Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sonntags-Blatt. Nr. 5. Berlin, 2. Februar 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz] Verbindung. Während seines Aufenthalts auf dem Continent erschienen
in rascher Folge "Die Prairie", "Die Beweinte von Wish Ton Wish"
u. A., welche sämmtlich auf amerikanischem Boden spielen. "Der
Bravo" und "Die Heidenmauer", deren Schauplatz er nach Jtalien und
an den Rhein versetzte, errangen nur wenig Erfolg und veranlaßten ihn,
in seinen späteren Werken auf den ihm langgewohnten heimischen Boden
zurückzukehren. Nach seiner Wiederkehr nach New=York gab er die Be-
schreibung seiner Reisen in Europa heraus, in denen er besonders gegen
das Vorurtheil kämpft, welches man auf dem Continent gegen Amerika,
seine Bevölkerung und seine Jnstitutionen hegte.

Jn einem seiner ersten Romane, "Der Pilot" ( 1823 ) , der die Abenteuer
eines amerikanischen Seehelden zum Gegenstand hat, beabsichtigte er, zu
dem bereits vorher erschienenen "Pirat" von Scott den Lesern ein Pendant
vorzuführen, welches vor dem Scott'schen Roman den Vorzug der Wirklich-
keit und Lebenswahrheit haben sollte. Als Beweis, mit welcher Gewissenhaf-
tigkeit er dabei zu Werke gegangen, erzählt Brunnemann in einem kürzlich
erschienenen empfehlenswerthen Werkchen *), daß er diesen Roman, um sich
des Eindrucks auf einen ordentlichen Seemann zu vergewissern, einem
alten, langgedienten Backsmaten vorlas. Eine halbe Stunde hörte dieser
ruhig zu, dann aber sprang er auf und schrie Cooper an: "Alter Junge,
[Spaltenumbruch] Jhr laßt Euren Klüver zu lange stehen". Cooper war mit dieser Kritik
zufrieden und ließ den Klüver wieder aus seinem Leck.

Auch als Politiker und Geschichtschreiber trat Cooper auf, erntete aber
nur getheilten Beifall. Auf seinem Landgute Cooperstown verlebte er nach
seiner Rückkehr aus Frankreich die letzten Jahre seines Lebens. Bis zum
Jahre 1850 gab er in ziemlich schneller Aufeinanderfolge eine Reihe von
Romanen heraus, die jedoch seinen früheren Werken in jeder Hinsicht nach-
stehen und auch bei Weitem nicht den Leserkreis derselben erreichten.

Als Cooper am 14. September 1851 starb, zeigte es sich, wie hoch
das amerikanische Volk seinen Lieblingsschriftsteller schätzt. Bryant, einer
der ersten, wenn nicht der größte der amerikanischen Lyriker, hielt ihm eine
anerkennende Lobrede, der Alles zujauchzte; er bezeichnet ihn als einen Fels
der Treue und des Muthes inmitten einer wogenden See von Dilettanten-
thum, welches nur der Zeitströmung nachgeht. Und in der That, Selbst-
vertrauen und Konsequenz, die beiden ersten Vorzüge des Mannes, waren
seinem Charakter eigen. Wir erkennen in dem Helden der Lederstrumpf-
Erzählungen, in dem Selbstbewußtsein und der Sicherheit, in der Energie
und Willenskraft seines Geistes leicht die hervortretenden Eigenschaften
Coopers.

Jm Jahre 1855 erschien zu New=York die Gesammt=Ausgabe seiner
Werke in 34 Bänden. Die beste und vollständigste deutsche Ausgabe derselben
erschien 1852--54 in Stuttgart in 30 Bänden a 15 Sgr. Seitdem ist
keine neue Uebertragung veröffentlicht worden.

[Ende Spaltensatz]

Wissenschaft, Kunst und Literatur.
[Beginn Spaltensatz]
Aus dem Leben des Kardinals Mazarin.
( Fortsetzung. )

Es war Gebrauch, daß man dem König jedes Jahr zwölf Paar
neue Betttücher, zwei Schlafröcke, einen für den Sommer und
einen für den Winter, gab; Mazarin achtete aber nicht auf
diesen Gebrauch, den er für zu kostspielig hielt, und gab dem
König nur sechs Betttücher in drei Jahren. Diese waren endlich so
zerrissen, daß der junge Monarch seine Beine durch die Löcher steckte
und auf der bloßen Matratze ruhte. Was die Schlafröcke anbetraf,
so verfuhr Mazarin dabei mit derselben Oekonomie; statt deren jedes
Jahr zwei zu geben, gab er einen für zwei Jahre, den der junge
König Winter und Sommer trug; es war ein Schlafrock von grünem
Sammet, mit grauem Eichhornpelz gefüttert, der ihm das letzte Jahr
nur noch bis auf die Mitte der Beine herabging.

Eines Tages wollte der König zu Conflans baden. Sein Kam-
merdiener Laporte ertheilte deßhalb sogleich Befehl, und man ließ eine
Kutsche kommen, in welche man die nöthigen Dinge packte. Als sich
aber Laporte anschickte, zuerst hinein zu steigen, sah er, daß das Leder
der Schläge, welche die Füße bedeckten, abgerissen, und der Wagen
überhaupt in einem so schlechten Zustande war, daß man die Fahrt,
so kurz sie auch sein mochte, nicht ohne Gefahr antreten konnte.
Laporte machte dem König einen Bericht über den Zustand seiner
Geschirrkammer, indem er ihm sagte, daß es unmöglich sei, nach
Conflans zu fahren, indem, wenn man ihn in einem solchen Fuhr-
werk sähe, sich auch die geringsten Bürger darüber lustig machen
würden. Der König glaubte dem übertriebenen Bericht nicht und
wollte selbst über den Zustand des Wagens urtheilen; als er aber die
geringe Achtung sah, die man für ihn hatte, indem man ihm zumuthen
konnte, sich in einen solchen Wagen zu setzen, wurde er ganz roth
vor Zorn und beklagte sich noch denselben Abend bei der Königin, bei
Seiner Eminenz und dem Herrn Maison, damals Ober=Jntendanten
der Finanzen. Jn Folge dieser Klage erhielt der König fünf neue
Kutschen auf einmal.

