Reichspost. Nr. 283, Wien, 10.12.1895.[Spaltenumbruch]
[2]. Jahrgang. [Redac]tion, Administration, [St]tadtexpedition I., Wollzeile 15 Unfrankierte Briefe werden nicht an- Ankündigungs-Bureau: Abonnements werden ange- Erscheint täglich 3 Uhr nachm. [Spaltenumbruch] Wien, Dienstag 10. December 1895. Reichspost. Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk Oesterreich-Ungarns. [Spaltenumbruch] Nr. 283. Bezugspreise: Einzelne Nummern 4 kr., per Po[st] Bei Abholung in unserer Admin[is] Für Oesterreich-Ungarn Für Deutschland Länder des Weltpostvereine[s] Telephon 1828. [Spaltenumbruch] Der Ball der Stadt Wien. Wir müssen heute in diesem sonst der Erörterung Wien's Autonomie ist derzeit suspendirt und es Es ist immer gut in gewissen Dingen deutsch Der "Ball der Stadt Wien" ist eine moralische Herr von Friebeis hat leider bezüglich der Ver- Es gibt noch Adel in Oesterreich. Mit Bezug auf den von uns unter obigem Titel Namentlich eine Familie, deren Name edlen Ein anderer Hochadeliger, der seit Jahren in Graf Badeni für das böhmische Staatsrecht. Der Herr Ministerpräsident hat bereits die beste Bezeichnend ist, daß diese Nachricht gerade jetzt [Spaltenumbruch] Kesseltreiben gegen den Nuntius. Wir entnehmen dem "Budapester Tagblatt" die "Ich weiß nicht, ob Sie bemerkt haben, daß in Nun wird aber auch mit groben Geschützen gearbeitet. In der nächsten Nummer beschäftigt sich das "Wie man in den Kreisen der ungarischen Re- [Spaltenumbruch]
[2]. Jahrgang. [Redac]tion, Adminiſtration, [St]tadtexpedition I., Wollzeile 15 Unfrankierte Briefe werden nicht an- Ankündigungs-Bureau: Abonnements werden ange- Erſcheint täglich 3 Uhr nachm. [Spaltenumbruch] Wien, Dienſtag 10. December 1895. Reichspoſt. Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns. [Spaltenumbruch] Nr. 283. Bezugspreiſe: Einzelne Nummern 4 kr., per Po[ſt] Bei Abholung in unſerer Admin[iſ] Für Oeſterreich-Ungarn Für Deutſchland Länder des Weltpoſtvereine[ſ] Telephon 1828. [Spaltenumbruch] Der Ball der Stadt Wien. Wir müſſen heute in dieſem ſonſt der Erörterung Wien’s Autonomie iſt derzeit ſuspendirt und es Es iſt immer gut in gewiſſen Dingen deutſch Der „Ball der Stadt Wien“ iſt eine moraliſche Herr von Friebeis hat leider bezüglich der Ver- Es gibt noch Adel in Oeſterreich. Mit Bezug auf den von uns unter obigem Titel Namentlich eine Familie, deren Name edlen Ein anderer Hochadeliger, der ſeit Jahren in Graf Badeni für das böhmiſche Staatsrecht. Der Herr Miniſterpräſident hat bereits die beſte Bezeichnend iſt, daß dieſe Nachricht gerade jetzt [Spaltenumbruch] Keſſeltreiben gegen den Nuntius. Wir entnehmen dem „Budapeſter Tagblatt“ die „Ich weiß nicht, ob Sie bemerkt haben, daß in Nun wird aber auch mit groben Geſchützen gearbeitet. In der nächſten Nummer beſchäftigt ſich das „Wie man in den Kreiſen der ungariſchen Re- <TEI> <text> <front> <pb facs="#f0001" n="[1]"/> <cb/> <div type="jExpedition"> <head> <hi rendition="#b"><supplied>2</supplied>. Jahrgang.</hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p><hi rendition="#b"><supplied>Redac</supplied>tion, Adminiſtration,<lb/> Expedition</hi> und <hi rendition="#b">Druckerei</hi><lb/><hi rendition="#aq">VIII.,</hi> <hi rendition="#g">Joſefſtädterſtraße</hi> 14</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p><hi rendition="#b"><supplied>St</supplied>tadtexpedition</hi><hi rendition="#aq">I.,</hi> Wollzeile 15<lb/> Zeitungsbureau <hi rendition="#b">Weis.</hi> </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Unfrankierte Briefe werden nicht an-<lb/> genommen; Manuſcripte in der Regel<lb/><hi rendition="#g">nicht</hi> zurückgeſtellt. Unverſchloſſene<lb/> Reclamationen ſind portofrei.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p><hi rendition="#b">Ankündigungs-Bureau:</hi><lb/><hi rendition="#aq">VIII.,</hi><hi rendition="#g">Joſefſtädterſtraße</hi> 14,<lb/><supplied>ſowie</supplied> bei dem Annoncenbureau für<lb/><supplied>kath.</supplied>.-conſerv. Blätter, <hi rendition="#g">Hubert<lb/> Friedl,</hi> Wien, <hi rendition="#aq">V.</hi>/1.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Abonnements werden ange-<lb/> nommen außer in den Expeditionen<lb/><supplied>bei</supplied> <hi rendition="#b">J. Heindl,</hi> <hi rendition="#aq">I.,</hi> Stephausplatz 7.