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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 9. Lieferung, Nr. 1. Berlin, 5. September 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 227
[Beginn Spaltensatz] Und die ganze Nacht bis zum dämmernden Tage hörte man den
unglücklichen Mann Säge und Hobel mit einem Nachdruck führen,
daß das Zimmer zitterte. Deutlich vernahm man dabei, wie
von Zeit zu Zeit aus dem Munde des Meisters Fluchwörter
drangen.

Aber seine Verzweiflung war auch gerechtfertigt. Unter
Armuth und Entbehrungen zum Jüngling herangereift, unter
Sorgen gealtert, um die schönsten Erwartungen betrogen, blieb
ihm nur eine einzige Hoffnung auf bessere Zeiten, die Hoffnung,
die er auf seine Kinder setzte und nun -- in demselben Augen-
blicke, wo sie sich realisiren sollte, kehrte ihm der einzige Sohn
kalt den Rücken.

Und doch, hätte der Alte ein wenig schärfer über die Ursache
der schändlichen Handlungsweise seines Sohnes nachgedacht, sich
selbst hätte er einen Theil der Schuld daran beimessen müssen,
weil die Erziehung Karls eine verkehrte gewesen war. Wie
viele Eltern aber gleichen hierin nicht dem ehrlichen Tischler!
Wie viele verfluchen die Saat, wozu sie selbst den ersten Samen
streuten, wie viele schreien Verwünschungen, weinen Thränen, die
sie durch eigene Fehler hervorgerufen haben!

Neumann hatte in der Erziehungs Karls hauptsächlich darin
gefehlt, daß er auf die geistige Ausbildung desselben wenig oder
gar nichts gab, daß er es litt, wie Karl den Schulunterricht fast
ganz vernachlässigte.

Und das ist eber der Fluch des Arbeiterstandes,
daß er in seiner fortgesetzten Entwürdigung jedes Jn-
teresse für geistiges Streben verliert
und dann entweder
in Befriedigung sinnlicher Begierden die rostbare Lebenszeit ver-
geudet oder dem Druck der Verhältnisse nachgiebt und unter
Schmeichelei und Heuchelei sein Dasein verjammert.

Wie viele Arbeiter geben sich nicht gleich nach dem ersten
Kampfe verloren, verkommen und steinigen ihre Wohl-
thäter
und sinken zu einer Schaar Knechte herab! Wie Wenige
machen hiervon eine Ausnahme!

Neumann ahnte freilich nicht, daß durch seine unverant-
wortliche Handlungsweise jedes natürliche Gefühl abgestumpft
würde, besonders da er von frühester Zeit an das Augenmerk
des jungen Menschen auf Erwerbung materieller Vortheile rich-
tete, weil dies nach seiner Meinung das einzige sei, was uns
Ansehen und Achtung verschaffe. Nur zu leicht faßten diese
Worte in dem Herzen des jungen Knaben Wurzel. Egoismus
und das ganze damit verbundene Heer von Fehlern entwickelten
sich und als die Folgen nothwendig auch den unglücklichen Vater
trafen, ahnte er nicht, daß er theilweise Urheber derselben sei.

Trotzdem verdiente das traurige Loos Neumanns gerade
jetzt Mitleid. Nie hatte ihm ein reiner Strahl des Glückes ge-
schienen, nie war er seines Lebens so recht von Herzen froh ge-
wesen, immer hatte er mit den bängsten Befürchtungen, mit zahl-
losen Sorgen zu kämpfen und als er endlich nach jahrelanger
Mühe seinen Hausstand gründete, gelang es ihm trotz des ange-
strengtesten Fleißes, nie ganz sorgen= und schuldenfrei zu werden.

Jeder kennt die außerordentlichen Hindernisse, mit denen der
Handwerker bei seiner Etablirung zu kämpfen hat, jeder weiß,
wie leicht er in die Krallen namentlich jüdischer Wucherer geräth,
die ihn, in steter Abhängigkeit haltend, durch den Buchstaben des
Gesetzes der Früchte seines Fleißes berauben.

