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Social-politische Blätter. 1. Lieferung. Berlin, 7. Februar 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 21
[Beginn Spaltensatz] Charakter mich überrascht hätte, wäre ich nicht durch meine vor-
hergehende Unterredung mit ihm einigermaßen darauf vorbereitet
gewesen.

" Meine Brüder und Schwestern in dem Herrn Jesus
Christus," sagte er im Wesentlichen, "Jhr seid von der Welt durch
Gott auserwählt und durch seine Gnade in dieses Thal der
Berge gesandt worden, um sein Königreich aufbauen zu helfen.
Jhr seid schwach und müde vom Marsche. Ruhet denn einen
oder zwei Tage, wenn Jhr es nöthig haben solltet, dann erhebt
Euch und sehet, wie Jhr leben werdet.

" Plagt Euch nicht viel mit Euren religiösen Pflichten ab;
Jhr seid zu diesem Werke erwählt worden, und Gott wird für
Euch dabei Sorge tragen. Seid frohen Muthes. Sehet Euch
um in diesem Thale, in welches Jhr gerufen seid. Eure erste
Pflicht ist die, Kraut bauen zu lernen, und mit diesem Kraute
die Zwiebel, die Tomata und die süße Kartoffel; dann wie man
ein Schwein füttert, Rindvieh aufzieht und Brot bäckt; mit einem
Worte Eure Pflicht ist -- zu leben.

" Die nächste Pflicht -- für die, welche Dänen, Franzosen
Schweizer sind und es jetzt nicht sprechen können -- ist Englisch
zu lernen; die Sprache Gottes, die Sprache des Buches der
Mormonen, die Sprache dieser letzten Tage. Das müßt Jhr
zuerst thun, das Uebrige wird zur rechten Zeit hinzugefügt wer-
den. Gott segne Euch, und der Friede unseres Herrn Jesus
Christus sei mit Euch!"

Der Tempel wird nicht vergessen; in der That, kein Volk
auf der Erde verwendet mehr Geld auf seine kirchlichen Gebäude
und auf den Kirchendienst, als die Mormonen.

Ein Zehntel aller Produkte -- oft viel mehr -- wird freu-
dig der Kirche gegeben; aber der erste Geoanke eines Bekehrten,
der erste Rath eines Aelteren ist immer der, daß der Heilige
Arbeit, Arbeit der Hand und des Geistes, und zumeist Hand-
arbeit, als das bestimmte Opfer betrachten soll, durch welches
nach Gottes eigenem Gesetze ein Mensch von Sünden gereinigt
werden und ewigen Frieden erlangen kann.

Alle diese Leidenfchaften, welche andere Sekten auf die
Polemik werfen, verwenden die Mormonen auf die Arbeit. Sie
scheuen die Diskussion mit der Zunge nicht, sondern siad that-
sächlich schlauen Geistes und schnell in Citaten; aber sie ziehen
es vor, ihre Hauptcontroversen in der Welt mit dem Spaten
zu führen.

Daher gedeihen sie, wo kein anderer Mensch leben köante.
Die Jngenieure, welche berichteten, daß einhundert Ansiedler nie
ihren Unterhalt in diesen Thälern finden würden, waren nicht so
sehr im Jrrthum, als Manche, welche durch Young's Erfolge
weise geworden, das Gegentheil anzunehmen geneigt sind. Selbst
Bridger, der alte Wasatsch=Trapper, war, als er eintausend
Dollars für jede Kornähre geben wollte, nicht so ein Narr, als
seine Worte ihn jetzt erscheinen lassen.

Die Kritiker sprachen nur von dem, was von einem gewöhn-
lichen Manne erwartet werden konnte, der durch gewöhnliche
Motive angetrieben wird, und nichts ist gewisser, als daß ge-
wöhnliche Leute in diesen Gegenden umgekommen sein würden.
Der Boden ist so trocken, so unfrachtbar, daß mit aller seiner
Leidenschaft für die Arbeit ein Mormone nur vier Acker Land
bebauen kann, während ein Heide am Missouri= und Kansasfluß
leicht vierzig Acker bebauen kann.