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Erſcheint <hi rendition="#b">täglich 3 Uhr nachm.</hi><lb/><supplied>mit</supplied> Ausnahme der <hi rendition="#g">Sonn-</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Feiertage.</hi> </p> </div><lb/> <cb/> <titlePage type="heading"> <docImprint> <docDate> <hi rendition="#b">Wien, Dienſtag 10. December 1895.</hi> </docDate> </docImprint><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Reichspoſt.</hi> </titlePart><lb/> <titlePart type="sub"> <hi rendition="#b">Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns.</hi> </titlePart> </titlePage><lb/> <cb/> <div type="jExpedition"> <head> <hi rendition="#b">Nr. 283.</hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p><hi rendition="#b">Bezugspreiſe:</hi><lb/> Für <hi rendition="#b">Wien</hi> mit Zuſtellung ins Hers<lb/> ganzjährig .......... 15 fl.<lb/> vierteljährig ...... 3 fl. 80 kr.<lb/> monatlich ....... 1 fl. 30 kr.<lb/><hi rendition="#b">wöchentlich 30 kr.</hi> </p><lb/> <p>Einzelne Nummern <hi rendition="#b">4 kr.,</hi> per Po<supplied>ſt</supplied><lb/><hi rendition="#b">5 kr.</hi> </p><lb/> <p>Bei Abholung in unſerer Admin<supplied>iſ</supplied><lb/> tration ganzj. 12 fl., monatlich 1 fl.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Für <hi rendition="#b">Oeſterreich-Ungarn</hi><lb/> ganzjährig ...... 16 fl. — kr.<lb/> vierteljährig ..... 4 fl. 10 kr.<lb/> monatlich ....... 1 fl. 40 kr.</p><lb/> <p>Für <hi rendition="#b">Deutſchland</hi><lb/> vierteljährig ..... 4 fl. 50 <supplied>kr</supplied>.<lb/> oder 7½ Mark.</p><lb/> <p><hi rendition="#b">Länder des Weltpoſtvereine<supplied>ſ</supplied> </hi><lb/> viertelj. 6 fl. oder 10 Mark.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p> <hi rendition="#b">Telephon 1828.</hi> </p> </div><lb/> </front> <body> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <div type="jVarious" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Der Ball der Stadt Wien.</hi> </head><lb/> <p>Wir müſſen heute in dieſem ſonſt der Erörterung<lb/> der großen politiſchen Tagesfragen gewidmeten Theile<lb/> des Blattes von einer Angelegenheit ſprechen, die<lb/> eigentlich in die — Ball- und Faſchingschronik gehört.<lb/> Wie man weiß, hat in den letzten Jahren regelmäßig<lb/> ein ſogenannter „Ball der Stadt Wien“ im Rath-<lb/> hauſe ſtattgefunden, bei dem der Bürgermeiſter<lb/> gewiſſermaſſen als Hausherr fungirt und dem<lb/> Se. Majeſtät der Kaiſer und die Mitglieder des<lb/> allerhöchſten Kaiſerhauſes, ſoweit ſie gerade in der<lb/> Reichshauptſtadt weilten, beizuwohnen pflegten. Ein<lb/> großes Ballcomite und ein Patroneſſencomite beſorgten<lb/> das eigentliche Arrangement und man kann nur ſagen,<lb/> daß das genannte Ballfeſt wirklich ein Feſt des<lb/> Wiener Bürgerthums war, obgleich gewiſſe Elemente,<lb/> die wir nicht näher bezeichnen wollen, ſelbſtverſtändlich<lb/> auch nicht fehlten. Sie ſind eben in Wien leider<lb/> unvermeidlich.</p><lb/> <p>Wien’s Autonomie iſt derzeit ſuspendirt und es<lb/> liegt auf der Hand, daß das Wiener Bürgerthum<lb/> daraus die entſprechenden Conſequenzen ziehen wird<lb/> und ziehen <hi rendition="#g">muß.</hi> Herr v. Friebeis hat bereits An-<lb/> ſtalten getroffen, daß das ſchöne Feſt, wie alljährlich<lb/> auch heuer ſtattfinde. Wir begreifen dieſe Abſicht des<lb/> Herrn v. <hi rendition="#g">Friebeis,</hi> ſie iſt natürlich, ja ſie iſt —<lb/> von <hi rendition="#g">ſeinem</hi> Standpunkte aus betrachtet — ſogar<lb/> löblich, aber ſie iſt <hi rendition="#g">unrealiſirbar.</hi> Der<lb/> Wiener <hi rendition="#g">Bürgerball</hi> — denn das iſt ja der<lb/> Ball der Stadt Wien — <hi rendition="#g">wird nicht ſtatt-<lb/> finden,</hi> er <hi rendition="#g">kann</hi> nicht ſtattfinden und er <hi rendition="#b">darf</hi><lb/> nicht ſtattfinden. Seine Abhaltung wäre einfach ein<lb/> Skandal.</p><lb/> <p>Es iſt immer gut in gewiſſen Dingen deutſch<lb/> und deutlich herauszuſprechen. Die Autonomie der<lb/> Gemeinde iſt derzeit ſuspendirt. Wir erörtern weiter<lb/> gar nicht, wieſo das herbeigeführt wurde. Wir tadeln<lb/> nicht, wir conſtatiren nur, Wiens Autonomie iſt<lb/> ſuspendirt, das bedeutet, daß es nicht am Platze<lb/> iſt, in einem communalen Gebäude Freudenfeſte<lb/> abzuhalten. <hi rendition="#g">Das ſchickt ſich einfach<lb/> nicht. In einem Hauſe, in dem die<lb/> Mutter ſchwer krank liegt, pflegen<lb/> die Söhne und Töchter ſich nicht<lb/> zum Tanzen aufſpielen zu laſſen.