Jn einer solchen Schule mußte auch Neumann leiden, und
ob auch inzwischen sein Haar geblichen war, noch immer wurde
durch die bängsten Befürchtungen seine Sorge wach gehalten,
noch immer konnte er nicht der wohlverdienten Ruhe pflegen.

Nach dem Auftritte mit seinem Sohne wirkte er mit unge-
schwächter Kraft weiter, aber jeder Zug von Frohsinn und
Heiterkeit schwand vollends aus seinem Antlitz. Verdrießlichkeit
und Eigensinn schienen darin allein noch zu leben. Theilnahm-
los war er jetzt gegen alles was nicht speciell seine nächste Um-
gebung betraf, theilnahmlos gegen das Schicksal seines undankbaren
Sohnes, dessen Briefe er uneröffnet zurücksandte und dessen Ein-
ladung zur Hochzeit er unbeantwortet ließ.

Das einzige Gefühl von Liebe, das noch in ihm lebte galt
seiner Frau, deren Zustand mit jedem Tage bedenklicher wurde.
War es der Kummer um ihren Sohn, denn eine Mutter hört
nie auf zu lieben, genug sie welkte dahin. Jn einigen Monaten
alterte sie mehr, als in letzten Jahrzehnt.

Selbst Neumann erschrak darüber. Du überarbeitest Dich
wohl, sagte er eines Tages, und solltest Dich zu Bette legen.

[Spaltenumbruch]

Aber sie versicherte ihm, daß ihr nichts fehle, nur ihre
Miene verkündete, daß sie die Unwahrheit redete.

Jn demselben Augenblick öffnete sich die Thür und der weit
und breit berüchtigte Wucherer Elias trat ein.

Der Tischler machte eine Geberde des Schreckens.

-- Erschrecken sie nischt, sagte der Wucherer mit der seinem
Gelichter eigenthümlichen Freundlichkeit. Zahlen Se mer lieber
mein Geld. da wär'n Se haben ä gutes Gewissen, wenn herein-
tritt der Elias, was hat Jhnen stets geholfen zur Zeit der Noth.

-- Jch muß gestehen Herr Elias ich --

-- Haißt ä Red'! Als ob ich mer daran wär kehr'n! Nein,
nein ich verlange mein Geld!

Der Handwerker ging mit einer schmerzlichen Miene zum
Schrank, nahm daraus das letzte Achtgroschenstück, zu dessen
Erwerbung er vielleicht die Mühe einer Nacht hatte verwenden
müssen und drückte es dem Juden in die Hand.

-- Hier, sprach er in flehendem Tone, für das Warten,
Herr Elias! Morgen aber, höchstens übermorgen, sollen Sie Jhr
Geld haben. Quälen Sie mich aber nicht länger. War es
der unsägliche Schmerz, der in diesen Worten lag, -- der Jude
gab nach.

-- Man soll nischt sagen, meinte der Schurke, daß der alte
Elias hätte kein Einsehen. Aber so viel sag' ich Jhnen Herr
Neimann, als ich mein Geld nischt krieg' bis morgen früh, als
Se mer nicht davor stehen, sollen Se mer wahrhaftig in Gott
davor sitzen.

Damit entfernte er sich. -- Was hast Du gemacht, sagte die
Meisterin. Es war ja unser Letztes! Mein Gott, wo von soll
ich nur heut das Abendbrot zurichten.

-- Konnte ich ihn anders los werden? murmelte der un-
glückliche Handwerker, indem er von Neuem zur Arbeit ging.

Nach einer Stunde wurde er in seiner Beschäftigung unter-
brochen.

-- Vater, rief seine Tochter, komm sieh' nur! -- Die Mutter
-- im Hofe --

Er eilte hinaus und vor seinen Augen dunkelte es, als er
das theuerste Wesen, das er kannte. als er seine langjährige
Begleiterin bei all seinen Leiden und Schmerzen sterbend auf dem
Pflaster des Hofes liegen sah. Der Anblick war um so gräß-
licher, als ein Blutstrom aus ihrem Munde quoll.

