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Reichspost. Nr. 370, Wien, 12.08.1912.

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[Spaltenumbruch]

Morgenblatt 8 h
in Wien.
Redaktion:
VIII. Strozzigasse 41.
Telephon: 18082.
Verwaltung:
VIII. Strozzig. 42.
Telephon: 13870.
Druckerei:
VIII. Strozzigasse 41.
Telephon: 22641.
Kleiner Anzeiger I. Schulerstr. 21.
Telephon: 2926.
Inserate

werden in der Verwaltung der
"Reichspost" VIII. Strozzigasse 42,
I. Schulerstraße 21, sowie in
allen Annoncenbureaus des In-
und Auslandes angenommen.


[Spaltenumbruch]
Mittagsblatt.
Reichspost.
Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk Oesterreich-Ungarns.

[Spaltenumbruch]

Bezugspreise:
bei täglich zweimaliger Zu-
stellung für Wien:
monatlich ....... K 3.70
vierteljährig ...... "11.--
halbjährig ....... "22.--
für Oesterreich-Ungarn:
monatlich ....... [K 3.85
vierteljährig ...... " 11.50
halbjährig ....... " 23.--
Bei täglich einmaliger Zu-
stellung (das Morgenblatt zu-
gleich mit der Nachmittagsaus-
gabe des vorherigen Tages)
für auswärts:
monatlich ....... K 3.50
vierteljährig ...... " 10.50
halbjährig ....... " 21.--
Für Deutschland:
vierteljährig Kreuzbandsendung
K 16.--.
Länder des Weltpostvereines:
vierteljährig Kreuzbandsendung
K 22.--.




Nr. 370 Wien, Montag den 12. August 1912. XIX. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Friedenswünsche in Ungarn.

Im Margittaer Wahlbezirke hielt gestern der
Staatssekretär des ungarischen Finanzministeriums
Madarassy eine Kandidatenrede als Reichstagswahl-
werber, in der er dem Wunsche nach einer Ver-
ständigung mit der Opposition sehr warmen Ausdruck
verlieh. Er sprach freilich über das Wichtigste nicht, über
die Voraussetzungen, die zu dieser Verständigung führen.
Wie nun einmal die Dinge liegen, sind diese persönlicher
und sachlicher Natur. Wie schwer freilich die ersteren
zu beschaffen sind, ergibt sich aus dem Verpflichtungs-
verhältnis, das für den Ministerpräsidenten Lukacs
durch die äußerlichen Erfolge des Grafen Stefan Tisza
entstanden ist, und daß auch in sachlicher Beziehung
weitgehende Differenzen zwischen Regierungspartei und
Opposition klaffen, ergibt sich aus dem, was man über
die Wahlreformpläne der Regierung vernimmt. Staats-
sekretär Madarassy sprach von der notwendigen
Sicherung des Einflusses der Intelligenz, eine Differen-
zierung im allgemeinen Wahlrecht, die erfahrungsgemäß
tatsächlich nicht zu einer stärkeren Geltendmachung der
gebildeten Schichten, sondern nur zu einer Bevorzugung
industrieller Gebiete und einem Vorsprunge der sozial-
demokratischen Wahlaussichten führt. Auf ein Miß-
verhältnis in der Verteilung des Wahlrechtes deuteten
schon die Grundzüge der Wahlreform hin, die das
Ministerium Lukacs im vergangenen Frühjahr ver-
öffentlichte, und auf denselben Fundamenten scheint
auch die Wahlreform zu ruhen, die das Ministerium
im Herbst dem Hause unterbreiten will: Beibehaltung
der öffentlichen Abstimmung auf dem flachen Lande,
Zutritt zum Wahlrechte durch Bedingungen,
die leichter von der industriellen Bevölkerung
als von der ländlichen zu erfüllen sind.
Diese Verschlechterung des allgemeinen Wahlrechtes
bedeutet eine Benachteiligung der Nationalitäten,
da in den ungarischen Industrieorten und Städten
weitaus das Magyarentum das Uebergewicht hat; es
ist aber auch vom magyarischen Standpunkte aus eine
bedenkliche Maßregel, da diese Methode den politischen
Schwerpunkt auf Gebiete verlegt, in denen sich Um-
wälzungen rascher vollziehen und der konservative
Staatsgedanke schwächer wurzelt, als in den breiten
Schichten der mit der Scholle verknüpften Bevölkerung.
Die Justhpartei, die namentlich ländliche Bevölkerung
vertritt, wird einem solchen Wahlreformentwurf vor-
aussichtlich stark widerstreben.

Bisher eröffnet sich der Verständigung mit der
Opposition nach keiner Richtung hin noch eine Tür.


Staatssekretär im Finanzministerium Gabriel
Madarassy hielt heute im Margittaer Wahlbezirke
seine Programmrede als Abgeordnetenkandidat. Er
sagte, er stehe auf der Grundlage des Programms,
welches die Regierung seinerzeit bei der Vorstellung im
Reichstage abgab. Er sei ein unverbrüchlicher Anhänger
des 1867er Ausgleichs, auf dessen Grundlage die Nation
seit einem halben Jahrhundert so riesige Fortschritte auf
allen Gebieten gemacht habe. Ein Stillstand in diesem
Fortschritte sei eingetreten, als die Opposition mit ihren
staatsrechtlichen Forderungen zu weit gegangen sei und
die Obstruktion eingesetzt habe, was die Ereignisse der
letzten Zeit zur Folge hatte. Redner wünsche innigst,
daß im Parlament der Friede so bald als
möglich
zustande komme, und hoffe, daß der Patrio-
tismus aller Parteien eine Grundlage finden werde,
auf welcher das Friedenswerk aufgebaut werden könne.
(Lebhafter Beifall.) Dieser Friede sei dringend
notwendig, da sehr wichtige Aufgaben der
Lösung harren, darunter die Wahlreform,
bei deren Ausarbeitung die Regierung bis zur
statthaft weitesten Grenze der demokratischen und
liberalen Richtung gehen wird, bis zu der Grenze,
welche ihr die Wahrung des einheitlichen
nationalen Charakters des ungarischen Staates vor-
schreibt. (Beifall.) Die Regierung werde auch alle die-
jenigen, welche bisher außerhalb der
Schanzen der Verfassung
standen, in die-
selbe einbeziehen, doch müsse der Einfluß der
Intelligenz
auf die Angelegenheiten des Landes
gesichertwerden Red[n]er führt eine Reihe von Gesetzentwürfen
an, welche das Finanzministerium zur Besserung der
Finanzen des Landes vorlegen wird, darunter die Ab-
änderung des Pensions gesetzes, das Ins-
[Spaltenumbruch] lebentreten neuer Steuergesetze, die Reform
des Gebührengesetzes, die neue Durchführung des
Katasters, die Weiterentwicklung der Ackerbauwirtschaft,
die Erhöhung der Tabakeinlösung und die zielbewußte
Unterstützung des Handels und des Gewerbes, beson-
ders des Kleingewerbes.

