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Social-politische Blätter. 3. Lieferung. Berlin, 6. März 1873.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 71
[Beginn Spaltensatz] Bedingung, als für den Mißbrauch dieser Freiheit in den durch
das Gesetz bestimmten Fällen verantwortlich zu sein.


XII. Zur Sicherstellung der Rechte des Menschen und des
Bürgers wird eine öffentliche Gewalt erfordert; diese Gewalt ist
also zu gemeiner Wohlfahrt eingesetzt, und nicht zum besondern
Vortheil derjenigen, welchen man selbige anvertraut hat.

XIII. Zum Unterhalt öffentlicher Gewalt und zur Bestrei-
tung der Verwaltungskosten ist ein allgemeiner Beitrag unum-
gänglich; er muß unter alle Bürger nach Maßgabe ihres Ver-
mögens gleich vertheilt werden.

XIV. Alle Bürger haben das Recht, entweder selbst, oder
durch ihre Vertreter sich von der Nothwendigkeit des öffentlichen
Beitrags zu überzeugen, frei darin zu willigen, auf dessen An-
wendung zu wachen und die Summe, ihre Anlage und ihre
Dauer zu bestimmen.

XV. Die Gesellschaft hat das Recht, von jedem öffentlichen
Beamten Rechenschaft von seiner Verwaltung zu fordern.

XVI. Jede Gesellschaft, in der weder die Rechte gesichert,
noch die Grenzen der verschiedenen Zweige der Gewalt bestimmt
sind, hat keine Konstitution.

XVII. Da das Eigenthum ein unverletzliches und heiliges
Recht ist, so kann Niemand desselben beraubt werden, es sei denn,
daß öffentliche Nothdurft, die gesetzmäßig erwiesen sein muß, es
augenscheinlich erfordert, und auch dann nur unter der Bedin-
gung einer gerechten und vorher zu bestimmenden Schadloshaltung.



Da die Nationalversammlung zur Absicht hat, die frauzösische
Konstitution nach denjenigen Grundsätzen, die sie so eben aner-
kannt und erklärt hat, festzusetzen: so hebt sie alle jene Einrich-
tungen, welche die Freiheit und die Gleichheit der Rechte ver-
letzen, unwiderruflich auf.

Es giebt keinen Adel mehr, noch Pairschaft, noch erbliche
Unterscheidungen, noch Unterscheidungen eines Ordens, noch Lehns-
system, noch Patrimonial=Gerichtsbarkeiten, noch irgend Titel,
Benennungen und Vorzüge, die daraus herflossen, noch irgend
einen Ritterorden, noch irgend eine der Korporationen, oder
Ehrenzeichen, wozu Proben vom Adel erfordert wurden, oder die
Geburtsunterscheidung voraussetzten; noch Hoheit und Obgewalt,
als diejenige der öffentlichen Beamten bei Verrichtung ihrer
Amtspflichten.

Kein öffentliches Amt kann mehr gekauft oder geerbt werden.

Für keinen Theil der Nation, noch für irgend ein einzelnes
Mitglied giebt es mehr irgend ein Vorrecht noch Ausnahme von
dem allgemeinen Rechte aller Franken.

Es giebt keine Jnnungen noch Handwerkszünfte mehr, weder
für Künstler noch Handwerker.

Das Gesetz erkennt keine geistliche Gelübde mehr, noch
irgend eine andere Verpflichtung, die den natürlichen Rechten
oder der Konstitution zuwider wäre.     ( Fortsetzung folgt. )



Die Frauenarbeit in Fabriken

hat in England manchmal zu den schmachvollsten Zuständen geführt.
Jn Zeiten der Arbeitsstockung kam es vor, daß die Frauen die
Fabriken füllten, während die Männer arbeitslos zu Haus blei-
ben und Weibergeschäfte verüben mußten. Ein klares Bild
dieses Zustandes giebt ein Brief eines schlichten, naiven Arbei-
ters, der in den vierziger Jahren dem damaligen Arbeiterführer
Oastler schrieb, in welcher Weise einer seiner Kameraden beim
Besuch einen Freund zu St. Helens in Lancashire getrof-
fen habe:

" Wohl Herr, er fand ihn, und als er zu seiner Baracke
kam, was war es, denkt Jhr? Nun, ein feuchter Keller. Die
Beschreibung, die er von den Möbeln gab, war, wie folgt: Zwei
alte Stühle, ein runder dreibeiniger Tisch, eine Kiste, kein Bett
sondern ein Haufen altes Stroh in einer Ecke mit ein Paar
schmutzigen Betttüchern drauf und zwei Stücke Holz beim Kamin.
Als nun mein armer Freund hinein ging, da saß der arme Jack
am Feuer auf dem Holz. Und was that er, denkt Jhr? Er
saß da und stopfte seiner Frau die Strümpfe mit der Stopfnadel.
Und sobald er seineu alten Freund an der Thür sah, versuchte
er, es zu verbergen. Aber Joe -- so heißt mein Bekannter --
hatte es doch gesehen und sagte: "Jack, zum Teufel, was machst
[Spaltenumbruch] Du da, wo ist Deine Frau, ist das Deine Arbeit?" Der arme
Jack schämte sich und sagte: "Nein, ich weiß, das ist nicht meine
Arbeit. Aber meine arme Frau ist in der Fabrik; sie muß um
halb sechs Uhr gehen und bis acht Uhr Abends arbeiten, und
sie ist dann so abgehetzt, daß sie nichts thun kann. Wenn sie
nach Haus kommt, muß ich Alles für sie thun, was ich kann,
denn ich habe keine Arbeit und keine seit mehr als drei Jahren
gehabt, und ich kriege in meinem Leben keine mehr!" -- Und
dann weinte er dicke Thränen. -- "Nein Joe," sagte er, "es ist
Arbeit genug für Weibsleute und Kinder hier in der Gegend,
aber keine für Mannsleute. Du kannst eher hundert Pfund
Sterling auf der Straße finden, als Arbeit. Aber ich hätte
nicht geglaubt, daß Du oder sonst Jemand mich gesehen hätte,
daß ich meiner Frau die Strümpfe stopfe, denn es ist schlechte
Arbeit. Aber meine Frau kann beinah nicht mehr auf ihren
Füßen stehen; ich bin bange sie wird ganz krank und dann weiß
ich nicht, was aus uns werden soll, denn sie ist schon lange der
Mann im Hause gewesen und ich die Frau. Das ist schlimme
Arbeit Joe!" -- Und er weinte bitterlich und sagte: "Es ist nicht
immer so gewesen." "Jack," sagte Joe: "Wenn Du die ganze Zeit
keine Arbeit gehabt hast, wie hast Du Dich am Leben erhalten?"
-- "Jch will es Dir sagen, Joe, so gut es ging; aber es ging
schlecht genug. Du weißt, als ich heirathete, hatte ich Arbeit
genug, und Du weißt, ich war nicht faul." -- "Nein, das warst
Du nicht." -- "Wir hatten ein gutes, möblirtes Haus, und
Mary brauchte nicht zu arbeiten; ich konnte für uns Beide ar-
beiten. Aber jetzt ist die verkehrte Welt; Mary muß arbeiten,
und ich muß hierbleiben, die Kinder hüten, kehren, waschen,
backen und flicken, denn wenn die arme Frau am Abend nach
Hause kommt, ist sie müde und kaput. Du weißt, Joe, das ist
hart für Einen, der's anders gewohnt war." -- Joe sagte: "Ja,
Junge, es ist hart." Und dann sing Jack wieder an zu weinen
-- er wollte, er hätte nie geheirathet und wäre nie geboren, aber
er hätte nicht gedacht, als er die Mary heirathete, daß es ihm
so ergehen würde. "Jch habe oft genug darüber geheult," meinte
Jack. -- Nun Herr, als Joe das hörte, so erzählte er mir, da
hätte er verflucht und verdammt die Fabriken und die Fabri-
kanten und die Regierung mit allen Flüchen, die er von Jugend
auf in der Fabrik gelernt hätte."

