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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 12. Lieferung, Nr. 4. Berlin, 26. Dezember 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 350
[Beginn Spaltensatz] Krippe sein Lichtlein angezündet wie eine Verheißung der
Lichtzeit, wo es wieder draußen auf der blumigen Wiese
seine Nahrung werde suchen können; ein Gebrauch, der sich
noch heut vielfach bei uns erhalten hat. Wie man zum Früh-
lingsfest "Maibäume" pflanzte, so pflanzte man wohl jetzt
schon die immergrüne Tanne vor die Häuser, behing sie
mit bunten Bändern und Schmuck, besteckte sie auch selbst
mit Lichtern.

Jn der fesilich erleuchteten Halle aber war jedem
Fremdling von dem Wirthe gastfreier Empfang sicher. Jn
manchen Gegenden kamen die Nachbaren zusammen zur
Feier. Nicht mit leeren Händen, sondern nach Vermögen
Geschenke an Nahrungsmitteln und zum Fest dienlichen
Gegenständen herbeitragend. Andere Geschenke wurden von
heirathslustigen jungen Männern ihrer Auserwählten ge-
spendet: mit Goldblech besetzte, mit Aepfeln, worunter sich
wohl auch manch andere Gabe bergen mochte, gefüllte runde
Scheiben oder Schalen, Wepelrot genannt, welche ihnen
unter Scherz und Vermummung, oder gar, ohne daß sich
der Geber zeigte, in's Haus geworfen wurden. Die Halle
wurde bald der Schauplatz heiterer Gelage. Ein Eber
( das dem Freyr geheiligte Thier ward geschlachtet, aus
seinem Rücken die "Julsuppe" gekocht, zuletzt kam das
übrige Bratfleisch als die eigentliche Festspeise an die Reihe.
Eine andere, uralt heilige Festspeise war Hafergrütze mit
Häringen, noch heut nicht ganz verschwunden, oder in
Karpfen, Reisbrei, Mohnklöschen modificirt. Zu den Fest-
speisen gehörten ferner die Kuchen, welche in vielen an die
Sonnenscheibe erinnernden Formen, z. B. als Räder ( Pre-
zel ) , Kreise, Hörnchen, oder an Form der dem Sonnengott
geheiligten Thiere, also Eber, Hirsch u. a. m., gebacken
wurden. Dem Verächter dieser Festspeise ( so hieß es noch
später in Thüringen ) drohte der Zorn der Göttin Berchta,
welche ihrem Wesen nach nichts anderes ist, als jene Erd-
göttin Gerda, um welche Freyr zu jener Jahreszeit warb.

Das schäumende Trinkhorn, der berauschende Meth
spielten selbstverständlich die erste Rolle beim Feste. Aber
das Wichtigste dabei war, der Götter nicht zu vergessen,
und so trank man sich den "Minnetrunk" zur Ehre der
Himmlischen zu. "Minne" hatte die Bedeutung "Gedächtniß,
Erinnerung." Der erste Becher galt dem Allvater, Odin
oder Wuotan, der Sieg und Macht bescheerte, der zweite
dem Freyr, dem Sonnengotte, der Fruchtbarkeit und Frie-
den schenkte, der dritte dem Gotte Bragi, dem Gotte der
Dichtung, dem zu jeder That begeisternden Helfer. An ihn
knüpften sich beim einzelnen Trinker die Becher der Ge-
lübde, indem man ihm zu Ehren und bei ihm sich " ver-
lobte," schwur, eine oder die andere edle, kühne That im
kommenden Jahre zu vollbringen, worunter die kühnen
Jünglinge häufig die That begriffen, mit der sie die Braut
[Spaltenumbruch] sich zu erwerben gedachten. Auch galt wohl so mancher
dieser Becher dem Versprechen, alte Schuld zu fühnen.