Nehmt den Trieb der Mormonen weg, und in zwei Jahren
würde die Salzseestadt, wie Denver, für ihre Zufuhr an Lebens-
mitteln von Jndiana und Ohio abhängig sein.

Wer sind aber diese Heiligen, welche damit beschäftigt sind,
diesen Tempel zu bauen?

Vor sechsunddreißig Jahren waren sechs Mormonen in
Amerika, keine in England, keine in dem übrigen Europa, und
heute ( 1866 ) haben sie zwanzigtausend Heilige in der Salzsee-
stadt; je viertausend in Ogden, Nouvoo und Logan; im Ganzen
auf ihren Stationen in diesen Thälern ( auf einhundertundsechs
vollständig von ihnen organisirten, und von Bischöfen und Aelte-
sten regierten Andsiedlungen ) einhundertundfünfzigtausend Seelen;
in anderen Theilen der Vereinigten Staaten vielleicht acht= bis
zehntausend; in England und dessen Kolonien ungefähr fünfzehn-
tausend; im übrigen Europa zehntausend; in Asien und den
Südseeinseln ungefähr zwanzigtausend; in Allem vielleicht nicht
weniger als zweimalhunderttausend Anhänger des von Joseph
Smith gepredigten Eoangeliums. Alle diese Bekehrten sind zu
diesem Tempel in dreißig Jahren gesammelt worden.

Dieses mächtige Wachsthum -- welches sich inmitten von
[Spaltenumbruch] Verfolgung entwickelt hat -- ist eine der stärksten Thatsachen in
der Geschichte dieses merkwürdigen Volkes.

Jn der halben Spanne unseres Lebens sind sie aus Nichts
zu einer großen, lebensfähigen Kirche angewachsen. Der Jslam,
welcher die Einheit Gottes mit Feuer und Schwert predigt,
schritt langsamer vorwärts, als diese amerikanischen Heiligen,
denn in weniger als dreißig Jahren haben sie der christlichen
Kirche eine Nation abgewonnen; sie haben ein Territorium ein-
genommen, welches größer ist als Spanien; sie haben eine
Hauptstadt in der Wüste erbaut, welche bereits bevölkerter als
Valladolid ist; sie haben eine Priesterschaft errichtet, welche in
ihren Reihen mehr als hundert thätige Propheten, Präsidenten,
Bischöfe, Räthe und Aelteste zählt; sie haben für sich selbst eine
Gesetzgebung gegründet, eine Gottesgelahrtheit, eine sociale Wis-
senschaft, welche allen existirenden Universitäten und Glaubens-
bekenntnissen vollkommen feindlich sind.

Wenn man sie Mann für Mann zählt, so sind die Heiligen
bereits stark, aber die Censusangaben auf dem Papier ( welche
so häusig bei Kirchen und Armeen über das Maß gehalten
sind ) , sind in ihrem Falle weit unter ihrer wirklichen Stärke,
ob wir sie auch auf der Wage der zeitlichen oder geistigen Macht
abwiegen.

Andere Leute kann man nach Köpfen zählen; diese Leute
müssen nach Köpfen und Herzen gezählt werden, denn jeder Hei-
lige ist Priester und Soldat zugleich, da die ganze Bevölkerung
der Mormonen in Controversen des Geistes und des Fleisches
erzogen wird.

Jeder männliche Erwachsene hat einen Gedanken in sei-
nem Gehirn, einen Revolver in seinem Gürtel, eine Büchse in
seiner Hand.

Jn jedem Hause finden wir Waffen; im Zimmer des Pro-
pheten, in der Zeitungsexpedition, in den Schuppen der Einwan-
derer, im Badehause, im allgemeinen Wohnzimmer, im gewöhn-
lichen Schlafzimmer. Bei unserer ersten Ankunft in der Salz-
seestadt war das von Oberst Little, einem angesehenen Mormonen,
gehaltene Hotel voll Gäste, und von einem flinken Neger ward
uns ein kleines Hundeloch, ohne Stuhl, ohne Tisch, ohne Gar-
derobe, und mit nur einem Feldbette darin, als Wohnung an-
gewiesen. Empfehlungsbriefe, welche wir sofort abgaben, brach-
ten uns Freunde zu Hülfe; aber der Platz war so überfüllt von
Besuchern, daß kein Zimmer zu haben war, und mein Freund
war genöthigt, Oberst Little's Gastfreundschaft in seinem Privat-
hause zu acceptiren.