Die Rede wurde mit lebhaftem Beifall auf-
genommen.




Poincare in Petersburg.
Der Empfang beim Zaren in Peterhof.
Auszeichnung Poincares.


Kaiser Nikolaus und Kaiserin Alexandra
empfingen mittags im großen Palais zu Peterhof
den französischen Ministerpräsidenten Poincare.
Nach dem Empfange verließ die Kaiserin das Palais.

Nachdem die Herren der Begleitung des Minister-
präsidenten Poincare dem Kaiser vorgestellt worden
waren, wurde das Frühstück serviert. Rechts vom Kaiser
saß Poincare, links der französische Botschafter. Dem
Frühstück waren ferner zugezogen: Ministerpräsident
Kokowzew, Minister des Aeußern Sasonow,
der russische Botschafter in Paris Iswolski, die
Herren der Begleitung des französischen Minister-
präsidenten und andere.

Der Kaiser hat Poincare den
Alexander-Newskiorden
verliehen.
Zapfenstreich und Galavorstellung in
Krasnoje-Selo.


Nachmittags fand im Lager von Krasnoje-
Selo
in Gegenwart des Kaisers, der Groß-
fürsten,
des Ministerpräsidenten Poincare, der
russischen Minister sowie der französischen Offiziere ein
Zapfenstreich statt. Abends gab Großfürst
Nicolai Nicolajewitsch zu Ehren Poincares
ein Diner, woran auch Ministerpräsident Kokowzew,
Minister des Aeußern Sasonow, Kriegsminister
Suchomlinow, die Hofwürdenträger und Bot-
schafter Iswolski teilnahmen.

Sodann fand im Theater von Krasnoje
Selo
eine Galavorstellung statt, der auch
Kaiser Nikolaus und die Großfürsten, ferner
die Herren der Begleitung des französischen Minister-
präsidenten und die Offiziere des Kreuzers "Conde"
beiwohnten.

Konferenzen Poincares mit Sasonow und
Kokowzew.

Empfang der französischen Kolonie.


Der französische Ministerpräsident Poincare legte
gestern am Grabe des Kaisers Alexander III.
im Namen der französischen Regierung einen Kranz
nieder. Hierauf besichtigte er das Volkshaus sowie
die französischen Wohltätigkeitsanstalten. Nach
einem Frühstücke, das der Ministerpräsident
auf der französischen Botschaft einnahm,
hatte er eine einstündige Unterredung
mit dem russischen Minister des Aeußern Sasonow
und sodann eine halbstündige Konferenz mit dem
Ministerpräsidenten Kokowzew, worauf er auf
den Botschaften Besuche abstattete.

Um 5 Uhr nachmittags empfing Ministerpräsident
Poincare die französische Kolonie. In seiner
Antwort auf die Ansprache des Präsidenten des
französischen Wohltätigkeitsvereines, Darcy, betonte
Poincare, die französische Kolonie bilde ein natürliches
Band zwischen Frankreich und Rußland.

Keine Aufrollung der Dardanellenfrage.


Die Nachricht eines auswärtigen Blattes, wonach
während der Anwesenheit des Ministerpräsidenten Poin-
care in St. Petersburg die Dardanellenfrage
werde aufgerollt werden, wird von amtlicher
russischer Seite dementiert.

Dementi russischer Anleiheabsichten.


Die St. Petersburger Telegraphenagentur meldet:
Im Zusammenhange mit der Ankunft des Minister-
präsidenten Poincare verbreiteten sich abermals
Gerüchte, die russische Regierung wolle die Anwesen-
heit Poincares zum Abschlusse von neuen
[Spaltenumbruch] Staatsanleihen
ausnützen, welche an-
geblich zur Durchführung des Flottenprogrammes und
für andere im französisch-russischen Bündnisse begrün-
dete Bedürfnisse notwendig seien. Das Finanz-
ministerium bezeichnet alle derartigen Gerüchte als
vollkommen grundlos und erklärt sie als
müßige Erfindung. Das russische Schatz-
amt bedürfe keiner Kräftigung durch neue
Anleihen.




Abreise des österreichisch-
ungarischen Gesandten aus Tanger.


Die "Vossische Zeitung" meldet aus Tanger:
Der österreichisch-ungarische Gesandte von Calen-
berg
ist mit seiner Familie nach Auflösung seines
Hausstandes abgereist. Von den elf fremden Ge-
sandten verbleiben nur der amerikanische
und der portugiesische in Tanger. Wie die
"Depeche Marrocaine" meldet, werden voraussichtlich
weder der österreichische noch die anderen Gesandten
wieder zurückkehren, sondern sich durch Geschäfts-
träger
vertreten lassen. Nach Regelung der maro-
kanischen Verhältnisse sollen die Gesandtschaften in
Generalkonsulate umgewandelt werden.