Bei dieser Gelegenheit wurde auch oft ein zum Opfer
dem Gotte auferzogener junger Eber mit vergoldeten
Borsten durch den Saal geführt, auf dem bei diesen Eiden
die Schwörenden die Rechte legten.

Nach Mitternacht ließ die Festfreude der Menschen
nach, das Fest der Götter wurde gerüstet. Auf's Neue
wurde die gesäuberte Tafel mit Speisen belastet. Aber
dies war nichts mehr für irdische Augen. Vielmehr muß-
ten die Gäste sich entfernen. Den Göttern war die Tafel
gedeckt, welche auf ihrer Wanderung unter den Sterblichen
sich herablassen mochten, einzutreten und sich hier niederzu-
setzen, um die ihnen von frommen Händen bereiteten
Speisen und Getränke zu kosten. Jn ihrem Gefolge moch-
ten etwa noch die guten Ahnen des Hauses erscheinen, und
sich's am alten heidnischen Heerde wohl sein lassen; oder
es konnten die Lichtelfen erscheinen, und sich an Speise
und Trank, an Musik und Tanz erfreuen. Noch jetzt heißt
es, daß man manchmal in dieser Zeit Singen und Klingen
in der Luft oder in den Häusern höre, das überirdischer
Natur sei. Auch konnte wohl Berchta mit den Heimchen,
den Seelen früh verstorbener Kinder erscheinen, die nimmer
ohne festliche Bewirthung scheiden durften. Für gesegnet
galt das Haus, wo die Göttertafel am anderen Morgen
berührt erschien, Glück und Gütersegen brachte den Haus-
genossen das kommende Jahr.

Mancher verließ dann noch das Haus, ging hinaus
in's Freie, um eine Kunde der kommenden Zeit zu er-
haschen, Orakel zu befragen, was auf sehr verschiedene Art
und Weise geschah. Der Eine stieg mit bloßem Schwerte
gerüstet auf das Dach des Hauses, der Andere ließ sich
auf Kreuzwegen auf einer Kuhhaut nieder, oder schweifte
in den schweigenden Wald, so weit, daß man kein Feuer
mehr sah, keinen Hahn mehr krähen hörte, keine Menschen-
stimme vernahm. Der kundige Beobachter sah nun auf
dem Dach des Hauses, in der Wintersaat, auf dem Kreuz-
wege, hörte im Rauschen der Bäume des kommenden Jah-
res Verlauf. Denn erfüllt von Geisterwehen und Rauschen
war zur Mitternacht die ganze Natur, und ein geweihtes
Ohr mochte Harfenmusik in den Sphären vernehmen.

Wir übergehen hier vielerlei Orakel, welche Mädchen
wie Jünglinge befragten. Noch heute werden Asche, Koh-
len, Eiersatz, Nußschaalen befragt, nicht immer blos mit
freiem Sinn als scherzhaftes Spiel. Alles, was heutzutage
Gebrauch des christlichen Festes geworden ist, findet seine
Parallele in der zwar heidnischen, aber ebenso zur tiefen
Götterverehrung der alten Deutschen, ja ist sogar aus ihr
in das christliche Fest hineingewachsen.

[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 350
[Beginn Spaltensatz] Krippe sein Lichtlein angezündet wie eine Verheißung der
Lichtzeit, wo es wieder draußen auf der blumigen Wiese
seine Nahrung werde suchen können; ein Gebrauch, der sich
noch heut vielfach bei uns erhalten hat. Wie man zum Früh-
lingsfest „Maibäume“ pflanzte, so pflanzte man wohl jetzt
schon die immergrüne Tanne vor die Häuser, behing sie
mit bunten Bändern und Schmuck, besteckte sie auch selbst
mit Lichtern.