Hier fand er, wie eine der Frauen des Obersten einer An-
zahl hübscher Mädchen einen Buch zu Gunsten der Vielweiberei
vorlas; und als man ihm sein Schlafzimmer für die Nacht an-
wies ( ein Schlafzimmer, welches einem von Oberst Little's Söh-
nen gehörte ) , fand er zu seinem Schrecken unter seinem Kopf-
kissen eine geladene Pistole, und zwei geladene und mit Zünd-
hütchen versehene Colts=Revolver an der Wand hängen, in einer
Ecke des Zimmers aber zwei Ballard=Büchsen.

Der junge Little, dessen Zimmer mein Freund für die Nacht
einnahm, ist ein Bursche von siebenzehn Jahren.

Zuerst waren diese Heiligen eine friedliche Rasse, welche nur
mit des Schwerte des Glaubens kämpfte; als aber der heid-
nische Räuber über sie kam und Blei und Stahl gegen das, was
sie Wahrbeit nannten, gebrauchte, und als es offenbar ward, daß
das Gesetz, an welches sie sich in ihrer körperlichen und geistigen
Noth wandten, ihnen keine Hülfe gewähren konnte, da umgürteten
sie ihre Lenden mit fleischlicheren Waffen.

Sie kauften Säbel und Flinten, bildeten Abtheilungen,
singen an zu exerciren und wurden in wenigen Monaten in
Jowa und Jllinois gefürchteter, als ihre geringe Zahl sie gemacht
haben konnte.

Wenn sie nicht stark genug waren, am Mississippi, der öffent-
lichen Meinung zum Trotz, ein neues Reich zu gründen, so waren
sie mächtig genug, die benachbarten Staaten zu beunruhigen und
ein treffliches Corps nach dem Kriegsschauplatze zu schicken, als
der mexikanische Krieg ausbrach.

Von diesem Tage an bis auf den heutigen, haben die mar-
tialischen Uebungen dieser Heiligen ohne Pause fortgewährt.

Das Exerciren kann jetzt als ein Theil des Rituals der
Mormonen betrachtet werden, da ein Heiliger ebenso verbunden
ist, bei der Parade zu erscheinen, als im Tabernakel. Es ist
kaum eine Redensart, zu behaupten, das jeder männliche Erwach-
sene von Deseret -- wie die Mormonen Utah nennen -- sich
gleich bereit hält, auf eine Mission zu gehen, wie in's Feld zu
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 21
[Beginn Spaltensatz] Charakter mich überrascht hätte, wäre ich nicht durch meine vor-
hergehende Unterredung mit ihm einigermaßen darauf vorbereitet
gewesen.

„ Meine Brüder und Schwestern in dem Herrn Jesus
Christus,“ sagte er im Wesentlichen, „Jhr seid von der Welt durch
Gott auserwählt und durch seine Gnade in dieses Thal der
Berge gesandt worden, um sein Königreich aufbauen zu helfen.
Jhr seid schwach und müde vom Marsche. Ruhet denn einen
oder zwei Tage, wenn Jhr es nöthig haben solltet, dann erhebt
Euch und sehet, wie Jhr leben werdet.

„ Plagt Euch nicht viel mit Euren religiösen Pflichten ab;
Jhr seid zu diesem Werke erwählt worden, und Gott wird für
Euch dabei Sorge tragen. Seid frohen Muthes. Sehet Euch
um in diesem Thale, in welches Jhr gerufen seid. Eure erste
Pflicht ist die, Kraut bauen zu lernen, und mit diesem Kraute
die Zwiebel, die Tomata und die süße Kartoffel; dann wie man
ein Schwein füttert, Rindvieh aufzieht und Brot bäckt; mit einem
Worte Eure Pflicht ist — zu leben.