Man kann sich wahrlich keinen verrückteren und schmach-
volleren Zustand denken, als ihn dieser schlichte Arbeiterbrief
schildert. Das sind die Folgen der Frauen= und Kinderarbeit
und der aller menschlichen Verhältnisse spottenden, rücksichtslosen
kapitalistischen Großproduktion, welche dort in England, wo sie
ihre größten Triumphe feiert, auch die grenzenloseste Entsittlichung
erzeugt.



Englische Prediger und Landarbeiter.

Anfang der vierziger Jahre enthielt das "Morning Chronicle"
folgende drastische Schilderung der Stimmung der ländlichen
Tagelöhner ihren Predigern gegenüber:

" Jch fragte einen dieser Leute, ob der heutige Prediger ihr
eigner Geistlicher sei. -- Ja, verdammt sei er, ja wohl ist er
unser eigner Pfaff, er bettelt in einem fort, er hat immer ge-
bettelt, so lange ich ihn kenne. ( Es war nämlich eine Predigt
für die Heidenmission gehalten worden. ) -- Und seit ich ihn
kenne, auch, setzte ein anderer hinzu, und ich hab' nie einen
Pfaffen gekannt, der nicht immer für dies oder das gebettelt
hätte. -- Ja, sagte eine Frau, die eben aus der Kirche kam,
und seht, wie der Lohn heruntergeht, und seht mal die reichen
Vagabunden an, womit die Pfaffen essen und trinken und auf
die Jagd gehen. So helf mir Gott, wir sind eher reif, ins
Arbeitshaus zu gehen und zu verhungern, als für Pfaffen zu
bezahlen, die unter die Heiden gehen. -- Und warum, sagte eine
andere, warum schicken sie nicht die Pfaffen hin, die alle Tage
im Dome zu Salisbury plärren, und das für Niemand, als für
die nackten Steine? Warum gehen die nicht unter die Heiden?
-- Die gehen nicht, sagte der Alte, den ich zuerst gefragt, weil
sie reich sind, sie haben mehr Land als sie brauchen, sie wollen
Geld haben, um sich die armen Pfaffen vom Halse zu schaffen;
ich weiß was sie wollen, dazu kenn' ich sie zu lange. -- Aber,
gute Freunde, fragte ich, Jhr kommt doch nicht immer mit solchen
bittern Gefühlen gegen den Prediger aus der Kirche? Weshalb
[Ende Spaltensatz]

* ) Das frauzösische Wort vertu läßt sich, ebenso wie das lateinische
virtus, von welchem es abstammt, nicht einfach mit "Tugend" übersetzen.
Das deutsche Wort Tugend bedeutet vielmehr das französische moralite.
Wir haben vertu deshalb auch mit Bürgertugend übersetzt; die Römer
verstanden unter virtus: Tapferkeit, Aufopferung für das Vaterland.

Zur Unterhaltung und Belehrung. 71
[Beginn Spaltensatz] Bedingung, als für den Mißbrauch dieser Freiheit in den durch
das Gesetz bestimmten Fällen verantwortlich zu sein.


XII. Zur Sicherstellung der Rechte des Menschen und des
Bürgers wird eine öffentliche Gewalt erfordert; diese Gewalt ist
also zu gemeiner Wohlfahrt eingesetzt, und nicht zum besondern
Vortheil derjenigen, welchen man selbige anvertraut hat.

XIII. Zum Unterhalt öffentlicher Gewalt und zur Bestrei-
tung der Verwaltungskosten ist ein allgemeiner Beitrag unum-
gänglich; er muß unter alle Bürger nach Maßgabe ihres Ver-
mögens gleich vertheilt werden.

XIV. Alle Bürger haben das Recht, entweder selbst, oder
durch ihre Vertreter sich von der Nothwendigkeit des öffentlichen
Beitrags zu überzeugen, frei darin zu willigen, auf dessen An-
wendung zu wachen und die Summe, ihre Anlage und ihre
Dauer zu bestimmen.