</hi><lb/> Thäten ſie es dennoch, ſo <hi rendition="#g">verdienten</hi> ſie —<lb/> nein was ſie dann verdienten, das wollen wir weiter<lb/> gar nicht ausſprechen. In Wien herrſcht der <hi rendition="#g">com-<lb/> munal-politiſche Ausnahmszuſtand,</hi><lb/> da iſt kein Raum für Geigen und Flöten.</p><lb/> <p>Der „Ball der Stadt Wien“ iſt eine moraliſche<lb/> Unmöglichkeit. In einem Trauerhauſe wird nicht<lb/> getanzt; und ſollte Jemand pietätlos und unanſtändig<lb/> genug ſein, das thun zu wollen, ſo geben ſich <hi rendition="#g">an-<lb/> ſtändige</hi> Männer und <hi rendition="#g">achtbare</hi> Frauen da-<lb/> zu nicht als <hi rendition="#g">Staffage</hi> her. Ein „Ball der<lb/> Stadt Wien“ während die Autonomie Wiens ſus-<lb/> pendirt iſt, iſt eine moraliſche Unmöglichkeit und es<lb/> wird die Pflicht des Wiener Bürgerthums, <hi rendition="#g">das ſich<lb/> ſelbſt achtet,</hi> ſein, dafür zu ſorgen, daß die<lb/> moraliſche Unmöglichkeit auch <hi rendition="#g">die materielle<lb/> Unmöglichkeit</hi> bedeutet.</p><lb/> <p>Herr von Friebeis hat leider bezüglich der Ver-<lb/> anſtaltung des Balles bereits entſcheidende Schritte<lb/> gemacht, er hat drei liberale Ehrenbürger Wiens —<lb/> andere als Liberale wurden ja vom Cliqueregime<lb/> nicht in’s goldene Buch aufgenommen — zu Protec-<lb/> toren des Balles deſignirt, als Vicepräſidenten des<lb/> Comites zwei ehemalige liberale Gemeinderäthe nomi-<lb/> nirt, kurz er hat etwas gethan, was das chriſtliche<lb/> Bürgerthum der Reichshauptſtadt nicht ruhig hin-<lb/> nehmen wird. Es mögen auf dem Balle jene orienta-<lb/> liſchen Damen glänzen, von denen der Alliancehäupt-<lb/> ling Stern verlangte, daß ihre Schleppen wegen der<lb/> antiſemitiſchen Wahlen nicht mehr durch die Salons<lb/> fegen ſollen, die chriſtlichen Bürgersfrauen werden ſich<lb/> ferne halten vom Prachtſaale im Rathhauſe, bis<lb/> wieder eine gewählte, eine autonome Verwaltung<lb/> darin amtirt.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Es gibt noch Adel in Oeſterreich.</hi> </head><lb/> <p>Mit Bezug auf den von uns unter obigem Titel<lb/> gebrachten Artikel erhalten wir aus ariſtokratiſchen<lb/> Kreiſen folgende Zuſchrift: Der Krach vom 9. November<lb/> hat ziemlich viele hochadelige Familien mitgenommen,<lb/><cb/> deren Mitglieder ſich von ſogenannten Bankgeſchäften<lb/> zu großartigen Börſeſpeculationen hatten verführen<lb/> laſſen. Sie büßen es um ſo ſchwerer, als <hi rendition="#aq">Noblesse<lb/> oblige</hi> und die Differenzen ohne Widerrede bezahlt<lb/> werden; von einem „Ausbleiben“ dieſer hochadeligen<lb/> Speculanten nach dem Beiſpiele jüdiſcher Jobber iſt<lb/> keine Rede.</p><lb/> <p>Namentlich eine Familie, deren Name edlen<lb/> ſpaniſchen Klang hat, iſt in Folge rieſiger Differenzen<lb/> an den Rand des Ruins gerathen. Nicht umſonſt<lb/> hatte der Familienchef jahrelang freundſchaftliche Be-<lb/> ziehungen mit dem Chef der größten Gelddynaſtie der<lb/> Erde gepflogen und letzterer übernimmt nun auf<lb/> demütiges Bitten des erſteren — gegen gute Sicher-<lb/> ſtellung — die allmälige Rangirung des hochadeligen<lb/> Hauſes.</p><lb/> <p>Ein anderer Hochadeliger, der ſeit Jahren in<lb/> Verbindung mit geographiſchen Unternehmungen und<lb/> nur zuvielen anderen, unvortheilhaften Angelegenheiten<lb/> genannt wird, hat eine kleinere Differenz zu zahlen,<lb/> eine halbe Million. Da er und Nachkommenſchaft das<lb/> Patrimonium ſchon zu ſehr angegriffen haben, wußte<lb/> ſich der edle Herr diesmal nicht mehr anders zu<lb/> helfen, als daß er ſeinen alten Freund, den Chef der<lb/> zweilgrößten Gelddynaſtie (welcher Chef durch ſeine<lb/> orientaliſchen Raubzüge berüchtigt iſt) — gegen Sicher-<lb/> ſtellung um ein Darlehen von 500.000 Francs an-<lb/> bettelte. Es wurde ihm großmüthig gewährt gegen<lb/> Zuſage von Gegengefälligkeiten. Welcher Natur dieſe<lb/> ſind, wird gleich nachfolgende Erzählung zeigen. Die<lb/> fragliche Gelddynaſtie hat unter der verrotteten<lb/> franzöſiſchen und engliſchen Ariſtokratie längſt feſten<lb/> Fuß gefaßt, aber der öſterreichiſche Hochadel und<lb/> Hof blieben für ſie unnahbar. Nun fungirte<lb/> vor Jahren durch eine ungezählte Reihe von<lb/> Faſchingen in den höchſten Kreiſen ein äußerſt beliebtes<lb/> aber ebenſo verſchuldetes Gräflein als Vortänzer.