„ Die nächste Pflicht — für die, welche Dänen, Franzosen
Schweizer sind und es jetzt nicht sprechen können — ist Englisch
zu lernen; die Sprache Gottes, die Sprache des Buches der
Mormonen, die Sprache dieser letzten Tage. Das müßt Jhr
zuerst thun, das Uebrige wird zur rechten Zeit hinzugefügt wer-
den. Gott segne Euch, und der Friede unseres Herrn Jesus
Christus sei mit Euch!“

Der Tempel wird nicht vergessen; in der That, kein Volk
auf der Erde verwendet mehr Geld auf seine kirchlichen Gebäude
und auf den Kirchendienst, als die Mormonen.

Ein Zehntel aller Produkte — oft viel mehr — wird freu-
dig der Kirche gegeben; aber der erste Geoanke eines Bekehrten,
der erste Rath eines Aelteren ist immer der, daß der Heilige
Arbeit, Arbeit der Hand und des Geistes, und zumeist Hand-
arbeit, als das bestimmte Opfer betrachten soll, durch welches
nach Gottes eigenem Gesetze ein Mensch von Sünden gereinigt
werden und ewigen Frieden erlangen kann.

Alle diese Leidenfchaften, welche andere Sekten auf die
Polemik werfen, verwenden die Mormonen auf die Arbeit. Sie
scheuen die Diskussion mit der Zunge nicht, sondern siad that-
sächlich schlauen Geistes und schnell in Citaten; aber sie ziehen
es vor, ihre Hauptcontroversen in der Welt mit dem Spaten
zu führen.

Daher gedeihen sie, wo kein anderer Mensch leben köante.
Die Jngenieure, welche berichteten, daß einhundert Ansiedler nie
ihren Unterhalt in diesen Thälern finden würden, waren nicht so
sehr im Jrrthum, als Manche, welche durch Young's Erfolge
weise geworden, das Gegentheil anzunehmen geneigt sind. Selbst
Bridger, der alte Wasatsch=Trapper, war, als er eintausend
Dollars für jede Kornähre geben wollte, nicht so ein Narr, als
seine Worte ihn jetzt erscheinen lassen.

Die Kritiker sprachen nur von dem, was von einem gewöhn-
lichen Manne erwartet werden konnte, der durch gewöhnliche
Motive angetrieben wird, und nichts ist gewisser, als daß ge-
wöhnliche Leute in diesen Gegenden umgekommen sein würden.
Der Boden ist so trocken, so unfrachtbar, daß mit aller seiner
Leidenschaft für die Arbeit ein Mormone nur vier Acker Land
bebauen kann, während ein Heide am Missouri= und Kansasfluß
leicht vierzig Acker bebauen kann.

Nehmt den Trieb der Mormonen weg, und in zwei Jahren
würde die Salzseestadt, wie Denver, für ihre Zufuhr an Lebens-
mitteln von Jndiana und Ohio abhängig sein.

Wer sind aber diese Heiligen, welche damit beschäftigt sind,
diesen Tempel zu bauen?

Vor sechsunddreißig Jahren waren sechs Mormonen in
Amerika, keine in England, keine in dem übrigen Europa, und
heute ( 1866 ) haben sie zwanzigtausend Heilige in der Salzsee-
stadt; je viertausend in Ogden, Nouvoo und Logan; im Ganzen
auf ihren Stationen in diesen Thälern ( auf einhundertundsechs
vollständig von ihnen organisirten, und von Bischöfen und Aelte-
sten regierten Andsiedlungen ) einhundertundfünfzigtausend Seelen;
in anderen Theilen der Vereinigten Staaten vielleicht acht= bis
zehntausend; in England und dessen Kolonien ungefähr fünfzehn-
tausend; im übrigen Europa zehntausend; in Asien und den
Südseeinseln ungefähr zwanzigtausend; in Allem vielleicht nicht
weniger als zweimalhunderttausend Anhänger des von Joseph
Smith gepredigten Eoangeliums. Alle diese Bekehrten sind zu
diesem Tempel in dreißig Jahren gesammelt worden.