Uebrigens blieb dieser Geiz nicht bloß bei den Dingen stehen, die
den König betrafen, sondern er erstreckte sich auch auf die ganze Hof-
haltung und deren Verwaltung. Alles geschah mit einer großen
Knickerei und Unordnung. Während es z. B. dem Könige, der
Versailles bauen ließ, an Betttüchern, Schlafröcken und Kutschen
mangelte, hatten die Damen Anna's von Oesterreich keinen Tisch im
Palast und mußten sehr oft hungern. Nach dem Nachtessen der
Königin aßen sie ohne Ordnung und Maß, was diese übrig ließ.

Die öffentlichen Feste und Vorstellungen waren nicht besser ge-
ordnet. Als im Jahre 1645 die Königin die polnischen Gesandten zu
Fontainebleau empfing, gab sie ihnen ein großes Abendessen, oder
wenigstens hatte sie die Absicht, es ihnen zu geben; denn an demselben
Abend berichtete man ihr, daß unter den Köchen ein Streit entstanden
und darüber der erste Gang verdorben sei. Außerdem war so wenig
Ordnung, daß, als diese prachtgewohnten Fremdlinge, die sich durch ihren
wahrhaft orientalischen Luxus auszeichneten, sich entfernen wollten, sie
gezwungen waren, ohne Licht bis an die große Treppe der Gemächer
des Königs zu gehen. Jn der That mußte ein solcher Verstoß gegen die
Etiquette und eine solche Knickerei einer Fürstin, die in dem strengsten
Ceremoniell erzogen war, an einem Hofe, wo das Gold und die
Edelsteine beider Jndien zusammenströmten, sehr seltsam erscheinen.

[Spaltenumbruch]

Die Königin=Regentin war schließlich nur ein Werkzeug in der
Hand des schlauen Ministers. Es ist auch von mehreren Seiten
behauptet worden, daß sie mit dem Kardinal in heimlicher Ehe ver-
bunden gewesen, und diese Behauptung hat nichts Unwahrscheinliches.
Mazarin, obgleich ein Mitglied des katholischen Klerus, war dennoch
nicht behindert, eine Ehe einzugehen; er hatte nur die erste, nicht die
eigentlichen Priesterweihen erhalten; heimliche Ehen unter vornehmen
Leuten aber waren damals an der Tagesordnung. Der überlegene
Geist des Ministers forderte die Bewunderung der Königin heraus,
und eine solche Bewunderung pflegt bei Frauen gar leicht in Liebe um-
zuschlagen. Ueberdies war Mazarin noch in den letzten Jahren eine
kräftige, ausdrucksvolle Gestalt mit dichten, schwarzen, glänzenden
Locken, ein wahrhaft schöner, stattlicher Mann.

Die alte Beauvais, erste Kammerfrau der Königin, kannte das
Geheimniß; deßhalb war Anna von Oesterreich genöthigt, Alles zu
thun, was die Vertraute von ihr begehrte. Der große Einfluß, den
die Beauvais auf die Königin übte, war ein Gegenstand des Stau-
nens für die Uneingeweihten; aber die vornehmsten Höflinge machten
diesem alten, häßlichen, einäugigen Weibe die Cour. Sie erschien bei
den Hoffesten nur in großem Kostüm und wurde bis zu ihrem Tode
mit der größten Auszeichnung behandelt.

Ludwig XIV. hegte, vornehmlich als Kind, einen instinktiven Haß
gegen den Kardinal, wahrscheinlich weil er seine eigene Person von
dem Emporkömmling so sehr vernachlässigt sah, und dieser Abscheu
wurde von seiner Umgebung eifrig genährt.

Ging Mazarin durch das Zimmer des jungen Königs, so stellte
dieser sich schlafend. Seine Abneigung blieb aber nicht bei dem Kar-
dinal stehen, sondern erstreckte sich auch auf dessen Familie. Jeden
Abend gab der König einen Beweis davon; indem er zu Bette ging,
reichte der erste Kammerdiener auf Befehl Seiner Majestät demjenigen
der Ehrenkinder, das er gern bei sich behielt, einen Handleuchter mit
zwei angezündeten Kerzen, und jeden Abend verbot der König an
Laporte, diesen Handleuchter dem jungen Mancini, einem Neffen des
Kardinals, zu geben, der übrigens ein trefflicher und wackerer junger
Mensch war und später in dem Gefecht an dem St. Antonius-
thor fiel.

Als der König eines Tages Seine Eminenz mit einem großen
Gefolge auf der Terrasse des Schlosses von Compiegne vorübergehen
sah, wandte er sich um und sagte so laut, daß es Deplessis, ein
Edelmann aus der Manche, hörte: "Da geht der Großtürke!" De-
plessis erzählte es der Königin wieder, die das Kind kommen ließ, es
sehr ausschalt und es zwingen wollte, ihr zu sagen, welcher von seinen
Dienern dem Kardinal diesen Namen beilege, denn sie dachte wohl,
daß diese Benennung nicht aus ihm selbst gekommen sei; aber der
König blieb fest, und welche Drohungen seine Mutter auch anwandte,
er behauptete, daß ihm dieses Niemand eingegeben, sondern er es aus
seiner Einbildungskraft geschöpft habe. Ein anderes Mal, als der
König zu St. Germain war, kam Herr von Chamarante, der zweite
Kammerdiener, dem der Kardinal diese Stelle gegeben hatte, in das
Kabinet und sagte, daß die Eminenz, als sie von der Königin weg-
gegangen sei, sich in das Zimmer Seiner Majestät begeben habe, um
bei dessen Schlafengehen gegenwärtig zu sein. Dies war etwas Außer-
ordentliches, da der Kardinal nicht gewohnt war, dem König eine
solche Aufmerksamkeit zu erweisen. Der König antwortete nicht.
Chamarante, über dieses Schweigen sehr verwundert, betrachtete, um
[Ende Spaltensatz]

*) Geschichte der amerikanischen Literatur. Leipzig, 1866. 20 Sgr.

[Beginn Spaltensatz] Verbindung. Während seines Aufenthalts auf dem Continent erschienen
in rascher Folge „Die Prairie“, „Die Beweinte von Wish Ton Wish“
u. A., welche sämmtlich auf amerikanischem Boden spielen. „Der
Bravo“ und „Die Heidenmauer“, deren Schauplatz er nach Jtalien und
an den Rhein versetzte, errangen nur wenig Erfolg und veranlaßten ihn,
in seinen späteren Werken auf den ihm langgewohnten heimischen Boden
zurückzukehren. Nach seiner Wiederkehr nach New=York gab er die Be-
schreibung seiner Reisen in Europa heraus, in denen er besonders gegen
das Vorurtheil kämpft, welches man auf dem Continent gegen Amerika,
seine Bevölkerung und seine Jnstitutionen hegte.