Jn der fesilich erleuchteten Halle aber war jedem
Fremdling von dem Wirthe gastfreier Empfang sicher. Jn
manchen Gegenden kamen die Nachbaren zusammen zur
Feier. Nicht mit leeren Händen, sondern nach Vermögen
Geschenke an Nahrungsmitteln und zum Fest dienlichen
Gegenständen herbeitragend. Andere Geschenke wurden von
heirathslustigen jungen Männern ihrer Auserwählten ge-
spendet: mit Goldblech besetzte, mit Aepfeln, worunter sich
wohl auch manch andere Gabe bergen mochte, gefüllte runde
Scheiben oder Schalen, Wepelrôt genannt, welche ihnen
unter Scherz und Vermummung, oder gar, ohne daß sich
der Geber zeigte, in's Haus geworfen wurden. Die Halle
wurde bald der Schauplatz heiterer Gelage. Ein Eber
( das dem Freyr geheiligte Thier ward geschlachtet, aus
seinem Rücken die „Julsuppe“ gekocht, zuletzt kam das
übrige Bratfleisch als die eigentliche Festspeise an die Reihe.
Eine andere, uralt heilige Festspeise war Hafergrütze mit
Häringen, noch heut nicht ganz verschwunden, oder in
Karpfen, Reisbrei, Mohnklöschen modificirt. Zu den Fest-
speisen gehörten ferner die Kuchen, welche in vielen an die
Sonnenscheibe erinnernden Formen, z. B. als Räder ( Pre-
zel ) , Kreise, Hörnchen, oder an Form der dem Sonnengott
geheiligten Thiere, also Eber, Hirsch u. a. m., gebacken
wurden. Dem Verächter dieser Festspeise ( so hieß es noch
später in Thüringen ) drohte der Zorn der Göttin Berchta,
welche ihrem Wesen nach nichts anderes ist, als jene Erd-
göttin Gerda, um welche Freyr zu jener Jahreszeit warb.

Das schäumende Trinkhorn, der berauschende Meth
spielten selbstverständlich die erste Rolle beim Feste. Aber
das Wichtigste dabei war, der Götter nicht zu vergessen,
und so trank man sich den „Minnetrunk“ zur Ehre der
Himmlischen zu. „Minne“ hatte die Bedeutung „Gedächtniß,
Erinnerung.“ Der erste Becher galt dem Allvater, Odin
oder Wuotan, der Sieg und Macht bescheerte, der zweite
dem Freyr, dem Sonnengotte, der Fruchtbarkeit und Frie-
den schenkte, der dritte dem Gotte Bragi, dem Gotte der
Dichtung, dem zu jeder That begeisternden Helfer. An ihn
knüpften sich beim einzelnen Trinker die Becher der Ge-
lübde, indem man ihm zu Ehren und bei ihm sich „ ver-
lobte,“ schwur, eine oder die andere edle, kühne That im
kommenden Jahre zu vollbringen, worunter die kühnen
Jünglinge häufig die That begriffen, mit der sie die Braut
[Spaltenumbruch] sich zu erwerben gedachten. Auch galt wohl so mancher
dieser Becher dem Versprechen, alte Schuld zu fühnen.

Bei dieser Gelegenheit wurde auch oft ein zum Opfer
dem Gotte auferzogener junger Eber mit vergoldeten
Borsten durch den Saal geführt, auf dem bei diesen Eiden
die Schwörenden die Rechte legten.