Dieses mächtige Wachsthum — welches sich inmitten von
[Spaltenumbruch] Verfolgung entwickelt hat — ist eine der stärksten Thatsachen in
der Geschichte dieses merkwürdigen Volkes.

Jn der halben Spanne unseres Lebens sind sie aus Nichts
zu einer großen, lebensfähigen Kirche angewachsen. Der Jslam,
welcher die Einheit Gottes mit Feuer und Schwert predigt,
schritt langsamer vorwärts, als diese amerikanischen Heiligen,
denn in weniger als dreißig Jahren haben sie der christlichen
Kirche eine Nation abgewonnen; sie haben ein Territorium ein-
genommen, welches größer ist als Spanien; sie haben eine
Hauptstadt in der Wüste erbaut, welche bereits bevölkerter als
Valladolid ist; sie haben eine Priesterschaft errichtet, welche in
ihren Reihen mehr als hundert thätige Propheten, Präsidenten,
Bischöfe, Räthe und Aelteste zählt; sie haben für sich selbst eine
Gesetzgebung gegründet, eine Gottesgelahrtheit, eine sociale Wis-
senschaft, welche allen existirenden Universitäten und Glaubens-
bekenntnissen vollkommen feindlich sind.

Wenn man sie Mann für Mann zählt, so sind die Heiligen
bereits stark, aber die Censusangaben auf dem Papier ( welche
so häusig bei Kirchen und Armeen über das Maß gehalten
sind ) , sind in ihrem Falle weit unter ihrer wirklichen Stärke,
ob wir sie auch auf der Wage der zeitlichen oder geistigen Macht
abwiegen.

Andere Leute kann man nach Köpfen zählen; diese Leute
müssen nach Köpfen und Herzen gezählt werden, denn jeder Hei-
lige ist Priester und Soldat zugleich, da die ganze Bevölkerung
der Mormonen in Controversen des Geistes und des Fleisches
erzogen wird.

Jeder männliche Erwachsene hat einen Gedanken in sei-
nem Gehirn, einen Revolver in seinem Gürtel, eine Büchse in
seiner Hand.

Jn jedem Hause finden wir Waffen; im Zimmer des Pro-
pheten, in der Zeitungsexpedition, in den Schuppen der Einwan-
derer, im Badehause, im allgemeinen Wohnzimmer, im gewöhn-
lichen Schlafzimmer. Bei unserer ersten Ankunft in der Salz-
seestadt war das von Oberst Little, einem angesehenen Mormonen,
gehaltene Hotel voll Gäste, und von einem flinken Neger ward
uns ein kleines Hundeloch, ohne Stuhl, ohne Tisch, ohne Gar-
derobe, und mit nur einem Feldbette darin, als Wohnung an-
gewiesen. Empfehlungsbriefe, welche wir sofort abgaben, brach-
ten uns Freunde zu Hülfe; aber der Platz war so überfüllt von
Besuchern, daß kein Zimmer zu haben war, und mein Freund
war genöthigt, Oberst Little's Gastfreundschaft in seinem Privat-
hause zu acceptiren.

Hier fand er, wie eine der Frauen des Obersten einer An-
zahl hübscher Mädchen einen Buch zu Gunsten der Vielweiberei
vorlas; und als man ihm sein Schlafzimmer für die Nacht an-
wies ( ein Schlafzimmer, welches einem von Oberst Little's Söh-
nen gehörte ) , fand er zu seinem Schrecken unter seinem Kopf-
kissen eine geladene Pistole, und zwei geladene und mit Zünd-
hütchen versehene Colts=Revolver an der Wand hängen, in einer
Ecke des Zimmers aber zwei Ballard=Büchsen.

Der junge Little, dessen Zimmer mein Freund für die Nacht
einnahm, ist ein Bursche von siebenzehn Jahren.