XV. Die Gesellschaft hat das Recht, von jedem öffentlichen
Beamten Rechenschaft von seiner Verwaltung zu fordern.

XVI. Jede Gesellschaft, in der weder die Rechte gesichert,
noch die Grenzen der verschiedenen Zweige der Gewalt bestimmt
sind, hat keine Konstitution.

XVII. Da das Eigenthum ein unverletzliches und heiliges
Recht ist, so kann Niemand desselben beraubt werden, es sei denn,
daß öffentliche Nothdurft, die gesetzmäßig erwiesen sein muß, es
augenscheinlich erfordert, und auch dann nur unter der Bedin-
gung einer gerechten und vorher zu bestimmenden Schadloshaltung.



Da die Nationalversammlung zur Absicht hat, die frauzösische
Konstitution nach denjenigen Grundsätzen, die sie so eben aner-
kannt und erklärt hat, festzusetzen: so hebt sie alle jene Einrich-
tungen, welche die Freiheit und die Gleichheit der Rechte ver-
letzen, unwiderruflich auf.

Es giebt keinen Adel mehr, noch Pairschaft, noch erbliche
Unterscheidungen, noch Unterscheidungen eines Ordens, noch Lehns-
system, noch Patrimonial=Gerichtsbarkeiten, noch irgend Titel,
Benennungen und Vorzüge, die daraus herflossen, noch irgend
einen Ritterorden, noch irgend eine der Korporationen, oder
Ehrenzeichen, wozu Proben vom Adel erfordert wurden, oder die
Geburtsunterscheidung voraussetzten; noch Hoheit und Obgewalt,
als diejenige der öffentlichen Beamten bei Verrichtung ihrer
Amtspflichten.

Kein öffentliches Amt kann mehr gekauft oder geerbt werden.

Für keinen Theil der Nation, noch für irgend ein einzelnes
Mitglied giebt es mehr irgend ein Vorrecht noch Ausnahme von
dem allgemeinen Rechte aller Franken.

Es giebt keine Jnnungen noch Handwerkszünfte mehr, weder
für Künstler noch Handwerker.

Das Gesetz erkennt keine geistliche Gelübde mehr, noch
irgend eine andere Verpflichtung, die den natürlichen Rechten
oder der Konstitution zuwider wäre.     ( Fortsetzung folgt. )



Die Frauenarbeit in Fabriken

hat in England manchmal zu den schmachvollsten Zuständen geführt.
Jn Zeiten der Arbeitsstockung kam es vor, daß die Frauen die
Fabriken füllten, während die Männer arbeitslos zu Haus blei-
ben und Weibergeschäfte verüben mußten. Ein klares Bild
dieses Zustandes giebt ein Brief eines schlichten, naiven Arbei-
ters, der in den vierziger Jahren dem damaligen Arbeiterführer
Oastler schrieb, in welcher Weise einer seiner Kameraden beim
Besuch einen Freund zu St. Helens in Lancashire getrof-
fen habe:

„ Wohl Herr, er fand ihn, und als er zu seiner Baracke
kam, was war es, denkt Jhr? Nun, ein feuchter Keller. Die
Beschreibung, die er von den Möbeln gab, war, wie folgt: Zwei
alte Stühle, ein runder dreibeiniger Tisch, eine Kiste, kein Bett
sondern ein Haufen altes Stroh in einer Ecke mit ein Paar
schmutzigen Betttüchern drauf und zwei Stücke Holz beim Kamin.
Als nun mein armer Freund hinein ging, da saß der arme Jack
am Feuer auf dem Holz. Und was that er, denkt Jhr? Er
saß da und stopfte seiner Frau die Strümpfe mit der Stopfnadel.
Und sobald er seineu alten Freund an der Thür sah, versuchte
er, es zu verbergen. Aber Joe — so heißt mein Bekannter —
hatte es doch gesehen und sagte: „Jack, zum Teufel, was machst
[Spaltenumbruch] Du da, wo ist Deine Frau, ist das Deine Arbeit?“ Der arme
Jack schämte sich und sagte: „Nein, ich weiß, das ist nicht meine
Arbeit. Aber meine arme Frau ist in der Fabrik; sie muß um
halb sechs Uhr gehen und bis acht Uhr Abends arbeiten, und
sie ist dann so abgehetzt, daß sie nichts thun kann. Wenn sie
nach Haus kommt, muß ich Alles für sie thun, was ich kann,
denn ich habe keine Arbeit und keine seit mehr als drei Jahren
gehabt, und ich kriege in meinem Leben keine mehr!“ — Und
dann weinte er dicke Thränen. — „Nein Joe,“ sagte er, „es ist
Arbeit genug für Weibsleute und Kinder hier in der Gegend,
aber keine für Mannsleute. Du kannst eher hundert Pfund
Sterling auf der Straße finden, als Arbeit. Aber ich hätte
nicht geglaubt, daß Du oder sonst Jemand mich gesehen hätte,
daß ich meiner Frau die Strümpfe stopfe, denn es ist schlechte
Arbeit. Aber meine Frau kann beinah nicht mehr auf ihren
Füßen stehen; ich bin bange sie wird ganz krank und dann weiß
ich nicht, was aus uns werden soll, denn sie ist schon lange der
Mann im Hause gewesen und ich die Frau. Das ist schlimme
Arbeit Joe!“ — Und er weinte bitterlich und sagte: „Es ist nicht
immer so gewesen.“ „Jack,“ sagte Joe: „Wenn Du die ganze Zeit
keine Arbeit gehabt hast, wie hast Du Dich am Leben erhalten?“
— „Jch will es Dir sagen, Joe, so gut es ging; aber es ging
schlecht genug. Du weißt, als ich heirathete, hatte ich Arbeit
genug, und Du weißt, ich war nicht faul.“ — „Nein, das warst
Du nicht.“ — „Wir hatten ein gutes, möblirtes Haus, und
Mary brauchte nicht zu arbeiten; ich konnte für uns Beide ar-
beiten. Aber jetzt ist die verkehrte Welt; Mary muß arbeiten,
und ich muß hierbleiben, die Kinder hüten, kehren, waschen,
backen und flicken, denn wenn die arme Frau am Abend nach
Hause kommt, ist sie müde und kaput. Du weißt, Joe, das ist
hart für Einen, der's anders gewohnt war.“ — Joe sagte: „Ja,
Junge, es ist hart.“ Und dann sing Jack wieder an zu weinen
— er wollte, er hätte nie geheirathet und wäre nie geboren, aber
er hätte nicht gedacht, als er die Mary heirathete, daß es ihm
so ergehen würde. „Jch habe oft genug darüber geheult,“ meinte
Jack. — Nun Herr, als Joe das hörte, so erzählte er mir, da
hätte er verflucht und verdammt die Fabriken und die Fabri-
kanten und die Regierung mit allen Flüchen, die er von Jugend
auf in der Fabrik gelernt hätte.“

Man kann sich wahrlich keinen verrückteren und schmach-
volleren Zustand denken, als ihn dieser schlichte Arbeiterbrief
schildert. Das sind die Folgen der Frauen= und Kinderarbeit
und der aller menschlichen Verhältnisse spottenden, rücksichtslosen
kapitalistischen Großproduktion, welche dort in England, wo sie
ihre größten Triumphe feiert, auch die grenzenloseste Entsittlichung
erzeugt.



Englische Prediger und Landarbeiter.

Anfang der vierziger Jahre enthielt das „Morning Chronicle“
folgende drastische Schilderung der Stimmung der ländlichen
Tagelöhner ihren Predigern gegenüber:

„ Jch fragte einen dieser Leute, ob der heutige Prediger ihr
eigner Geistlicher sei. — Ja, verdammt sei er, ja wohl ist er
unser eigner Pfaff, er bettelt in einem fort, er hat immer ge-
bettelt, so lange ich ihn kenne. ( Es war nämlich eine Predigt
für die Heidenmission gehalten worden. ) — Und seit ich ihn
kenne, auch, setzte ein anderer hinzu, und ich hab' nie einen
Pfaffen gekannt, der nicht immer für dies oder das gebettelt
hätte. — Ja, sagte eine Frau, die eben aus der Kirche kam,
und seht, wie der Lohn heruntergeht, und seht mal die reichen
Vagabunden an, womit die Pfaffen essen und trinken und auf
die Jagd gehen. So helf mir Gott, wir sind eher reif, ins
Arbeitshaus zu gehen und zu verhungern, als für Pfaffen zu
bezahlen, die unter die Heiden gehen. — Und warum, sagte eine
andere, warum schicken sie nicht die Pfaffen hin, die alle Tage
im Dome zu Salisbury plärren, und das für Niemand, als für
die nackten Steine? Warum gehen die nicht unter die Heiden?
Die gehen nicht, sagte der Alte, den ich zuerst gefragt, weil
sie reich sind, sie haben mehr Land als sie brauchen, sie wollen
Geld haben, um sich die armen Pfaffen vom Halse zu schaffen;
ich weiß was sie wollen, dazu kenn' ich sie zu lange. — Aber,
gute Freunde, fragte ich, Jhr kommt doch nicht immer mit solchen
bittern Gefühlen gegen den Prediger aus der Kirche? Weshalb
[Ende Spaltensatz]