Nach Mitternacht ließ die Festfreude der Menschen
nach, das Fest der Götter wurde gerüstet. Auf's Neue
wurde die gesäuberte Tafel mit Speisen belastet. Aber
dies war nichts mehr für irdische Augen. Vielmehr muß-
ten die Gäste sich entfernen. Den Göttern war die Tafel
gedeckt, welche auf ihrer Wanderung unter den Sterblichen
sich herablassen mochten, einzutreten und sich hier niederzu-
setzen, um die ihnen von frommen Händen bereiteten
Speisen und Getränke zu kosten. Jn ihrem Gefolge moch-
ten etwa noch die guten Ahnen des Hauses erscheinen, und
sich's am alten heidnischen Heerde wohl sein lassen; oder
es konnten die Lichtelfen erscheinen, und sich an Speise
und Trank, an Musik und Tanz erfreuen. Noch jetzt heißt
es, daß man manchmal in dieser Zeit Singen und Klingen
in der Luft oder in den Häusern höre, das überirdischer
Natur sei. Auch konnte wohl Berchta mit den Heimchen,
den Seelen früh verstorbener Kinder erscheinen, die nimmer
ohne festliche Bewirthung scheiden durften. Für gesegnet
galt das Haus, wo die Göttertafel am anderen Morgen
berührt erschien, Glück und Gütersegen brachte den Haus-
genossen das kommende Jahr.

Mancher verließ dann noch das Haus, ging hinaus
in's Freie, um eine Kunde der kommenden Zeit zu er-
haschen, Orakel zu befragen, was auf sehr verschiedene Art
und Weise geschah. Der Eine stieg mit bloßem Schwerte
gerüstet auf das Dach des Hauses, der Andere ließ sich
auf Kreuzwegen auf einer Kuhhaut nieder, oder schweifte
in den schweigenden Wald, so weit, daß man kein Feuer
mehr sah, keinen Hahn mehr krähen hörte, keine Menschen-
stimme vernahm. Der kundige Beobachter sah nun auf
dem Dach des Hauses, in der Wintersaat, auf dem Kreuz-
wege, hörte im Rauschen der Bäume des kommenden Jah-
res Verlauf. Denn erfüllt von Geisterwehen und Rauschen
war zur Mitternacht die ganze Natur, und ein geweihtes
Ohr mochte Harfenmusik in den Sphären vernehmen.

Wir übergehen hier vielerlei Orakel, welche Mädchen
wie Jünglinge befragten. Noch heute werden Asche, Koh-
len, Eiersatz, Nußschaalen befragt, nicht immer blos mit
freiem Sinn als scherzhaftes Spiel. Alles, was heutzutage
Gebrauch des christlichen Festes geworden ist, findet seine
Parallele in der zwar heidnischen, aber ebenso zur tiefen
Götterverehrung der alten Deutschen, ja ist sogar aus ihr
in das christliche Fest hineingewachsen.

[Ende Spaltensatz]

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Mancher verließ dann noch das Haus, ging hinaus in's Freie, um eine Kunde der kommenden Zeit zu er- haschen, Orakel zu befragen, was auf sehr verschiedene Art und Weise geschah. Der Eine stieg mit bloßem Schwerte gerüstet auf das Dach des Hauses, der Andere ließ sich auf Kreuzwegen auf einer Kuhhaut nieder, oder schweifte in den schweigenden Wald, so weit, daß man kein Feuer mehr sah, keinen Hahn mehr krähen hörte, keine Menschen- stimme vernahm. Der kundige Beobachter sah nun auf dem Dach des Hauses, in der Wintersaat, auf dem Kreuz- wege, hörte im Rauschen der Bäume des kommenden Jah- res Verlauf. Denn erfüllt von Geisterwehen und Rauschen war zur Mitternacht die ganze Natur, und ein geweihtes Ohr mochte Harfenmusik in den Sphären vernehmen. Wir übergehen hier vielerlei Orakel, welche Mädchen wie Jünglinge befragten. Noch heute werden Asche, Koh- len, Eiersatz, Nußschaalen befragt, nicht immer blos mit freiem Sinn als scherzhaftes Spiel. Alles, was heutzutage Gebrauch des christlichen Festes geworden ist, findet seine Parallele in der zwar heidnischen, aber ebenso zur tiefen Götterverehrung der alten Deutschen, ja ist sogar aus ihr in das christliche Fest hineingewachsen.

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 12. Lieferung, Nr. 4. Berlin, 26. Dezember 1874, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social1204_1874/2>, abgerufen am 06.06.2024.