Jn einem seiner ersten Romane, „Der Pilot“ ( 1823 ) , der die Abenteuer
eines amerikanischen Seehelden zum Gegenstand hat, beabsichtigte er, zu
dem bereits vorher erschienenen „Pirat“ von Scott den Lesern ein Pendant
vorzuführen, welches vor dem Scott'schen Roman den Vorzug der Wirklich-
keit und Lebenswahrheit haben sollte. Als Beweis, mit welcher Gewissenhaf-
tigkeit er dabei zu Werke gegangen, erzählt Brunnemann in einem kürzlich
erschienenen empfehlenswerthen Werkchen *), daß er diesen Roman, um sich
des Eindrucks auf einen ordentlichen Seemann zu vergewissern, einem
alten, langgedienten Backsmaten vorlas. Eine halbe Stunde hörte dieser
ruhig zu, dann aber sprang er auf und schrie Cooper an: „Alter Junge,
[Spaltenumbruch] Jhr laßt Euren Klüver zu lange stehen“. Cooper war mit dieser Kritik
zufrieden und ließ den Klüver wieder aus seinem Leck.

Auch als Politiker und Geschichtschreiber trat Cooper auf, erntete aber
nur getheilten Beifall. Auf seinem Landgute Cooperstown verlebte er nach
seiner Rückkehr aus Frankreich die letzten Jahre seines Lebens. Bis zum
Jahre 1850 gab er in ziemlich schneller Aufeinanderfolge eine Reihe von
Romanen heraus, die jedoch seinen früheren Werken in jeder Hinsicht nach-
stehen und auch bei Weitem nicht den Leserkreis derselben erreichten.

Als Cooper am 14. September 1851 starb, zeigte es sich, wie hoch
das amerikanische Volk seinen Lieblingsschriftsteller schätzt. Bryant, einer
der ersten, wenn nicht der größte der amerikanischen Lyriker, hielt ihm eine
anerkennende Lobrede, der Alles zujauchzte; er bezeichnet ihn als einen Fels
der Treue und des Muthes inmitten einer wogenden See von Dilettanten-
thum, welches nur der Zeitströmung nachgeht. Und in der That, Selbst-
vertrauen und Konsequenz, die beiden ersten Vorzüge des Mannes, waren
seinem Charakter eigen. Wir erkennen in dem Helden der Lederstrumpf-
Erzählungen, in dem Selbstbewußtsein und der Sicherheit, in der Energie
und Willenskraft seines Geistes leicht die hervortretenden Eigenschaften
Coopers.

Jm Jahre 1855 erschien zu New=York die Gesammt=Ausgabe seiner
Werke in 34 Bänden. Die beste und vollständigste deutsche Ausgabe derselben
erschien 1852—54 in Stuttgart in 30 Bänden à 15 Sgr. Seitdem ist
keine neue Uebertragung veröffentlicht worden.

[Ende Spaltensatz]

Wissenschaft, Kunst und Literatur.
[Beginn Spaltensatz]
Aus dem Leben des Kardinals Mazarin.
( Fortsetzung. )

Es war Gebrauch, daß man dem König jedes Jahr zwölf Paar
neue Betttücher, zwei Schlafröcke, einen für den Sommer und
einen für den Winter, gab; Mazarin achtete aber nicht auf
diesen Gebrauch, den er für zu kostspielig hielt, und gab dem
König nur sechs Betttücher in drei Jahren. Diese waren endlich so
zerrissen, daß der junge Monarch seine Beine durch die Löcher steckte
und auf der bloßen Matratze ruhte. Was die Schlafröcke anbetraf,
so verfuhr Mazarin dabei mit derselben Oekonomie; statt deren jedes
Jahr zwei zu geben, gab er einen für zwei Jahre, den der junge
König Winter und Sommer trug; es war ein Schlafrock von grünem
Sammet, mit grauem Eichhornpelz gefüttert, der ihm das letzte Jahr
nur noch bis auf die Mitte der Beine herabging.

Eines Tages wollte der König zu Conflans baden. Sein Kam-
merdiener Laporte ertheilte deßhalb sogleich Befehl, und man ließ eine
Kutsche kommen, in welche man die nöthigen Dinge packte. Als sich
aber Laporte anschickte, zuerst hinein zu steigen, sah er, daß das Leder
der Schläge, welche die Füße bedeckten, abgerissen, und der Wagen
überhaupt in einem so schlechten Zustande war, daß man die Fahrt,
so kurz sie auch sein mochte, nicht ohne Gefahr antreten konnte.
Laporte machte dem König einen Bericht über den Zustand seiner
Geschirrkammer, indem er ihm sagte, daß es unmöglich sei, nach
Conflans zu fahren, indem, wenn man ihn in einem solchen Fuhr-
werk sähe, sich auch die geringsten Bürger darüber lustig machen
würden. Der König glaubte dem übertriebenen Bericht nicht und
wollte selbst über den Zustand des Wagens urtheilen; als er aber die
geringe Achtung sah, die man für ihn hatte, indem man ihm zumuthen
konnte, sich in einen solchen Wagen zu setzen, wurde er ganz roth
vor Zorn und beklagte sich noch denselben Abend bei der Königin, bei
Seiner Eminenz und dem Herrn Maison, damals Ober=Jntendanten
der Finanzen. Jn Folge dieser Klage erhielt der König fünf neue
Kutschen auf einmal.

Uebrigens blieb dieser Geiz nicht bloß bei den Dingen stehen, die
den König betrafen, sondern er erstreckte sich auch auf die ganze Hof-
haltung und deren Verwaltung. Alles geschah mit einer großen
Knickerei und Unordnung. Während es z. B. dem Könige, der
Versailles bauen ließ, an Betttüchern, Schlafröcken und Kutschen
mangelte, hatten die Damen Anna's von Oesterreich keinen Tisch im
Palast und mußten sehr oft hungern. Nach dem Nachtessen der
Königin aßen sie ohne Ordnung und Maß, was diese übrig ließ.

