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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 10. Lieferung, Nr. 5. Berlin, 31. Oktober 1874.

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10. Lief. Nr. 5.Berlin, 31. October 1874.2. Jahrgang.
Social-politische Blätter
zur
Unterhaltung u Belehrung
für
die deutschen Arbeiter


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Bestellungen
nehmen alle Postanstalten an; in Berlin
wird bei den Zeitungsspediteuren und
dem Verleger, C. Jhring's Nfgr., Dres-
denerstraße 84, abonnirt.

[Spaltenumbruch]

Eigenthum der Lassalleaner.

[Spaltenumbruch]

Diese Blätter
erscheinen regelmäßig jeden Sonnabend
und kosten auf der Post bestellt pro Quar-
tal 10 Sgr.; ein Monatsheft durch Col-
portage bezogen 4 Sgr.

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Zur Kinderarbeit in den Fabriken.

Wir geben in Nachstehendem eine kurze Skizze zur
Kinderarbeit in den Fabriken Englands, die einer von
v. Dr. Holtzendorff vor längerer Zeit gehaltenen Rede
entnommen ist. Dr. v. Holtzendorff sagt:

Jn England sind gewisse Fabrikationszweige in Bezug
auf die Beschäftigung von Kindern an gesetzliche, dieselben
schützende Bestimmungen, an die sogenannten Factory Acts,
gebunden, welche Kinder bis zum 13. resp. 13. bis 18.
Jahre in unbeschränkter Weise zur Fabrikarbeit zu benutzen
verbieten und ganz spezielle einschränkende Vorschriften
machen. Jm Allgemeinen rechnet man das Kindesalter
aber nur bis zum 13. Jahre und solcher Kinder unter 13
Jahren werden etwa 400--500,000 in den englischen Fa-
briken beschäftigt. Jm Umkreis von 150 engl. Meilen, in
und bei Manchester arbeiten, 500 Knaben unter 12 Jah-
ren. 3000 Knaben sind bei der Tabackfabrikation beschäftigt,
15,000 bei der Lederwaarenindustrie, 4000 bei der Glas-
waarenfabrikation. Jn den Spitzenklöppeleien arbeiten Kin-
der von 5 bis 17 und 18 Jahren. Zur Schornsteinfege-
rei werden Knaben des zartesten Alters auf die roheste, ge-
waltsamste Weise gezwungen. Die Strumpfwaarenindustrie
beschäftigt bereits Kinder vom 3. Jahr an und zwar in
der Weise, daß meistentheils eine Verkrümmung der Fin-
ger auf Lebenszeit dabei eintritt. Die Dauer der Arbeits-
zeit ist eine verschiedene, 12--14=, 15--16stündige, ja, es
kommt vor, daß Kinder 17--18 Stunden lang in den Fa-
briken beschäftigt werden. Diejenigen Jndustriezweige, von
denen ich spreche, sind nämlich solche, welche von den Fac-
tory-Acts
nicht berührt werden. Die Commmissionen des
Parlaments haben gesehen, daß Kinder gänzlich ermattet
und erschöpft bei der Arbeit bewußtlos umsielen; ja jene
[Spaltenumbruch] glaubwürdigen Berichterstatter sagen aus, die Ueberzeit sei
als Regel zu betrachten. Eltern zwingen ihre Kinder, noch
einige Zeit vor dem Beginn der Arbeit in den Fabriken zu
erscheinen, um ihnen erleichternde Vorbereitungen an ihren
Arbeitsplätzen auszuführen, damit sie etwas später erschei-
nen und länger zu Hause bleiben können. Jn den Töpfer-
waarenfabriken zu Staffordshire müssen Kinder bei einer
Temperatur von 50 und 60° 14 Stunden lang arbeiten;
wenn sie die Fabrik verlassen, empfängt sie auf der Straße
eine Temperatur von 5 und 6°. Man hat ausgerechnet,
daß ein Knabe, der hier mit dem Umhertragen der Topf-
waaren beschästigt ist, täglich auf diese Weise eine Strecke
von etwa 5 deutschen Meilen zurücklegt. Die meisten Räume
sind nicht ventilirt. Jn Manchester giebt es dergleichen, in
denen die Luft mit feinen Baumwollentheilchen nebelartig
angefüllt ist. Schwindsucht und Verminderung der Seh-
kraft sind unausbleiblich für die darin Arbeitenden. Jn
der Nähe von Manchester kann man beobachten, daß 12
Kinder um ein Talglicht gekauert Spitzen klöppeln. --
Sonntags befällt die endlich einmal Rastenden ein todten-
ähnlicher Schlaf, der durch das schlechte Lager einer man-
gelhaften Stubendielung nicht gestört wird. Es ist constatirt,
daß Kinder oft ganze Nächte hindurch, oft 20 Stundeu lang
zu arbeiten gezwungen wurden, weil viele Eltern von
dem Schweiß ihrer Arbeit der Trunksucht fröhnen wollten.
Dieses abscheuliche Laster, das in England so ausgebreitet
ist, wirkt ansteckend auf die Kinder, und mit Schrecken be-
merkt man, daß die taumelnden Bewegungen eines ange-
trunkenen Kindes häusig zur Belustigung der Erwachsenen
dienen. Selten wird von den Kindern die Stadt oder das
Fabrikgebiet verlassen. Viele erblicken während ihres gan-
zen Lebens niemals Gottes freie Natur. Ein 15jähriges
Mädchen gab auf die Frage, was eine Lerche sei, die Ant-
wort: "Straßenwildpret"; sie hatte noch nie wo anders
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Wir geben in Nachstehendem eine kurze Skizze zur
Kinderarbeit in den Fabriken Englands, die einer von
v. Dr. Holtzendorff vor längerer Zeit gehaltenen Rede
entnommen ist. Dr. v. Holtzendorff sagt:

Jn England sind gewisse Fabrikationszweige in Bezug
auf die Beschäftigung von Kindern an gesetzliche, dieselben
schützende Bestimmungen, an die sogenannten Factory Acts,
gebunden, welche Kinder bis zum 13. resp. 13. bis 18.
Jahre in unbeschränkter Weise zur Fabrikarbeit zu benutzen
verbieten und ganz spezielle einschränkende Vorschriften
machen. Jm Allgemeinen rechnet man das Kindesalter
aber nur bis zum 13. Jahre und solcher Kinder unter 13
Jahren werden etwa 400—500,000 in den englischen Fa-
briken beschäftigt. Jm Umkreis von 150 engl. Meilen, in
und bei Manchester arbeiten, 500 Knaben unter 12 Jah-
ren. 3000 Knaben sind bei der Tabackfabrikation beschäftigt,
15,000 bei der Lederwaarenindustrie, 4000 bei der Glas-
waarenfabrikation. Jn den Spitzenklöppeleien arbeiten Kin-
der von 5 bis 17 und 18 Jahren. Zur Schornsteinfege-
rei werden Knaben des zartesten Alters auf die roheste, ge-
waltsamste Weise gezwungen. Die Strumpfwaarenindustrie
beschäftigt bereits Kinder vom 3. Jahr an und zwar in
der Weise, daß meistentheils eine Verkrümmung der Fin-
ger auf Lebenszeit dabei eintritt. Die Dauer der Arbeits-
zeit ist eine verschiedene, 12—14=, 15—16stündige, ja, es
kommt vor, daß Kinder 17—18 Stunden lang in den Fa-
briken beschäftigt werden. Diejenigen Jndustriezweige, von
denen ich spreche, sind nämlich solche, welche von den Fac-
tory-Acts
nicht berührt werden. Die Commmissionen des
Parlaments haben gesehen, daß Kinder gänzlich ermattet
und erschöpft bei der Arbeit bewußtlos umsielen; ja jene
[Spaltenumbruch] glaubwürdigen Berichterstatter sagen aus, die Ueberzeit sei
als Regel zu betrachten. Eltern zwingen ihre Kinder, noch
einige Zeit vor dem Beginn der Arbeit in den Fabriken zu
erscheinen, um ihnen erleichternde Vorbereitungen an ihren
Arbeitsplätzen auszuführen, damit sie etwas später erschei-
nen und länger zu Hause bleiben können. Jn den Töpfer-
waarenfabriken zu Staffordshire müssen Kinder bei einer
Temperatur von 50 und 60° 14 Stunden lang arbeiten;
wenn sie die Fabrik verlassen, empfängt sie auf der Straße
eine Temperatur von 5 und 6°. Man hat ausgerechnet,
daß ein Knabe, der hier mit dem Umhertragen der Topf-
waaren beschästigt ist, täglich auf diese Weise eine Strecke
von etwa 5 deutschen Meilen zurücklegt. Die meisten Räume
sind nicht ventilirt. Jn Manchester giebt es dergleichen, in
denen die Luft mit feinen Baumwollentheilchen nebelartig
angefüllt ist. Schwindsucht und Verminderung der Seh-
kraft sind unausbleiblich für die darin Arbeitenden. Jn
der Nähe von Manchester kann man beobachten, daß 12
Kinder um ein Talglicht gekauert Spitzen klöppeln. —
