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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 12. Lieferung, Nr. 1. Berlin, 5. Dezember 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 331
[Beginn Spaltensatz] dem 13. Juni, dem Tage des Volksaufstandes. Auf diesen ewig
denkwürdigen Tag hat man die Geburtsfeier des Schülers an-
beraumt, für alle Kinder, die das fünfte Lebensjahr hinter sich
haben; die Geburtsfeier des Arbeiters für alle Knaben von
achtzehn, alle Mädchen von siebzehn Jahren, und die Geburts-
feier des Staatsbürgers für die jungen Männer von einund-
zwanzig Jahren.

Am heutigen Morgen ist in sämmtlichen Gemeinden auf
prachtvollen Anschlagzetteln die Liste der neuen Schüler, das will
sagen, aller dortigen Kinder von fünf Jahren, veröffentlicht
worden.

Desgleichen die Liste der achtzehnjährigen Jünglinge und
siebzehnjährigen Jungfrauen, nebst Beibemerken der bestimmten,
einzelnen Profession, welche in dem für sie veranstaltet gewese-
nen Konkurse, von Jeglichem und Jeglicher erkoren worden ist.

Heute Abend endlich erscheint der öffentliche Anschlag, der
das Verzeichniß aller neuen Bürger enthält, nämlich derer, die
im Laufe dieses Vorfesttages der Ehre theilhaftig wurden, in
die Reihen der Bürger zugelassen zu werden. Letzteres ist eine
so interessante Ceremonie, daß Walmor mich und Eugen ( dieser
edle, junge Franzose ist forthin unzertrennlich von uns ) dazu
einlud.

Aufnahme unter die Staatsbürger.

Wir trafen im Gemeindepalast eben ein, als die Feierlich-
keit begann. Der Vorsitzer dort im Lehnsessel, sagte Walmor,
ist Präsident der Volksversammlung der Gemeinde; ihm zur
Rechten thront der Präsident der Vollziehungsmacht der Ge-
meinde; links befindet sich der Religionslehrer; rings herum die
bedeutendsten Magistratspersonen des Volkes, jene stattlichen jun-
gen Leute, in der ersten Einzäunung da, sind die Söhne der Ge-
meinde, welche heute zum Bürgerthum Zutritt bekommen sollen;
sie haben das einundzwanzigste Jahr zurückgelegt. Hinter ihnen
befinden sich Männer verschiedenen Alters, es sind ihre Tauf-
väter, ihre Gevattern so zu sagen, das heißt Freunde ihrer Fa-
milien und durch diese werden die Jünglinge gleichsam vor die
Schranken der ikarischen Gesellschaft geführt; diese Gevattern
werden den Einzuweihenden als Freunde und Rathgeber für
das ganze Leben dienen.

Auf den oberen Bänken sitzen sämmtliche junge Männer
der Gemeinde, die zwanzig Jahre alt sind. Sie begeben sich
pflichtmäßig zu dieser erhabenen Feier, besuchen auch emsig wäh-
rend des laufenden Jahres die Volksversammlungen, um solcher-
art ihre Erziehung zum Bürger zu vollenden. Jm nächsten
Jahre wird die Reihe an sie kommen, in den Kreis der Bürger
aufgenommen zu werden. Die übrigen Anwesenden sind zahl-
reiche Zuschauer.