Zuerst waren diese Heiligen eine friedliche Rasse, welche nur
mit des Schwerte des Glaubens kämpfte; als aber der heid-
nische Räuber über sie kam und Blei und Stahl gegen das, was
sie Wahrbeit nannten, gebrauchte, und als es offenbar ward, daß
das Gesetz, an welches sie sich in ihrer körperlichen und geistigen
Noth wandten, ihnen keine Hülfe gewähren konnte, da umgürteten
sie ihre Lenden mit fleischlicheren Waffen.

Sie kauften Säbel und Flinten, bildeten Abtheilungen,
singen an zu exerciren und wurden in wenigen Monaten in
Jowa und Jllinois gefürchteter, als ihre geringe Zahl sie gemacht
haben konnte.

Wenn sie nicht stark genug waren, am Mississippi, der öffent-
lichen Meinung zum Trotz, ein neues Reich zu gründen, so waren
sie mächtig genug, die benachbarten Staaten zu beunruhigen und
ein treffliches Corps nach dem Kriegsschauplatze zu schicken, als
der mexikanische Krieg ausbrach.

Von diesem Tage an bis auf den heutigen, haben die mar-
tialischen Uebungen dieser Heiligen ohne Pause fortgewährt.

Das Exerciren kann jetzt als ein Theil des Rituals der
Mormonen betrachtet werden, da ein Heiliger ebenso verbunden
ist, bei der Parade zu erscheinen, als im Tabernakel. Es ist
kaum eine Redensart, zu behaupten, das jeder männliche Erwach-
sene von Deseret — wie die Mormonen Utah nennen — sich
gleich bereit hält, auf eine Mission zu gehen, wie in's Feld zu
[Ende Spaltensatz]

