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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 10. Lieferung, Nr. 5. Berlin, 31. Oktober 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 292
[Beginn Spaltensatz] Der Löwe stieß ein Gebrüll aus und drehte sich gegen seinen
Feind um, doch dieser war in demselben Augenblick über seinen
Rücken hinweg auf die andere Seite gesprungen, und ein nener
Schlag mit dem Knüppel machte, daß der Löwe vor Schmerz
brüllte. Bevor er aber seinen Angreifer erfassen konnte, befand
sich dieser bereits außerhalb seines Bereichs.

Die Bewegungen des Löwen waren vorsichtiger als zuerst.
Doch hatte es keinen Anschein, als ob er geneigt wäre, den
Kampf aufzugeben, denn er kroch, sich krümmend und windend,
langsam vorwärts, zu einem zweiten Sprung auf seinen behenden
Gegner bereit. Beide schienen alle mögliche Vorsicht aufzubieten,
um einander einen Vortheil abzugewinnen. Wenn der Löwe dem
menschlichen Ungeheuer von der Seite beizukommen suchte, so
nahm dieses augenblicklich eine andere Stellung ein, wobei es
immer dieselbe Entfernug beizubehalten wußte. So vergingen
mehrere Minuten, bis der Löwe seinen zweiten Sprung machte,
der aber nicht besser ausfiel, als der erste, indem er nur Hiebe
davon trug. Dieselbe Seene wiederholte sich noch zweimal mit
demselben Erfolge, worauf der Löwe, der zuletzt stark blutete, es
für gut fand, den Kampfplatz zu verlassen und sich in das Jungle
zurückzuziehen.

Das Ungeheuer schien seinen Triumph mit großer Befrie-
digung zu genießen, denn es sprang wie toll auf dem offenen
Platze umher, schwang seinen Knüttel und ließ wenigstens zehn-
mal sein Khi=yah ertönen. Dann warf er den Knüttel weg und
that einen neuen tiefen Zug aus der Quelle.

Jetzt war der Augenblick gekommen, wo wir fürchten muß-
ten, von dem Ungeheuer zwischen den Aesten entdeckt zu werden.
Unsere Besorgnisse waren nur zu wohl begründet, denn als es
seinen Kopf von der Wasserfläche erhob, bemerkten wir sogleich,
daß es uns gesehen hatte. Mit einem Wuthgeschrei sprang es
empor und gegen den Baum, auf dem wir saßen.

Es blieb uns jetzt nur wenig Zeit zum Nachdenken. Wir
mußten entweder dieses wilde, halbmenschliche Wesen todtschießen,
oder über uns selbst das Schlimmste ergehen lassen. Wilson
gewann zuerst seine Geistesgegenwart wieder, denn er brachte
sein Gewehr an die Schulter und feuerte. Es war nicht sogleich
möglich, Gewißheit darüber zu erlangen, ob der Schuß getroffen
oder nicht, denn das riefige Ungeheuer machte einen Sprung in
die Höhe, welcher es in unsere unmittelbare Nähe brachte, indem
es mit der einen Hand einen Ast erfaßt hatte, während es mit
der andern Wilsons vorgehaltenes Gewehr zu ergreifen suchte.
Jn diesem Augenblicke schoß ich auch meine Flinte los; wie ich
aber in meiner Aufregung gezielt hatte, weiß ich nicht mehr.
Jedenfalls ließ das Ungeheuer sogleich seinen Halt fahren und
fiel auf den Boden, wo es sich krümmte nnd stöhnte, wie ein
menschliches Wesen. Nach wenigen Minuten hatte es sein Leben
ausgehaucht. Wie wir später, als wir die Haut des Thieres
zum Schiffe brachten, vom Kapitän erfuhren, war es ein Gorilla,
einer jener großen Affen, welche in mancher Beziehung so viele
Aehnlichkeit mit den Menschen zeigen.



Am Starnbergersee.