<lb/> Dieſem ſagte unſer jüdiſcher Milliardär: „Oeffnen<lb/> Sie mir durch Ihren Einfluß die mir jetzt verſchloſſe-<lb/> nen hochariſtokratiſchen Thüren, ſo zahle ich Ihnen<lb/> alle Schulden.“ Denn in dem Geldjuden brannte<lb/> der Ehrgeiz und außerdem konnte es ja nur im Ge-<lb/> ſchäft nützen. Wochenlang agitirte und intriguirte das<lb/> Gräflein, fuhr vom Fürſten X. zur Gräfin Y. und<lb/> zum ... Herzog Z., endlich mußte er ſeinem Juden-<lb/> gönner betrübt melden, Alles ſei vergeblich, er könne<lb/> ihm die Aufnahme in die hochadelige Geſellſchaft<lb/> Oeſterreichs nicht vermitteln. — Aus der Schulden-<lb/> zahlung wurde nichts, aber der Milliardär ſchenkte<lb/> dem Gräflein für ſeine Mühe eine ſchöne Jagdflinte.<lb/> — Das war <hi rendition="#aq">anno</hi> dazumal. Vielleicht wird der<lb/> Judenbaron <hi rendition="#g">jetzt</hi> in Folge des 500.000 fl.-Darlehens<lb/> die langerſehnte Aufnahme erreichen?</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Graf Badeni für das böhmiſche<lb/> Staatsrecht.</hi> </head><lb/> <p>Der Herr Miniſterpräſident hat bereits die beſte<lb/> Abſicht, ſich „über die hiſtoriſchen Grundlagen der<lb/> ſtaatsrechtlichen Aſpirationen der Jungezechen“ ſtreng<lb/> ſachlich und genau informiren zu laſſen. Zu dieſem<lb/> Zwecke wurde ein czechiſcher Beamter im Miniſterium<lb/> des Innern, Bezirkscommiſſär Peter <hi rendition="#g">Schlachta,</hi><lb/> Ritter von und zu Wsſchrtsky Wsſch<supplied>r</supplied>d beauftragt, ſich<lb/> in das Studium der geheimen Archivs-Acten des<lb/> Miniſteriums zu vertiefen und aus denſelben hervor-<lb/> zuholen, was am ſogenannten böhmiſchen Staatsrechte<lb/> Wahres und Nicht Wahres iſt. Veranlaſſung ſoll hiezu<lb/> ein in der Zeitſchrift „Zeit“ erſchienener Artikel über<lb/> das höhmiſche Staatsrecht gegeben haben, welcher zwar<lb/> von dem Reichsraths-Abge<supplied>o</supplied>rdneten Dr. Kramar ver-<lb/> faßt wurde, dem Grafen Badeni aber trotz aller neuen<lb/> Freundſchaft für die Jungczechen nicht objectiv genug<lb/> erſcheint. Der Herr von Wsſchrtsky-Wsſchrd wird in<lb/> dieſer Sache zweifellos objectiv ſchreiben. (??)</p><lb/> <p>Bezeichnend iſt, daß dieſe Nachricht gerade jetzt<lb/> auftaucht, wo die böhmiſchen Blätter den unmittelbar<lb/> bevorſtehenden Rücktritt des Grafen Thun anzeigen und<lb/> von wichtigen Unterredungen zwiſchen dem Grafen<lb/> Badeni und jungezechiſchen Abgeordneten zu berichten<lb/> wiſſen. Man ſieht aus Allem, daß Graf Badeni eifrig<lb/> um die Gunſt der Jungczechen buhlt — die deutſche<lb/> Linke wird dies freilich nicht abhalten für den Grafen<lb/> Badeni auch weiterhin zu ſchwärmen und, wenn er be-<lb/> fiehlt ſelbſt — für das böhmiſche Staatsrecht zu<lb/> ſtimmen.</p><lb/> <cb/> </div> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Keſſeltreiben gegen den Nuntius.</hi> </head><lb/> <p>Wir entnehmen dem „Budapeſter Tagblatt“ die<lb/> folgende intereſſante Wiener Correſpondenz:</p><lb/> <p>„Ich weiß nicht, ob Sie bemerkt haben, daß in<lb/> den letzten Wochen ein <hi rendition="#g">förmliches Keſſel-<lb/> treiben</hi> gegen den päpſtlichen Nuntius Mſgr.<lb/><hi rendition="#g">Agliardi</hi> in Scene geſetzt wird. Daß die An-<lb/> griffe, die auf ihn gerichtet werden, <hi rendition="#g">keine zu-<lb/> fälligen</hi> ſind, das geht wohl aus dem Paralle-<lb/> lismus und aus der Gleichzeitigkeit derſelben hervor.<lb/> Angefangen hat das Concert in Rom. Dort wußte<lb/> der „Popolo Romano“, das verbreitetſte Blatt der<lb/> ewigen Stadt, zu erzählen, daß zwiſchen Oeſterreich-<lb/> Ungarn und dem Batican eine ernſthafte Spannung<lb/> beſtehe, an der der Umſtand Schuld trage, daß Mſgr.<lb/> Agliardi noch nicht abberufen ſei. Gleich darauf wußte<lb/> ein Berliner Blatt eine große „Intrigue“ zu enthüllen,<lb/> die von Mſgr. <hi rendition="#g">Agliardi</hi> angezettelt worden ſei.<lb/> Es handle ſich darum, den — Dreibund zu ſprengen.<lb/> Cardinal <hi rendition="#g">Rampolla</hi> wolle das eigentlich ſelbſt<lb/> nicht, aber es ſchien, daß der <hi rendition="#g">Papſt</hi> und ein <hi rendition="#g">Erz-<lb/> herzog</hi> ihn dazu drängten! Das eigentliche Werk-<lb/> zeug ſei Mſgr. Agliardi(!), da aber dieſer ſich nicht<lb/> vorwagen dürfe, ſo bediene er ſich des Feldbiſchofs<lb/> Mſgr. <hi rendition="#g">Belopotoczky</hi> und des Abgeordneten<lb/> Grafen <hi rendition="#g">Sylva-Taroucca.