Explosion einer Höllenmaschine
im österreichischen Postamt in
Saloniki.

Aus Saloniki kommt die Meldung von
einem gegen das dortige österreichisch-ungarische Post-
amt gerichteten Anschlag, dem zwar glücklicherweise
keine Measchenleben zum Opfer gefallen sind, dessen
Ausführung jedoch bedenkliche Aussichten für die Ent-
wicklung der Frage in Mazedonien eröffnet.

Schon die in den letzten Wochen in verschiedenen
Gegenden Mazedoniens verübten Attentate bulgarischer
Banden deuteten auf ein Wiederaufleben der Propa-
ganda der Tat des revolutionären mazedonischen
Komitees hin, dessen Bestreben bekanntlich dahin geht,
durch seine in erster Linie gegen die Mohammedaner
gerichteten Gewalttätigkeiten Repressalien gegen die
Christen in der Türkei hervorzurufen und dadurch
einen bewaffneten Konflikt der Türkei mit den Balkan-
staaten oder das Eingreifen europäischer Mächte herbei-
zuführen. Der erste Teil dieses Programmes ist erst
kürzlich bei dem Bombenanschlag in Kotschana in
fast vollkommener Weise geglückt, indem es hiedurch in
Katschana und Umgebung zu einem Bulgarengemetzel kam,
das in Bulgarieu eine ungeheure Erregung hervorrief.
Zu dem erhofften bewaffneten Einschreiten Bulgariens
kam es jedoch infolge der klugen Mäßigung der
bulgarischen Regierung und der loyalen Haltung
der türkischen Regierung, die sogleich eine
strenge Untersuchung einleitete, auch dies-
mal nicht, und das einzige Resultat
des revolutionären Anschlages des mazedonischen
Komitees war die Niedermetzlung von mehr als hundert
der eigenen Landsleute.

Dieser Mißerfolg scheint nun zu dem Versuch ge-
führt zu haben, durch ein Attentat, das eine der
europäischen Großmächte in unmittelbare Mitleiden-
schaft zieht, das beabsichtigte Ziel zu erreichen. Diese
Erwartung des mazedonischen Komitees wird nun auch
in diesem Falle getäuscht werden und auch diesmal
wird der Erfolg nur der sein, daß man in Europa die
strengen Maßregeln, die die türkische Regierung
gegen die bulgarischen Banden ergreifen wird,
als durchaus gerechtfertigt ansehen wird. Die Politik
der Gewalttaten, zu der das mazedonische Komitee wieder
zurückgekehrt ist, wird nicht nur von einem großen Teil
der Bevölkerung des Königreiches Bulgarien selbst ver-
urteilt, sondern ist nur geeignet, den mazedonischen
Bulgaren die Sympathien Europas zu rauben.

Heftige Wirkung der Explosion.
Zwei Beamte leicht verwundet.


Im österreichischen Postamte explodierte um
1/210 Uhr nachts eine Höllenmaschine, die
durch unbekannte Täter eingeschmuggelt worden war
Das Lokal wurde stark beschädigt und die
Einrichtung zerstört. Die Postsachen blieben

[Spaltenumbruch]

Morgenblatt 8 h
in Wien.
Redaktion:
VIII. Strozzigaſſe 41.
Telephon: 18082.
Verwaltung:
VIII. Strozzig. 42.
Telephon: 13870.
Druckerei:
VIII. Strozzigaſſe 41.
Telephon: 22641.
Kleiner Anzeiger I. Schulerſtr. 21.
Telephon: 2926.
Inſerate

werden in der Verwaltung der
„Reichspoſt“ VIII. Strozzigaſſe 42,
I. Schulerſtraße 21, ſowie in
allen Annoncenbureaus des In-
und Auslandes angenommen.


[Spaltenumbruch]
Mittagsblatt.
Reichspoſt.
Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns.

[Spaltenumbruch]

Bezugspreiſe:
bei täglich zweimaliger Zu-
ſtellung für Wien:
monatlich ....... K 3.70
vierteljährig ...... „11.—
halbjährig ....... „22.—
für Oeſterreich-Ungarn:
monatlich ....... [K 3.85
vierteljährig ...... „ 11.50
halbjährig ....... „ 23.—
Bei täglich einmaliger Zu-
ſtellung (das Morgenblatt zu-
gleich mit der Nachmittagsaus-
gabe des vorherigen Tages)
für auswärts:
monatlich ....... K 3.50
vierteljährig ...... „ 10.50
halbjährig ....... „ 21.—
Für Deutſchland:
vierteljährig Kreuzbandſendung
K 16.—.
Länder des Weltpoſtvereines:
vierteljährig Kreuzbandſendung
K 22.—.




Nr. 370 Wien, Montag den 12. Auguſt 1912. XIX. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Friedenswünſche in Ungarn.