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[21/0021] Zur Unterhaltung und Belehrung. 21 Charakter mich überrascht hätte, wäre ich nicht durch meine vor- hergehende Unterredung mit ihm einigermaßen darauf vorbereitet gewesen. „ Meine Brüder und Schwestern in dem Herrn Jesus Christus,“ sagte er im Wesentlichen, „Jhr seid von der Welt durch Gott auserwählt und durch seine Gnade in dieses Thal der Berge gesandt worden, um sein Königreich aufbauen zu helfen. Jhr seid schwach und müde vom Marsche. Ruhet denn einen oder zwei Tage, wenn Jhr es nöthig haben solltet, dann erhebt Euch und sehet, wie Jhr leben werdet. „ Plagt Euch nicht viel mit Euren religiösen Pflichten ab; Jhr seid zu diesem Werke erwählt worden, und Gott wird für Euch dabei Sorge tragen. Seid frohen Muthes. Sehet Euch um in diesem Thale, in welches Jhr gerufen seid. Eure erste Pflicht ist die, Kraut bauen zu lernen, und mit diesem Kraute die Zwiebel, die Tomata und die süße Kartoffel; dann wie man ein Schwein füttert, Rindvieh aufzieht und Brot bäckt; mit einem Worte Eure Pflicht ist — zu leben. „ Die nächste Pflicht — für die, welche Dänen, Franzosen Schweizer sind und es jetzt nicht sprechen können — ist Englisch zu lernen; die Sprache Gottes, die Sprache des Buches der Mormonen, die Sprache dieser letzten Tage. Das müßt Jhr zuerst thun, das Uebrige wird zur rechten Zeit hinzugefügt wer- den. Gott segne Euch, und der Friede unseres Herrn Jesus Christus sei mit Euch!“ Der Tempel wird nicht vergessen; in der That, kein Volk auf der Erde verwendet mehr Geld auf seine kirchlichen Gebäude und auf den Kirchendienst, als die Mormonen. Ein Zehntel aller Produkte — oft viel mehr — wird freu- dig der Kirche gegeben; aber der erste Geoanke eines Bekehrten, der erste Rath eines Aelteren ist immer der, daß der Heilige Arbeit, Arbeit der Hand und des Geistes, und zumeist Hand- arbeit, als das bestimmte Opfer betrachten soll, durch welches nach Gottes eigenem Gesetze ein Mensch von Sünden gereinigt werden und ewigen Frieden erlangen kann. Alle diese Leidenfchaften, welche andere Sekten auf die Polemik werfen, verwenden die Mormonen auf die Arbeit. Sie scheuen die Diskussion mit der Zunge nicht, sondern siad that- sächlich schlauen Geistes und schnell in Citaten; aber sie ziehen es vor, ihre Hauptcontroversen in der Welt mit dem Spaten zu führen. Daher gedeihen sie, wo kein anderer Mensch leben köante. Die Jngenieure, welche berichteten, daß einhundert Ansiedler nie ihren Unterhalt in diesen Thälern finden würden, waren nicht so sehr im Jrrthum, als Manche, welche durch Young's Erfolge weise geworden, das Gegentheil anzunehmen geneigt sind. Selbst Bridger, der alte Wasatsch=Trapper, war, als er eintausend Dollars für jede Kornähre geben wollte, nicht so ein Narr, als seine Worte ihn jetzt erscheinen lassen. Die Kritiker sprachen nur von dem, was von einem gewöhn- lichen Manne erwartet werden konnte, der durch gewöhnliche Motive angetrieben wird, und nichts ist gewisser, als daß ge- wöhnliche Leute in diesen Gegenden umgekommen sein würden. Der Boden ist so trocken, so unfrachtbar, daß mit aller seiner Leidenschaft für die Arbeit ein Mormone nur vier Acker Land bebauen kann, während ein Heide am Missouri= und Kansasfluß leicht vierzig Acker bebauen kann. Nehmt den Trieb der Mormonen weg, und in zwei Jahren würde die Salzseestadt, wie Denver, für ihre Zufuhr an Lebens- mitteln von Jndiana und Ohio abhängig sein. Wer sind aber diese Heiligen, welche damit beschäftigt sind, diesen Tempel zu bauen? Vor sechsunddreißig Jahren waren sechs Mormonen in Amerika, keine in England, keine in dem übrigen Europa, und heute ( 1866 ) haben sie zwanzigtausend Heilige in der Salzsee- stadt; je viertausend in Ogden, Nouvoo und Logan; im Ganzen auf ihren Stationen in diesen Thälern ( auf einhundertundsechs vollständig von ihnen organisirten, und von Bischöfen und Aelte- sten regierten Andsiedlungen ) einhundertundfünfzigtausend Seelen; in anderen Theilen der Vereinigten Staaten vielleicht acht= bis zehntausend; in England und dessen Kolonien ungefähr fünfzehn- tausend; im übrigen Europa zehntausend; in Asien und den Südseeinseln ungefähr zwanzigtausend; in Allem vielleicht nicht weniger als zweimalhunderttausend Anhänger des von Joseph Smith gepredigten Eoangeliums. Alle diese Bekehrten sind zu diesem Tempel in dreißig Jahren gesammelt worden. Dieses mächtige Wachsthum — welches sich inmitten von Verfolgung entwickelt hat — ist eine der stärksten Thatsachen in