Die öffentlichen Feste und Vorstellungen waren nicht besser ge-
ordnet. Als im Jahre 1645 die Königin die polnischen Gesandten zu
Fontainebleau empfing, gab sie ihnen ein großes Abendessen, oder
wenigstens hatte sie die Absicht, es ihnen zu geben; denn an demselben
Abend berichtete man ihr, daß unter den Köchen ein Streit entstanden
und darüber der erste Gang verdorben sei. Außerdem war so wenig
Ordnung, daß, als diese prachtgewohnten Fremdlinge, die sich durch ihren
wahrhaft orientalischen Luxus auszeichneten, sich entfernen wollten, sie
gezwungen waren, ohne Licht bis an die große Treppe der Gemächer
des Königs zu gehen. Jn der That mußte ein solcher Verstoß gegen die
Etiquette und eine solche Knickerei einer Fürstin, die in dem strengsten
Ceremoniell erzogen war, an einem Hofe, wo das Gold und die
Edelsteine beider Jndien zusammenströmten, sehr seltsam erscheinen.

[Spaltenumbruch]

Die Königin=Regentin war schließlich nur ein Werkzeug in der
Hand des schlauen Ministers. Es ist auch von mehreren Seiten
behauptet worden, daß sie mit dem Kardinal in heimlicher Ehe ver-
bunden gewesen, und diese Behauptung hat nichts Unwahrscheinliches.
Mazarin, obgleich ein Mitglied des katholischen Klerus, war dennoch
nicht behindert, eine Ehe einzugehen; er hatte nur die erste, nicht die
eigentlichen Priesterweihen erhalten; heimliche Ehen unter vornehmen
Leuten aber waren damals an der Tagesordnung. Der überlegene
Geist des Ministers forderte die Bewunderung der Königin heraus,
und eine solche Bewunderung pflegt bei Frauen gar leicht in Liebe um-
zuschlagen. Ueberdies war Mazarin noch in den letzten Jahren eine
kräftige, ausdrucksvolle Gestalt mit dichten, schwarzen, glänzenden
Locken, ein wahrhaft schöner, stattlicher Mann.

Die alte Beauvais, erste Kammerfrau der Königin, kannte das
Geheimniß; deßhalb war Anna von Oesterreich genöthigt, Alles zu
thun, was die Vertraute von ihr begehrte. Der große Einfluß, den
die Beauvais auf die Königin übte, war ein Gegenstand des Stau-
nens für die Uneingeweihten; aber die vornehmsten Höflinge machten
diesem alten, häßlichen, einäugigen Weibe die Cour. Sie erschien bei
den Hoffesten nur in großem Kostüm und wurde bis zu ihrem Tode
mit der größten Auszeichnung behandelt.

Ludwig XIV. hegte, vornehmlich als Kind, einen instinktiven Haß
gegen den Kardinal, wahrscheinlich weil er seine eigene Person von
dem Emporkömmling so sehr vernachlässigt sah, und dieser Abscheu
wurde von seiner Umgebung eifrig genährt.

Ging Mazarin durch das Zimmer des jungen Königs, so stellte
dieser sich schlafend. Seine Abneigung blieb aber nicht bei dem Kar-
dinal stehen, sondern erstreckte sich auch auf dessen Familie. Jeden
Abend gab der König einen Beweis davon; indem er zu Bette ging,
reichte der erste Kammerdiener auf Befehl Seiner Majestät demjenigen
der Ehrenkinder, das er gern bei sich behielt, einen Handleuchter mit
zwei angezündeten Kerzen, und jeden Abend verbot der König an
Laporte, diesen Handleuchter dem jungen Mancini, einem Neffen des
Kardinals, zu geben, der übrigens ein trefflicher und wackerer junger
Mensch war und später in dem Gefecht an dem St. Antonius-
thor fiel.

Als der König eines Tages Seine Eminenz mit einem großen
Gefolge auf der Terrasse des Schlosses von Compiègne vorübergehen
sah, wandte er sich um und sagte so laut, daß es Deplessis, ein
Edelmann aus der Manche, hörte: „Da geht der Großtürke!“ De-
plessis erzählte es der Königin wieder, die das Kind kommen ließ, es
sehr ausschalt und es zwingen wollte, ihr zu sagen, welcher von seinen
Dienern dem Kardinal diesen Namen beilege, denn sie dachte wohl,
daß diese Benennung nicht aus ihm selbst gekommen sei; aber der
König blieb fest, und welche Drohungen seine Mutter auch anwandte,
er behauptete, daß ihm dieses Niemand eingegeben, sondern er es aus
seiner Einbildungskraft geschöpft habe. Ein anderes Mal, als der
König zu St. Germain war, kam Herr von Chamarante, der zweite
Kammerdiener, dem der Kardinal diese Stelle gegeben hatte, in das
Kabinet und sagte, daß die Eminenz, als sie von der Königin weg-
gegangen sei, sich in das Zimmer Seiner Majestät begeben habe, um
bei dessen Schlafengehen gegenwärtig zu sein. Dies war etwas Außer-
ordentliches, da der Kardinal nicht gewohnt war, dem König eine
solche Aufmerksamkeit zu erweisen. Der König antwortete nicht.
Chamarante, über dieses Schweigen sehr verwundert, betrachtete, um
[Ende Spaltensatz]