Dort an den bairischen Alpen hält sich der junge König von
Baiern auf, dort musieirt, malt, liebt und jagt er trotzt dem ge-
einten deutschen Reich und der preußischen Pickelhaube. Der
junge Mann fühlt sich dort jedenfalls viel wohler, als in Mün-
chen, wo er in Wehmuth die ritterlichen Raupenhelme seiner Sol-
daten betrachtet, die nun auch bald der Pickelhaube zum Opfer
fallen. Die Zeiten sind veränderlich -- die alten Ritterburgen
um Starnberg sind gefallen, weshalb sollen nicht auch die Rau-
penhelme fallen. Baiern wird ja so wie so schon borussifizirt.

Auf den alten Schlössern am Starnbergersee hielten sich die
Baiernfürsten immer gern auf und sahen oft genug hohe Besuche,
selbst den der deutschen Kaiser. Auch die Ruinen verfallener
Klöster starren uns dort an. Ritterthum und Pfaffenthum wucher-
ten üppig an den herrlichen Gestaden des Alpensees.

Die Gegend trägt das Gepräge friedsamer Heiterkeit, lächeln-
der Milde. Weiche Hügel schmiegen sich traulich Brust an Brust,
volle Buchenwälder spenden labende Schatten, auf den Höhen,
[Spaltenumbruch] einzelne Eichen zeigen knorrig ihre gedrungene Kraft, der weite
See schlummert leuchtend im Schooße des grünen Gestades, das
Hochgebirge blauet märchenhaft im Süden und die Soune zau-
bert goldene Rosen auf die klaren Wellen. Darin spiegelt sich
seit den fernen, fernen Tagen das Schlößlein Garatshausen, ein
schlichter Bau mit vier Eckthürmen, der Graben mit der Zug-
brücke, die Mauern mit den niedern Rundthürmen umschließen
es heimelig, grüne Ranken klettern kühn als erobernde Gesellen
an der Feste hinan. Da mag das Heimwesen gedeihen, das ge-
bundene, gläubig umhüllte knospenhafte Leben.

Das Gedankenbild zerreißt vor kreischendem Schreien, wie
ein zartes Vögelein von gemeinen Tönen verscheucht wird.

An meinen Nachen stößt ein zweiter an, in demselben trifft
eben eine junge Frau mit krausem schwarzen Haar und geboge-
ner Nase Anstalt in Ohnmacht zu fallen. Zugleich zieht ein
kräftiger junger Schiffer ein mir fabelhaftes Geschöpf aus dem
Wasser. Letzteres entpuppt sich als Herz Veitel, der heute seine
Hochzeit feiert. Er hat in Pferde= und Menschenfleisch gehan-
delt, in erlanbte und unerlaubte Dinge seine Habichtsnase ge-
steckt, bis diese kupferfarben geworden und die stechenden Augen
blöde. Mehr als ein halbes Jahrhundert beugte Herz Veitels
niemals einer Edeltanne gleichende Gestalt völlig krumm. Aber
er hat Geld und für Geld kauft er sich die junge Sarah. Zur
Feier der Hochzeit ist er mit ihr, per Eisenbahn, nach Starn-
berg gefahren, hat einen Nachen bestiegen und wollte nach be-
endeter Seefahrt galant in den Hintergrund treten, um die Da-
men voraus zu lassen, aber die Grazien sind niemals an Herz
Veitels Wiege gestanden, und zur Strafe dafür, daß er aus der
Rolle fiel, stürzt er in den See hinab. -- Sarah hat ihren Veitel
wieder, aber die goldene Brille, durch die er ihre Reize bewun-
derte, ist in den Händen der Wassernixen geblieben, und die
junge Frau bestürmt den braven Schiffer, daß er auch die gol-
dene Brille rette.

O neunzehntes Jahrhundert du hast mich wieder!

Verschwunden wie ein Nebelbild sind blonde Kaisertöchter,
mannhafte Fürsten, gelehrte Mönche, sittige Jungfrauen und
Recken unverzagt, selbst die Gegend hat sich mächtig verändert --
die Gegenwart gehört dem pfennigfuchsenden, schachernden Ge-
schlechte.