Als die Musik ( in Jkarien wird bekanntlich bei den Volks-
versammlungen zu politisch=gesellschaftlichem Zwecke musicirt, wie
in andern Ländern in der Kirche ) aufgehört, eröffnete der Prä-
fident die Sitzung und gab das Wort einem Magistratsmitgliede,
welches eine kurze paßliche Rede sprach. Hierauf begann der
Sekretär den Namensabruf der neuen Bürger und ihrer Gevat-
[Spaltenumbruch] tern. Präsident und die übrigen Beisitzer des Amtstisches leg-
ten alsdann einer durch's Loos bestimmten Anzahl dieser jun-
gen Männer ( etwa zwanzig ) über Verfassung und Bürgerpflich-
ten wie Bürgerrechte, die gebührenden Fragen vor. Ueberflüssig
ist es, wenn ich bemerke, daß alle Antworten mit erfreulichster
Kenntniß und würdigster Zuversicht aussielen. Der Präsident
las jetzt den Bürgereid: "Sich dem Vaterlande zu widmen, den
Gesetzen zu gehorsamen, alle Obliegenheiten zu vollziehen, Bruder-
thum gegen die Mitbürger zu üben," und zugleich schärfte er
ihnen die Wichtigkeit dieses Eides ein, den die große Republik
nur ein einziges Mal im ganzen Leben dem Jkarier abverlangt,
wie auch immer späterhin die Geschäftskreise, worin er sich be-
wegt, sein mögen. Die Jünglinge standen auf, hoben beide
Hände in die Höhe und schwuren mit lauter, langsamer Stimme;
wonach der Präsident Namens der ikarischen Republik sie für
neue Bürger erklärte, Mitglieder der selbstständigen, sich selbst
gebietenden, sich selbst gehorchenden Volksgemeinde Jkariens, zu
gleicher Zeit Wähler und wählbar. Er befahl ihre Namen in
die Tafeln der Mitglieder der Versammlung und der Volkswehr
einzuschreiben. Auch befahl er, daß ihnen die Uniform des Bür-
gers gegeben werde; er überreichte schließlich jedem der Gevattern
oder Taufzeugen, die ich oben erwähnte, das Zeichen des Bürger-
thums, und jeder heftete es an die Brust seines jungen Pathen.
Die Musik ließ sich wiederum hören. Nachdem der Vorsitzende
noch eine bündige, sinnige Anrede gehalten, war diese erhebende
Nationalfestlichkeit geschlossen.

So wurde denn heute auf der weiten Fläche des ikarischen
Gebietes, fast eine Million neuer Bürger geweiht; alle zur sel-
bigen Stunde, in den sechszig Gemeinden der Hauptstadt und
in den eintausend Gemeinden des Reiches. Die unsterbliche
Majestät des Volkes hatte somit wieder neue Vergegenwärtiger
bekommen.

Auf dem Rückwege sah ich bereits großartige Vorkehrungen
zur Feier des Jahresfestes der Revolution; die morgende Cere-
monie wird ein getreues Abbild dieses geschichtlichen Ereignisses
liefern, höre ich. Schon organisiren sich die zwei Schaaren,
deren eine die einstige Königsgarde, die andere die Volksmassen
darzustellen haben wird. Die Geschwader, die Banden, die Pa-
trouillen stellen sich zusammen und bekommen das Losungswort.
Man vertheilt die Posten und Rollen; Jkar der Ordner und
seine Generale einerseits, Lixdox und Chloramide andererseits.
Auch an Material für die Barrikaden fehlt es nicht. Auf dem
Gefilde der Empörung, neben dem alten gewaltigen Glocken-
thurm, der in der Frühe des 13. Juni 1782 Sturm läutete
( dies ist, wohlgemerkt, die einzige Thurmglocke, die noch aus der
bösen Vorzeit übrig gelassen worden ) , erheben sich schon heute
Steinwälle. Auch das Bild des alten Königspalastes, worin
die Landesmutter Chloramida, wie ihre Schmeichler das be-
dauerliche, junge, schöne Weib genannt haben, sich aufhielt; auch
dieser Palast, sage ich, steht bereits in Nachahmung von Holz
auf einem Ende des Siegesfeldes. Kurz, Alles ist ange-
ordnet.

Der Sonnenuntergang ist prachtvoll, verspricht gutes Wetter
auf morgen und übermorgen. Walmor sagt mir, das National-
fest währe zwei Tage.

[Ende Spaltensatz]

( Fortsetzung folgt ) .



Zur Unterhaltung und Belehrung. 331
[Beginn Spaltensatz] dem 13. Juni, dem Tage des Volksaufstandes. Auf diesen ewig
denkwürdigen Tag hat man die Geburtsfeier des Schülers an-
beraumt, für alle Kinder, die das fünfte Lebensjahr hinter sich
haben; die Geburtsfeier des Arbeiters für alle Knaben von
achtzehn, alle Mädchen von siebzehn Jahren, und die Geburts-
feier des Staatsbürgers für die jungen Männer von einund-
zwanzig Jahren.

Am heutigen Morgen ist in sämmtlichen Gemeinden auf
prachtvollen Anschlagzetteln die Liste der neuen Schüler, das will
sagen, aller dortigen Kinder von fünf Jahren, veröffentlicht
worden.

Desgleichen die Liste der achtzehnjährigen Jünglinge und
siebzehnjährigen Jungfrauen, nebst Beibemerken der bestimmten,
einzelnen Profession, welche in dem für sie veranstaltet gewese-
nen Konkurse, von Jeglichem und Jeglicher erkoren worden ist.

Heute Abend endlich erscheint der öffentliche Anschlag, der
das Verzeichniß aller neuen Bürger enthält, nämlich derer, die
im Laufe dieses Vorfesttages der Ehre theilhaftig wurden, in
die Reihen der Bürger zugelassen zu werden. Letzteres ist eine
so interessante Ceremonie, daß Walmor mich und Eugen ( dieser
edle, junge Franzose ist forthin unzertrennlich von uns ) dazu
einlud.

Aufnahme unter die Staatsbürger.

Wir trafen im Gemeindepalast eben ein, als die Feierlich-
keit begann. Der Vorsitzer dort im Lehnsessel, sagte Walmor,
ist Präsident der Volksversammlung der Gemeinde; ihm zur
Rechten thront der Präsident der Vollziehungsmacht der Ge-
meinde; links befindet sich der Religionslehrer; rings herum die
bedeutendsten Magistratspersonen des Volkes, jene stattlichen jun-
gen Leute, in der ersten Einzäunung da, sind die Söhne der Ge-
meinde, welche heute zum Bürgerthum Zutritt bekommen sollen;
sie haben das einundzwanzigste Jahr zurückgelegt. Hinter ihnen
befinden sich Männer verschiedenen Alters, es sind ihre Tauf-
väter, ihre Gevattern so zu sagen, das heißt Freunde ihrer Fa-
milien und durch diese werden die Jünglinge gleichsam vor die
Schranken der ikarischen Gesellschaft geführt; diese Gevattern
werden den Einzuweihenden als Freunde und Rathgeber für
das ganze Leben dienen.

Auf den oberen Bänken sitzen sämmtliche junge Männer
der Gemeinde, die zwanzig Jahre alt sind. Sie begeben sich
pflichtmäßig zu dieser erhabenen Feier, besuchen auch emsig wäh-
rend des laufenden Jahres die Volksversammlungen, um solcher-
art ihre Erziehung zum Bürger zu vollenden. Jm nächsten
Jahre wird die Reihe an sie kommen, in den Kreis der Bürger
aufgenommen zu werden. Die übrigen Anwesenden sind zahl-
reiche Zuschauer.

Als die Musik ( in Jkarien wird bekanntlich bei den Volks-
versammlungen zu politisch=gesellschaftlichem Zwecke musicirt, wie
in andern Ländern in der Kirche ) aufgehört, eröffnete der Prä-
fident die Sitzung und gab das Wort einem Magistratsmitgliede,
welches eine kurze paßliche Rede sprach. Hierauf begann der
Sekretär den Namensabruf der neuen Bürger und ihrer Gevat-
[Spaltenumbruch] tern. Präsident und die übrigen Beisitzer des Amtstisches leg-
ten alsdann einer durch's Loos bestimmten Anzahl dieser jun-
gen Männer ( etwa zwanzig ) über Verfassung und Bürgerpflich-
ten wie Bürgerrechte, die gebührenden Fragen vor. Ueberflüssig
ist es, wenn ich bemerke, daß alle Antworten mit erfreulichster
Kenntniß und würdigster Zuversicht aussielen. Der Präsident
las jetzt den Bürgereid: „Sich dem Vaterlande zu widmen, den
Gesetzen zu gehorsamen, alle Obliegenheiten zu vollziehen, Bruder-
thum gegen die Mitbürger zu üben,“ und zugleich schärfte er
ihnen die Wichtigkeit dieses Eides ein, den die große Republik
nur ein einziges Mal im ganzen Leben dem Jkarier abverlangt,
wie auch immer späterhin die Geschäftskreise, worin er sich be-
wegt, sein mögen. Die Jünglinge standen auf, hoben beide
Hände in die Höhe und schwuren mit lauter, langsamer Stimme;
wonach der Präsident Namens der ikarischen Republik sie für
neue Bürger erklärte, Mitglieder der selbstständigen, sich selbst
gebietenden, sich selbst gehorchenden Volksgemeinde Jkariens, zu
gleicher Zeit Wähler und wählbar. Er befahl ihre Namen in
die Tafeln der Mitglieder der Versammlung und der Volkswehr
einzuschreiben. Auch befahl er, daß ihnen die Uniform des Bür-
gers gegeben werde; er überreichte schließlich jedem der Gevattern
oder Taufzeugen, die ich oben erwähnte, das Zeichen des Bürger-
thums, und jeder heftete es an die Brust seines jungen Pathen.
Die Musik ließ sich wiederum hören. Nachdem der Vorsitzende
noch eine bündige, sinnige Anrede gehalten, war diese erhebende
Nationalfestlichkeit geschlossen.

So wurde denn heute auf der weiten Fläche des ikarischen
Gebietes, fast eine Million neuer Bürger geweiht; alle zur sel-
bigen Stunde, in den sechszig Gemeinden der Hauptstadt und
in den eintausend Gemeinden des Reiches. Die unsterbliche
Majestät des Volkes hatte somit wieder neue Vergegenwärtiger
bekommen.

Auf dem Rückwege sah ich bereits großartige Vorkehrungen
zur Feier des Jahresfestes der Revolution; die morgende Cere-
monie wird ein getreues Abbild dieses geschichtlichen Ereignisses
liefern, höre ich. Schon organisiren sich die zwei Schaaren,
deren eine die einstige Königsgarde, die andere die Volksmassen
darzustellen haben wird. Die Geschwader, die Banden, die Pa-
trouillen stellen sich zusammen und bekommen das Losungswort.
Man vertheilt die Posten und Rollen; Jkar der Ordner und
seine Generale einerseits, Lixdox und Chloramide andererseits.
Auch an Material für die Barrikaden fehlt es nicht. Auf dem
Gefilde der Empörung, neben dem alten gewaltigen Glocken-
thurm, der in der Frühe des 13. Juni 1782 Sturm läutete
( dies ist, wohlgemerkt, die einzige Thurmglocke, die noch aus der
bösen Vorzeit übrig gelassen worden ) , erheben sich schon heute
Steinwälle. Auch das Bild des alten Königspalastes, worin
die Landesmutter Chloramida, wie ihre Schmeichler das be-
dauerliche, junge, schöne Weib genannt haben, sich aufhielt; auch
dieser Palast, sage ich, steht bereits in Nachahmung von Holz
auf einem Ende des Siegesfeldes. Kurz, Alles ist ange-
ordnet.

Der Sonnenuntergang ist prachtvoll, verspricht gutes Wetter
auf morgen und übermorgen. Walmor sagt mir, das National-
fest währe zwei Tage.

[Ende Spaltensatz]

( Fortsetzung folgt ) .



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Als die Musik ( in Jkarien wird bekanntlich bei den Volks- versammlungen zu politisch=gesellschaftlichem Zwecke musicirt, wie in andern Ländern in der Kirche ) aufgehört, eröffnete der Prä- fident die Sitzung und gab das Wort einem Magistratsmitgliede, welches eine kurze paßliche Rede sprach. Hierauf begann der Sekretär den Namensabruf der neuen Bürger und ihrer Gevat- tern. Präsident und die übrigen Beisitzer des Amtstisches leg- ten alsdann einer durch's Loos bestimmten Anzahl dieser jun- gen Männer ( etwa zwanzig ) über Verfassung und Bürgerpflich- ten wie Bürgerrechte, die gebührenden Fragen vor. Ueberflüssig ist es, wenn ich bemerke, daß alle Antworten mit erfreulichster Kenntniß und würdigster Zuversicht aussielen. 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Schon organisiren sich die zwei Schaaren, deren eine die einstige Königsgarde, die andere die Volksmassen darzustellen haben wird. Die Geschwader, die Banden, die Pa- trouillen stellen sich zusammen und bekommen das Losungswort. Man vertheilt die Posten und Rollen; Jkar der Ordner und seine Generale einerseits, Lixdox und Chloramide andererseits. Auch an Material für die Barrikaden fehlt es nicht. Auf dem Gefilde der Empörung, neben dem alten gewaltigen Glocken- thurm, der in der Frühe des 13. Juni 1782 Sturm läutete ( dies ist, wohlgemerkt, die einzige Thurmglocke, die noch aus der bösen Vorzeit übrig gelassen worden ) , erheben sich schon heute Steinwälle. Auch das Bild des alten Königspalastes, worin die Landesmutter Chloramida, wie ihre Schmeichler das be- dauerliche, junge, schöne Weib genannt haben, sich aufhielt; auch dieser Palast, sage ich, steht bereits in Nachahmung von Holz auf einem Ende des Siegesfeldes. Kurz, Alles ist ange- ordnet. 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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 12. Lieferung, Nr. 1. Berlin, 5. Dezember 1874, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social1201_1874/7>, abgerufen am 03.12.2024.