Sie hatte nämlich ein schweres Faß mit Wäsche hinausge-
tragen und in Folge der Ueberanstrengung war wahrscheinlich
ein Blutgefäß gesprungen. Sie verschied sofort. Alle Belebungs-
versuche waren fruchtlos. -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
Was bedeutet denn das? frug des anderen Tages der Meister
seine Tochter, als ganz fremde Leute angeblich zum Waschen ge-
brachte Kleidungsstücke zurückforderten.

-- Ach, erwiderte sie weinend, die Mutter verbot es mir
streng, Dir etwas davon zu sagen. Als Du in letzter Zeit
wegen Deiner Krankheit fast gar nichts verdientest, da hat sie
ganze Nächte gewaschen, genäht und sich keinen Augenblick Ruhe
gegönnt. Darum brachte sie für Deine Arbeiten auch immer
so hohe Preise, weil sie von ihrem eigenen Verdienste etwas hin-
zulegte.

Diese Worte drangen wie Feuer durch die Brust des ge-
beugten Mannes und zahlreicher flossen seinen Thränen. Jhr
aber, die ihr bei dem Lesen erdichteten Leides Thränen vergießt,
deren Herz voll Grimm schwillt, wenn es die Kunde von der
Qual jener Sclaven, deren Glieder durch Maschinen verstümmelt
werden, vernimmt; habt ihr keine Thräne, keinen Funken Zorn
für die Leiden unserer Arbeiter? Es ist empörend und schrecklich,
mit welcher Gleichgültigkeit die gräßlichsten Vorfälle in der Mitte
der Arbeiterwelt übergangen werden! Jeder Selbstmord, jeder
Raubmord, jeder Diebstahl, jedes Laster, das öffentlich auftritt.
-- blinde Thoren, glaubt Jhr, es sei das Facit eines Exemplars
mit Zufällen, es sei hervorgegangen als ein Kind des Augen-
blicks? Nein, nein es wurde vorbereitet durch tausend Thränen,
tausend Vorwürfe und tausend Leiden und weil dies Alles nicht
immer zu einer gewaltsamen Katastrophe führen kann, wollt Jhr
deshalb das grenzenlose Elend der Mehrzahl unserer Arbeiter in
Abrede stellen?

Weil die meisten der Arbeiter noch nicht so tief gesunken,
um, wie Jhr, durch eine " feile Presse " ihr Elend öffentlich
zur Schau tragen, weil sie unter einem eisernen Joche doch noch
muthig dahingehen und sich nicht unter dem Fuße ihrer Gegner
winden, weil nur zuweilen ein gellender Schmerzensschrei dem
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 227
[Beginn Spaltensatz] Und die ganze Nacht bis zum dämmernden Tage hörte man den
unglücklichen Mann Säge und Hobel mit einem Nachdruck führen,
daß das Zimmer zitterte. Deutlich vernahm man dabei, wie
von Zeit zu Zeit aus dem Munde des Meisters Fluchwörter
drangen.

Aber seine Verzweiflung war auch gerechtfertigt. Unter
Armuth und Entbehrungen zum Jüngling herangereift, unter
Sorgen gealtert, um die schönsten Erwartungen betrogen, blieb
ihm nur eine einzige Hoffnung auf bessere Zeiten, die Hoffnung,
die er auf seine Kinder setzte und nun — in demselben Augen-
blicke, wo sie sich realisiren sollte, kehrte ihm der einzige Sohn
kalt den Rücken.

Und doch, hätte der Alte ein wenig schärfer über die Ursache
der schändlichen Handlungsweise seines Sohnes nachgedacht, sich
selbst hätte er einen Theil der Schuld daran beimessen müssen,
weil die Erziehung Karls eine verkehrte gewesen war. Wie
viele Eltern aber gleichen hierin nicht dem ehrlichen Tischler!
Wie viele verfluchen die Saat, wozu sie selbst den ersten Samen
streuten, wie viele schreien Verwünschungen, weinen Thränen, die
sie durch eigene Fehler hervorgerufen haben!

Neumann hatte in der Erziehungs Karls hauptsächlich darin
gefehlt, daß er auf die geistige Ausbildung desselben wenig oder
gar nichts gab, daß er es litt, wie Karl den Schulunterricht fast
ganz vernachlässigte.

Und das ist eber der Fluch des Arbeiterstandes,
daß er in seiner fortgesetzten Entwürdigung jedes Jn-
teresse für geistiges Streben verliert
und dann entweder
in Befriedigung sinnlicher Begierden die rostbare Lebenszeit ver-
geudet oder dem Druck der Verhältnisse nachgiebt und unter
Schmeichelei und Heuchelei sein Dasein verjammert.

Wie viele Arbeiter geben sich nicht gleich nach dem ersten
Kampfe verloren, verkommen und steinigen ihre Wohl-
thäter
und sinken zu einer Schaar Knechte herab! Wie Wenige
machen hiervon eine Ausnahme!

Neumann ahnte freilich nicht, daß durch seine unverant-
wortliche Handlungsweise jedes natürliche Gefühl abgestumpft
würde, besonders da er von frühester Zeit an das Augenmerk
des jungen Menschen auf Erwerbung materieller Vortheile rich-
tete, weil dies nach seiner Meinung das einzige sei, was uns
Ansehen und Achtung verschaffe. Nur zu leicht faßten diese
Worte in dem Herzen des jungen Knaben Wurzel. Egoismus
und das ganze damit verbundene Heer von Fehlern entwickelten
sich und als die Folgen nothwendig auch den unglücklichen Vater
trafen, ahnte er nicht, daß er theilweise Urheber derselben sei.

Trotzdem verdiente das traurige Loos Neumanns gerade
jetzt Mitleid. Nie hatte ihm ein reiner Strahl des Glückes ge-
schienen, nie war er seines Lebens so recht von Herzen froh ge-
wesen, immer hatte er mit den bängsten Befürchtungen, mit zahl-
losen Sorgen zu kämpfen und als er endlich nach jahrelanger
Mühe seinen Hausstand gründete, gelang es ihm trotz des ange-
strengtesten Fleißes, nie ganz sorgen= und schuldenfrei zu werden.

Jeder kennt die außerordentlichen Hindernisse, mit denen der
Handwerker bei seiner Etablirung zu kämpfen hat, jeder weiß,
wie leicht er in die Krallen namentlich jüdischer Wucherer geräth,
die ihn, in steter Abhängigkeit haltend, durch den Buchstaben des
Gesetzes der Früchte seines Fleißes berauben.

Jn einer solchen Schule mußte auch Neumann leiden, und
ob auch inzwischen sein Haar geblichen war, noch immer wurde
durch die bängsten Befürchtungen seine Sorge wach gehalten,
noch immer konnte er nicht der wohlverdienten Ruhe pflegen.

Nach dem Auftritte mit seinem Sohne wirkte er mit unge-
schwächter Kraft weiter, aber jeder Zug von Frohsinn und
Heiterkeit schwand vollends aus seinem Antlitz. Verdrießlichkeit
und Eigensinn schienen darin allein noch zu leben. Theilnahm-
los war er jetzt gegen alles was nicht speciell seine nächste Um-
gebung betraf, theilnahmlos gegen das Schicksal seines undankbaren
Sohnes, dessen Briefe er uneröffnet zurücksandte und dessen Ein-
ladung zur Hochzeit er unbeantwortet ließ.

Das einzige Gefühl von Liebe, das noch in ihm lebte galt
seiner Frau, deren Zustand mit jedem Tage bedenklicher wurde.
War es der Kummer um ihren Sohn, denn eine Mutter hört
nie auf zu lieben, genug sie welkte dahin. Jn einigen Monaten
alterte sie mehr, als in letzten Jahrzehnt.

Selbst Neumann erschrak darüber. Du überarbeitest Dich
wohl, sagte er eines Tages, und solltest Dich zu Bette legen.

[Spaltenumbruch]

Aber sie versicherte ihm, daß ihr nichts fehle, nur ihre
Miene verkündete, daß sie die Unwahrheit redete.

Jn demselben Augenblick öffnete sich die Thür und der weit
und breit berüchtigte Wucherer Elias trat ein.

Der Tischler machte eine Geberde des Schreckens.

— Erschrecken sie nischt, sagte der Wucherer mit der seinem
Gelichter eigenthümlichen Freundlichkeit. Zahlen Se mer lieber
mein Geld. da wär'n Se haben ä gutes Gewissen, wenn herein-
tritt der Elias, was hat Jhnen stets geholfen zur Zeit der Noth.

— Jch muß gestehen Herr Elias ich —

— Haißt ä Red'! Als ob ich mer daran wär kehr'n! Nein,
nein ich verlange mein Geld!

Der Handwerker ging mit einer schmerzlichen Miene zum
Schrank, nahm daraus das letzte Achtgroschenstück, zu dessen
Erwerbung er vielleicht die Mühe einer Nacht hatte verwenden
müssen und drückte es dem Juden in die Hand.

— Hier, sprach er in flehendem Tone, für das Warten,
Herr Elias! Morgen aber, höchstens übermorgen, sollen Sie Jhr
Geld haben. Quälen Sie mich aber nicht länger. War es
der unsägliche Schmerz, der in diesen Worten lag, — der Jude
gab nach.

— Man soll nischt sagen, meinte der Schurke, daß der alte
Elias hätte kein Einsehen. Aber so viel sag' ich Jhnen Herr
Neimann, als ich mein Geld nischt krieg' bis morgen früh, als
Se mer nicht davor stehen, sollen Se mer wahrhaftig in Gott
davor sitzen.

Damit entfernte er sich. — Was hast Du gemacht, sagte die
Meisterin. Es war ja unser Letztes! Mein Gott, wo von soll
ich nur heut das Abendbrot zurichten.

— Konnte ich ihn anders los werden? murmelte der un-
glückliche Handwerker, indem er von Neuem zur Arbeit ging.

Nach einer Stunde wurde er in seiner Beschäftigung unter-
brochen.

— Vater, rief seine Tochter, komm sieh' nur! — Die Mutter
— im Hofe —

Er eilte hinaus und vor seinen Augen dunkelte es, als er
das theuerste Wesen, das er kannte. als er seine langjährige
Begleiterin bei all seinen Leiden und Schmerzen sterbend auf dem
Pflaster des Hofes liegen sah. Der Anblick war um so gräß-
licher, als ein Blutstrom aus ihrem Munde quoll.

Sie hatte nämlich ein schweres Faß mit Wäsche hinausge-
tragen und in Folge der Ueberanstrengung war wahrscheinlich
ein Blutgefäß gesprungen. Sie verschied sofort. Alle Belebungs-
versuche waren fruchtlos. — — — — — — — — — — —
Was bedeutet denn das? frug des anderen Tages der Meister
seine Tochter, als ganz fremde Leute angeblich zum Waschen ge-
brachte Kleidungsstücke zurückforderten.

— Ach, erwiderte sie weinend, die Mutter verbot es mir
streng, Dir etwas davon zu sagen. Als Du in letzter Zeit
wegen Deiner Krankheit fast gar nichts verdientest, da hat sie
ganze Nächte gewaschen, genäht und sich keinen Augenblick Ruhe
gegönnt. Darum brachte sie für Deine Arbeiten auch immer
so hohe Preise, weil sie von ihrem eigenen Verdienste etwas hin-
zulegte.