*) Geschichte der amerikanischen Literatur. Leipzig, 1866. 20 Sgr.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><pb facs="#f0006" n="38"/><fw type="pageNum" place="top">38</fw><cb type="start"/>
Verbindung. Während seines Aufenthalts auf dem Continent erschienen<lb/>
in rascher Folge &#x201E;Die Prairie&#x201C;, &#x201E;Die Beweinte von Wish Ton Wish&#x201C;<lb/>
u. A., welche sämmtlich auf amerikanischem Boden spielen. &#x201E;Der<lb/>
Bravo&#x201C; und &#x201E;Die Heidenmauer&#x201C;, deren Schauplatz er nach Jtalien und<lb/>
an den Rhein versetzte, errangen nur wenig Erfolg und veranlaßten ihn,<lb/>
in seinen späteren Werken auf den ihm langgewohnten heimischen Boden<lb/>
zurückzukehren. Nach seiner Wiederkehr nach New=York gab er die Be-<lb/>
schreibung seiner Reisen in Europa heraus, in denen er besonders gegen<lb/>
das Vorurtheil kämpft, welches man auf dem Continent gegen Amerika,<lb/>
seine Bevölkerung und seine Jnstitutionen hegte.</p><lb/>
          <p>Jn einem seiner ersten Romane, &#x201E;Der Pilot&#x201C; ( 1823 ) , der die Abenteuer<lb/>
eines amerikanischen Seehelden zum Gegenstand hat, beabsichtigte er, zu<lb/>
dem bereits vorher erschienenen &#x201E;Pirat&#x201C; von Scott den Lesern ein Pendant<lb/>
vorzuführen, welches vor dem Scott'schen Roman den Vorzug der Wirklich-<lb/>
keit und Lebenswahrheit haben sollte. Als Beweis, mit welcher Gewissenhaf-<lb/>
tigkeit er dabei zu Werke gegangen, erzählt Brunnemann in einem kürzlich<lb/>
erschienenen empfehlenswerthen Werkchen <note place="foot" n="*)">Geschichte der amerikanischen Literatur. Leipzig, 1866. 20 Sgr.</note>, daß er diesen Roman, um sich<lb/>
des Eindrucks auf einen ordentlichen Seemann zu vergewissern, einem<lb/>
alten, langgedienten Backsmaten vorlas. Eine halbe Stunde hörte dieser<lb/>
ruhig zu, dann aber sprang er auf und schrie Cooper an: &#x201E;Alter Junge,<lb/><cb n="2"/>
Jhr laßt Euren Klüver zu lange stehen&#x201C;. Cooper war mit dieser Kritik<lb/>
zufrieden und ließ den Klüver wieder aus seinem Leck.</p><lb/>
          <p>Auch als Politiker und Geschichtschreiber trat Cooper auf, erntete aber<lb/>
nur getheilten Beifall. Auf seinem Landgute Cooperstown verlebte er nach<lb/>
seiner Rückkehr aus Frankreich die letzten Jahre seines Lebens. Bis zum<lb/>
Jahre 1850 gab er in ziemlich schneller Aufeinanderfolge eine Reihe von<lb/>
Romanen heraus, die jedoch seinen früheren Werken in jeder Hinsicht nach-<lb/>
stehen und auch bei Weitem nicht den Leserkreis derselben erreichten.</p><lb/>
          <p>Als Cooper am 14. September 1851 starb, zeigte es sich, wie hoch<lb/>
das amerikanische Volk seinen Lieblingsschriftsteller schätzt. Bryant, einer<lb/>
der ersten, wenn nicht der größte der amerikanischen Lyriker, hielt ihm eine<lb/>
anerkennende Lobrede, der Alles zujauchzte; er bezeichnet ihn als einen Fels<lb/>
der Treue und des Muthes inmitten einer wogenden See von Dilettanten-<lb/>
thum, welches nur der Zeitströmung nachgeht. Und in der That, Selbst-<lb/>
vertrauen und Konsequenz, die beiden ersten Vorzüge des Mannes, waren<lb/>
seinem Charakter eigen. Wir erkennen in dem Helden der Lederstrumpf-<lb/>
Erzählungen, in dem Selbstbewußtsein und der Sicherheit, in der Energie<lb/>
und Willenskraft seines Geistes leicht die hervortretenden Eigenschaften<lb/>
Coopers.</p><lb/>
          <p>Jm Jahre 1855 erschien zu New=York die Gesammt=Ausgabe seiner<lb/>
Werke in 34 Bänden. Die beste und vollständigste deutsche Ausgabe derselben<lb/>
erschien 1852&#x2014;54 in Stuttgart in 30 Bänden <hi rendition="#aq">à</hi> 15 Sgr. Seitdem ist<lb/>
keine neue Uebertragung veröffentlicht worden.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <cb type="end"/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Wissenschaft, Kunst und Literatur</hi>.</hi> </head><lb/>
        <cb type="start"/>
        <div xml:id="Mazarin2" type="jArticle" n="2">
          <head> <hi rendition="#fr">Aus dem Leben des Kardinals Mazarin.</hi><lb/>
            <ref target="nn_sonntagsblatt04_1868#Mazarin1">( Fortsetzung. )</ref>
          </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">E</hi>s war Gebrauch, daß man dem König jedes Jahr zwölf Paar<lb/>
neue Betttücher, zwei Schlafröcke, einen für den Sommer und<lb/>
einen für den Winter, gab; Mazarin achtete aber nicht auf<lb/>
diesen Gebrauch, den er für zu kostspielig hielt, und gab dem<lb/>
König nur sechs Betttücher in drei Jahren. Diese waren endlich so<lb/>
zerrissen, daß der junge Monarch seine Beine durch die Löcher steckte<lb/>
und auf der bloßen Matratze ruhte. Was die Schlafröcke anbetraf,<lb/>
so verfuhr Mazarin dabei mit derselben Oekonomie; statt deren jedes<lb/>
Jahr zwei zu geben, gab er einen für zwei Jahre, den der junge<lb/>
König Winter und Sommer trug; es war ein Schlafrock von grünem<lb/>
Sammet, mit grauem Eichhornpelz gefüttert, der ihm das letzte Jahr<lb/>
nur noch bis auf die Mitte der Beine herabging.</p><lb/>
          <p>Eines Tages wollte der König zu Conflans baden. Sein Kam-<lb/>
merdiener Laporte ertheilte deßhalb sogleich Befehl, und man ließ eine<lb/>
Kutsche kommen, in welche man die nöthigen Dinge packte. Als sich<lb/>
aber Laporte anschickte, zuerst hinein zu steigen, sah er, daß das Leder<lb/>
der Schläge, welche die Füße bedeckten, abgerissen, und der Wagen<lb/>
überhaupt in einem so schlechten Zustande war, daß man die Fahrt,<lb/>
so kurz sie auch sein mochte, nicht ohne Gefahr antreten konnte.<lb/>
Laporte machte dem König einen Bericht über den Zustand seiner<lb/>