* ) Das frauzösische Wort vertu läßt sich, ebenso wie das lateinische
virtus, von welchem es abstammt, nicht einfach mit „Tugend“ übersetzen.
Das deutsche Wort Tugend bedeutet vielmehr das französische moralité.
Wir haben vertu deshalb auch mit Bürgertugend übersetzt; die Römer
verstanden unter virtus: Tapferkeit, Aufopferung für das Vaterland.
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[71/0023] Zur Unterhaltung und Belehrung. 71 Bedingung, als für den Mißbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz bestimmten Fällen verantwortlich zu sein. XII. Zur Sicherstellung der Rechte des Menschen und des Bürgers wird eine öffentliche Gewalt erfordert; diese Gewalt ist also zu gemeiner Wohlfahrt eingesetzt, und nicht zum besondern Vortheil derjenigen, welchen man selbige anvertraut hat. XIII. Zum Unterhalt öffentlicher Gewalt und zur Bestrei- tung der Verwaltungskosten ist ein allgemeiner Beitrag unum- gänglich; er muß unter alle Bürger nach Maßgabe ihres Ver- mögens gleich vertheilt werden. XIV. Alle Bürger haben das Recht, entweder selbst, oder durch ihre Vertreter sich von der Nothwendigkeit des öffentlichen Beitrags zu überzeugen, frei darin zu willigen, auf dessen An- wendung zu wachen und die Summe, ihre Anlage und ihre Dauer zu bestimmen. XV. Die Gesellschaft hat das Recht, von jedem öffentlichen Beamten Rechenschaft von seiner Verwaltung zu fordern. XVI. Jede Gesellschaft, in der weder die Rechte gesichert, noch die Grenzen der verschiedenen Zweige der Gewalt bestimmt sind, hat keine Konstitution. XVII. Da das Eigenthum ein unverletzliches und heiliges Recht ist, so kann Niemand desselben beraubt werden, es sei denn, daß öffentliche Nothdurft, die gesetzmäßig erwiesen sein muß, es augenscheinlich erfordert, und auch dann nur unter der Bedin- gung einer gerechten und vorher zu bestimmenden Schadloshaltung. Da die Nationalversammlung zur Absicht hat, die frauzösische Konstitution nach denjenigen Grundsätzen, die sie so eben aner- kannt und erklärt hat, festzusetzen: so hebt sie alle jene Einrich- tungen, welche die Freiheit und die Gleichheit der Rechte ver- letzen, unwiderruflich auf. Es giebt keinen Adel mehr, noch Pairschaft, noch erbliche Unterscheidungen, noch Unterscheidungen eines Ordens, noch Lehns- system, noch Patrimonial=Gerichtsbarkeiten, noch irgend Titel, Benennungen und Vorzüge, die daraus herflossen, noch irgend einen Ritterorden, noch irgend eine der Korporationen, oder Ehrenzeichen, wozu Proben vom Adel erfordert wurden, oder die Geburtsunterscheidung voraussetzten; noch Hoheit und Obgewalt, als diejenige der öffentlichen Beamten bei Verrichtung ihrer Amtspflichten. Kein öffentliches Amt kann mehr gekauft oder geerbt werden. Für keinen Theil der Nation, noch für irgend ein einzelnes Mitglied giebt es mehr irgend ein Vorrecht noch Ausnahme von dem allgemeinen Rechte aller Franken. Es giebt keine Jnnungen noch Handwerkszünfte mehr, weder für Künstler noch Handwerker. Das Gesetz erkennt keine geistliche Gelübde mehr, noch irgend eine andere Verpflichtung, die den natürlichen Rechten oder der Konstitution zuwider wäre. ( Fortsetzung folgt. ) Die Frauenarbeit in Fabriken hat in England manchmal zu den schmachvollsten Zuständen geführt. Jn Zeiten der Arbeitsstockung kam es vor, daß die Frauen die Fabriken füllten, während die Männer arbeitslos zu Haus blei- ben und Weibergeschäfte verüben mußten. Ein klares Bild dieses Zustandes giebt ein Brief eines schlichten, naiven Arbei- ters, der in den vierziger Jahren dem damaligen Arbeiterführer Oastler schrieb, in welcher Weise einer seiner Kameraden beim Besuch einen Freund zu St. Helens in Lancashire getrof- fen habe: „ Wohl Herr, er fand ihn, und als er zu seiner Baracke kam, was war es, denkt Jhr? Nun, ein feuchter Keller. Die Beschreibung, die er von den Möbeln gab, war, wie folgt: Zwei alte Stühle, ein runder dreibeiniger Tisch, eine Kiste, kein Bett sondern ein Haufen altes Stroh in einer Ecke mit ein Paar schmutzigen Betttüchern drauf und zwei Stücke Holz beim Kamin. Als nun mein armer Freund hinein ging, da saß der arme Jack am Feuer auf dem Holz. Und was that er, denkt Jhr? Er saß da und stopfte seiner Frau die Strümpfe mit der Stopfnadel. Und sobald er seineu alten Freund an der Thür sah, versuchte er, es zu verbergen. Aber Joe — so heißt mein Bekannter — hatte es doch gesehen und sagte: „Jack, zum Teufel, was machst Du da, wo ist Deine Frau, ist das Deine Arbeit?