Im Margittaer Wahlbezirke hielt geſtern der
Staatsſekretär des ungariſchen Finanzminiſteriums
Madaraſſy eine Kandidatenrede als Reichstagswahl-
werber, in der er dem Wunſche nach einer Ver-
ſtändigung mit der Oppoſition ſehr warmen Ausdruck
verlieh. Er ſprach freilich über das Wichtigſte nicht, über
die Vorausſetzungen, die zu dieſer Verſtändigung führen.
Wie nun einmal die Dinge liegen, ſind dieſe perſönlicher
und ſachlicher Natur. Wie ſchwer freilich die erſteren
zu beſchaffen ſind, ergibt ſich aus dem Verpflichtungs-
verhältnis, das für den Miniſterpräſidenten Lukacs
durch die äußerlichen Erfolge des Grafen Stefan Tisza
entſtanden iſt, und daß auch in ſachlicher Beziehung
weitgehende Differenzen zwiſchen Regierungspartei und
Oppoſition klaffen, ergibt ſich aus dem, was man über
die Wahlreformpläne der Regierung vernimmt. Staats-
ſekretär Madaraſſy ſprach von der notwendigen
Sicherung des Einfluſſes der Intelligenz, eine Differen-
zierung im allgemeinen Wahlrecht, die erfahrungsgemäß
tatſächlich nicht zu einer ſtärkeren Geltendmachung der
gebildeten Schichten, ſondern nur zu einer Bevorzugung
induſtrieller Gebiete und einem Vorſprunge der ſozial-
demokratiſchen Wahlausſichten führt. Auf ein Miß-
verhältnis in der Verteilung des Wahlrechtes deuteten
ſchon die Grundzüge der Wahlreform hin, die das
Miniſterium Lukacs im vergangenen Frühjahr ver-
öffentlichte, und auf denſelben Fundamenten ſcheint
auch die Wahlreform zu ruhen, die das Miniſterium
im Herbſt dem Hauſe unterbreiten will: Beibehaltung
der öffentlichen Abſtimmung auf dem flachen Lande,
Zutritt zum Wahlrechte durch Bedingungen,
die leichter von der induſtriellen Bevölkerung
als von der ländlichen zu erfüllen ſind.
Dieſe Verſchlechterung des allgemeinen Wahlrechtes
bedeutet eine Benachteiligung der Nationalitäten,
da in den ungariſchen Induſtrieorten und Städten
weitaus das Magyarentum das Uebergewicht hat; es
iſt aber auch vom magyariſchen Standpunkte aus eine
bedenkliche Maßregel, da dieſe Methode den politiſchen
Schwerpunkt auf Gebiete verlegt, in denen ſich Um-
wälzungen raſcher vollziehen und der konſervative
Staatsgedanke ſchwächer wurzelt, als in den breiten
Schichten der mit der Scholle verknüpften Bevölkerung.
Die Juſthpartei, die namentlich ländliche Bevölkerung
vertritt, wird einem ſolchen Wahlreformentwurf vor-
ausſichtlich ſtark widerſtreben.

Bisher eröffnet ſich der Verſtändigung mit der
Oppoſition nach keiner Richtung hin noch eine Tür.


Staatsſekretär im Finanzminiſterium Gabriel
Madaraſſy hielt heute im Margittaer Wahlbezirke
ſeine Programmrede als Abgeordnetenkandidat. Er
ſagte, er ſtehe auf der Grundlage des Programms,
welches die Regierung ſeinerzeit bei der Vorſtellung im
Reichstage abgab. Er ſei ein unverbrüchlicher Anhänger
des 1867er Ausgleichs, auf deſſen Grundlage die Nation
ſeit einem halben Jahrhundert ſo rieſige Fortſchritte auf
allen Gebieten gemacht habe. Ein Stillſtand in dieſem
Fortſchritte ſei eingetreten, als die Oppoſition mit ihren
ſtaatsrechtlichen Forderungen zu weit gegangen ſei und
die Obſtruktion eingeſetzt habe, was die Ereigniſſe der
letzten Zeit zur Folge hatte. Redner wünſche innigſt,
daß im Parlament der Friede ſo bald als
möglich
zuſtande komme, und hoffe, daß der Patrio-
tismus aller Parteien eine Grundlage finden werde,
auf welcher das Friedenswerk aufgebaut werden könne.
(Lebhafter Beifall.) Dieſer Friede ſei dringend
notwendig, da ſehr wichtige Aufgaben der
Löſung harren, darunter die Wahlreform,
bei deren Ausarbeitung die Regierung bis zur
ſtatthaft weiteſten Grenze der demokratiſchen und
liberalen Richtung gehen wird, bis zu der Grenze,
welche ihr die Wahrung des einheitlichen
nationalen Charakters des ungariſchen Staates vor-
ſchreibt. (Beifall.) Die Regierung werde auch alle die-
jenigen, welche bisher außerhalb der
Schanzen der Verfaſſung
ſtanden, in die-
ſelbe einbeziehen, doch müſſe der Einfluß der
Intelligenz
auf die Angelegenheiten des Landes
geſichertwerden Red[n]er führt eine Reihe von Geſetzentwürfen
an, welche das Finanzminiſterium zur Beſſerung der
Finanzen des Landes vorlegen wird, darunter die Ab-
änderung des Penſions geſetzes, das Ins-
[Spaltenumbruch] lebentreten neuer Steuergeſetze, die Reform
des Gebührengeſetzes, die neue Durchführung des
Kataſters, die Weiterentwicklung der Ackerbauwirtſchaft,
die Erhöhung der Tabakeinlöſung und die zielbewußte
Unterſtützung des Handels und des Gewerbes, beſon-
ders des Kleingewerbes.

Die Rede wurde mit lebhaftem Beifall auf-
genommen.




Poincaré in Petersburg.
Der Empfang beim Zaren in Peterhof.
Auszeichnung Poincarés.


Kaiſer Nikolaus und Kaiſerin Alexandra
empfingen mittags im großen Palais zu Peterhof
den franzöſiſchen Miniſterpräſidenten Poincaré.
Nach dem Empfange verließ die Kaiſerin das Palais.

Nachdem die Herren der Begleitung des Miniſter-
präſidenten Poincaré dem Kaiſer vorgeſtellt worden
waren, wurde das Frühſtück ſerviert. Rechts vom Kaiſer
ſaß Poincaré, links der franzöſiſche Botſchafter. Dem
Frühſtück waren ferner zugezogen: Miniſterpräſident
Kokowzew, Miniſter des Aeußern Saſonow,
der ruſſiſche Botſchafter in Paris Iswolski, die
Herren der Begleitung des franzöſiſchen Miniſter-
präſidenten und andere.

Der Kaiſer hat Poincaré den
Alexander-Newskiorden
verliehen.
Zapfenſtreich und Galavorſtellung in
Krasnoje-Selo.