Aus dem alten verlassenen Schlosse schaut der Rentamts-
Oberschreiber mit seinen Kattunüberärmeln zum Schutze des
schlechten Rockes, auf die vielen häßlichen, kleinen, neuen Häuser,
die wie Pilze aufschießen und in ihrer gradlinigen Regelmäßig-
keit die widrigste Carrikatur einer Stadt bilden würden, wenn
nicht die grünen Bäume und die dazwischen verstreuten Gärten
das Auge versöhnten. Ein Dampfzug braust heran und entleert
sich seiner Fracht. Der kleine Vapore raucht am Ufer zur Ab-
fahrt bereit. Ein verworrener durch Mischung beinahe farblos
gewordener Knäuel wälzt sich an Bord.

" O, Kismet!" auch ich steige mit ein. Reisegewohnheit und
rechtzeitig angebrachte Püffe helfen mir den Platz am Radkasten
erringen, an dem man den Rücken geschützt hat und vor Sonne
wie Regen bewahrt ist. Das Auge, das Ohr und der Geruchs-
sinn sind gleichmäßig beleidigt. Mir gegenüber hat sich ein
Schimpanse aufgepflanzt, der ohne seine Menschwerdung abzu-
warten, Kleider anzog; Kinder schreien, Hunde kläffen, Jüdinnen
näseln und die Maschine schwitzt übelriechendes Oel. Allmählich
gewöhnt sich indessen die so häufig gequälte Menschennatur auch
daran, lieblich und rauh, lachen und düster ziehen die Ufer vor-
über -- eine frische Seebrise küßt linde die Wangen.

Die Zeiten sind veränderlich! Die bairischen Raupenhelme
fallen vor der Pickelhaube; Ritterthum und Pfaffenthum, sind
dem Capitalismus, dem modernen Judenthum zum Opfer ge-
fallen. -- Wir bedauern weder den Raupenhelm, noch das Rit-
ter- und Pfaffenthum. Aber die Zeit kommt, wo am Starn-
bergersee frische und freie Arbeiter die Herrscher sein werden, wie
überall und wo die Capitalwirthschaft, der Schacher und all' der
Schmutz des 19. Jahrhunderts sich mit dem Ritterthum, dem
Pfaffenthum und dem Raupenhelm vereinigen werden und frohe
Menschen über all diesen verschwundenen Spuk nur ein achsel-
zuckendes Erinnerungslächeln machen werden.

[Ende Spaltensatz]

Jnhalt der 10. Lieferung. Nr. 5. 1. Zur Kinderarbeit in den Fabriken. -- 2. Die Reise nach Jkarien. ( Roman von Cabet. ) -- 3. Die
Pariser Diamantenbörse. -- 4. Der Kampf zwischen einem Löwen und einem Gorilla. -- 5. Am Starnbergersee.



Druck und Verlag von C. Jhring's Nfgr. in Berlin, Dresdenerstraße 84. -- Verantwortlich für die Redaction: L. Pfeiffer in Berlin.

Zur Unterhaltung und Belehrung. 292
[Beginn Spaltensatz] Der Löwe stieß ein Gebrüll aus und drehte sich gegen seinen
Feind um, doch dieser war in demselben Augenblick über seinen
Rücken hinweg auf die andere Seite gesprungen, und ein nener
Schlag mit dem Knüppel machte, daß der Löwe vor Schmerz
brüllte. Bevor er aber seinen Angreifer erfassen konnte, befand
sich dieser bereits außerhalb seines Bereichs.

Die Bewegungen des Löwen waren vorsichtiger als zuerst.
Doch hatte es keinen Anschein, als ob er geneigt wäre, den
Kampf aufzugeben, denn er kroch, sich krümmend und windend,
langsam vorwärts, zu einem zweiten Sprung auf seinen behenden
Gegner bereit. Beide schienen alle mögliche Vorsicht aufzubieten,
um einander einen Vortheil abzugewinnen. Wenn der Löwe dem
menschlichen Ungeheuer von der Seite beizukommen suchte, so
nahm dieses augenblicklich eine andere Stellung ein, wobei es
immer dieselbe Entfernug beizubehalten wußte. So vergingen
mehrere Minuten, bis der Löwe seinen zweiten Sprung machte,
der aber nicht besser ausfiel, als der erste, indem er nur Hiebe
davon trug. Dieselbe Seene wiederholte sich noch zweimal mit
demselben Erfolge, worauf der Löwe, der zuletzt stark blutete, es
für gut fand, den Kampfplatz zu verlassen und sich in das Jungle
zurückzuziehen.

Das Ungeheuer schien seinen Triumph mit großer Befrie-
digung zu genießen, denn es sprang wie toll auf dem offenen
Platze umher, schwang seinen Knüttel und ließ wenigstens zehn-
mal sein Khi=yah ertönen. Dann warf er den Knüttel weg und
that einen neuen tiefen Zug aus der Quelle.

Jetzt war der Augenblick gekommen, wo wir fürchten muß-
ten, von dem Ungeheuer zwischen den Aesten entdeckt zu werden.
Unsere Besorgnisse waren nur zu wohl begründet, denn als es
seinen Kopf von der Wasserfläche erhob, bemerkten wir sogleich,
daß es uns gesehen hatte. Mit einem Wuthgeschrei sprang es
empor und gegen den Baum, auf dem wir saßen.

Es blieb uns jetzt nur wenig Zeit zum Nachdenken. Wir
mußten entweder dieses wilde, halbmenschliche Wesen todtschießen,
oder über uns selbst das Schlimmste ergehen lassen. Wilson
gewann zuerst seine Geistesgegenwart wieder, denn er brachte
sein Gewehr an die Schulter und feuerte. Es war nicht sogleich
möglich, Gewißheit darüber zu erlangen, ob der Schuß getroffen
oder nicht, denn das riefige Ungeheuer machte einen Sprung in
die Höhe, welcher es in unsere unmittelbare Nähe brachte, indem
es mit der einen Hand einen Ast erfaßt hatte, während es mit
der andern Wilsons vorgehaltenes Gewehr zu ergreifen suchte.
Jn diesem Augenblicke schoß ich auch meine Flinte los; wie ich
aber in meiner Aufregung gezielt hatte, weiß ich nicht mehr.
Jedenfalls ließ das Ungeheuer sogleich seinen Halt fahren und
fiel auf den Boden, wo es sich krümmte nnd stöhnte, wie ein
menschliches Wesen. Nach wenigen Minuten hatte es sein Leben
ausgehaucht. Wie wir später, als wir die Haut des Thieres
zum Schiffe brachten, vom Kapitän erfuhren, war es ein Gorilla,
einer jener großen Affen, welche in mancher Beziehung so viele
Aehnlichkeit mit den Menschen zeigen.



Am Starnbergersee.

Dort an den bairischen Alpen hält sich der junge König von
Baiern auf, dort musieirt, malt, liebt und jagt er trotzt dem ge-
einten deutschen Reich und der preußischen Pickelhaube. Der
junge Mann fühlt sich dort jedenfalls viel wohler, als in Mün-
chen, wo er in Wehmuth die ritterlichen Raupenhelme seiner Sol-
daten betrachtet, die nun auch bald der Pickelhaube zum Opfer
fallen. Die Zeiten sind veränderlich — die alten Ritterburgen
um Starnberg sind gefallen, weshalb sollen nicht auch die Rau-
penhelme fallen. Baiern wird ja so wie so schon borussifizirt.

Auf den alten Schlössern am Starnbergersee hielten sich die
Baiernfürsten immer gern auf und sahen oft genug hohe Besuche,
selbst den der deutschen Kaiser. Auch die Ruinen verfallener
Klöster starren uns dort an. Ritterthum und Pfaffenthum wucher-
ten üppig an den herrlichen Gestaden des Alpensees.

Die Gegend trägt das Gepräge friedsamer Heiterkeit, lächeln-
der Milde. Weiche Hügel schmiegen sich traulich Brust an Brust,
volle Buchenwälder spenden labende Schatten, auf den Höhen,
[Spaltenumbruch] einzelne Eichen zeigen knorrig ihre gedrungene Kraft, der weite
See schlummert leuchtend im Schooße des grünen Gestades, das
Hochgebirge blauet märchenhaft im Süden und die Soune zau-
bert goldene Rosen auf die klaren Wellen. Darin spiegelt sich
seit den fernen, fernen Tagen das Schlößlein Garatshausen, ein
schlichter Bau mit vier Eckthürmen, der Graben mit der Zug-
brücke, die Mauern mit den niedern Rundthürmen umschließen
es heimelig, grüne Ranken klettern kühn als erobernde Gesellen
an der Feste hinan. Da mag das Heimwesen gedeihen, das ge-
bundene, gläubig umhüllte knospenhafte Leben.

Das Gedankenbild zerreißt vor kreischendem Schreien, wie
ein zartes Vögelein von gemeinen Tönen verscheucht wird.

An meinen Nachen stößt ein zweiter an, in demselben trifft
eben eine junge Frau mit krausem schwarzen Haar und geboge-
ner Nase Anstalt in Ohnmacht zu fallen. Zugleich zieht ein
kräftiger junger Schiffer ein mir fabelhaftes Geschöpf aus dem
Wasser. Letzteres entpuppt sich als Herz Veitel, der heute seine
Hochzeit feiert. Er hat in Pferde= und Menschenfleisch gehan-
delt, in erlanbte und unerlaubte Dinge seine Habichtsnase ge-
steckt, bis diese kupferfarben geworden und die stechenden Augen
blöde. Mehr als ein halbes Jahrhundert beugte Herz Veitels
niemals einer Edeltanne gleichende Gestalt völlig krumm. Aber
er hat Geld und für Geld kauft er sich die junge Sarah. Zur
Feier der Hochzeit ist er mit ihr, per Eisenbahn, nach Starn-
berg gefahren, hat einen Nachen bestiegen und wollte nach be-
endeter Seefahrt galant in den Hintergrund treten, um die Da-
men voraus zu lassen, aber die Grazien sind niemals an Herz
Veitels Wiege gestanden, und zur Strafe dafür, daß er aus der
Rolle fiel, stürzt er in den See hinab. — Sarah hat ihren Veitel
wieder, aber die goldene Brille, durch die er ihre Reize bewun-
derte, ist in den Händen der Wassernixen geblieben, und die
junge Frau bestürmt den braven Schiffer, daß er auch die gol-
dene Brille rette.

O neunzehntes Jahrhundert du hast mich wieder!

Verschwunden wie ein Nebelbild sind blonde Kaisertöchter,
mannhafte Fürsten, gelehrte Mönche, sittige Jungfrauen und
Recken unverzagt, selbst die Gegend hat sich mächtig verändert —
die Gegenwart gehört dem pfennigfuchsenden, schachernden Ge-
schlechte.

Aus dem alten verlassenen Schlosse schaut der Rentamts-
Oberschreiber mit seinen Kattunüberärmeln zum Schutze des
schlechten Rockes, auf die vielen häßlichen, kleinen, neuen Häuser,
die wie Pilze aufschießen und in ihrer gradlinigen Regelmäßig-
keit die widrigste Carrikatur einer Stadt bilden würden, wenn
nicht die grünen Bäume und die dazwischen verstreuten Gärten
das Auge versöhnten. Ein Dampfzug braust heran und entleert
sich seiner Fracht. Der kleine Vapore raucht am Ufer zur Ab-
fahrt bereit. Ein verworrener durch Mischung beinahe farblos
gewordener Knäuel wälzt sich an Bord.

„ O, Kismet!“ auch ich steige mit ein. Reisegewohnheit und
rechtzeitig angebrachte Püffe helfen mir den Platz am Radkasten
erringen, an dem man den Rücken geschützt hat und vor Sonne
wie Regen bewahrt ist. Das Auge, das Ohr und der Geruchs-
sinn sind gleichmäßig beleidigt. Mir gegenüber hat sich ein
Schimpanse aufgepflanzt, der ohne seine Menschwerdung abzu-
warten, Kleider anzog; Kinder schreien, Hunde kläffen, Jüdinnen
näseln und die Maschine schwitzt übelriechendes Oel. Allmählich
gewöhnt sich indessen die so häufig gequälte Menschennatur auch
daran, lieblich und rauh, lachen und düster ziehen die Ufer vor-
über — eine frische Seebrise küßt linde die Wangen.