der Geschichte dieses merkwürdigen Volkes. Jn der halben Spanne unseres Lebens sind sie aus Nichts zu einer großen, lebensfähigen Kirche angewachsen. Der Jslam, welcher die Einheit Gottes mit Feuer und Schwert predigt, schritt langsamer vorwärts, als diese amerikanischen Heiligen, denn in weniger als dreißig Jahren haben sie der christlichen Kirche eine Nation abgewonnen; sie haben ein Territorium ein- genommen, welches größer ist als Spanien; sie haben eine Hauptstadt in der Wüste erbaut, welche bereits bevölkerter als Valladolid ist; sie haben eine Priesterschaft errichtet, welche in ihren Reihen mehr als hundert thätige Propheten, Präsidenten, Bischöfe, Räthe und Aelteste zählt; sie haben für sich selbst eine Gesetzgebung gegründet, eine Gottesgelahrtheit, eine sociale Wis- senschaft, welche allen existirenden Universitäten und Glaubens- bekenntnissen vollkommen feindlich sind. Wenn man sie Mann für Mann zählt, so sind die Heiligen bereits stark, aber die Censusangaben auf dem Papier ( welche so häusig bei Kirchen und Armeen über das Maß gehalten sind ) , sind in ihrem Falle weit unter ihrer wirklichen Stärke, ob wir sie auch auf der Wage der zeitlichen oder geistigen Macht abwiegen. Andere Leute kann man nach Köpfen zählen; diese Leute müssen nach Köpfen und Herzen gezählt werden, denn jeder Hei- lige ist Priester und Soldat zugleich, da die ganze Bevölkerung der Mormonen in Controversen des Geistes und des Fleisches erzogen wird. Jeder männliche Erwachsene hat einen Gedanken in sei- nem Gehirn, einen Revolver in seinem Gürtel, eine Büchse in seiner Hand. Jn jedem Hause finden wir Waffen; im Zimmer des Pro- pheten, in der Zeitungsexpedition, in den Schuppen der Einwan- derer, im Badehause, im allgemeinen Wohnzimmer, im gewöhn- lichen Schlafzimmer. Bei unserer ersten Ankunft in der Salz- seestadt war das von Oberst Little, einem angesehenen Mormonen, gehaltene Hotel voll Gäste, und von einem flinken Neger ward uns ein kleines Hundeloch, ohne Stuhl, ohne Tisch, ohne Gar- derobe, und mit nur einem Feldbette darin, als Wohnung an- gewiesen. Empfehlungsbriefe, welche wir sofort abgaben, brach- ten uns Freunde zu Hülfe; aber der Platz war so überfüllt von Besuchern, daß kein Zimmer zu haben war, und mein Freund war genöthigt, Oberst Little's Gastfreundschaft in seinem Privat- hause zu acceptiren. Hier fand er, wie eine der Frauen des Obersten einer An- zahl hübscher Mädchen einen Buch zu Gunsten der Vielweiberei vorlas; und als man ihm sein Schlafzimmer für die Nacht an- wies ( ein Schlafzimmer, welches einem von Oberst Little's Söh- nen gehörte ) , fand er zu seinem Schrecken unter seinem Kopf- kissen eine geladene Pistole, und zwei geladene und mit Zünd- hütchen versehene Colts=Revolver an der Wand hängen, in einer Ecke des Zimmers aber zwei Ballard=Büchsen. Der junge Little, dessen Zimmer mein Freund für die Nacht einnahm, ist ein Bursche von siebenzehn Jahren. Zuerst waren diese Heiligen eine friedliche Rasse, welche nur mit des Schwerte des Glaubens kämpfte; als aber der heid- nische Räuber über sie kam und Blei und Stahl gegen das, was sie Wahrbeit nannten, gebrauchte, und als es offenbar ward, daß das Gesetz, an welches sie sich in ihrer körperlichen und geistigen Noth wandten, ihnen keine Hülfe gewähren konnte, da umgürteten sie ihre Lenden mit fleischlicheren Waffen. Sie kauften Säbel und Flinten, bildeten Abtheilungen, singen an zu exerciren und wurden in wenigen Monaten in Jowa und Jllinois gefürchteter, als ihre geringe Zahl sie gemacht haben konnte. Wenn sie nicht stark genug waren, am Mississippi, der öffent- lichen Meinung zum Trotz, ein neues Reich zu gründen, so waren sie mächtig genug, die benachbarten Staaten zu beunruhigen und ein treffliches Corps nach dem Kriegsschauplatze zu schicken, als der mexikanische Krieg ausbrach. Von diesem Tage an bis auf den heutigen, haben die mar- tialischen Uebungen dieser Heiligen ohne Pause fortgewährt. Das Exerciren kann jetzt als ein Theil des Rituals der Mormonen betrachtet werden, da ein Heiliger ebenso verbunden ist, bei der Parade zu erscheinen, als im Tabernakel. Es ist kaum eine Redensart, zu behaupten, das jeder männliche Erwach- sene von Deseret — wie die Mormonen Utah nennen — sich gleich bereit hält, auf eine Mission zu gehen, wie in's Feld zu

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 1. Lieferung. Berlin, 7. Februar 1874, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social01_1874/21>, abgerufen am 01.06.2024.