Geschirrkammer, indem er ihm sagte, daß es unmöglich sei, nach<lb/>
Conflans zu fahren, indem, wenn man ihn in einem solchen Fuhr-<lb/>
werk sähe, sich auch die geringsten Bürger darüber lustig machen<lb/>
würden. Der König glaubte dem übertriebenen Bericht nicht und<lb/>
wollte selbst über den Zustand des Wagens urtheilen; als er aber die<lb/>
geringe Achtung sah, die man für ihn hatte, indem man ihm zumuthen<lb/>
konnte, sich in einen solchen Wagen zu setzen, wurde er ganz roth<lb/>
vor Zorn und beklagte sich noch denselben Abend bei der Königin, bei<lb/>
Seiner Eminenz und dem Herrn Maison, damals Ober=Jntendanten<lb/>
der Finanzen. Jn Folge dieser Klage erhielt der König fünf neue<lb/>
Kutschen auf einmal.</p><lb/>
          <p>Uebrigens blieb dieser Geiz nicht bloß bei den Dingen stehen, die<lb/>
den König betrafen, sondern er erstreckte sich auch auf die ganze Hof-<lb/>
haltung und deren Verwaltung. Alles geschah mit einer großen<lb/>
Knickerei und Unordnung. Während es z. B. dem Könige, der<lb/>
Versailles bauen ließ, an Betttüchern, Schlafröcken und Kutschen<lb/>
mangelte, hatten die Damen Anna's von Oesterreich keinen Tisch im<lb/>
Palast und mußten sehr oft hungern. Nach dem Nachtessen der<lb/>
Königin aßen sie ohne Ordnung und Maß, was diese übrig ließ.</p><lb/>
          <p>Die öffentlichen Feste und Vorstellungen waren nicht besser ge-<lb/>
ordnet. Als im Jahre 1645 die Königin die polnischen Gesandten zu<lb/>
Fontainebleau empfing, gab sie ihnen ein großes Abendessen, oder<lb/>
wenigstens hatte sie die Absicht, es ihnen zu geben; denn an demselben<lb/>
Abend berichtete man ihr, daß unter den Köchen ein Streit entstanden<lb/>
und darüber der erste Gang verdorben sei. Außerdem war so wenig<lb/>
Ordnung, daß, als diese prachtgewohnten Fremdlinge, die sich durch ihren<lb/>
wahrhaft orientalischen Luxus auszeichneten, sich entfernen wollten, sie<lb/>
gezwungen waren, ohne Licht bis an die große Treppe der Gemächer<lb/>
des Königs zu gehen. Jn der That mußte ein solcher Verstoß gegen die<lb/>
Etiquette und eine solche Knickerei einer Fürstin, die in dem strengsten<lb/>
Ceremoniell erzogen war, an einem Hofe, wo das Gold und die<lb/>
Edelsteine beider Jndien zusammenströmten, sehr seltsam erscheinen.</p><lb/>
          <cb n="2"/>
          <p>Die Königin=Regentin war schließlich nur ein Werkzeug in der<lb/>
Hand des schlauen Ministers. Es ist auch von mehreren Seiten<lb/>
behauptet worden, daß sie mit dem Kardinal in heimlicher Ehe ver-<lb/>
bunden gewesen, und diese Behauptung hat nichts Unwahrscheinliches.<lb/>
Mazarin, obgleich ein Mitglied des katholischen Klerus, war dennoch<lb/>
nicht behindert, eine Ehe einzugehen; er hatte nur die erste, nicht die<lb/>
eigentlichen Priesterweihen erhalten; heimliche Ehen unter vornehmen<lb/>
Leuten aber waren damals an der Tagesordnung. Der überlegene<lb/>
Geist des Ministers forderte die Bewunderung der Königin heraus,<lb/>
und eine solche Bewunderung pflegt bei Frauen gar leicht in Liebe um-<lb/>
zuschlagen. Ueberdies war Mazarin noch in den letzten Jahren eine<lb/>
kräftige, ausdrucksvolle Gestalt mit dichten, schwarzen, glänzenden<lb/>
Locken, ein wahrhaft schöner, stattlicher Mann.</p><lb/>
          <p>Die alte Beauvais, erste Kammerfrau der Königin, kannte das<lb/>
Geheimniß; deßhalb war Anna von Oesterreich genöthigt, Alles zu<lb/>
thun, was die Vertraute von ihr begehrte. Der große Einfluß, den<lb/>
die Beauvais auf die Königin übte, war ein Gegenstand des Stau-<lb/>
nens für die Uneingeweihten; aber die vornehmsten Höflinge machten<lb/>
diesem alten, häßlichen, einäugigen Weibe die Cour. Sie erschien bei<lb/>
den Hoffesten nur in großem Kostüm und wurde bis zu ihrem Tode<lb/>
mit der größten Auszeichnung behandelt.</p><lb/>
          <p>Ludwig <hi rendition="#aq">XIV</hi>. hegte, vornehmlich als Kind, einen instinktiven Haß<lb/>
gegen den Kardinal, wahrscheinlich weil er seine eigene Person von<lb/>
dem Emporkömmling so sehr vernachlässigt sah, und dieser Abscheu<lb/>
wurde von seiner Umgebung eifrig genährt.</p><lb/>
          <p>Ging Mazarin durch das Zimmer des jungen Königs, so stellte<lb/>
dieser sich schlafend. Seine Abneigung blieb aber nicht bei dem Kar-<lb/>
dinal stehen, sondern erstreckte sich auch auf dessen Familie. Jeden<lb/>
Abend gab der König einen Beweis davon; indem er zu Bette ging,<lb/>
reichte der erste Kammerdiener auf Befehl Seiner Majestät demjenigen<lb/>
der Ehrenkinder, das er gern bei sich behielt, einen Handleuchter mit<lb/>
zwei angezündeten Kerzen, und jeden Abend verbot der König an<lb/>
Laporte, diesen Handleuchter dem jungen Mancini, einem Neffen des<lb/>
Kardinals, zu geben, der übrigens ein trefflicher und wackerer junger<lb/>
Mensch war und später in dem Gefecht an dem St. Antonius-<lb/>
thor fiel.</p><lb/>
          <p>Als der König eines Tages Seine Eminenz mit einem großen<lb/>
Gefolge auf der Terrasse des Schlosses von Compi<hi rendition="#aq">è</hi>gne vorübergehen<lb/>
sah, wandte er sich um und sagte so laut, daß es Deplessis, ein<lb/>
Edelmann aus der Manche, hörte: &#x201E;Da geht der Großtürke!&#x201C; De-<lb/>
plessis erzählte es der Königin wieder, die das Kind kommen ließ, es<lb/>
sehr ausschalt und es zwingen wollte, ihr zu sagen, welcher von seinen<lb/>
Dienern dem Kardinal diesen Namen beilege, denn sie dachte wohl,<lb/>
daß diese Benennung nicht aus ihm selbst gekommen sei; aber der<lb/>
König blieb fest, und welche Drohungen seine Mutter auch anwandte,<lb/>