</hi> Angeſtrebt werde<lb/> der Umſturz der dualiſtiſchen Verfaſſung, die ſociale<lb/> Revolution und natürlich die Sprengung des Drei-<lb/> bundes. Man wird zugeben, daß das für einmal<lb/> etwas viel iſt. Aber der Appetit kommt bekanntlich<lb/> im Eſſen. Dieſer läppiſche Artikel nun circulirt in den<lb/> meiſten vom Preßbureau abhängigen kleinen Blättern<lb/> Oeſterreichs und ſcheint auch in einigen mehr ab-<lb/> hängigen ungariſchen Blättern Eingang gefunden zu<lb/> haben.</p><lb/> <p>Nun wird aber auch mit groben Geſchützen gearbeitet.<lb/> Man ſchreibt den „Times“ aus Wien, daß zwiſchen<lb/> Wien und Rom eine ernſte Spannung beſtehe, daß<lb/> Graf <hi rendition="#g">Revertera,</hi> unſer Botſchafter beim Vatican,<lb/> nicht eher nach Rom zurückkehren werde, bevor nicht<lb/> Mſgr. Agliardi abberufen ſei. Minder diplomatiſch,<lb/> aber immerhin ehrlicher als ſeine römiſchen und<lb/> Berliner Collegen, läßt der Wiener Correſpondent der<lb/> „Times“ die Katze aus dem Sack, indem er erklärt,<lb/> daß in Bezug auf öſterreichiſche Angelegenheiten zwar<lb/> auch allerlei Gravamina gegen den Nuntius beſtänden,<lb/> daß aber <hi rendition="#g">„ſelbſtverſtändlich“</hi> die „Ein-<lb/> miſchung“ des Nuntius in ungariſche Angelegenheiten<lb/> die Urſache ſei, weshalb ſeine Abberufung verlangt<lb/> werde. <hi rendition="#g">Nachdem die katholiſche Sache<lb/> in Ungarn „endgiltig geſchlagen“</hi><lb/><hi rendition="#aq">(»finally defeated«</hi>) ſei, ſo habe man die Abberufung<lb/> als etwas Selbſtverſtändliches erwartet. Daß ſie nicht<lb/> erfolgt ſei, beſtärke die Ueberzeugung, „daß der<lb/> Vatican die umſtürzleriſchen Elemente in beiden Hälften<lb/> der Monarchie beeinfluſſe, um die beſtehenden Be-<lb/> hörden in Verlegenheit zu bringen!“ Jetzt alſo wiſſen<lb/> wir es — wenn Socialdemokraten und Agrarſocialiſten<lb/> irgendwo ſich rühren, ſo kommt das Schlagwort und<lb/> der Befehl von Rom und das Geld kommt vom<lb/> Grafen Sylva-Taroucca, der als ein Mann, der eine<lb/> Million Gulden Jahresrevenue hat, ſozuſagen der ge-<lb/> borene Alliirte der Communiſten iſt. Das Keſſel-<lb/> treiben gegen den Nuntius hat einen <hi rendition="#g">unzweifel-<lb/> haft klaren Zweck. Wohin</hi> es tendirt, iſt<lb/> vollkommen klar, intereſſant wäre es nur feſtſtellen zu<lb/> können, <hi rendition="#g">von wo</hi> es ausgeht. Denn hier wenigſtens<lb/> ſchieben die Leute des Grafen <hi rendition="#g">Badeni</hi> die Ver-<lb/> antwortung dem Grafen <hi rendition="#g">Goluchowski,</hi> und die<lb/> Leute des Grafen <hi rendition="#g">Goluchowski</hi> hinwiederum<lb/> die Verantwortung dem Baron <hi rendition="#g">Banffy</hi> zu. Viel-<lb/> leicht ſchiebt Baron <hi rendition="#g">Banffy</hi> dieſelbe wieder auf<lb/> den Grafen <hi rendition="#g">Badeni.</hi> Die Frage bleibt alſo offen:<lb/> Woher?</p><lb/> <p>In der nächſten Nummer beſchäftigt ſich das<lb/> „Budapeſter Tagblatt“ abermals mit dem päpſtlichen<lb/> Nuntius in Wien und ſchreibt:</p><lb/> <p>„Wie man in den Kreiſen der ungariſchen Re-<lb/> gierungspartei ſehr geheimnißvoll erzählt, ſteht die<lb/><hi rendition="#g">Reiſe Baron Deſider Banffy’s nach<lb/> Wien,</hi> welche der Miniſterpräſident Ende dieſer<lb/> Woche antreten will, auch mit der <hi rendition="#g">Agliardi-<lb/> Affaire</hi> in Verbindung. Es ſoll wieder eine<lb/><hi rendition="#g">Interpellation</hi> geplant ſein, in welcher<lb/> Baron <hi rendition="#g">Bauffy</hi> ſeiner ſattſam bekannten Liebe für<lb/> den Wiener Nuntius Ausdruck zu geben gedenkt.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [[1]/0001]
2. Jahrgang.
Redaction, Adminiſtration,
Expedition und Druckerei
VIII., Joſefſtädterſtraße 14
Sttadtexpedition I., Wollzeile 15
Zeitungsbureau Weis.
Unfrankierte Briefe werden nicht an-
genommen; Manuſcripte in der Regel
nicht zurückgeſtellt. Unverſchloſſene
Reclamationen ſind portofrei.
Ankündigungs-Bureau:
VIII., Joſefſtädterſtraße 14,
ſowie bei dem Annoncenbureau für
kath..-conſerv. Blätter, Hubert
Friedl, Wien, V./1.
Abonnements werden ange-
nommen außer in den Expeditionen
bei J. Heindl, I., Stephausplatz 7.
Erſcheint täglich 3 Uhr nachm.
mit Ausnahme der Sonn- und
Feiertage.
Wien, Dienſtag 10. December 1895.