Die Zeiten sind veränderlich! Die bairischen Raupenhelme
fallen vor der Pickelhaube; Ritterthum und Pfaffenthum, sind
dem Capitalismus, dem modernen Judenthum zum Opfer ge-
fallen. — Wir bedauern weder den Raupenhelm, noch das Rit-
ter- und Pfaffenthum. Aber die Zeit kommt, wo am Starn-
bergersee frische und freie Arbeiter die Herrscher sein werden, wie
überall und wo die Capitalwirthschaft, der Schacher und all' der
Schmutz des 19. Jahrhunderts sich mit dem Ritterthum, dem
Pfaffenthum und dem Raupenhelm vereinigen werden und frohe
Menschen über all diesen verschwundenen Spuk nur ein achsel-
zuckendes Erinnerungslächeln machen werden.

[Ende Spaltensatz]

Jnhalt der 10. Lieferung. Nr. 5. 1. Zur Kinderarbeit in den Fabriken. — 2. Die Reise nach Jkarien. ( Roman von Cabet. ) — 3. Die
Pariser Diamantenbörse. — 4. Der Kampf zwischen einem Löwen und einem Gorilla. — 5. Am Starnbergersee.



Druck und Verlag von C. Jhring's Nfgr. in Berlin, Dresdenerstraße 84. — Verantwortlich für die Redaction: L. Pfeiffer in Berlin.

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[292/0008] Zur Unterhaltung und Belehrung. 292 Der Löwe stieß ein Gebrüll aus und drehte sich gegen seinen Feind um, doch dieser war in demselben Augenblick über seinen Rücken hinweg auf die andere Seite gesprungen, und ein nener Schlag mit dem Knüppel machte, daß der Löwe vor Schmerz brüllte. Bevor er aber seinen Angreifer erfassen konnte, befand sich dieser bereits außerhalb seines Bereichs. Die Bewegungen des Löwen waren vorsichtiger als zuerst. Doch hatte es keinen Anschein, als ob er geneigt wäre, den Kampf aufzugeben, denn er kroch, sich krümmend und windend, langsam vorwärts, zu einem zweiten Sprung auf seinen behenden Gegner bereit. Beide schienen alle mögliche Vorsicht aufzubieten, um einander einen Vortheil abzugewinnen. Wenn der Löwe dem menschlichen Ungeheuer von der Seite beizukommen suchte, so nahm dieses augenblicklich eine andere Stellung ein, wobei es immer dieselbe Entfernug beizubehalten wußte. So vergingen mehrere Minuten, bis der Löwe seinen zweiten Sprung machte, der aber nicht besser ausfiel, als der erste, indem er nur Hiebe davon trug. Dieselbe Seene wiederholte sich noch zweimal mit demselben Erfolge, worauf der Löwe, der zuletzt stark blutete, es für gut fand, den Kampfplatz zu verlassen und sich in das Jungle zurückzuziehen. Das Ungeheuer schien seinen Triumph mit großer Befrie- digung zu genießen, denn es sprang wie toll auf dem offenen Platze umher, schwang seinen Knüttel und ließ wenigstens zehn- mal sein Khi=yah ertönen. Dann warf er den Knüttel weg und that einen neuen tiefen Zug aus der Quelle. Jetzt war der Augenblick gekommen, wo wir fürchten muß- ten, von dem Ungeheuer zwischen den Aesten entdeckt zu werden. Unsere Besorgnisse waren nur zu wohl begründet, denn als es seinen Kopf von der Wasserfläche erhob, bemerkten wir sogleich, daß es uns gesehen hatte. Mit einem Wuthgeschrei sprang es empor und gegen den Baum, auf dem wir saßen. Es blieb uns jetzt nur wenig Zeit zum Nachdenken. Wir mußten entweder dieses wilde, halbmenschliche Wesen todtschießen, oder über uns selbst das Schlimmste ergehen lassen. Wilson gewann zuerst seine Geistesgegenwart wieder, denn er brachte sein Gewehr an die Schulter und feuerte. Es war nicht sogleich möglich, Gewißheit darüber zu erlangen, ob der Schuß getroffen oder nicht, denn das riefige Ungeheuer machte einen Sprung in die Höhe, welcher es in unsere unmittelbare Nähe brachte, indem es mit der einen Hand einen Ast erfaßt hatte, während es mit der andern Wilsons vorgehaltenes Gewehr zu ergreifen suchte. Jn diesem Augenblicke schoß ich auch meine Flinte los; wie ich aber in meiner Aufregung gezielt hatte, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls ließ das Ungeheuer sogleich seinen Halt fahren und fiel auf den Boden, wo es sich krümmte nnd stöhnte, wie ein menschliches Wesen. Nach wenigen Minuten hatte es sein Leben ausgehaucht. Wie wir später, als wir die Haut des Thieres zum Schiffe brachten, vom Kapitän erfuhren, war es ein Gorilla, einer jener großen Affen, welche in mancher Beziehung so viele Aehnlichkeit mit den Menschen zeigen. Am Starnbergersee. Dort an den bairischen Alpen hält sich der junge König von Baiern auf, dort musieirt, malt, liebt und jagt er trotzt dem ge- einten deutschen Reich und der preußischen Pickelhaube. Der junge Mann fühlt sich dort jedenfalls viel wohler, als in Mün- chen, wo er in Wehmuth die ritterlichen Raupenhelme seiner Sol- daten betrachtet, die nun auch bald der Pickelhaube zum Opfer fallen. Die Zeiten sind veränderlich — die alten Ritterburgen um Starnberg sind gefallen, weshalb sollen nicht auch die Rau- penhelme fallen. Baiern wird ja so wie so schon borussifizirt. Auf den alten Schlössern am Starnbergersee hielten sich die Baiernfürsten immer gern auf und sahen oft genug hohe Besuche, selbst den der deutschen Kaiser. Auch die Ruinen verfallener Klöster starren uns dort an. Ritterthum und Pfaffenthum wucher- ten üppig an den herrlichen Gestaden des Alpensees. Die Gegend trägt das Gepräge friedsamer Heiterkeit, lächeln- der Milde. Weiche Hügel schmiegen sich traulich Brust an Brust, volle Buchenwälder spenden labende Schatten, auf den Höhen, einzelne Eichen zeigen knorrig ihre gedrungene Kraft, der weite See schlummert leuchtend im Schooße des grünen Gestades, das Hochgebirge blauet märchenhaft im Süden und die Soune zau- bert goldene Rosen auf die klaren Wellen. Darin spiegelt sich seit den fernen, fernen Tagen das Schlößlein Garatshausen, ein schlichter Bau mit vier Eckthürmen, der Graben mit der Zug- brücke, die Mauern mit den niedern Rundthürmen umschließen es heimelig, grüne Ranken klettern kühn als erobernde Gesellen an der Feste hinan. Da mag das Heimwesen gedeihen, das ge- bundene, gläubig umhüllte knospenhafte Leben. Das Gedankenbild zerreißt vor kreischendem Schreien, wie ein zartes Vögelein von gemeinen Tönen verscheucht wird. An meinen Nachen stößt ein zweiter an, in demselben trifft eben eine junge Frau mit krausem schwarzen Haar und geboge- ner Nase Anstalt in Ohnmacht zu fallen. Zugleich zieht ein kräftiger junger Schiffer ein mir fabelhaftes Geschöpf aus dem Wasser. Letzteres entpuppt sich als Herz Veitel, der heute seine Hochzeit feiert. Er hat in Pferde= und Menschenfleisch gehan- delt, in erlanbte und unerlaubte Dinge seine Habichtsnase ge- steckt, bis diese kupferfarben geworden und die stechenden Augen blöde. Mehr als ein halbes Jahrhundert beugte Herz Veitels niemals einer Edeltanne gleichende Gestalt völlig krumm. Aber er hat Geld und für Geld kauft er sich die junge Sarah. Zur Feier der Hochzeit ist er mit ihr, per Eisenbahn, nach Starn- berg gefahren, hat einen Nachen bestiegen und wollte nach be- endeter Seefahrt galant in den Hintergrund treten, um die Da- men voraus zu lassen, aber die Grazien sind niemals an Herz Veitels Wiege gestanden, und zur Strafe dafür, daß er aus der Rolle fiel, stürzt er in den See hinab. — Sarah hat ihren Veitel wieder, aber die goldene Brille, durch die er ihre Reize bewun- derte, ist in den Händen der Wassernixen geblieben, und die junge Frau bestürmt den braven Schiffer, daß er auch die gol- dene Brille rette. O neunzehntes Jahrhundert du hast mich wieder! Verschwunden wie ein Nebelbild sind blonde Kaisertöchter, mannhafte Fürsten, gelehrte Mönche, sittige Jungfrauen und Recken unverzagt, selbst die Gegend hat sich mächtig verändert — die Gegenwart gehört dem pfennigfuchsenden, schachernden Ge- schlechte. Aus dem alten verlassenen Schlosse schaut der Rentamts- Oberschreiber mit seinen Kattunüberärmeln zum Schutze des schlechten Rockes, auf die vielen häßlichen, kleinen, neuen Häuser, die wie Pilze aufschießen und in ihrer gradlinigen Regelmäßig- keit die widrigste Carrikatur einer Stadt bilden würden, wenn nicht die grünen Bäume und die dazwischen verstreuten Gärten das Auge versöhnten. Ein Dampfzug braust heran und entleert sich seiner Fracht. Der kleine Vapore raucht am Ufer zur Ab- fahrt bereit. Ein verworrener durch Mischung beinahe farblos gewordener Knäuel wälzt sich an Bord. „ O, Kismet!“ auch ich steige mit ein. Reisegewohnheit und rechtzeitig angebrachte Püffe helfen mir den Platz am Radkasten erringen, an dem man den Rücken geschützt hat und vor Sonne wie Regen bewahrt ist. Das Auge, das Ohr und der Geruchs- sinn sind gleichmäßig beleidigt. Mir gegenüber hat sich ein Schimpanse aufgepflanzt, der ohne seine Menschwerdung abzu- warten, Kleider anzog; Kinder schreien, Hunde kläffen, Jüdinnen näseln und die Maschine schwitzt übelriechendes Oel. Allmählich gewöhnt sich indessen die so häufig gequälte Menschennatur auch daran, lieblich und rauh, lachen und düster ziehen die Ufer vor- über — eine frische Seebrise küßt linde die Wangen. Die Zeiten sind veränderlich! Die bairischen Raupenhelme fallen vor der Pickelhaube; Ritterthum und Pfaffenthum, sind dem Capitalismus, dem modernen Judenthum zum Opfer ge- fallen. — Wir bedauern weder den Raupenhelm, noch das Rit- ter- und Pfaffenthum. Aber die Zeit kommt, wo am Starn- bergersee frische und freie Arbeiter die Herrscher sein werden, wie überall und wo die Capitalwirthschaft, der Schacher und all' der Schmutz des 19. Jahrhunderts sich mit dem Ritterthum, dem Pfaffenthum und dem Raupenhelm vereinigen werden und frohe Menschen über all diesen verschwundenen Spuk nur ein achsel- zuckendes Erinnerungslächeln machen werden. Jnhalt der 10. Lieferung. Nr. 5. 1. Zur Kinderarbeit in den Fabriken. — 2. Die Reise nach Jkarien. ( Roman von Cabet. ) — 3. Die Pariser Diamantenbörse. — 4. Der Kampf zwischen einem Löwen und einem Gorilla. — 5. Am Starnbergersee. Druck und Verlag von C. Jhring's Nfgr. in Berlin, Dresdenerstraße 84. — Verantwortlich für die Redaction: L. Pfeiffer in Berlin.

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 10. Lieferung, Nr. 5. Berlin, 31. Oktober 1874, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social1005_1874/8>, abgerufen am 06.06.2024.