er behauptete, daß ihm dieses Niemand eingegeben, sondern er es aus<lb/>
seiner Einbildungskraft geschöpft habe. Ein anderes Mal, als der<lb/>
König zu St. Germain war, kam Herr von Chamarante, der zweite<lb/>
Kammerdiener, dem der Kardinal diese Stelle gegeben hatte, in das<lb/>
Kabinet und sagte, daß die Eminenz, als sie von der Königin weg-<lb/>
gegangen sei, sich in das Zimmer Seiner Majestät begeben habe, um<lb/>
bei dessen Schlafengehen gegenwärtig zu sein. Dies war etwas Außer-<lb/>
ordentliches, da der Kardinal nicht gewohnt war, dem König eine<lb/>
solche Aufmerksamkeit zu erweisen. Der König antwortete nicht.<lb/>
Chamarante, über dieses Schweigen sehr verwundert, betrachtete, um<lb/><cb type="end"/>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0006] 38 Verbindung. Während seines Aufenthalts auf dem Continent erschienen in rascher Folge „Die Prairie“, „Die Beweinte von Wish Ton Wish“ u. A., welche sämmtlich auf amerikanischem Boden spielen. „Der Bravo“ und „Die Heidenmauer“, deren Schauplatz er nach Jtalien und an den Rhein versetzte, errangen nur wenig Erfolg und veranlaßten ihn, in seinen späteren Werken auf den ihm langgewohnten heimischen Boden zurückzukehren. Nach seiner Wiederkehr nach New=York gab er die Be- schreibung seiner Reisen in Europa heraus, in denen er besonders gegen das Vorurtheil kämpft, welches man auf dem Continent gegen Amerika, seine Bevölkerung und seine Jnstitutionen hegte. Jn einem seiner ersten Romane, „Der Pilot“ ( 1823 ) , der die Abenteuer eines amerikanischen Seehelden zum Gegenstand hat, beabsichtigte er, zu dem bereits vorher erschienenen „Pirat“ von Scott den Lesern ein Pendant vorzuführen, welches vor dem Scott'schen Roman den Vorzug der Wirklich- keit und Lebenswahrheit haben sollte. Als Beweis, mit welcher Gewissenhaf- tigkeit er dabei zu Werke gegangen, erzählt Brunnemann in einem kürzlich erschienenen empfehlenswerthen Werkchen *), daß er diesen Roman, um sich des Eindrucks auf einen ordentlichen Seemann zu vergewissern, einem alten, langgedienten Backsmaten vorlas. Eine halbe Stunde hörte dieser ruhig zu, dann aber sprang er auf und schrie Cooper an: „Alter Junge, Jhr laßt Euren Klüver zu lange stehen“. Cooper war mit dieser Kritik zufrieden und ließ den Klüver wieder aus seinem Leck. Auch als Politiker und Geschichtschreiber trat Cooper auf, erntete aber nur getheilten Beifall. Auf seinem Landgute Cooperstown verlebte er nach seiner Rückkehr aus Frankreich die letzten Jahre seines Lebens. Bis zum Jahre 1850 gab er in ziemlich schneller Aufeinanderfolge eine Reihe von Romanen heraus, die jedoch seinen früheren Werken in jeder Hinsicht nach- stehen und auch bei Weitem nicht den Leserkreis derselben erreichten. Als Cooper am 14. September 1851 starb, zeigte es sich, wie hoch das amerikanische Volk seinen Lieblingsschriftsteller schätzt. Bryant, einer der ersten, wenn nicht der größte der amerikanischen Lyriker, hielt ihm eine anerkennende Lobrede, der Alles zujauchzte; er bezeichnet ihn als einen Fels der Treue und des Muthes inmitten einer wogenden See von Dilettanten- thum, welches nur der Zeitströmung nachgeht. Und in der That, Selbst- vertrauen und Konsequenz, die beiden ersten Vorzüge des Mannes, waren seinem Charakter eigen. Wir erkennen in dem Helden der Lederstrumpf- Erzählungen, in dem Selbstbewußtsein und der Sicherheit, in der Energie und Willenskraft seines Geistes leicht die hervortretenden Eigenschaften Coopers. Jm Jahre 1855 erschien zu New=York die Gesammt=Ausgabe seiner Werke in 34 Bänden. Die beste und vollständigste deutsche Ausgabe derselben erschien 1852—54 in Stuttgart in 30 Bänden à 15 Sgr. Seitdem ist keine neue Uebertragung veröffentlicht worden. Wissenschaft, Kunst und Literatur. Aus dem Leben des Kardinals Mazarin. ( Fortsetzung. ) Es war Gebrauch, daß man dem König jedes Jahr zwölf Paar neue Betttücher, zwei Schlafröcke, einen für den Sommer und einen für den Winter, gab; Mazarin achtete aber nicht auf diesen Gebrauch, den er für zu kostspielig hielt, und gab dem König nur sechs Betttücher in drei Jahren. Diese waren endlich so zerrissen, daß der junge Monarch seine Beine durch die Löcher steckte und auf der bloßen Matratze ruhte. Was die Schlafröcke anbetraf, so verfuhr Mazarin dabei mit derselben Oekonomie; statt deren jedes Jahr zwei zu geben, gab er einen für zwei Jahre, den der junge König Winter und Sommer trug; es war ein Schlafrock von grünem Sammet, mit grauem Eichhornpelz gefüttert, der ihm das letzte Jahr nur noch bis auf die Mitte der Beine herabging. Eines Tages wollte der König zu Conflans baden. Sein Kam- merdiener Laporte ertheilte deßhalb sogleich Befehl, und man ließ eine Kutsche kommen, in welche man die nöthigen Dinge packte. Als sich aber Laporte anschickte, zuerst hinein zu steigen, sah er, daß das Leder der Schläge, welche die Füße bedeckten, abgerissen, und der Wagen überhaupt in einem so schlechten Zustande war, daß man die Fahrt, so kurz sie auch sein mochte, nicht ohne Gefahr antreten konnte. Laporte machte dem König einen Bericht über den Zustand seiner Geschirrkammer, indem er ihm sagte, daß es unmöglich sei, nach Conflans zu fahren, indem, wenn man ihn in einem solchen Fuhr- werk sähe, sich auch die geringsten Bürger darüber lustig machen würden. Der König glaubte dem übertriebenen Bericht nicht und wollte selbst über den Zustand des Wagens urtheilen; als er aber die geringe Achtung sah, die man für ihn hatte, indem man ihm zumuthen konnte, sich in einen