Nachmittags fand im Lager von Krasnoje-
Selo
in Gegenwart des Kaiſers, der Groß-
fürſten,
des Miniſterpräſidenten Poincaré, der
ruſſiſchen Miniſter ſowie der franzöſiſchen Offiziere ein
Zapfenſtreich ſtatt. Abends gab Großfürſt
Nicolai Nicolajewitſch zu Ehren Poincarés
ein Diner, woran auch Miniſterpräſident Kokowzew,
Miniſter des Aeußern Saſonow, Kriegsminiſter
Suchomlinow, die Hofwürdenträger und Bot-
ſchafter Iswolski teilnahmen.

Sodann fand im Theater von Krasnoje
Selo
eine Galavorſtellung ſtatt, der auch
Kaiſer Nikolaus und die Großfürſten, ferner
die Herren der Begleitung des franzöſiſchen Miniſter-
präſidenten und die Offiziere des Kreuzers „Condé
beiwohnten.

Konferenzen Poincares mit Saſonow und
Kokowzew.

Empfang der franzöſiſchen Kolonie.


Der franzöſiſche Miniſterpräſident Poincaré legte
geſtern am Grabe des Kaiſers Alexander III.
im Namen der franzöſiſchen Regierung einen Kranz
nieder. Hierauf beſichtigte er das Volkshaus ſowie
die franzöſiſchen Wohltätigkeitsanſtalten. Nach
einem Frühſtücke, das der Miniſterpräſident
auf der franzöſiſchen Botſchaft einnahm,
hatte er eine einſtündige Unterredung
mit dem ruſſiſchen Miniſter des Aeußern Saſonow
und ſodann eine halbſtündige Konferenz mit dem
Miniſterpräſidenten Kokowzew, worauf er auf
den Botſchaften Beſuche abſtattete.

Um 5 Uhr nachmittags empfing Miniſterpräſident
Poincaré die franzöſiſche Kolonie. In ſeiner
Antwort auf die Anſprache des Präſidenten des
franzöſiſchen Wohltätigkeitsvereines, Darcy, betonte
Poincaré, die franzöſiſche Kolonie bilde ein natürliches
Band zwiſchen Frankreich und Rußland.

Keine Aufrollung der Dardanellenfrage.


Die Nachricht eines auswärtigen Blattes, wonach
während der Anweſenheit des Miniſterpräſidenten Poin-
caré in St. Petersburg die Dardanellenfrage
werde aufgerollt werden, wird von amtlicher
ruſſiſcher Seite dementiert.

Dementi ruſſiſcher Anleiheabſichten.


Die St. Petersburger Telegraphenagentur meldet:
Im Zuſammenhange mit der Ankunft des Miniſter-
präſidenten Poincaré verbreiteten ſich abermals
Gerüchte, die ruſſiſche Regierung wolle die Anweſen-
heit Poincarés zum Abſchluſſe von neuen
[Spaltenumbruch] Staatsanleihen
ausnützen, welche an-
geblich zur Durchführung des Flottenprogrammes und
für andere im franzöſiſch-ruſſiſchen Bündniſſe begrün-
dete Bedürfniſſe notwendig ſeien. Das Finanz-
miniſterium bezeichnet alle derartigen Gerüchte als
vollkommen grundlos und erklärt ſie als
müßige Erfindung. Das ruſſiſche Schatz-
amt bedürfe keiner Kräftigung durch neue
Anleihen.




Abreiſe des öſterreichiſch-
ungariſchen Geſandten aus Tanger.


Die „Voſſiſche Zeitung“ meldet aus Tanger:
Der öſterreichiſch-ungariſche Geſandte von Calen-
berg
iſt mit ſeiner Familie nach Auflöſung ſeines
Hausſtandes abgereiſt. Von den elf fremden Ge-
ſandten verbleiben nur der amerikaniſche
und der portugieſiſche in Tanger. Wie die
„Depeche Marrocaine“ meldet, werden vorausſichtlich
weder der öſterreichiſche noch die anderen Geſandten
wieder zurückkehren, ſondern ſich durch Geſchäfts-
träger
vertreten laſſen. Nach Regelung der maro-
kaniſchen Verhältniſſe ſollen die Geſandtſchaften in
Generalkonſulate umgewandelt werden.




Exploſion einer Höllenmaſchine
im öſterreichiſchen Poſtamt in
Saloniki.

Aus Saloniki kommt die Meldung von
einem gegen das dortige öſterreichiſch-ungariſche Poſt-
amt gerichteten Anſchlag, dem zwar glücklicherweiſe
keine Meaſchenleben zum Opfer gefallen ſind, deſſen
Ausführung jedoch bedenkliche Ausſichten für die Ent-
wicklung der Frage in Mazedonien eröffnet.

Schon die in den letzten Wochen in verſchiedenen
Gegenden Mazedoniens verübten Attentate bulgariſcher
Banden deuteten auf ein Wiederaufleben der Propa-
ganda der Tat des revolutionären mazedoniſchen
Komitees hin, deſſen Beſtreben bekanntlich dahin geht,
durch ſeine in erſter Linie gegen die Mohammedaner
gerichteten Gewalttätigkeiten Repreſſalien gegen die
Chriſten in der Türkei hervorzurufen und dadurch
einen bewaffneten Konflikt der Türkei mit den Balkan-
ſtaaten oder das Eingreifen europäiſcher Mächte herbei-
zuführen. Der erſte Teil dieſes Programmes iſt erſt
kürzlich bei dem Bombenanſchlag in Kotſchana in
faſt vollkommener Weiſe geglückt, indem es hiedurch in
Katſchana und Umgebung zu einem Bulgarengemetzel kam,
das in Bulgarieu eine ungeheure Erregung hervorrief.
Zu dem erhofften bewaffneten Einſchreiten Bulgariens
kam es jedoch infolge der klugen Mäßigung der
bulgariſchen Regierung und der loyalen Haltung
der türkiſchen Regierung, die ſogleich eine
ſtrenge Unterſuchung einleitete, auch dies-
mal nicht, und das einzige Reſultat
des revolutionären Anſchlages des mazedoniſchen
Komitees war die Niedermetzlung von mehr als hundert
der eigenen Landsleute.