Reichspoſt.
Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns.
Nr. 283.
Bezugspreiſe:
Für Wien mit Zuſtellung ins Hers
ganzjährig .......... 15 fl.
vierteljährig ...... 3 fl. 80 kr.
monatlich ....... 1 fl. 30 kr.
wöchentlich 30 kr.
Einzelne Nummern 4 kr., per Poſt
5 kr.
Bei Abholung in unſerer Adminiſ
tration ganzj. 12 fl., monatlich 1 fl.
Für Oeſterreich-Ungarn
ganzjährig ...... 16 fl. — kr.
vierteljährig ..... 4 fl. 10 kr.
monatlich ....... 1 fl. 40 kr.
Für Deutſchland
vierteljährig ..... 4 fl. 50 kr.
oder 7½ Mark.
Länder des Weltpoſtvereineſ
viertelj. 6 fl. oder 10 Mark.
Telephon 1828.
Der Ball der Stadt Wien.
Wir müſſen heute in dieſem ſonſt der Erörterung
der großen politiſchen Tagesfragen gewidmeten Theile
des Blattes von einer Angelegenheit ſprechen, die
eigentlich in die — Ball- und Faſchingschronik gehört.
Wie man weiß, hat in den letzten Jahren regelmäßig
ein ſogenannter „Ball der Stadt Wien“ im Rath-
hauſe ſtattgefunden, bei dem der Bürgermeiſter
gewiſſermaſſen als Hausherr fungirt und dem
Se. Majeſtät der Kaiſer und die Mitglieder des
allerhöchſten Kaiſerhauſes, ſoweit ſie gerade in der
Reichshauptſtadt weilten, beizuwohnen pflegten. Ein
großes Ballcomite und ein Patroneſſencomite beſorgten
das eigentliche Arrangement und man kann nur ſagen,
daß das genannte Ballfeſt wirklich ein Feſt des
Wiener Bürgerthums war, obgleich gewiſſe Elemente,
die wir nicht näher bezeichnen wollen, ſelbſtverſtändlich
auch nicht fehlten. Sie ſind eben in Wien leider
unvermeidlich.
Wien’s Autonomie iſt derzeit ſuspendirt und es
liegt auf der Hand, daß das Wiener Bürgerthum
daraus die entſprechenden Conſequenzen ziehen wird
und ziehen muß. Herr v. Friebeis hat bereits An-
ſtalten getroffen, daß das ſchöne Feſt, wie alljährlich
auch heuer ſtattfinde. Wir begreifen dieſe Abſicht des
Herrn v. Friebeis, ſie iſt natürlich, ja ſie iſt —
von ſeinem Standpunkte aus betrachtet — ſogar
löblich, aber ſie iſt unrealiſirbar. Der
Wiener Bürgerball — denn das iſt ja der
Ball der Stadt Wien — wird nicht ſtatt-
finden, er kann nicht ſtattfinden und er darf
nicht ſtattfinden. Seine Abhaltung wäre einfach ein
Skandal.
Es iſt immer gut in gewiſſen Dingen deutſch
und deutlich herauszuſprechen. Die Autonomie der
Gemeinde iſt derzeit ſuspendirt. Wir erörtern weiter
gar nicht, wieſo das herbeigeführt wurde. Wir tadeln
nicht, wir conſtatiren nur, Wiens Autonomie iſt
ſuspendirt, das bedeutet, daß es nicht am Platze
iſt, in einem communalen Gebäude Freudenfeſte
abzuhalten. Das ſchickt ſich einfach
nicht. In einem Hauſe, in dem die
Mutter ſchwer krank liegt, pflegen
die Söhne und Töchter ſich nicht
zum Tanzen aufſpielen zu laſſen.
Thäten ſie es dennoch, ſo verdienten ſie —
nein was ſie dann verdienten, das wollen wir weiter
gar nicht ausſprechen. In Wien herrſcht der com-
munal-politiſche Ausnahmszuſtand,
da iſt kein Raum für Geigen und Flöten.
Der „Ball der Stadt Wien“ iſt eine moraliſche
Unmöglichkeit. In einem Trauerhauſe wird nicht
getanzt; und ſollte Jemand pietätlos und unanſtändig
genug ſein, das thun zu wollen, ſo geben ſich an-
ſtändige Männer und achtbare Frauen da-
zu nicht als Staffage her. Ein „Ball der
Stadt Wien“ während die Autonomie Wiens ſus-
pendirt iſt, iſt eine moraliſche Unmöglichkeit und es
wird die Pflicht des Wiener Bürgerthums, das ſich
ſelbſt achtet, ſein, dafür zu ſorgen, daß die
moraliſche Unmöglichkeit auch die materielle
Unmöglichkeit bedeutet.
Herr von Friebeis hat leider bezüglich der Ver-
anſtaltung des Balles bereits entſcheidende Schritte
gemacht, er hat drei liberale Ehrenbürger Wiens —
andere als Liberale wurden ja vom Cliqueregime
nicht in’s goldene Buch aufgenommen — zu Protec-
toren des Balles deſignirt, als Vicepräſidenten des
Comites zwei ehemalige liberale Gemeinderäthe nomi-
nirt, kurz er hat etwas gethan, was das chriſtliche
Bürgerthum der Reichshauptſtadt nicht ruhig hin-
nehmen wird. Es mögen auf dem Balle jene orienta-
liſchen Damen glänzen, von denen der Alliancehäupt-
ling Stern verlangte, daß ihre Schleppen wegen der
antiſemitiſchen Wahlen nicht mehr durch die Salons
fegen ſollen, die chriſtlichen Bürgersfrauen werden ſich
ferne halten vom Prachtſaale im Rathhauſe, bis
wieder eine gewählte, eine autonome Verwaltung
darin amtirt.