solchen Wagen zu setzen, wurde er ganz roth vor Zorn und beklagte sich noch denselben Abend bei der Königin, bei Seiner Eminenz und dem Herrn Maison, damals Ober=Jntendanten der Finanzen. Jn Folge dieser Klage erhielt der König fünf neue Kutschen auf einmal. Uebrigens blieb dieser Geiz nicht bloß bei den Dingen stehen, die den König betrafen, sondern er erstreckte sich auch auf die ganze Hof- haltung und deren Verwaltung. Alles geschah mit einer großen Knickerei und Unordnung. Während es z. B. dem Könige, der Versailles bauen ließ, an Betttüchern, Schlafröcken und Kutschen mangelte, hatten die Damen Anna's von Oesterreich keinen Tisch im Palast und mußten sehr oft hungern. Nach dem Nachtessen der Königin aßen sie ohne Ordnung und Maß, was diese übrig ließ. Die öffentlichen Feste und Vorstellungen waren nicht besser ge- ordnet. Als im Jahre 1645 die Königin die polnischen Gesandten zu Fontainebleau empfing, gab sie ihnen ein großes Abendessen, oder wenigstens hatte sie die Absicht, es ihnen zu geben; denn an demselben Abend berichtete man ihr, daß unter den Köchen ein Streit entstanden und darüber der erste Gang verdorben sei. Außerdem war so wenig Ordnung, daß, als diese prachtgewohnten Fremdlinge, die sich durch ihren wahrhaft orientalischen Luxus auszeichneten, sich entfernen wollten, sie gezwungen waren, ohne Licht bis an die große Treppe der Gemächer des Königs zu gehen. Jn der That mußte ein solcher Verstoß gegen die Etiquette und eine solche Knickerei einer Fürstin, die in dem strengsten Ceremoniell erzogen war, an einem Hofe, wo das Gold und die Edelsteine beider Jndien zusammenströmten, sehr seltsam erscheinen. Die Königin=Regentin war schließlich nur ein Werkzeug in der Hand des schlauen Ministers. Es ist auch von mehreren Seiten behauptet worden, daß sie mit dem Kardinal in heimlicher Ehe ver- bunden gewesen, und diese Behauptung hat nichts Unwahrscheinliches. Mazarin, obgleich ein Mitglied des katholischen Klerus, war dennoch nicht behindert, eine Ehe einzugehen; er hatte nur die erste, nicht die eigentlichen Priesterweihen erhalten; heimliche Ehen unter vornehmen Leuten aber waren damals an der Tagesordnung. Der überlegene Geist des Ministers forderte die Bewunderung der Königin heraus, und eine solche Bewunderung pflegt bei Frauen gar leicht in Liebe um- zuschlagen. Ueberdies war Mazarin noch in den letzten Jahren eine kräftige, ausdrucksvolle Gestalt mit dichten, schwarzen, glänzenden Locken, ein wahrhaft schöner, stattlicher Mann. Die alte Beauvais, erste Kammerfrau der Königin, kannte das Geheimniß; deßhalb war Anna von Oesterreich genöthigt, Alles zu thun, was die Vertraute von ihr begehrte. Der große Einfluß, den die Beauvais auf die Königin übte, war ein Gegenstand des Stau- nens für die Uneingeweihten; aber die vornehmsten Höflinge machten diesem alten, häßlichen, einäugigen Weibe die Cour. Sie erschien bei den Hoffesten nur in großem Kostüm und wurde bis zu ihrem Tode mit der größten Auszeichnung behandelt. Ludwig XIV. hegte, vornehmlich als Kind, einen instinktiven Haß gegen den Kardinal, wahrscheinlich weil er seine eigene Person von dem Emporkömmling so sehr vernachlässigt sah, und dieser Abscheu wurde von seiner Umgebung eifrig genährt. Ging Mazarin durch das Zimmer des jungen Königs, so stellte dieser sich schlafend. Seine Abneigung blieb aber nicht bei dem Kar- dinal stehen, sondern erstreckte sich auch auf dessen Familie. Jeden Abend gab der König einen Beweis davon; indem er zu Bette ging, reichte der erste Kammerdiener auf Befehl Seiner Majestät demjenigen der Ehrenkinder, das er gern bei sich behielt, einen Handleuchter mit zwei angezündeten Kerzen, und jeden Abend verbot der König an Laporte, diesen Handleuchter dem jungen Mancini, einem Neffen des Kardinals, zu geben, der übrigens ein trefflicher und wackerer junger Mensch war und später in dem Gefecht an dem St. Antonius- thor fiel. Als der König eines Tages Seine Eminenz mit einem großen Gefolge auf der Terrasse des Schlosses von Compiègne vorübergehen sah, wandte er sich um und sagte so laut, daß es Deplessis, ein Edelmann aus der Manche, hörte: „Da geht der Großtürke!“ De- plessis erzählte es der Königin wieder, die das Kind kommen ließ, es sehr ausschalt und es zwingen wollte, ihr zu sagen, welcher von seinen Dienern dem Kardinal diesen Namen beilege, denn sie dachte wohl, daß diese Benennung nicht aus ihm selbst gekommen sei; aber der König blieb fest, und welche Drohungen seine Mutter auch anwandte, er behauptete, daß ihm dieses Niemand eingegeben, sondern er es aus seiner Einbildungskraft geschöpft habe. Ein anderes Mal, als der König zu St. Germain war, kam Herr von Chamarante, der zweite Kammerdiener, dem der Kardinal diese Stelle gegeben hatte, in das Kabinet und sagte, daß die Eminenz, als sie von der Königin weg- gegangen sei, sich in das Zimmer Seiner Majestät begeben habe, um bei dessen Schlafengehen gegenwärtig zu sein. Dies war etwas Außer- ordentliches, da der Kardinal nicht gewohnt war, dem König eine solche Aufmerksamkeit zu erweisen. Der König antwortete nicht. Chamarante, über dieses Schweigen sehr verwundert, betrachtete, um *) Geschichte der amerikanischen Literatur. Leipzig, 1866. 20 Sgr.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt05_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt05_1868/6
Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 5. Berlin, 2. Februar 1868, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt05_1868/6>, abgerufen am 06.06.2024.