Dieſer Mißerfolg ſcheint nun zu dem Verſuch ge-
führt zu haben, durch ein Attentat, das eine der
europäiſchen Großmächte in unmittelbare Mitleiden-
ſchaft zieht, das beabſichtigte Ziel zu erreichen. Dieſe
Erwartung des mazedoniſchen Komitees wird nun auch
in dieſem Falle getäuſcht werden und auch diesmal
wird der Erfolg nur der ſein, daß man in Europa die
ſtrengen Maßregeln, die die türkiſche Regierung
gegen die bulgariſchen Banden ergreifen wird,
als durchaus gerechtfertigt anſehen wird. Die Politik
der Gewalttaten, zu der das mazedoniſche Komitee wieder
zurückgekehrt iſt, wird nicht nur von einem großen Teil
der Bevölkerung des Königreiches Bulgarien ſelbſt ver-
urteilt, ſondern iſt nur geeignet, den mazedoniſchen
Bulgaren die Sympathien Europas zu rauben.

Heftige Wirkung der Exploſion.
Zwei Beamte leicht verwundet.


Im öſterreichiſchen Poſtamte explodierte um
½10 Uhr nachts eine Höllenmaſchine, die
durch unbekannte Täter eingeſchmuggelt worden war
Das Lokal wurde ſtark beſchädigt und die
Einrichtung zerſtört. Die Poſtſachen blieben