Diese Worte drangen wie Feuer durch die Brust des ge-
beugten Mannes und zahlreicher flossen seinen Thränen. Jhr
aber, die ihr bei dem Lesen erdichteten Leides Thränen vergießt,
deren Herz voll Grimm schwillt, wenn es die Kunde von der
Qual jener Sclaven, deren Glieder durch Maschinen verstümmelt
werden, vernimmt; habt ihr keine Thräne, keinen Funken Zorn
für die Leiden unserer Arbeiter? Es ist empörend und schrecklich,
mit welcher Gleichgültigkeit die gräßlichsten Vorfälle in der Mitte
der Arbeiterwelt übergangen werden! Jeder Selbstmord, jeder
Raubmord, jeder Diebstahl, jedes Laster, das öffentlich auftritt.
— blinde Thoren, glaubt Jhr, es sei das Facit eines Exemplars
mit Zufällen, es sei hervorgegangen als ein Kind des Augen-
blicks? Nein, nein es wurde vorbereitet durch tausend Thränen,
tausend Vorwürfe und tausend Leiden und weil dies Alles nicht
immer zu einer gewaltsamen Katastrophe führen kann, wollt Jhr
deshalb das grenzenlose Elend der Mehrzahl unserer Arbeiter in
Abrede stellen?

Weil die meisten der Arbeiter noch nicht so tief gesunken,
um, wie Jhr, durch eine „ feile Presse “ ihr Elend öffentlich
zur Schau tragen, weil sie unter einem eisernen Joche doch noch
muthig dahingehen und sich nicht unter dem Fuße ihrer Gegner
winden, weil nur zuweilen ein gellender Schmerzensschrei dem
[Ende Spaltensatz]

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[227/0007] Zur Unterhaltung und Belehrung. 227 Und die ganze Nacht bis zum dämmernden Tage hörte man den unglücklichen Mann Säge und Hobel mit einem Nachdruck führen, daß das Zimmer zitterte. Deutlich vernahm man dabei, wie von Zeit zu Zeit aus dem Munde des Meisters Fluchwörter drangen. Aber seine Verzweiflung war auch gerechtfertigt. Unter Armuth und Entbehrungen zum Jüngling herangereift, unter Sorgen gealtert, um die schönsten Erwartungen betrogen, blieb ihm nur eine einzige Hoffnung auf bessere Zeiten, die Hoffnung, die er auf seine Kinder setzte und nun — in demselben Augen- blicke, wo sie sich realisiren sollte, kehrte ihm der einzige Sohn kalt den Rücken. Und doch, hätte der Alte ein wenig schärfer über die Ursache der schändlichen Handlungsweise seines Sohnes nachgedacht, sich selbst hätte er einen Theil der Schuld daran beimessen müssen, weil die Erziehung Karls eine verkehrte gewesen war. Wie viele Eltern aber gleichen hierin nicht dem ehrlichen Tischler! Wie viele verfluchen die Saat, wozu sie selbst den ersten Samen streuten, wie viele schreien Verwünschungen, weinen Thränen, die sie durch eigene Fehler hervorgerufen haben! Neumann hatte in der Erziehungs Karls hauptsächlich darin gefehlt, daß er auf die geistige Ausbildung desselben wenig oder gar nichts gab, daß er es litt, wie Karl den Schulunterricht fast ganz vernachlässigte. Und das ist eber der Fluch des Arbeiterstandes, daß er in seiner fortgesetzten Entwürdigung jedes Jn- teresse für geistiges Streben verliert und dann entweder in Befriedigung sinnlicher Begierden die rostbare Lebenszeit ver- geudet oder dem Druck der Verhältnisse nachgiebt und unter Schmeichelei und Heuchelei sein Dasein verjammert. Wie viele Arbeiter geben sich nicht gleich nach dem ersten Kampfe verloren, verkommen und steinigen ihre Wohl- thäter und sinken zu einer Schaar Knechte herab! Wie Wenige machen hiervon eine Ausnahme! Neumann ahnte freilich nicht, daß durch seine unverant- wortliche Handlungsweise jedes natürliche Gefühl abgestumpft würde, besonders da er von frühester Zeit an das Augenmerk des jungen Menschen auf Erwerbung materieller Vortheile rich- tete, weil dies nach seiner Meinung das einzige sei, was uns Ansehen und Achtung verschaffe. Nur zu leicht faßten diese Worte in dem Herzen des jungen Knaben Wurzel. Egoismus und das ganze damit verbundene Heer von Fehlern entwickelten sich und als die Folgen nothwendig auch den unglücklichen Vater trafen, ahnte er nicht, daß er theilweise Urheber derselben sei. Trotzdem verdiente das traurige Loos Neumanns gerade jetzt Mitleid. Nie hatte ihm ein reiner Strahl des Glückes ge- schienen, nie war er seines Lebens so recht von Herzen froh ge- wesen, immer hatte er mit den bängsten Befürchtungen, mit zahl- losen Sorgen zu kämpfen und als er endlich nach jahrelanger Mühe seinen Hausstand gründete, gelang es ihm trotz des ange- strengtesten Fleißes, nie ganz sorgen= und schuldenfrei zu werden. Jeder kennt die außerordentlichen Hindernisse, mit denen der Handwerker bei seiner Etablirung zu kämpfen hat, jeder weiß, wie leicht er in die Krallen namentlich jüdischer Wucherer geräth, die ihn, in steter Abhängigkeit haltend, durch den Buchstaben des Gesetzes der Früchte seines Fleißes berauben. Jn einer solchen Schule mußte auch Neumann leiden, und ob auch inzwischen sein Haar geblichen war, noch immer wurde durch die bängsten Befürchtungen seine Sorge wach gehalten, noch immer konnte er nicht der wohlverdienten Ruhe pflegen. Nach dem Auftritte mit seinem Sohne wirkte er mit unge- schwächter Kraft weiter, aber jeder Zug von Frohsinn und Heiterkeit schwand vollends aus seinem Antlitz. Verdrießlichkeit und Eigensinn schienen darin allein noch zu leben. Theilnahm- los war er jetzt gegen alles was nicht speciell seine nächste Um- gebung betraf, theilnahmlos gegen das Schicksal seines undankbaren Sohnes, dessen Briefe er uneröffnet zurücksandte und dessen Ein- ladung zur Hochzeit er unbeantwortet ließ. Das einzige Gefühl von Liebe, das noch in ihm lebte galt seiner Frau, deren Zustand mit jedem Tage bedenklicher wurde. War es der Kummer um ihren Sohn, denn eine Mutter hört nie auf zu lieben, genug sie welkte dahin. Jn einigen Monaten alterte sie mehr, als in letzten Jahrzehnt. Selbst Neumann erschrak darüber. Du überarbeitest Dich wohl, sagte