Es gibt noch Adel in Oeſterreich.
Mit Bezug auf den von uns unter obigem Titel
gebrachten Artikel erhalten wir aus ariſtokratiſchen
Kreiſen folgende Zuſchrift: Der Krach vom 9. November
hat ziemlich viele hochadelige Familien mitgenommen,
deren Mitglieder ſich von ſogenannten Bankgeſchäften
zu großartigen Börſeſpeculationen hatten verführen
laſſen. Sie büßen es um ſo ſchwerer, als Noblesse
oblige und die Differenzen ohne Widerrede bezahlt
werden; von einem „Ausbleiben“ dieſer hochadeligen
Speculanten nach dem Beiſpiele jüdiſcher Jobber iſt
keine Rede.
Namentlich eine Familie, deren Name edlen
ſpaniſchen Klang hat, iſt in Folge rieſiger Differenzen
an den Rand des Ruins gerathen. Nicht umſonſt
hatte der Familienchef jahrelang freundſchaftliche Be-
ziehungen mit dem Chef der größten Gelddynaſtie der
Erde gepflogen und letzterer übernimmt nun auf
demütiges Bitten des erſteren — gegen gute Sicher-
ſtellung — die allmälige Rangirung des hochadeligen
Hauſes.
Ein anderer Hochadeliger, der ſeit Jahren in
Verbindung mit geographiſchen Unternehmungen und
nur zuvielen anderen, unvortheilhaften Angelegenheiten
genannt wird, hat eine kleinere Differenz zu zahlen,
eine halbe Million. Da er und Nachkommenſchaft das
Patrimonium ſchon zu ſehr angegriffen haben, wußte
ſich der edle Herr diesmal nicht mehr anders zu
helfen, als daß er ſeinen alten Freund, den Chef der
zweilgrößten Gelddynaſtie (welcher Chef durch ſeine
orientaliſchen Raubzüge berüchtigt iſt) — gegen Sicher-
ſtellung um ein Darlehen von 500.000 Francs an-
bettelte. Es wurde ihm großmüthig gewährt gegen
Zuſage von Gegengefälligkeiten. Welcher Natur dieſe
ſind, wird gleich nachfolgende Erzählung zeigen. Die
fragliche Gelddynaſtie hat unter der verrotteten
franzöſiſchen und engliſchen Ariſtokratie längſt feſten
Fuß gefaßt, aber der öſterreichiſche Hochadel und
Hof blieben für ſie unnahbar. Nun fungirte
vor Jahren durch eine ungezählte Reihe von
Faſchingen in den höchſten Kreiſen ein äußerſt beliebtes
aber ebenſo verſchuldetes Gräflein als Vortänzer.
Dieſem ſagte unſer jüdiſcher Milliardär: „Oeffnen
Sie mir durch Ihren Einfluß die mir jetzt verſchloſſe-
nen hochariſtokratiſchen Thüren, ſo zahle ich Ihnen
alle Schulden.“ Denn in dem Geldjuden brannte
der Ehrgeiz und außerdem konnte es ja nur im Ge-
ſchäft nützen. Wochenlang agitirte und intriguirte das
Gräflein, fuhr vom Fürſten X. zur Gräfin Y. und
zum ... Herzog Z., endlich mußte er ſeinem Juden-
gönner betrübt melden, Alles ſei vergeblich, er könne
ihm die Aufnahme in die hochadelige Geſellſchaft
Oeſterreichs nicht vermitteln. — Aus der Schulden-
zahlung wurde nichts, aber der Milliardär ſchenkte
dem Gräflein für ſeine Mühe eine ſchöne Jagdflinte.
— Das war anno dazumal. Vielleicht wird der
Judenbaron jetzt in Folge des 500.000 fl.-Darlehens
die langerſehnte Aufnahme erreichen?
Graf Badeni für das böhmiſche
Staatsrecht.
Der Herr Miniſterpräſident hat bereits die beſte
Abſicht, ſich „über die hiſtoriſchen Grundlagen der
ſtaatsrechtlichen Aſpirationen der Jungezechen“ ſtreng
ſachlich und genau informiren zu laſſen. Zu dieſem
Zwecke wurde ein czechiſcher Beamter im Miniſterium
des Innern, Bezirkscommiſſär Peter Schlachta,
Ritter von und zu Wsſchrtsky Wsſchrd beauftragt, ſich
in das Studium der geheimen Archivs-Acten des
Miniſteriums zu vertiefen und aus denſelben hervor-
zuholen, was am ſogenannten böhmiſchen Staatsrechte
Wahres und Nicht Wahres iſt. Veranlaſſung ſoll hiezu
ein in der Zeitſchrift „Zeit“ erſchienener Artikel über
das höhmiſche Staatsrecht gegeben haben, welcher zwar
von dem Reichsraths-Abgeordneten Dr. Kramar ver-
faßt wurde, dem Grafen Badeni aber trotz aller neuen
Freundſchaft für die Jungczechen nicht objectiv genug
erſcheint. Der Herr von Wsſchrtsky-Wsſchrd wird in
dieſer Sache zweifellos objectiv ſchreiben. (??)
Bezeichnend iſt, daß dieſe Nachricht gerade jetzt
auftaucht, wo die böhmiſchen Blätter den unmittelbar
bevorſtehenden Rücktritt des Grafen Thun anzeigen und
von wichtigen Unterredungen zwiſchen dem Grafen
Badeni und jungezechiſchen Abgeordneten zu berichten
wiſſen. Man ſieht aus Allem, daß Graf Badeni eifrig
um die Gunſt der Jungczechen buhlt — die deutſche
Linke wird dies freilich nicht abhalten für den Grafen
Badeni auch weiterhin zu ſchwärmen und, wenn er be-
fiehlt ſelbſt — für das böhmiſche Staatsrecht zu
ſtimmen.