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[1/0001] Morgenblatt 8 h in Wien. Redaktion: VIII. Strozzigaſſe 41. Telephon: 18082. Verwaltung: VIII. Strozzig. 42. Telephon: 13870. Druckerei: VIII. Strozzigaſſe 41. Telephon: 22641. Kleiner Anzeiger I. Schulerſtr. 21. Telephon: 2926. Inſerate werden in der Verwaltung der „Reichspoſt“ VIII. Strozzigaſſe 42, I. Schulerſtraße 21, ſowie in allen Annoncenbureaus des In- und Auslandes angenommen. Mittagsblatt. Reichspoſt. Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns. Bezugspreiſe: bei täglich zweimaliger Zu- ſtellung für Wien: monatlich ....... K 3.70 vierteljährig ...... „11.— halbjährig ....... „22.— für Oeſterreich-Ungarn: monatlich ....... [K 3.85 vierteljährig ...... „ 11.50 halbjährig ....... „ 23.— Bei täglich einmaliger Zu- ſtellung (das Morgenblatt zu- gleich mit der Nachmittagsaus- gabe des vorherigen Tages) für auswärts: monatlich ....... K 3.50 vierteljährig ...... „ 10.50 halbjährig ....... „ 21.— Für Deutſchland: vierteljährig Kreuzbandſendung K 16.—. Länder des Weltpoſtvereines: vierteljährig Kreuzbandſendung K 22.—. Nr. 370 Wien, Montag den 12. Auguſt 1912. XIX. Jahrgang. Friedenswünſche in Ungarn. Im Margittaer Wahlbezirke hielt geſtern der Staatsſekretär des ungariſchen Finanzminiſteriums Madaraſſy eine Kandidatenrede als Reichstagswahl- werber, in der er dem Wunſche nach einer Ver- ſtändigung mit der Oppoſition ſehr warmen Ausdruck verlieh. Er ſprach freilich über das Wichtigſte nicht, über die Vorausſetzungen, die zu dieſer Verſtändigung führen. Wie nun einmal die Dinge liegen, ſind dieſe perſönlicher und ſachlicher Natur. Wie ſchwer freilich die erſteren zu beſchaffen ſind, ergibt ſich aus dem Verpflichtungs- verhältnis, das für den Miniſterpräſidenten Lukacs durch die äußerlichen Erfolge des Grafen Stefan Tisza entſtanden iſt, und daß auch in ſachlicher Beziehung weitgehende Differenzen zwiſchen Regierungspartei und Oppoſition klaffen, ergibt ſich aus dem, was man über die Wahlreformpläne der Regierung vernimmt. Staats- ſekretär Madaraſſy ſprach von der notwendigen Sicherung des Einfluſſes der Intelligenz, eine Differen- zierung im allgemeinen Wahlrecht, die erfahrungsgemäß tatſächlich nicht zu einer ſtärkeren Geltendmachung der gebildeten Schichten, ſondern nur zu einer Bevorzugung induſtrieller Gebiete und einem Vorſprunge der ſozial- demokratiſchen Wahlausſichten führt. Auf ein Miß- verhältnis in der Verteilung des Wahlrechtes deuteten ſchon die Grundzüge der Wahlreform hin, die das Miniſterium Lukacs im vergangenen Frühjahr ver- öffentlichte, und auf denſelben Fundamenten ſcheint auch die Wahlreform zu ruhen, die das Miniſterium im Herbſt dem Hauſe unterbreiten will: Beibehaltung der öffentlichen Abſtimmung auf dem flachen Lande, Zutritt zum Wahlrechte durch Bedingungen, die leichter von der induſtriellen Bevölkerung als von der ländlichen zu erfüllen ſind. Dieſe Verſchlechterung des allgemeinen Wahlrechtes bedeutet eine Benachteiligung der Nationalitäten, da in den ungariſchen Induſtrieorten und Städten weitaus das Magyarentum das Uebergewicht hat; es iſt aber auch vom magyariſchen Standpunkte aus eine bedenkliche Maßregel, da dieſe Methode den politiſchen Schwerpunkt auf Gebiete verlegt, in denen ſich Um- wälzungen raſcher vollziehen und der konſervative Staatsgedanke ſchwächer wurzelt, als in den breiten Schichten der mit der Scholle verknüpften Bevölkerung. Die Juſthpartei, die namentlich ländliche Bevölkerung vertritt, wird einem ſolchen Wahlreformentwurf vor- ausſichtlich ſtark widerſtreben. Bisher eröffnet ſich der Verſtändigung mit der Oppoſition nach keiner Richtung hin noch eine Tür. Budapeſt, 10. Auguſt. Staatsſekretär im Finanzminiſterium Gabriel Madaraſſy hielt heute im Margittaer Wahlbezirke ſeine Programmrede als Abgeordnetenkandidat. Er ſagte, er ſtehe auf der Grundlage des Programms, welches die Regierung ſeinerzeit bei der Vorſtellung im Reichstage abgab. Er ſei ein unverbrüchlicher Anhänger des 1867er Ausgleichs, auf deſſen Grundlage die Nation ſeit einem halben Jahrhundert ſo rieſige Fortſchritte auf allen Gebieten gemacht habe. Ein Stillſtand in dieſem Fortſchritte ſei eingetreten, als die Oppoſition mit ihren ſtaatsrechtlichen Forderungen zu weit gegangen ſei und die Obſtruktion eingeſetzt habe, was die Ereigniſſe der letzten Zeit zur Folge hatte. Redner wünſche innigſt, daß im Parlament der Friede ſo bald als möglich zuſtande komme, und hoffe, daß der Patrio- tismus aller Parteien eine Grundlage finden werde, auf welcher das Friedenswerk aufgebaut werden könne. (Lebhafter Beifall.) Dieſer Friede ſei dringend notwendig, da ſehr wichtige Aufgaben der Löſung harren, darunter die Wahlreform, bei deren Ausarbeitung die Regierung bis zur ſtatthaft weiteſten Grenze der demokratiſchen und liberalen Richtung gehen wird, bis zu der Grenze, welche ihr die Wahrung des einheitlichen nationalen Charakters des ungariſchen Staates vor- ſchreibt. (Beifall.) Die Regierung werde auch alle die- jenigen, welche bisher außerhalb der Schanzen der Verfaſſung ſtanden, in die- ſelbe einbeziehen, doch müſſe der Einfluß der Intelligenz auf die Angelegenheiten des Landes geſichertwerden Redner führt eine Reihe von Geſetzentwürfen an, welche das Finanzminiſterium zur Beſſerung der Finanzen des Landes vorlegen wird, darunter die Ab- änderung des Penſions geſetzes, das Ins- lebentreten neuer Steuergeſetze, die Reform des Gebührengeſetzes, die neue Durchführung des Kataſters, die Weiterentwicklung der Ackerbauwirtſchaft, die Erhöhung der Tabakeinlöſung und die zielbewußte Unterſtützung des Handels und des Gewerbes, beſon- ders des Kleingewerbes. Die Rede wurde mit lebhaftem Beifall auf- genommen. Poincaré in Petersburg. Der Empfang beim Zaren in Peterhof. Auszeichnung Poincarés. St. Petersburg, 11. Auguſt. Kaiſer Nikolaus und Kaiſerin Alexandra empfingen mittags im großen Palais zu Peterhof den franzöſiſchen Miniſterpräſidenten Poincaré. Nach dem Empfange verließ die Kaiſerin das Palais. Nachdem die Herren der Begleitung des Miniſter- präſidenten Poincaré dem Kaiſer vorgeſtellt worden waren, wurde das Frühſtück ſerviert. Rechts vom Kaiſer ſaß Poincaré, links der franzöſiſche Botſchafter. Dem Frühſtück waren ferner zugezogen: Miniſterpräſident Kokowzew, Miniſter des Aeußern Saſonow, der ruſſiſche Botſchafter in Paris Iswolski, die Herren der Begleitung des franzöſiſchen Miniſter- präſidenten und andere. Der Kaiſer hat Poincaré den Alexander-Newskiorden verliehen. Zapfenſtreich und Galavorſtellung in Krasnoje-Selo. Petersburg, 11. Auguſt. Nachmittags fand im Lager von Krasnoje- Selo in Gegenwart des Kaiſers, der Groß- fürſten, des Miniſterpräſidenten Poincaré, der ruſſiſchen Miniſter ſowie der franzöſiſchen Offiziere ein Zapfenſtreich ſtatt. Abends gab Großfürſt Nicolai Nicolajewitſch zu Ehren Poincarés ein Diner, woran auch Miniſterpräſident Kokowzew, Miniſter des Aeußern Saſonow, Kriegsminiſter Suchomlinow, die Hofwürdenträger und Bot- ſchafter Iswolski teilnahmen. Sodann fand im Theater von Krasnoje Selo eine Galavorſtellung ſtatt, der auch Kaiſer Nikolaus und die Großfürſten, ferner die Herren der Begleitung des franzöſiſchen Miniſter- präſidenten und die Offiziere des Kreuzers „Condé“ beiwohnten. Konferenzen Poincares mit Saſonow und Kokowzew. Empfang der franzöſiſchen Kolonie. St. Petersburg, 11. Auguſt. Der franzöſiſche Miniſterpräſident Poincaré legte geſtern am Grabe des Kaiſers Alexander III. im Namen der franzöſiſchen Regierung einen Kranz nieder. Hierauf beſichtigte er das Volkshaus ſowie die franzöſiſchen Wohltätigkeitsanſtalten. Nach einem Frühſtücke, das der Miniſterpräſident auf der franzöſiſchen Botſchaft einnahm, hatte er eine einſtündige Unterredung mit dem ruſſiſchen Miniſter des Aeußern Saſonow und ſodann eine halbſtündige Konferenz mit dem Miniſterpräſidenten Kokowzew, worauf er auf den Botſchaften Beſuche abſtattete. Um 5 Uhr nachmittags empfing Miniſterpräſident Poincaré die franzöſiſche Kolonie. In ſeiner Antwort auf die Anſprache des Präſidenten des franzöſiſchen Wohltätigkeitsvereines, Darcy, betonte Poincaré, die franzöſiſche Kolonie bilde ein natürliches Band zwiſchen Frankreich und Rußland. Keine Aufrollung der Dardanellenfrage. St. Petersburg, 10. Auguſt. Die Nachricht eines auswärtigen Blattes, wonach während der Anweſenheit des Miniſterpräſidenten Poin- caré in St. Petersburg die Dardanellenfrage werde aufgerollt werden, wird von amtlicher ruſſiſcher Seite dementiert. Dementi ruſſiſcher Anleiheabſichten. St. Petersburg, 10. Auguſt. Die St. Petersburger Telegraphenagentur meldet: Im Zuſammenhange mit der Ankunft des Miniſter- präſidenten Poincaré verbreiteten ſich abermals Gerüchte, die ruſſiſche Regierung wolle die Anweſen- heit Poincarés zum Abſchluſſe von neuen Staatsanleihen ausnützen, welche an- geblich zur Durchführung des Flottenprogrammes und für andere im franzöſiſch-ruſſiſchen Bündniſſe begrün- dete Bedürfniſſe notwendig ſeien. Das Finanz- miniſterium bezeichnet alle derartigen Gerüchte als vollkommen grundlos und erklärt ſie als müßige Erfindung. Das ruſſiſche Schatz- amt bedürfe keiner Kräftigung durch neue Anleihen. Abreiſe des öſterreichiſch- ungariſchen Geſandten aus Tanger. Berlin, 11. Auguſt. (Privat.) Die „Voſſiſche Zeitung“ meldet aus Tanger: Der öſterreichiſch-ungariſche Geſandte von Calen- berg iſt mit ſeiner Familie nach Auflöſung ſeines Hausſtandes abgereiſt. Von den elf fremden Ge- ſandten verbleiben nur der amerikaniſche und der portugieſiſche in Tanger. Wie die „Depeche Marrocaine“ meldet, werden vorausſichtlich weder der öſterreichiſche noch die anderen Geſandten wieder zurückkehren, ſondern ſich durch Geſchäfts- träger vertreten laſſen. Nach Regelung der maro- kaniſchen Verhältniſſe ſollen die Geſandtſchaften in Generalkonſulate umgewandelt werden. Exploſion einer Höllenmaſchine im öſterreichiſchen Poſtamt in Saloniki. Aus Saloniki kommt die Meldung von einem gegen das dortige öſterreichiſch-ungariſche Poſt- amt gerichteten Anſchlag, dem zwar glücklicherweiſe keine Meaſchenleben zum Opfer gefallen ſind, deſſen Ausführung jedoch bedenkliche Ausſichten für die Ent- wicklung der Frage in Mazedonien eröffnet. Schon die in den letzten Wochen in verſchiedenen Gegenden Mazedoniens verübten Attentate bulgariſcher Banden deuteten auf ein Wiederaufleben der Propa- ganda der Tat des revolutionären mazedoniſchen Komitees hin, deſſen Beſtreben bekanntlich dahin geht, durch ſeine in erſter Linie gegen die Mohammedaner gerichteten Gewalttätigkeiten Repreſſalien gegen die Chriſten in der Türkei hervorzurufen und dadurch einen bewaffneten Konflikt der Türkei mit den Balkan- ſtaaten oder das Eingreifen europäiſcher Mächte herbei- zuführen. Der erſte Teil dieſes Programmes iſt erſt kürzlich bei dem Bombenanſchlag in Kotſchana in faſt vollkommener Weiſe geglückt, indem es hiedurch in Katſchana und Umgebung zu einem Bulgarengemetzel kam, das in Bulgarieu eine ungeheure Erregung hervorrief. Zu dem erhofften bewaffneten Einſchreiten Bulgariens kam es jedoch infolge der klugen Mäßigung der bulgariſchen Regierung und der loyalen Haltung der türkiſchen Regierung, die ſogleich eine ſtrenge Unterſuchung einleitete, auch dies- mal nicht, und das einzige Reſultat des revolutionären Anſchlages des mazedoniſchen Komitees war die Niedermetzlung von mehr als hundert der eigenen Landsleute. Dieſer Mißerfolg ſcheint nun zu dem Verſuch ge- führt zu haben, durch ein Attentat, das eine der europäiſchen Großmächte in unmittelbare Mitleiden- ſchaft zieht, das beabſichtigte Ziel zu erreichen. Dieſe Erwartung des mazedoniſchen Komitees wird nun auch in dieſem Falle getäuſcht werden und auch diesmal wird der Erfolg nur der ſein, daß man in Europa die ſtrengen Maßregeln, die die türkiſche Regierung gegen die bulgariſchen Banden ergreifen wird, als durchaus gerechtfertigt anſehen wird. Die Politik der Gewalttaten, zu der das mazedoniſche Komitee wieder zurückgekehrt iſt, wird nicht nur von einem großen Teil der Bevölkerung des Königreiches Bulgarien ſelbſt ver- urteilt, ſondern iſt nur geeignet, den mazedoniſchen Bulgaren die Sympathien Europas zu rauben. Heftige Wirkung der Exploſion. Zwei Beamte leicht verwundet. Salouiki, 10. Auguſt. Im öſterreichiſchen Poſtamte explodierte um ½10 Uhr nachts eine Höllenmaſchine, die durch unbekannte Täter eingeſchmuggelt worden war Das Lokal wurde ſtark beſchädigt und die Einrichtung zerſtört. Die Poſtſachen blieben

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 370, Wien, 12.08.1912, S. 1. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost370_1912/1>, abgerufen am 21.11.2024.