er eines Tages, und solltest Dich zu Bette legen. Aber sie versicherte ihm, daß ihr nichts fehle, nur ihre Miene verkündete, daß sie die Unwahrheit redete. Jn demselben Augenblick öffnete sich die Thür und der weit und breit berüchtigte Wucherer Elias trat ein. Der Tischler machte eine Geberde des Schreckens. — Erschrecken sie nischt, sagte der Wucherer mit der seinem Gelichter eigenthümlichen Freundlichkeit. Zahlen Se mer lieber mein Geld. da wär'n Se haben ä gutes Gewissen, wenn herein- tritt der Elias, was hat Jhnen stets geholfen zur Zeit der Noth. — Jch muß gestehen Herr Elias ich — — Haißt ä Red'! Als ob ich mer daran wär kehr'n! Nein, nein ich verlange mein Geld! Der Handwerker ging mit einer schmerzlichen Miene zum Schrank, nahm daraus das letzte Achtgroschenstück, zu dessen Erwerbung er vielleicht die Mühe einer Nacht hatte verwenden müssen und drückte es dem Juden in die Hand. — Hier, sprach er in flehendem Tone, für das Warten, Herr Elias! Morgen aber, höchstens übermorgen, sollen Sie Jhr Geld haben. Quälen Sie mich aber nicht länger. War es der unsägliche Schmerz, der in diesen Worten lag, — der Jude gab nach. — Man soll nischt sagen, meinte der Schurke, daß der alte Elias hätte kein Einsehen. Aber so viel sag' ich Jhnen Herr Neimann, als ich mein Geld nischt krieg' bis morgen früh, als Se mer nicht davor stehen, sollen Se mer wahrhaftig in Gott davor sitzen. Damit entfernte er sich. — Was hast Du gemacht, sagte die Meisterin. Es war ja unser Letztes! Mein Gott, wo von soll ich nur heut das Abendbrot zurichten. — Konnte ich ihn anders los werden? murmelte der un- glückliche Handwerker, indem er von Neuem zur Arbeit ging. Nach einer Stunde wurde er in seiner Beschäftigung unter- brochen. — Vater, rief seine Tochter, komm sieh' nur! — Die Mutter — im Hofe — Er eilte hinaus und vor seinen Augen dunkelte es, als er das theuerste Wesen, das er kannte. als er seine langjährige Begleiterin bei all seinen Leiden und Schmerzen sterbend auf dem Pflaster des Hofes liegen sah. Der Anblick war um so gräß- licher, als ein Blutstrom aus ihrem Munde quoll. Sie hatte nämlich ein schweres Faß mit Wäsche hinausge- tragen und in Folge der Ueberanstrengung war wahrscheinlich ein Blutgefäß gesprungen. Sie verschied sofort. Alle Belebungs- versuche waren fruchtlos. — — — — — — — — — — — Was bedeutet denn das? frug des anderen Tages der Meister seine Tochter, als ganz fremde Leute angeblich zum Waschen ge- brachte Kleidungsstücke zurückforderten. — Ach, erwiderte sie weinend, die Mutter verbot es mir streng, Dir etwas davon zu sagen. Als Du in letzter Zeit wegen Deiner Krankheit fast gar nichts verdientest, da hat sie ganze Nächte gewaschen, genäht und sich keinen Augenblick Ruhe gegönnt. Darum brachte sie für Deine Arbeiten auch immer so hohe Preise, weil sie von ihrem eigenen Verdienste etwas hin- zulegte. Diese Worte drangen wie Feuer durch die Brust des ge- beugten Mannes und zahlreicher flossen seinen Thränen. Jhr aber, die ihr bei dem Lesen erdichteten Leides Thränen vergießt, deren Herz voll Grimm schwillt, wenn es die Kunde von der Qual jener Sclaven, deren Glieder durch Maschinen verstümmelt werden, vernimmt; habt ihr keine Thräne, keinen Funken Zorn für die Leiden unserer Arbeiter? Es ist empörend und schrecklich, mit welcher Gleichgültigkeit die gräßlichsten Vorfälle in der Mitte der Arbeiterwelt übergangen werden! Jeder Selbstmord, jeder Raubmord, jeder Diebstahl, jedes Laster, das öffentlich auftritt. — blinde Thoren, glaubt Jhr, es sei das Facit eines Exemplars mit Zufällen, es sei hervorgegangen als ein Kind des Augen- blicks? Nein, nein es wurde vorbereitet durch tausend Thränen, tausend Vorwürfe und tausend Leiden und weil dies Alles nicht immer zu einer gewaltsamen Katastrophe führen kann, wollt Jhr deshalb das grenzenlose Elend der Mehrzahl unserer Arbeiter in Abrede stellen? Weil die meisten der Arbeiter noch nicht so tief gesunken, um, wie Jhr, durch eine „ feile Presse “ ihr Elend öffentlich zur Schau tragen, weil sie unter einem eisernen Joche doch noch muthig dahingehen und sich nicht unter dem Fuße ihrer Gegner winden, weil nur zuweilen ein gellender Schmerzensschrei dem

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 9. Lieferung, Nr. 1. Berlin, 5. September 1874, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0901_1874/7>, abgerufen am 01.06.2024.