Sonntags befällt die endlich einmal Rastenden ein todten-
ähnlicher Schlaf, der durch das schlechte Lager einer man-
gelhaften Stubendielung nicht gestört wird. Es ist constatirt,
daß Kinder oft ganze Nächte hindurch, oft 20 Stundeu lang
zu arbeiten gezwungen wurden, weil viele Eltern von
dem Schweiß ihrer Arbeit der Trunksucht fröhnen wollten.
Dieses abscheuliche Laster, das in England so ausgebreitet
ist, wirkt ansteckend auf die Kinder, und mit Schrecken be-
merkt man, daß die taumelnden Bewegungen eines ange-
trunkenen Kindes häusig zur Belustigung der Erwachsenen
dienen. Selten wird von den Kindern die Stadt oder das
Fabrikgebiet verlassen. Viele erblicken während ihres gan-
zen Lebens niemals Gottes freie Natur. Ein 15jähriges
Mädchen gab auf die Frage, was eine Lerche sei, die Ant-
wort: „Straßenwildpret“; sie hatte noch nie wo anders
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[[285]/0001] 10. Lief. Nr. 5.Berlin, 31. October 1874.2. Jahrgang. Social-politische Blätter zur Unterhaltung u Belehrung für die deutschen Arbeiter Bestellungen nehmen alle Postanstalten an; in Berlin wird bei den Zeitungsspediteuren und dem Verleger, C. Jhring's Nfgr., Dres- denerstraße 84, abonnirt. Eigenthum der Lassalleaner. Diese Blätter erscheinen regelmäßig jeden Sonnabend und kosten auf der Post bestellt pro Quar- tal 10 Sgr.; ein Monatsheft durch Col- portage bezogen 4 Sgr. Zur Kinderarbeit in den Fabriken. Wir geben in Nachstehendem eine kurze Skizze zur Kinderarbeit in den Fabriken Englands, die einer von v. Dr. Holtzendorff vor längerer Zeit gehaltenen Rede entnommen ist. Dr. v. Holtzendorff sagt: Jn England sind gewisse Fabrikationszweige in Bezug auf die Beschäftigung von Kindern an gesetzliche, dieselben schützende Bestimmungen, an die sogenannten Factory Acts, gebunden, welche Kinder bis zum 13. resp. 13. bis 18. Jahre in unbeschränkter Weise zur Fabrikarbeit zu benutzen verbieten und ganz spezielle einschränkende Vorschriften machen. Jm Allgemeinen rechnet man das Kindesalter aber nur bis zum 13. Jahre und solcher Kinder unter 13 Jahren werden etwa 400—500,000 in den englischen Fa- briken beschäftigt. Jm Umkreis von 150 engl. Meilen, in und bei Manchester arbeiten, 500 Knaben unter 12 Jah- ren. 3000 Knaben sind bei der Tabackfabrikation beschäftigt, 15,000 bei der Lederwaarenindustrie, 4000 bei der Glas- waarenfabrikation. Jn den Spitzenklöppeleien arbeiten Kin- der von 5 bis 17 und 18 Jahren. Zur Schornsteinfege- rei werden Knaben des zartesten Alters auf die roheste, ge- waltsamste Weise gezwungen. Die Strumpfwaarenindustrie beschäftigt bereits Kinder vom 3. Jahr an und zwar in der Weise, daß meistentheils eine Verkrümmung der Fin- ger auf Lebenszeit dabei eintritt. Die Dauer der Arbeits- zeit ist eine verschiedene, 12—14=, 15—16stündige, ja, es kommt vor, daß Kinder 17—18 Stunden lang in den Fa- briken beschäftigt werden. Diejenigen Jndustriezweige, von denen ich spreche, sind nämlich solche, welche von den Fac- tory-Acts nicht berührt werden. Die Commmissionen des Parlaments haben gesehen, daß Kinder gänzlich ermattet und erschöpft bei der Arbeit bewußtlos umsielen; ja jene glaubwürdigen Berichterstatter sagen aus, die Ueberzeit sei als Regel zu betrachten. Eltern zwingen ihre Kinder, noch einige Zeit vor dem Beginn der Arbeit in den Fabriken zu erscheinen, um ihnen erleichternde Vorbereitungen an ihren Arbeitsplätzen auszuführen, damit sie etwas später erschei- nen und länger zu Hause bleiben können. Jn den Töpfer- waarenfabriken zu Staffordshire müssen Kinder bei einer Temperatur von 50 und 60° 14 Stunden lang arbeiten; wenn sie die Fabrik verlassen, empfängt sie auf der Straße eine Temperatur von 5 und 6°. Man hat ausgerechnet, daß ein Knabe, der hier mit dem Umhertragen der Topf- waaren beschästigt ist, täglich auf diese Weise eine Strecke von etwa 5 deutschen Meilen zurücklegt. Die meisten Räume sind nicht ventilirt. Jn Manchester giebt es dergleichen, in denen die Luft mit feinen Baumwollentheilchen nebelartig angefüllt ist. Schwindsucht und Verminderung der Seh- kraft sind unausbleiblich für die darin Arbeitenden. Jn der Nähe von Manchester kann man beobachten, daß 12 Kinder um ein Talglicht gekauert Spitzen klöppeln. — Sonntags befällt die endlich einmal Rastenden ein todten- ähnlicher Schlaf, der durch das schlechte Lager einer man- gelhaften Stubendielung nicht gestört wird. Es ist constatirt, daß Kinder oft ganze Nächte hindurch, oft 20 Stundeu lang zu arbeiten gezwungen wurden, weil viele Eltern von dem Schweiß ihrer Arbeit der Trunksucht fröhnen wollten. Dieses abscheuliche Laster, das in England so ausgebreitet ist, wirkt ansteckend auf die Kinder, und mit Schrecken be- merkt man, daß die taumelnden Bewegungen eines ange- trunkenen Kindes häusig zur Belustigung der Erwachsenen dienen. Selten wird von den Kindern die Stadt oder das Fabrikgebiet verlassen. Viele erblicken während ihres gan- zen Lebens niemals Gottes freie Natur. Ein 15jähriges Mädchen gab auf die Frage, was eine Lerche sei, die Ant- wort: „Straßenwildpret“; sie hatte noch nie wo anders

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 10. Lieferung, Nr. 5. Berlin, 31. Oktober 1874, S. [285]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social1005_1874/1>, abgerufen am 21.11.2024.