen, Normannen und Dänen sich meist der besprochenen konischen Mützen bedienten, so leidet es doch keinen Zweifel, daß sie die von Gellert verherrlichte Kunst ver- standen, eine Art Filzhüte zu machen. Felten haet, Filzhut, kommt bei den angelsächsischen Schriftstellern sehr häufig vor. Ob ihnen aber der Ruhm gebührt, zuerst Wolle und Haar mit einander verbunden zu haben und so die Erfinder des Filzes zu sein, dürfte nicht erwiesen werden können. Gewiß hingegen ist, daß grobe Filz= und wollene Hüte vor Wil- helm dem Eroberer in Frankreich ebenso gewöhnlich waren, als sie es nach ihm in England wurden, und daß bald darauf der Adel den Luxus eines feinen Bibers kennen lernte. Chaucer beschreibt seinen nach Canterbury pilgernden Kaufmann mit einem flaundrish beaver-hat. Die illuminirten Abdrücke von Froissart liefern eine Auswahl zu seiner Zeit gebräuchlicher Filz= und wollener Hüte verschiedener Formen. Die Mehrzahl hat kegel- förmige Köpfe, bald höher, bald niedriger, und die Ränder oder Krämpen sind bald zusammengebogen, bald mehr oder minder aufgeschlagen. Schnell genug fiel es auch den Leuten ein, die Hüte zu färben. Das Concilium zu Lyon von 1245 bestimmte den Kardinälen einen rothen Hut mit rundem Kopf und breiter Krämpe zur eigenthümlichen Amtstracht. Weiße Hüte wurden zu Froissarts Zeit, der auch Biberhüte mit Straußfedern erwähnt, in Gent stark getragen, und anderwärts verzierte man die Hüte, nächst dem Federschmuck, mit kostbaren Agraffen und fütterte sie mit Seide und Damast. Jm Nachlaßverzeichniß eines Sir John Falstoefe aus dem Jahre 1459 werden als besonders werthvolle Stücke hervorgehoben: one hat of beaver, lined with damask gilt, and also two strawen hats, und Hein- rich VIII. von England trug einen aus acht indianischen Federn bestehen- den Stutz, der eines Königs Lösegeld gewesen war. ( Schluß folgt. ) Wissenschaft, Kunst und Literatur. Ueber Geheimmittel. ( Fortsetzung. ) Man sieht hieraus, was man von der Phrase, Wohlthäter der leidenden Menschheit, die die Geheimmittelfabrikanten fortwäh- rend im Munde führen und zu einem unumstößlichen Glaubens- artikel stempeln möchten, zu halten hat. An einen wahren Wohlthäter der leidenden Menschheit muß man doch wahrlich ganz andere Anforderungen stellen; er wird es sicherlich verschmähen, seine Wohlthaten mit enormen Summen sich bezahlen zu lassen, er wird sie auch denen zuwenden, welche Letztere nicht erschwingen können. Jch übertreibe daher nicht, wenn ich die Behauptung ausspreche, die Hand- lungen der angeblichen Menschenbeglücker entspringen zum größten Theil aus schmutziger Geldgier und verwerflichem Geldwucher, und ich hätte selbst für den Fall keine Veranlassung, dies Urtheil zu modifi- ziren, wenn sich die Mittel der Marktschreierbande in der Praxis als untrüglich bewähren würden. Da nun der Geheimmittel=Unfug nicht einmal im Verborgenen, sondern offenkundig vor den Augen der ganzen Welt stattfindet und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt09_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt09_1868/5
Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 9. Berlin, 1. März 1868, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt09_1868/5>, abgerufen am 01.07.2024.