Keſſeltreiben gegen den Nuntius.
Wir entnehmen dem „Budapeſter Tagblatt“ die
folgende intereſſante Wiener Correſpondenz:
„Ich weiß nicht, ob Sie bemerkt haben, daß in
den letzten Wochen ein förmliches Keſſel-
treiben gegen den päpſtlichen Nuntius Mſgr.
Agliardi in Scene geſetzt wird. Daß die An-
griffe, die auf ihn gerichtet werden, keine zu-
fälligen ſind, das geht wohl aus dem Paralle-
lismus und aus der Gleichzeitigkeit derſelben hervor.
Angefangen hat das Concert in Rom. Dort wußte
der „Popolo Romano“, das verbreitetſte Blatt der
ewigen Stadt, zu erzählen, daß zwiſchen Oeſterreich-
Ungarn und dem Batican eine ernſthafte Spannung
beſtehe, an der der Umſtand Schuld trage, daß Mſgr.
Agliardi noch nicht abberufen ſei. Gleich darauf wußte
ein Berliner Blatt eine große „Intrigue“ zu enthüllen,
die von Mſgr. Agliardi angezettelt worden ſei.
Es handle ſich darum, den — Dreibund zu ſprengen.
Cardinal Rampolla wolle das eigentlich ſelbſt
nicht, aber es ſchien, daß der Papſt und ein Erz-
herzog ihn dazu drängten! Das eigentliche Werk-
zeug ſei Mſgr. Agliardi(!), da aber dieſer ſich nicht
vorwagen dürfe, ſo bediene er ſich des Feldbiſchofs
Mſgr. Belopotoczky und des Abgeordneten
Grafen Sylva-Taroucca. Angeſtrebt werde
der Umſturz der dualiſtiſchen Verfaſſung, die ſociale
Revolution und natürlich die Sprengung des Drei-
bundes. Man wird zugeben, daß das für einmal
etwas viel iſt. Aber der Appetit kommt bekanntlich
im Eſſen. Dieſer läppiſche Artikel nun circulirt in den
meiſten vom Preßbureau abhängigen kleinen Blättern
Oeſterreichs und ſcheint auch in einigen mehr ab-
hängigen ungariſchen Blättern Eingang gefunden zu
haben.
Nun wird aber auch mit groben Geſchützen gearbeitet.
Man ſchreibt den „Times“ aus Wien, daß zwiſchen
Wien und Rom eine ernſte Spannung beſtehe, daß
Graf Revertera, unſer Botſchafter beim Vatican,
nicht eher nach Rom zurückkehren werde, bevor nicht
Mſgr. Agliardi abberufen ſei. Minder diplomatiſch,
aber immerhin ehrlicher als ſeine römiſchen und
Berliner Collegen, läßt der Wiener Correſpondent der
„Times“ die Katze aus dem Sack, indem er erklärt,
daß in Bezug auf öſterreichiſche Angelegenheiten zwar
auch allerlei Gravamina gegen den Nuntius beſtänden,
daß aber „ſelbſtverſtändlich“ die „Ein-
miſchung“ des Nuntius in ungariſche Angelegenheiten
die Urſache ſei, weshalb ſeine Abberufung verlangt
werde. Nachdem die katholiſche Sache
in Ungarn „endgiltig geſchlagen“
(»finally defeated«) ſei, ſo habe man die Abberufung
als etwas Selbſtverſtändliches erwartet. Daß ſie nicht
erfolgt ſei, beſtärke die Ueberzeugung, „daß der
Vatican die umſtürzleriſchen Elemente in beiden Hälften
der Monarchie beeinfluſſe, um die beſtehenden Be-
hörden in Verlegenheit zu bringen!“ Jetzt alſo wiſſen
wir es — wenn Socialdemokraten und Agrarſocialiſten
irgendwo ſich rühren, ſo kommt das Schlagwort und
der Befehl von Rom und das Geld kommt vom
Grafen Sylva-Taroucca, der als ein Mann, der eine
Million Gulden Jahresrevenue hat, ſozuſagen der ge-
borene Alliirte der Communiſten iſt. Das Keſſel-
treiben gegen den Nuntius hat einen unzweifel-
haft klaren Zweck. Wohin es tendirt, iſt
vollkommen klar, intereſſant wäre es nur feſtſtellen zu
können, von wo es ausgeht. Denn hier wenigſtens
ſchieben die Leute des Grafen Badeni die Ver-
antwortung dem Grafen Goluchowski, und die
Leute des Grafen Goluchowski hinwiederum
die Verantwortung dem Baron Banffy zu. Viel-
leicht ſchiebt Baron Banffy dieſelbe wieder auf
den Grafen Badeni. Die Frage bleibt alſo offen:
Woher?
In der nächſten Nummer beſchäftigt ſich das
„Budapeſter Tagblatt“ abermals mit dem päpſtlichen
Nuntius in Wien und ſchreibt:
„Wie man in den Kreiſen der ungariſchen Re-
gierungspartei ſehr geheimnißvoll erzählt, ſteht die
Reiſe Baron Deſider Banffy’s nach
Wien, welche der Miniſterpräſident Ende dieſer
Woche antreten will, auch mit der Agliardi-
Affaire in Verbindung. Es ſoll wieder eine
Interpellation geplant ſein, in welcher
Baron Bauffy ſeiner ſattſam bekannten Liebe für
den Wiener Nuntius Ausdruck zu geben gedenkt.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Benjamin Fiechter, Susanne Haaf: Bereitstellung der digitalen Textausgabe (Konvertierung in das DTA-Basisformat).
(2018-01-26T13:38:42Z)
grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung.
(2018-01-26T13:38:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung.
(2018-01-26T13:38:42Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: keine Angabe; Silbentrennung: keine Angabe; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: keine Angabe;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |