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Social-politische Blätter. 4. Lieferung. Berlin, 9. April 1873.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 91
[Beginn Spaltensatz] beschränkt, indem sie zugleich für die Produktion eine ungeregelte
und glühende Steigerung erzeugt. Allein, was soll ich Jhnen
in dieser Hinsicht sagen, das Sie nicht in Folge der grausam-
sten Erfahrung leider selbst wüßten!

Aber ein wesentlicher Zug würde noch dem Gemälde fehlen,
wollte ich nicht bemerken, daß die Konkurrenz, indem sie die
Armuth befördert, zugleich die Unsittlichkeit erzeugt. Wer wagte
das zu leugnen? Die Armuth erzeugt den Diebstahl; die Ar-
muth pfropft die Verzweiflung und den Haß auf die Unwissen-
heit und erzeugt die meisten Morde; die Armuth vermag so
viele junge Mädchen, auf schamlose Weise ihren Körper zu ver-
kaufen. Man sehe in den Akten der Strafgerichte nach, man
lese die Listen der Polizeiverwaltungen und antworte dann!
So führt also die Gesellschaft, nur weil sie an einer falschen
Organisation krankt, selbst den Haß, die Gewaltthätigkeit, den
Neid in ihre Mitte ein; so versetzt sie sich selbst in die Lage,
entweder von Oben unterdrückt, oder von Unten durch stete An-
griffe beunruhigt zu werden. Mag das System, aus welchem
ein so unheilvoller Zustand entspringt, sich vertheidigen! Wir
klagen es laut der Unsittlichkeit an. ( Bravo! )

Aber wie! man sagt uns, daß wir die Hand an die Frei-
heit legen, wenn wir die Konkurrenz angreifen?

Kann ein solcher Einwurf ernstlich gemeint sein?

Bevor ich denselben zurückweise, muß ich Sie gegen jedes
Gefühl der Aufreizung verwahren. Gott behüte mich, daß ich
hierher treten sollte, um Sie zum Zorn und zu ungebändigten
Leidenschaften aufzureizen, deren erste Opfer sie selbst sein wür-
den! Selbst die Art und Weise, wie ich die Frage stelle, muß
Jhnen beweisen, daß die Uebel, auf welche ich hinweise, nicht die-
sen oder jenen Mann bezeichnen, nicht diese oder jene Klasse,
sondern eine fehlerhafte sociale Ordnung, ein falsches Prinzip.
Was mich betrifft, der ich täglich seit der Februarrevolation in
Berührung mit dem Volke gekommen bin, so habe ich volles
Vertrauen zu der Mäßigung desselben. Daher trage ich auch
kein Bedenken, mich über Jhre Leiden mit Jhnen zu unterhalten.
Die geringste unüberlegte Hitze während Jhrer gerechtesten
Wünsche, die geringste Gewaltsamkeit Jhrer Handlungen könnte
Alles gefährden. Aber, Dank dem Himmel! das fühlen Sie
eben so wohl, wie ich; und es ist ein glorreiches Zeichen von
der Größe unserer Zukunft, daß das Volk geneigt ist, seine Be-
freiung nicht von der rohen Gewalt, sondern von der Ordnung,
der freien Besprechung, der Wissenschaft zu erwarten. Ja,
meine Freunde, seien wir ruhig, seien wir geduldig und ge-
mäßigt. Ueberlassen wir unsern Gegnern die gemeinen Hülfs-
quellen der Gewaltthätigkeit. Wir haben auf unserer Seite die
Gerechtigkeit und die Vernunft: fügen wir der Gerechtigkeit, der
Vernunft die Beleidigung nicht zu, daß wir an ihrem Triumph
in dem Augenblick verzweifeln, in welchem sie endlich das Wort
bekommen werden. ( Beifall )

Man wirft uns also vor, daß wir in der Konkurrenz die
Freiheit angreifen. Jch gestehe, daß ein solcher Vorwurf mich
mit Staunen erfüllt. Wir wollen die Konkurrenz nicht, gerade
weil wir die Freiheit anbeten. Ja, die Freiheit, die Freiheit für
Alle, das ist das zu erreichende Ziel, das ist das Ziel, dem wir
entgegen streben müssen. ( Rauschender Beifall. ) Nun wollen
wir sehen, ob die gegenwärtige Einrichtung uns zu der Frei-
heit führt.

Daß die Freiheit jetzt und in ihrer vollen Ausdehnung für
denjenigen besteht, welcher Kapitalien, Kredit, Kenntnisse hat,
das heißt für den, welcher die verschiedenen Mittel zu seiner
Ausbildung besitzt, das zu leugnen, bin ich weit entfernt.

Besteht die Freiheit aber auch für den, welchem die Mittel
zur Entwickelung, welchem die Werkzeuge der Arbeit fehlen?
Welches ist das Resultat der Konkurrenz? Entspringt nicht aus
ihr der Kampf der Ersten mit den Zweiten, das heißt der Kampf
derer, welche vom Kopf bis zu den Füßen bewaffnet sind, mit
denen, welche unbewaffnet sind? Die Konkurrenz ist ein Kampf;
man vergesse das nicht. Wenn nun aber der Kampf zwischen
dem Reichen und dem Armen, zwischen dem Gewandten und
dem Ungeschickten, zwischen dem Starken und dem Schwachen
sich entspinnt, dann schämt man sich nicht, zu rufen: Platz für
die Freiheit! Aber diese Freiheit, es ist die des Zustandes der
Rohheit. Wie! man schämt sich nicht, das Recht des Stärkern
Freiheit zu nennen? Jch nenne es Sclaverei! Und ich versichere,
daß diejenigen unter uns, welche in Folge einer fehlerhaften so-
cialen Organisation der Tyrannei des Hungers, der Tyrannei
des Frostes, der unsichtbaren und stummen Tyrannei der Dinge
[Spaltenumbruch] unterworfen sind, in weit ärgerem Sinne Sclaven sind, als un-
sere Brüder in den Kolonieen, welche zwar unter der Geißel des
Aufsehers stehen, aber doch für den morgenden Tag nicht zu
sorgen nöthig haben. ( Das ist wahr! Beifall. )

Wenn täglich Unglückliche, denen durch ungeregelte Konkur-
renz der Weg zur Arbeit verschlossen ist, zu uns hierher kom-
men, um zu sagen: "Bitte! Arbeit für uns! Arbeit für unsere
Frauen und unsere Kinder!" und wir wissen nicht, was wir die-
sen Leuten antworten sollen -- sind dann diese Menschen Freie?
( Nein, nein! )

Die Fahne, welche Spartacus im Alterthum erhob, trug
sie eine vielsagendere, eine schmerzenvollere Jnschrift, als die der
Arbeiter in Lyon: Brod durch Arbeit! -- Jch mag das Ende
der Jnschrift gar nicht aussprechen.*) -- Waren das Freie, welche
diesen Wahlspruch annahmen? ( Sie waren Sclaven des
Hungers! )

Sprechen wir es laut aus: Die Freiheit besteht nicht nur
darin, daß Jeder das Recht hat, seine Fähigkeiten auszubilden,
sondern, daß er es auch kann. Daher schuldet die Gesellschaft
einem jeden ihrer Mitglieder nicht nur den Unterricht, ohne wel-
chen sich der menschliche Geist nicht entwickeln kann, sondern auch
die Werkzeuge der Arbeit, ohne welche die menschliche Thätigkeit
von vorn herein erstickt oder thrannisch ausgebeutet wird.

Der Staat muß sich demnach in das Mittel schlagen, da-
mit die Freiheit Aller hergestellt und gesichert werde. Welches
Mittel muß er aber anwenden, um die Freiheit zu sichern? Die
Association. Er muß Allen durch gemeinsamen Unterricht die
Mittel zur geistigen Ausbildung gewähren; er muß Allen durch
die brüderliche Vereinigung der Kräfte und Hülfsmittel die Werk-
zeuge zur Arbeit sichern! Und das wird eben durch die Associa-
tion bewirkt, und darin besteht eben die Freiheit. ( Bravo! )

Uebrigens täusche man sich nicht! Wir verlangen das große
Prinzip der Association nicht nur als ein Mittel zur Abschaffung
des Proletariats, sondern als ein Mittel zur endlosen Steige-
rung des Nationalreichthums, das heißt: wir verlangen sie für
den Reichen, wie für den Armen, für Jedermann. Denn so viel
Gewalt die Konkurrenz besitzt, die Quellen des Reichthums ver-
siegen zu machen, so viel Gewalt besitzt die Association, dieselben
zu vervielfachen, zu verstärken. Findet allgemeine Association
statt, findet eine festgeknüpfte Gegenseitigkeit der Jnteressen statt,
dann wird es keine vergebliche Anstrengungen mehr geben, dann
wird keine Zeit verloren werden, dann werden keine Kapitalien
mehr verschwinden, dann werden die Gewerbe sich nicht mehr
gegenseitig verschlingen oder durch einen fernen und unvorherge-
sehenen Bankerott zu Grunde gehen, dann wird man nicht mehr
unter der Herrschaft des blinden Zufalls produziren, dann wer-
den neue Maschinen nicht mehr zu Kriegswerkzeugen werden,
dann werden die Arbeiter nicht mehr inmitten allgemeiner Un-
ordnung die Arbeit suchen, von der sie an einem andern Orte
vergebens gesucht werden.

Und wie wird man bei einer solchen neuen Ordnung am
besten die Arbeit und die Frucht der Arbeit vertheilen?

Jch nehme für einen Augenblick an, daß die Gesellschaft
ihren Höhepunkt erreicht habe; wessen würde es dann bedürfen,
damit alle Menschen glücklich wären? Zwei Dinge würden nöthig
sein: zunächst, daß Jeder seine Fähigkeiten und Anlagen frei
entwickeln könne; dann, daß Jeder seine Bedürfnisse und Nei-
gungen vollkommen zu befriedigen vermöge. Das Jdeal, wel-
chem die Gesellschaft entgegen schreiten muß, ist demnach das:
nach den Kräften zu produziren, nach dem Bedürfniß zu konsu-
miren. ( Ja, ja! das leuchtet ein! )

Aber dieses Jdeal, vermag man es jetzt zu erreichen? Jch
glaube nicht. Zunächst wird die Wohlthat des Unterrichts jetzt
nur in Folge eines Privilegiums zu Theil, in Folge einer mehr
oder minder glücklichen Geburt, die lediglich vom Zufall abhängt,
und die Verrichtungen stehen daher nirgends im Verhältniß zu
den Fähigkeiten, die fast stets unbekannt sind oder auch sich selbst
nicht kennen. Dann ist es zweitens unglücklicher Weise nur zu
gewiß, daß die verderbte Civilisation, deren Last uns jetzt dar-
nieder drückt und die Gesetze der Natur verdunkelt, daß sie eine
Menge künstlicher Bedürfnisse herbeigeführt hat, daß sie den Ge-
schmack verdorben, mit dem Streben nach eitlen Genüssen uns
erfüllt hat, welche in dem Zustande des Jdeals, von welchem
wir eben sprachen, zu ungeregelten und Verderben bringenden
Anforderungen werden würden. Wollte man sofort den Grund-
[Ende Spaltensatz]

*) Die Jnschrift lautete: "Brod durch Arbeit oder Tod im Kampf."

Zur Unterhaltung und Belehrung. 91
[Beginn Spaltensatz] beschränkt, indem sie zugleich für die Produktion eine ungeregelte
und glühende Steigerung erzeugt. Allein, was soll ich Jhnen
in dieser Hinsicht sagen, das Sie nicht in Folge der grausam-
sten Erfahrung leider selbst wüßten!

Aber ein wesentlicher Zug würde noch dem Gemälde fehlen,
wollte ich nicht bemerken, daß die Konkurrenz, indem sie die
Armuth befördert, zugleich die Unsittlichkeit erzeugt. Wer wagte
das zu leugnen? Die Armuth erzeugt den Diebstahl; die Ar-
muth pfropft die Verzweiflung und den Haß auf die Unwissen-
heit und erzeugt die meisten Morde; die Armuth vermag so
viele junge Mädchen, auf schamlose Weise ihren Körper zu ver-
kaufen. Man sehe in den Akten der Strafgerichte nach, man
lese die Listen der Polizeiverwaltungen und antworte dann!
So führt also die Gesellschaft, nur weil sie an einer falschen
Organisation krankt, selbst den Haß, die Gewaltthätigkeit, den
Neid in ihre Mitte ein; so versetzt sie sich selbst in die Lage,
entweder von Oben unterdrückt, oder von Unten durch stete An-
griffe beunruhigt zu werden. Mag das System, aus welchem
ein so unheilvoller Zustand entspringt, sich vertheidigen! Wir
klagen es laut der Unsittlichkeit an. ( Bravo! )

Aber wie! man sagt uns, daß wir die Hand an die Frei-
heit legen, wenn wir die Konkurrenz angreifen?

Kann ein solcher Einwurf ernstlich gemeint sein?

Bevor ich denselben zurückweise, muß ich Sie gegen jedes
Gefühl der Aufreizung verwahren. Gott behüte mich, daß ich
hierher treten sollte, um Sie zum Zorn und zu ungebändigten
Leidenschaften aufzureizen, deren erste Opfer sie selbst sein wür-
den! Selbst die Art und Weise, wie ich die Frage stelle, muß
Jhnen beweisen, daß die Uebel, auf welche ich hinweise, nicht die-
sen oder jenen Mann bezeichnen, nicht diese oder jene Klasse,
sondern eine fehlerhafte sociale Ordnung, ein falsches Prinzip.
Was mich betrifft, der ich täglich seit der Februarrevolation in
Berührung mit dem Volke gekommen bin, so habe ich volles
Vertrauen zu der Mäßigung desselben. Daher trage ich auch
kein Bedenken, mich über Jhre Leiden mit Jhnen zu unterhalten.
Die geringste unüberlegte Hitze während Jhrer gerechtesten
Wünsche, die geringste Gewaltsamkeit Jhrer Handlungen könnte
Alles gefährden. Aber, Dank dem Himmel! das fühlen Sie
eben so wohl, wie ich; und es ist ein glorreiches Zeichen von
der Größe unserer Zukunft, daß das Volk geneigt ist, seine Be-
freiung nicht von der rohen Gewalt, sondern von der Ordnung,
der freien Besprechung, der Wissenschaft zu erwarten. Ja,
meine Freunde, seien wir ruhig, seien wir geduldig und ge-
mäßigt. Ueberlassen wir unsern Gegnern die gemeinen Hülfs-
quellen der Gewaltthätigkeit. Wir haben auf unserer Seite die
Gerechtigkeit und die Vernunft: fügen wir der Gerechtigkeit, der
Vernunft die Beleidigung nicht zu, daß wir an ihrem Triumph
in dem Augenblick verzweifeln, in welchem sie endlich das Wort
bekommen werden. ( Beifall )

Man wirft uns also vor, daß wir in der Konkurrenz die
Freiheit angreifen. Jch gestehe, daß ein solcher Vorwurf mich
mit Staunen erfüllt. Wir wollen die Konkurrenz nicht, gerade
weil wir die Freiheit anbeten. Ja, die Freiheit, die Freiheit für
Alle, das ist das zu erreichende Ziel, das ist das Ziel, dem wir
entgegen streben müssen. ( Rauschender Beifall. ) Nun wollen
wir sehen, ob die gegenwärtige Einrichtung uns zu der Frei-
heit führt.

Daß die Freiheit jetzt und in ihrer vollen Ausdehnung für
denjenigen besteht, welcher Kapitalien, Kredit, Kenntnisse hat,
das heißt für den, welcher die verschiedenen Mittel zu seiner
Ausbildung besitzt, das zu leugnen, bin ich weit entfernt.

Besteht die Freiheit aber auch für den, welchem die Mittel
zur Entwickelung, welchem die Werkzeuge der Arbeit fehlen?
Welches ist das Resultat der Konkurrenz? Entspringt nicht aus
ihr der Kampf der Ersten mit den Zweiten, das heißt der Kampf
derer, welche vom Kopf bis zu den Füßen bewaffnet sind, mit
denen, welche unbewaffnet sind? Die Konkurrenz ist ein Kampf;
man vergesse das nicht. Wenn nun aber der Kampf zwischen
dem Reichen und dem Armen, zwischen dem Gewandten und
dem Ungeschickten, zwischen dem Starken und dem Schwachen
sich entspinnt, dann schämt man sich nicht, zu rufen: Platz für
die Freiheit! Aber diese Freiheit, es ist die des Zustandes der
Rohheit. Wie! man schämt sich nicht, das Recht des Stärkern
Freiheit zu nennen? Jch nenne es Sclaverei! Und ich versichere,
daß diejenigen unter uns, welche in Folge einer fehlerhaften so-
cialen Organisation der Tyrannei des Hungers, der Tyrannei
des Frostes, der unsichtbaren und stummen Tyrannei der Dinge
[Spaltenumbruch] unterworfen sind, in weit ärgerem Sinne Sclaven sind, als un-
sere Brüder in den Kolonieen, welche zwar unter der Geißel des
Aufsehers stehen, aber doch für den morgenden Tag nicht zu
sorgen nöthig haben. ( Das ist wahr! Beifall. )

Wenn täglich Unglückliche, denen durch ungeregelte Konkur-
renz der Weg zur Arbeit verschlossen ist, zu uns hierher kom-
men, um zu sagen: „Bitte! Arbeit für uns! Arbeit für unsere
Frauen und unsere Kinder!“ und wir wissen nicht, was wir die-
sen Leuten antworten sollen — sind dann diese Menschen Freie?
( Nein, nein! )

Die Fahne, welche Spartacus im Alterthum erhob, trug
sie eine vielsagendere, eine schmerzenvollere Jnschrift, als die der
Arbeiter in Lyon: Brod durch Arbeit! — Jch mag das Ende
der Jnschrift gar nicht aussprechen.*) — Waren das Freie, welche
diesen Wahlspruch annahmen? ( Sie waren Sclaven des
Hungers! )

Sprechen wir es laut aus: Die Freiheit besteht nicht nur
darin, daß Jeder das Recht hat, seine Fähigkeiten auszubilden,
sondern, daß er es auch kann. Daher schuldet die Gesellschaft
einem jeden ihrer Mitglieder nicht nur den Unterricht, ohne wel-
chen sich der menschliche Geist nicht entwickeln kann, sondern auch
die Werkzeuge der Arbeit, ohne welche die menschliche Thätigkeit
von vorn herein erstickt oder thrannisch ausgebeutet wird.

Der Staat muß sich demnach in das Mittel schlagen, da-
mit die Freiheit Aller hergestellt und gesichert werde. Welches
Mittel muß er aber anwenden, um die Freiheit zu sichern? Die
Association. Er muß Allen durch gemeinsamen Unterricht die
Mittel zur geistigen Ausbildung gewähren; er muß Allen durch
die brüderliche Vereinigung der Kräfte und Hülfsmittel die Werk-
zeuge zur Arbeit sichern! Und das wird eben durch die Associa-
tion bewirkt, und darin besteht eben die Freiheit. ( Bravo! )

Uebrigens täusche man sich nicht! Wir verlangen das große
Prinzip der Association nicht nur als ein Mittel zur Abschaffung
des Proletariats, sondern als ein Mittel zur endlosen Steige-
rung des Nationalreichthums, das heißt: wir verlangen sie für
den Reichen, wie für den Armen, für Jedermann. Denn so viel
Gewalt die Konkurrenz besitzt, die Quellen des Reichthums ver-
siegen zu machen, so viel Gewalt besitzt die Association, dieselben
zu vervielfachen, zu verstärken. Findet allgemeine Association
statt, findet eine festgeknüpfte Gegenseitigkeit der Jnteressen statt,
dann wird es keine vergebliche Anstrengungen mehr geben, dann
wird keine Zeit verloren werden, dann werden keine Kapitalien
mehr verschwinden, dann werden die Gewerbe sich nicht mehr
gegenseitig verschlingen oder durch einen fernen und unvorherge-
sehenen Bankerott zu Grunde gehen, dann wird man nicht mehr
unter der Herrschaft des blinden Zufalls produziren, dann wer-
den neue Maschinen nicht mehr zu Kriegswerkzeugen werden,
dann werden die Arbeiter nicht mehr inmitten allgemeiner Un-
ordnung die Arbeit suchen, von der sie an einem andern Orte
vergebens gesucht werden.

Und wie wird man bei einer solchen neuen Ordnung am
besten die Arbeit und die Frucht der Arbeit vertheilen?

Jch nehme für einen Augenblick an, daß die Gesellschaft
ihren Höhepunkt erreicht habe; wessen würde es dann bedürfen,
damit alle Menschen glücklich wären? Zwei Dinge würden nöthig
sein: zunächst, daß Jeder seine Fähigkeiten und Anlagen frei
entwickeln könne; dann, daß Jeder seine Bedürfnisse und Nei-
gungen vollkommen zu befriedigen vermöge. Das Jdeal, wel-
chem die Gesellschaft entgegen schreiten muß, ist demnach das:
nach den Kräften zu produziren, nach dem Bedürfniß zu konsu-
miren. ( Ja, ja! das leuchtet ein! )

Aber dieses Jdeal, vermag man es jetzt zu erreichen? Jch
glaube nicht. Zunächst wird die Wohlthat des Unterrichts jetzt
nur in Folge eines Privilegiums zu Theil, in Folge einer mehr
oder minder glücklichen Geburt, die lediglich vom Zufall abhängt,
und die Verrichtungen stehen daher nirgends im Verhältniß zu
den Fähigkeiten, die fast stets unbekannt sind oder auch sich selbst
nicht kennen. Dann ist es zweitens unglücklicher Weise nur zu
gewiß, daß die verderbte Civilisation, deren Last uns jetzt dar-
nieder drückt und die Gesetze der Natur verdunkelt, daß sie eine
Menge künstlicher Bedürfnisse herbeigeführt hat, daß sie den Ge-
schmack verdorben, mit dem Streben nach eitlen Genüssen uns
erfüllt hat, welche in dem Zustande des Jdeals, von welchem
wir eben sprachen, zu ungeregelten und Verderben bringenden
Anforderungen werden würden. Wollte man sofort den Grund-
[Ende Spaltensatz]

*) Die Jnschrift lautete: „Brod durch Arbeit oder Tod im Kampf.“
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[91/0019] Zur Unterhaltung und Belehrung. 91 beschränkt, indem sie zugleich für die Produktion eine ungeregelte und glühende Steigerung erzeugt. Allein, was soll ich Jhnen in dieser Hinsicht sagen, das Sie nicht in Folge der grausam- sten Erfahrung leider selbst wüßten! Aber ein wesentlicher Zug würde noch dem Gemälde fehlen, wollte ich nicht bemerken, daß die Konkurrenz, indem sie die Armuth befördert, zugleich die Unsittlichkeit erzeugt. Wer wagte das zu leugnen? Die Armuth erzeugt den Diebstahl; die Ar- muth pfropft die Verzweiflung und den Haß auf die Unwissen- heit und erzeugt die meisten Morde; die Armuth vermag so viele junge Mädchen, auf schamlose Weise ihren Körper zu ver- kaufen. Man sehe in den Akten der Strafgerichte nach, man lese die Listen der Polizeiverwaltungen und antworte dann! So führt also die Gesellschaft, nur weil sie an einer falschen Organisation krankt, selbst den Haß, die Gewaltthätigkeit, den Neid in ihre Mitte ein; so versetzt sie sich selbst in die Lage, entweder von Oben unterdrückt, oder von Unten durch stete An- griffe beunruhigt zu werden. Mag das System, aus welchem ein so unheilvoller Zustand entspringt, sich vertheidigen! Wir klagen es laut der Unsittlichkeit an. ( Bravo! ) Aber wie! man sagt uns, daß wir die Hand an die Frei- heit legen, wenn wir die Konkurrenz angreifen? Kann ein solcher Einwurf ernstlich gemeint sein? Bevor ich denselben zurückweise, muß ich Sie gegen jedes Gefühl der Aufreizung verwahren. Gott behüte mich, daß ich hierher treten sollte, um Sie zum Zorn und zu ungebändigten Leidenschaften aufzureizen, deren erste Opfer sie selbst sein wür- den! Selbst die Art und Weise, wie ich die Frage stelle, muß Jhnen beweisen, daß die Uebel, auf welche ich hinweise, nicht die- sen oder jenen Mann bezeichnen, nicht diese oder jene Klasse, sondern eine fehlerhafte sociale Ordnung, ein falsches Prinzip. Was mich betrifft, der ich täglich seit der Februarrevolation in Berührung mit dem Volke gekommen bin, so habe ich volles Vertrauen zu der Mäßigung desselben. Daher trage ich auch kein Bedenken, mich über Jhre Leiden mit Jhnen zu unterhalten. Die geringste unüberlegte Hitze während Jhrer gerechtesten Wünsche, die geringste Gewaltsamkeit Jhrer Handlungen könnte Alles gefährden. Aber, Dank dem Himmel! das fühlen Sie eben so wohl, wie ich; und es ist ein glorreiches Zeichen von der Größe unserer Zukunft, daß das Volk geneigt ist, seine Be- freiung nicht von der rohen Gewalt, sondern von der Ordnung, der freien Besprechung, der Wissenschaft zu erwarten. Ja, meine Freunde, seien wir ruhig, seien wir geduldig und ge- mäßigt. Ueberlassen wir unsern Gegnern die gemeinen Hülfs- quellen der Gewaltthätigkeit. Wir haben auf unserer Seite die Gerechtigkeit und die Vernunft: fügen wir der Gerechtigkeit, der Vernunft die Beleidigung nicht zu, daß wir an ihrem Triumph in dem Augenblick verzweifeln, in welchem sie endlich das Wort bekommen werden. ( Beifall ) Man wirft uns also vor, daß wir in der Konkurrenz die Freiheit angreifen. Jch gestehe, daß ein solcher Vorwurf mich mit Staunen erfüllt. Wir wollen die Konkurrenz nicht, gerade weil wir die Freiheit anbeten. Ja, die Freiheit, die Freiheit für Alle, das ist das zu erreichende Ziel, das ist das Ziel, dem wir entgegen streben müssen. ( Rauschender Beifall. ) Nun wollen wir sehen, ob die gegenwärtige Einrichtung uns zu der Frei- heit führt. Daß die Freiheit jetzt und in ihrer vollen Ausdehnung für denjenigen besteht, welcher Kapitalien, Kredit, Kenntnisse hat, das heißt für den, welcher die verschiedenen Mittel zu seiner Ausbildung besitzt, das zu leugnen, bin ich weit entfernt. Besteht die Freiheit aber auch für den, welchem die Mittel zur Entwickelung, welchem die Werkzeuge der Arbeit fehlen? Welches ist das Resultat der Konkurrenz? Entspringt nicht aus ihr der Kampf der Ersten mit den Zweiten, das heißt der Kampf derer, welche vom Kopf bis zu den Füßen bewaffnet sind, mit denen, welche unbewaffnet sind? Die Konkurrenz ist ein Kampf; man vergesse das nicht. Wenn nun aber der Kampf zwischen dem Reichen und dem Armen, zwischen dem Gewandten und dem Ungeschickten, zwischen dem Starken und dem Schwachen sich entspinnt, dann schämt man sich nicht, zu rufen: Platz für die Freiheit! Aber diese Freiheit, es ist die des Zustandes der Rohheit. Wie! man schämt sich nicht, das Recht des Stärkern Freiheit zu nennen? Jch nenne es Sclaverei! Und ich versichere, daß diejenigen unter uns, welche in Folge einer fehlerhaften so- cialen Organisation der Tyrannei des Hungers, der Tyrannei des Frostes, der unsichtbaren und stummen Tyrannei der Dinge unterworfen sind, in weit ärgerem Sinne Sclaven sind, als un- sere Brüder in den Kolonieen, welche zwar unter der Geißel des Aufsehers stehen, aber doch für den morgenden Tag nicht zu sorgen nöthig haben. ( Das ist wahr! Beifall. ) Wenn täglich Unglückliche, denen durch ungeregelte Konkur- renz der Weg zur Arbeit verschlossen ist, zu uns hierher kom- men, um zu sagen: „Bitte! Arbeit für uns! Arbeit für unsere Frauen und unsere Kinder!“ und wir wissen nicht, was wir die- sen Leuten antworten sollen — sind dann diese Menschen Freie? ( Nein, nein! ) Die Fahne, welche Spartacus im Alterthum erhob, trug sie eine vielsagendere, eine schmerzenvollere Jnschrift, als die der Arbeiter in Lyon: Brod durch Arbeit! — Jch mag das Ende der Jnschrift gar nicht aussprechen. *) — Waren das Freie, welche diesen Wahlspruch annahmen? ( Sie waren Sclaven des Hungers! ) Sprechen wir es laut aus: Die Freiheit besteht nicht nur darin, daß Jeder das Recht hat, seine Fähigkeiten auszubilden, sondern, daß er es auch kann. Daher schuldet die Gesellschaft einem jeden ihrer Mitglieder nicht nur den Unterricht, ohne wel- chen sich der menschliche Geist nicht entwickeln kann, sondern auch die Werkzeuge der Arbeit, ohne welche die menschliche Thätigkeit von vorn herein erstickt oder thrannisch ausgebeutet wird. Der Staat muß sich demnach in das Mittel schlagen, da- mit die Freiheit Aller hergestellt und gesichert werde. Welches Mittel muß er aber anwenden, um die Freiheit zu sichern? Die Association. Er muß Allen durch gemeinsamen Unterricht die Mittel zur geistigen Ausbildung gewähren; er muß Allen durch die brüderliche Vereinigung der Kräfte und Hülfsmittel die Werk- zeuge zur Arbeit sichern! Und das wird eben durch die Associa- tion bewirkt, und darin besteht eben die Freiheit. ( Bravo! ) Uebrigens täusche man sich nicht! Wir verlangen das große Prinzip der Association nicht nur als ein Mittel zur Abschaffung des Proletariats, sondern als ein Mittel zur endlosen Steige- rung des Nationalreichthums, das heißt: wir verlangen sie für den Reichen, wie für den Armen, für Jedermann. Denn so viel Gewalt die Konkurrenz besitzt, die Quellen des Reichthums ver- siegen zu machen, so viel Gewalt besitzt die Association, dieselben zu vervielfachen, zu verstärken. Findet allgemeine Association statt, findet eine festgeknüpfte Gegenseitigkeit der Jnteressen statt, dann wird es keine vergebliche Anstrengungen mehr geben, dann wird keine Zeit verloren werden, dann werden keine Kapitalien mehr verschwinden, dann werden die Gewerbe sich nicht mehr gegenseitig verschlingen oder durch einen fernen und unvorherge- sehenen Bankerott zu Grunde gehen, dann wird man nicht mehr unter der Herrschaft des blinden Zufalls produziren, dann wer- den neue Maschinen nicht mehr zu Kriegswerkzeugen werden, dann werden die Arbeiter nicht mehr inmitten allgemeiner Un- ordnung die Arbeit suchen, von der sie an einem andern Orte vergebens gesucht werden. Und wie wird man bei einer solchen neuen Ordnung am besten die Arbeit und die Frucht der Arbeit vertheilen? Jch nehme für einen Augenblick an, daß die Gesellschaft ihren Höhepunkt erreicht habe; wessen würde es dann bedürfen, damit alle Menschen glücklich wären? Zwei Dinge würden nöthig sein: zunächst, daß Jeder seine Fähigkeiten und Anlagen frei entwickeln könne; dann, daß Jeder seine Bedürfnisse und Nei- gungen vollkommen zu befriedigen vermöge. Das Jdeal, wel- chem die Gesellschaft entgegen schreiten muß, ist demnach das: nach den Kräften zu produziren, nach dem Bedürfniß zu konsu- miren. ( Ja, ja! das leuchtet ein! ) Aber dieses Jdeal, vermag man es jetzt zu erreichen? Jch glaube nicht. Zunächst wird die Wohlthat des Unterrichts jetzt nur in Folge eines Privilegiums zu Theil, in Folge einer mehr oder minder glücklichen Geburt, die lediglich vom Zufall abhängt, und die Verrichtungen stehen daher nirgends im Verhältniß zu den Fähigkeiten, die fast stets unbekannt sind oder auch sich selbst nicht kennen. Dann ist es zweitens unglücklicher Weise nur zu gewiß, daß die verderbte Civilisation, deren Last uns jetzt dar- nieder drückt und die Gesetze der Natur verdunkelt, daß sie eine Menge künstlicher Bedürfnisse herbeigeführt hat, daß sie den Ge- schmack verdorben, mit dem Streben nach eitlen Genüssen uns erfüllt hat, welche in dem Zustande des Jdeals, von welchem wir eben sprachen, zu ungeregelten und Verderben bringenden Anforderungen werden würden. Wollte man sofort den Grund- *) Die Jnschrift lautete: „Brod durch Arbeit oder Tod im Kampf.“

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 4. Lieferung. Berlin, 9. April 1873, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social04_1873/19>, abgerufen am 25.11.2024.