“ Der arme Jack schämte sich und sagte: „Nein, ich weiß, das ist nicht meine Arbeit. Aber meine arme Frau ist in der Fabrik; sie muß um halb sechs Uhr gehen und bis acht Uhr Abends arbeiten, und sie ist dann so abgehetzt, daß sie nichts thun kann. Wenn sie nach Haus kommt, muß ich Alles für sie thun, was ich kann, denn ich habe keine Arbeit und keine seit mehr als drei Jahren gehabt, und ich kriege in meinem Leben keine mehr!“ — Und dann weinte er dicke Thränen. — „Nein Joe,“ sagte er, „es ist Arbeit genug für Weibsleute und Kinder hier in der Gegend, aber keine für Mannsleute. Du kannst eher hundert Pfund Sterling auf der Straße finden, als Arbeit. Aber ich hätte nicht geglaubt, daß Du oder sonst Jemand mich gesehen hätte, daß ich meiner Frau die Strümpfe stopfe, denn es ist schlechte Arbeit. Aber meine Frau kann beinah nicht mehr auf ihren Füßen stehen; ich bin bange sie wird ganz krank und dann weiß ich nicht, was aus uns werden soll, denn sie ist schon lange der Mann im Hause gewesen und ich die Frau. Das ist schlimme Arbeit Joe!“ — Und er weinte bitterlich und sagte: „Es ist nicht immer so gewesen.“ „Jack,“ sagte Joe: „Wenn Du die ganze Zeit keine Arbeit gehabt hast, wie hast Du Dich am Leben erhalten?“ — „Jch will es Dir sagen, Joe, so gut es ging; aber es ging schlecht genug. Du weißt, als ich heirathete, hatte ich Arbeit genug, und Du weißt, ich war nicht faul.“ — „Nein, das warst Du nicht.“ — „Wir hatten ein gutes, möblirtes Haus, und Mary brauchte nicht zu arbeiten; ich konnte für uns Beide ar- beiten. Aber jetzt ist die verkehrte Welt; Mary muß arbeiten, und ich muß hierbleiben, die Kinder hüten, kehren, waschen, backen und flicken, denn wenn die arme Frau am Abend nach Hause kommt, ist sie müde und kaput. Du weißt, Joe, das ist hart für Einen, der's anders gewohnt war.“ — Joe sagte: „Ja, Junge, es ist hart.“ Und dann sing Jack wieder an zu weinen — er wollte, er hätte nie geheirathet und wäre nie geboren, aber er hätte nicht gedacht, als er die Mary heirathete, daß es ihm so ergehen würde. „Jch habe oft genug darüber geheult,“ meinte Jack. — Nun Herr, als Joe das hörte, so erzählte er mir, da hätte er verflucht und verdammt die Fabriken und die Fabri- kanten und die Regierung mit allen Flüchen, die er von Jugend auf in der Fabrik gelernt hätte.“ Man kann sich wahrlich keinen verrückteren und schmach- volleren Zustand denken, als ihn dieser schlichte Arbeiterbrief schildert. Das sind die Folgen der Frauen= und Kinderarbeit und der aller menschlichen Verhältnisse spottenden, rücksichtslosen kapitalistischen Großproduktion, welche dort in England, wo sie ihre größten Triumphe feiert, auch die grenzenloseste Entsittlichung erzeugt. Englische Prediger und Landarbeiter. Anfang der vierziger Jahre enthielt das „Morning Chronicle“ folgende drastische Schilderung der Stimmung der ländlichen Tagelöhner ihren Predigern gegenüber: „ Jch fragte einen dieser Leute, ob der heutige Prediger ihr eigner Geistlicher sei. — Ja, verdammt sei er, ja wohl ist er unser eigner Pfaff, er bettelt in einem fort, er hat immer ge- bettelt, so lange ich ihn kenne. ( Es war nämlich eine Predigt für die Heidenmission gehalten worden. ) — Und seit ich ihn kenne, auch, setzte ein anderer hinzu, und ich hab' nie einen Pfaffen gekannt, der nicht immer für dies oder das gebettelt hätte. — Ja, sagte eine Frau, die eben aus der Kirche kam, und seht, wie der Lohn heruntergeht, und seht mal die reichen Vagabunden an, womit die Pfaffen essen und trinken und auf die Jagd gehen. So helf mir Gott, wir sind eher reif, ins Arbeitshaus zu gehen und zu verhungern, als für Pfaffen zu bezahlen, die unter die Heiden gehen. — Und warum, sagte eine andere, warum schicken sie nicht die Pfaffen hin, die alle Tage im Dome zu Salisbury plärren, und das für Niemand, als für die nackten Steine? Warum gehen die nicht unter die Heiden? — Die gehen nicht, sagte der Alte, den ich zuerst gefragt, weil sie reich sind, sie haben mehr Land als sie brauchen, sie wollen Geld haben, um sich die armen Pfaffen vom Halse zu schaffen; ich weiß was sie wollen, dazu kenn' ich sie zu lange. — Aber, gute Freunde, fragte ich, Jhr kommt doch nicht immer mit solchen bittern Gefühlen gegen den Prediger aus der Kirche? Weshalb * ) Das frauzösische Wort vertu läßt sich, ebenso wie das lateinische virtus, von welchem es abstammt, nicht einfach mit „Tugend“ übersetzen. Das deutsche Wort Tugend bedeutet vielmehr das französische moralité. Wir haben vertu deshalb auch mit Bürgertugend übersetzt; die Römer verstanden unter virtus: Tapferkeit, Aufopferung für das Vaterland.

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 3. Lieferung. Berlin, 6. März 1873, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social03_1873/23>, abgerufen am 22.11.2024.