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Reichspost. Nr. 227, Wien, 05.10.1906.

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Wien, Freitag Reichspost 5. Oktober 1906 227

[Spaltenumbruch] das Pluralwahlrecht beschlossen werden sollte, weil sich
bei der dann notwendig eintretenden neuen Bewegung
für das Wahlrecht für die Vertretung der Landbevöl-
kerungs viel leichter Gelegenheit finden würde, die der
Landbevölkerung durch die Vorlage zugefügte Unge-
rechtigkeit zu bekämpfen. Redner sei überzeugt, daß es
nicht angehe, bei solchen Fragen gegenüber den
breiten Volksschichten irgendeinen Rückschritt zu machen,
und mit Rücksicht auf die schon bestehende 5. Kurie
würde die Annahme des Pluralwahlrechtes gewiß als
ein Rückschritt aufgefaßt werden können. Das gleiche
und einfache Wahlrecht sei vielmehr geeignet, die
Gegensätze zwischen den einzelnen sozialen Klassen
wenigstens zu mildern. Redner werde daher bei § 5
für die Fassung der Regierungsvorlage stimmen.

Der Protest der Bauern.

Abg. Schraffl führt aus, daß die bisherigen Ver-
handlungen die Erscheinung zutage gefördert haben,
daß eine Regierungspartei, deren Vertreter im
Kabinette sitzt, gegen die Intentionen der Regierung
auftreten könne. Daraus sei der Schluß zu ziehen, daß
in der parlamentarischen Regierung etwas noch immer
nicht klappt, und daß man noch immer nicht einsehen
wolle, daß parlamentarische Regierungen auch gewisse
parlamentarische Verpflichtungen haben.

Bezüglich des Antrages Tollinger glaube Redner, daß
ihm schon präjudiziert sei. Die Einführung des Plural-
wahlrechtes würde gegen das Prinzip verstoßen, das
bereits im Grundgesetze festgelegt sei. Wollte man
zulassen, daß in der Wahlordnung, die mit einfacher
Mehrheit beschlossen werden könne, ein Pluralwahlrecht
eingeführt werde, dann könnte man mit einfacher Mehr-
heit jedes beliebige Wahlrecht konstruieren. Z. B. könnte
im künftigen Abgeordnetenhause die slavische Mehrheit
bestimmen, daß jeder, der in Oesterreich einer slavischen
Sprache mächtig ist, mehrere Stimmen erhält. Dann
wäre der Standpunkt der Alldeutschen gegenüber der
Wahlreform wirklich nicht ganz unbegründet, dann bestünde
wirklich für die Deutschen eine durch die Wahlreform
heraufbeschworene Gefahr. Derartige grundstürzende
Aenderungen der Wahlreform hätten bei Be-
ratung des Grundgesetzes
zur Sprache gebracht
werden müssen. Daß aber an den Prinzipien der
Wahlreform jetzt gerüttelt werde, darf niemand
weniger zugeben als die Deutschen
in
Oesterreich, und Redner sei daher verwundert, daß
auch Dentsche für den Antrag Tollinger zu stimmen
beabsichtigen. Die Ansicht des Abg. Dr. Tollinger,
daß die Landgemeinden in Tirol sich über Zurücksetzung
beschweren, sei falsch; sie erhalten ja sieben Man-
date mehr
als sie bisher hatten. Würde der Antrag
des Abg. Dr. Tollinger angenommen werden, dann
würde dadurch die Wahlhandlung in manchen Gegenden
nahezu unmöglich werden. Die Zwei- und Dreistimmen-
wähler würden für ihr Privilegium nicht einmal
dankbar sein, weil sie dadurch von der Bevölkerung
wider Willen als Kaste und abgesondert ihren Einfluß
im Volke verlieren würden.

Wenn Abg. Pastor erklärt habe, er müsse als
Christ und Priester für das Pluralwahlrecht eintreten,
so frage Redner den genannten Abgeordneten, ob
diejenigen, die gegen das Pluralwahlrecht stimmen,
weniger Christen seien. Er verweise diesbezüglich auf
den Bischof Jeglic, der wiederholt für die
Einführung des allgemeinen und gleichen
Wahlrechtes eingetreten
sei. Was den Zensus
von 25 Kronen anbelange, der eventuell auch auf
8 Kronen herabgemindert werden könne, so ersehe man
daraus, daß die Anhänger des Pluralwahlrechtes
unter einander über die Höhe des Zensus nicht einig
werden konnten. Uebrigens würde ein Zensus von
8 Kronen in vielen Ländern und insbesondere
in Tirol keineswegs einen Schutz für die
kleinen Grundbesitzer bilden, denn wie aus den
vom Tiroler Landesausschuß gelegentlich der Beratung
der Landtagswahlreform im Tiroler Landtag ver-
haßten Tabellen hervorgehe, zahlen vielerorts mehr
als zwei Drittel der Tiroler Grundbesitzer weniger als
8 Kronen Steuer. Der Absatz 5 des Antrags Tollinger
bestimme, daß derjenige, der ein Pluralwahlrecht besitzt,
verpflichtet sei, alle ihm zustehenden Stimmen
auf einen Wahlwerber zu vereinigen. Wie wolle
man dies ohne Aufhebung des Wahlgeheimnisses
kontrollieren? Die Annahme des Antrages Tollinger
würde viele Tiroler Kleinbauern, die weniger als
25 bezw. 8 Kronen Steuern zahlen, unzufrieden
machen und in das Lager der Sozialdemo-
kraten treiben.
Es sei nur zu wundern, daß die
Sozialdemokraten nicht mit größtem Eifer für das
Pluralwahlrecht eintreten. Redner habe, um sich von
der Stimmung der Tiroler bäuerlichen Bevölkerung
hinsichtlich der Einführung des allgemeinen Wahl-
rechtes zu überzeugen, auch Gegenden, die von
konservativen Abgeordneten vertreten seien, bereist und
die Wahrnehmung gemacht, daß die erdrückende
Majorität
der bäuerlichen Bevölkerung für das
gleiche Wahlrecht sei. Im Wahlbezirke
des Abg. Dr. Tollinger
habe er in zwölf Ge-
meinden nur fünf Personen angetroffen,
die dagegen waren. Von diesen waren zwei Halb-
narren, zwei Bauern
und ein Abgeord-
neter.
(Heiterkeit.)

Abg. Zazvorka schildert den Terrorismus der
Sozialdemokraten auf dem Lande, polemisiert gegen
mehrere Vorredner, erklärt aber schließlich gegen den
Antrag Tollinger zu stimme.

Rothschild, der "größte Pluralwähler".

Abg. Dr. Ivcevic erklärt, daß er und seine Ge-
nossen aus dem slavischen Verband gegen den An-
trag Tollinger stimmen würden, der einen Rückschritt
sogar gegenüber dem bestehenden Wahlrecht bedeute.
Würde das Pluralwahlrecht angenommen, so würde
die Wahlreformbewegung fortdauern und die erhoffte
Beruhigung ausbleiben. Es sei eine falsche Ansicht,
daß der Besitz bevorzugt werden müsse. Wenn das
Interesse am Staate mit der Größe des Besitzes
wüchse, dann wäre die logische Konsequenz des An-
trages, daß der 50 Kronen Steuerzahlende zwei, der
100 Kronen Zahlende 4 Stimmen haben müßte usw.
und schließlich wäre Rothschild der größte Wähler in
[Spaltenumbruch] Oesterreich. Intelligenz und Besitz werden bei den
Wahlen ohne[h]in großen Einfluß nehmen und bedürfen
keiner Privilegierung.

Abg. Kaiser findet, daß gegen den Antrag Tollinger
keine sachlichen Gründe vorgebracht wurden, sondern
daß man nur durch die Verzerrung ins Extrem ihn
unmöglich machen wollte. Die Frage der Pluralität
fei von Anfang vorgelegen, nicht erst neu aufgetaucht.
Redner erhebe das Verlangen nach der Pluralität
nicht nur zum Schutze der Landwirtschaft, sondern
auch zu dem des Staates. Daß ein Schutz des Staates
durch die Pluralität notwendig sei, beweise die Aeuße-
rung Dr. Adlers, daß die Sozialdemokraten nur an
der Umänderung des Staates Interesse hätten. Abg.
Schraffl habe behauptet, man werde einmal den Be-
sitzenden alles wegnehmen und habe sich als Sozial-
demokrat entpuppt. Redner ist für den Antrag Tollinger.

Abg. Dr. Geßmann polemisiert eingangs gegen
den Abg. Dr. Lecher und geht dann auf die Ent-
stehungsgeschichte der Vorlage über. -- Aus dem durch
Ungarns innerpolitische Wandlungen hervorgegangenen
Kampf um die Einheit der Monarchie, ja sogar um
deren Bestand, habe sich die Notwendigkeit einer
Wahlreform für den ungarischen Reichstag ergeben,
obwohl freilich noch wichtiger eine Wahlreform für die
Komitate und Gemeinden gewesen wäre. Die Frage
wird demnächst wieder akut werden und nichts sei
demgegenüber notwendiger, als die Einführung des
allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts auch für
Oesterreich. Aus dieser bedingungslosen Notwendig-
keit geht aber auch hervor, daß eine Oktroyierung
in Oesterreich weitaus wahrscheinlicher wäre, als
jenseits der Leitha, und welcher Vorwurf träfe in
diesem Falle die bürgerlichen Parteien, welche die
Wahlreform verhindert hätten. Auch die Gestaltung
der Verhältnisse in Rußland blieb nicht ohne Einfluß
auf die Entschließungen des Kabinetts Gautsch, da eine
Rückwirkung desselben auf die östlichen Länder der
Monarchie sich hätte befürchten lassen. Weit weniger
als dies seien die Drohungen der sozialdemokratischen
Partei bezüglich der Städte und Industriezentren für den
Fall des Nichtzustandekommens der Reform ernst zu
nehmen, wie ja der Mannheimer Parteitag beweise.
Anders aber sei es in Galizien, wo weder die Loyalität
des Abg. v. Wassilko, noch die Staatsbehörden für die
Massen garantieren könnten. Mit dem Pluralwahlrecht
käme die Bewegung nicht zum Abschlusse. Die
Pluralität wäre eine furchtbare Gefahr für die
bürgerlichen Parteien, da sich die Besitzer einer Stimme
unzufrieden im Lager der Sozialdemokratie sammeln
würden. Das schwerste Versäumnis ist es, daß wir in
Oesterreich erst heute dieser Frage nahe treten. Auf die
Rede Dr. Tollingers übergehend, sagt Doktor
Geßmann, es sei lächerlich und für die Geistlichkeit
sogar beleidigend, daß Dr. Tollinger erst 35jährigen
eine zweite Stimme zugestehe, da doch das kanonische
Alter für die Priesterweihe das 24., für die bischöflichen
Weihen das 30. sei. Wer die Lehrerreifeprüfung
gemacht, die Lehrbefähigungsprüfung aber nicht ab-
gelegt habe, dafür 35 Jahre alt, verheiratet und Vater
sei, habe 3 Stimmen, der 60jährige römische Pfarrer
als Zölibatär nur durch die Matura zwei. Dagegen
haben die griechisch-unierten und die nicht-
unierten Priester drei Stimmen. Wie der katholische
Dr. Tollinger dies beantragen, die
Polen dies unterstützen können -- dem
ruthenischen Klerus gegenüber -- sei ganz sonder-
bar. Bezüglich der ländlichen Bevölkerung sagte
Redner: Erfahrungsgemäß leben die landwirtschaft-
lichen Arbeiter meist im Hausstande ihres Brotgebers
und gründen sich erst in späteren Jahren einen selbst-
ständigen Herd, während die industriellen Arbeiter
hiezu weit früher befähigt sind. Dadurch kämen die
erstgenannten den industriellen Berufsgenoisen gegen-
über stark in Nachteil, obwohl eben sie viel
mehr zur Aufbringung des Rekrutenkontingents
betragen. Der Redner besprach schließlich
auch die Abhängigmachung des Wahlrechtes
vom Erlag der Steuer. Das sei bei der österreichischen
Steuerpraxis eine so ungerechte und gehässige Sache,
daß sie selbst die um ihre Existenz ringenden Liberalen
vor 18[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]0 nicht im Kampf gegen die Christlich-Sozialen
anwenden konnten. Redner stimme gegen den Antrag
Tollinger.

Hierauf wird die Verhandlung bis 3 Uhr nach-
mittags unterbrochen.




Heute, vor der Nachmittagssitzung des Wahl-
reformausschusses, hielten die Anhänger des Plur al-
wahlrechtes eine besondere Beratung in der Abtei-
lung IV ab, wobei namentlich Abg. Graf Stürkgh
und Abg. Grabmayr die Erschienenen gegen die
Wahlreform zu mobilisieren suchten.




Für das Pluralwahlrecht dürften
19 von den 48 Mitgliedern
des Ausschusses
stimmen, so daß das Pluralwahlrecht mit ziemlich er-
heblicher Mehrheit abgelehnt werden dürfte.




Die Delegationswahlen aus Böhmen
und Mähren.

Um das bisherige Verhältnis in der Vertretung
der Deutschen und Tschechen aus Böhmen und
Mähren in den Delegationen, das bekanntlich auf
einem Kompromisse der Parteien beruht, auch nach
der Wahlreform aufrechtzuerhalten, will Abgeordneter
Dr. Sylvester mit Genehmigung der Deutschen
Volkspartei folgenden Antrag dem Abgeordneten-
hause unterbreiten, durch welchen das Kompromiß
gesetzlich fundiert würde: "Das hohe Haus wolle
beschließen, dem nachstehenden Gesetzentwurfe die
verfassungsmäßige Genehmigung zu erteilen:
Gesetzentwurf vom ..... Mit Zustimmung der
beiden Häuser des Reichsrates finde Ich in
Ergänzung des Gesetzes vom 21. Dezember
1867, R.-G.-Bl. Nr. 144, anzuordnen: § 1. Im
[Spaltenumbruch] § 8 des Gesetzes vom 21. Dezember 1867, R.-G.-Bl.
Nr. 16, ist im dritten Absatz nach den Worten: "Es
haben mittels absoluter Stimmenmehrheit zu wählen
die Abgeordneten aus dem Königreiche Böhmen" ...
der erganzende Zusatz: "und zwar die Abgeordneten
der Wahlbezirke Nr. ... bis Nr. ... (hier werden
die tschechischen Bezirke aufgezählt) sechs Delegierte,
die Abgeordneten der Wahlbezirke Nr. ... bis
Nr. ... (hier werden die deutschen Bezirke auf-
gezählt) vier". Weiters ist in demselben Absatze
nach den Worten "der Markgrafschaft Mähren
vier" ... der ergänzende Zusatz: "und zwar die
Abgeordneten der Wahlbezirke Nr. ... bis Nr. ...
(hier werden die tschechischen Bezirke aufgezählt)
zwei, die Abgeordneten der Wahlbezirke Nr. ...
bis Nr. ... (hier werden die deutschen Bezirke auf-
gezählt) zwei", einzufügen. § 2. Mit dem Vollzuge
dieses Gesetzes wird Mein Ministerium beauftragt.
Dieser Antrag ist dem Verfassungsausschusse zuzu-
weisen."




Der Eisenbahnminister über die Nord-
bahnverstaatlichung.

In der heutigen Sitzung des Eisenbahnausschusses
ergriff Eisenbahnminister Dr. v. Derschatta das
Wort. Er führte aus, daß die Ablösungsrente nicht
übermäßig hoch angesetzt sei. Die Gebührenbefreiung
sei noch bei jeder Eisenbahnverstaatlichung zugestanden
worden. Die Kosten des Verwaltungsrates seien be-
reits in die Rente einbezogen. Mit dem Ankaufe
der Kohlengruben wäre der Minister
vollkommen einverstanden,
die Kosten seien
aber hoch und die Mittel des Staates beschränkt. Er
sei von der Ersprießlichkeit einer solchen Transaktion
überzeugt und die Regierung werde ihr die volle Auf-
merksamkeit zuwenden. Die Tarifverträge der Nord-
bahn mit Privatparteien seien der Regierung alle be-
kannt. Die neue Organisation der Staatsbahnver-
waltung werde gewiß durchgeführt werden. Die Re-
gierung sei mit der Abfassung des neuen Status be-
schäftigt, werde ihn in kürzester Zeit vollenden und dem
Staatseisenbahnrate zur Begutachtung vorlegen.

Die tschechischen Wahlkreise in Böhmen.

Dem "Venkov" wird, wie uns eine Prager
Depesche mitteilt, aus Wien gemeldet: Abgeordneter
Prasek verhandelte gestern mit dem Abgeordneten
Cipera in Angelegenheit der definitiven Einigung
betreffs der Einteilung der ländlichen Wahlbezirke
in Böhmen. Es ist Aussicht vorhanden, daß diese
Einigung schon im Laufe des heutigen
Tages
zu[st]andekommt. Strittig ist nur die Frage
betreffs der Zuteilung der größeren Industriebezirke
zu der Kategorie der städtischen Gruppen.




Ein beigelegter Parteistreit.
Verständigung zwischen den Christlich-
Sozialen und dem Zentrum in Bayern.

Zwischen dem Zentrum und den Christlich-
Sozialen in Bayern, die schon seit längerer Zeit
nach langem, oft heftigem Kampfe treue Waffen-
bruderschaft üben, ist die Verständigung nun auch in
formeller Weise zum Ausdruck gekommen. Wie das
Organ der Münchener Christlich-Sozialen, das
"Deutsche Volksblatt" mitteilt, wurde der Heraus-
geber des genannten Blattes und Führer der Christ-
lich sozialen Partei, Ingenieur Ludwig Wenng,
von der Redaktion des "Bay erischen Kurrier"
in München, dem offiziellen Organ des bayrischen
Zentrums, in diesen Tagen ersucht, die
Reda[d]tion des kommunalen Teiles des "B. Kurier"
zu übernehmen. Herr Ingenieur Wenng hat dem
Rufe Folge geleistet. Die Herausgabe und Redaktion
des nur wöchentlich erscheinenden Organs der
Christlich-Sozialen behält Ingenieur Wenng bei.

Aus dieser Nachricht geht hervor, daß die Ver-
ständigung eine vollständige ist. Die "Reichspost" hat
wiederholt auf das Wünschenswerte einer solchen
Verständigung hingewiesen, die bei der
geringen programmatischen Differenz der beiden
in Betracht kommenden Parteien nicht auf
allzugroße Hindernisse stoßen konnte. Ist
doch der Antisemitismus, der das einzige
programmatische Hindernis zu sein schien, auch in der
bayrischen Zentrumspartei vorhanden und erhält von
Jahr zu Jahr eine stärkere Betonung. In sozial-
politischer Hinsicht besteht soviel wie kein Unterschied,
ebensowenig in rein politischer Beziehung. Was die
etwas verschiedene Taktik der beiden Gruppen be-
trifft, so ist im Zentrum gewiß ein Raum für einen
Flügel mit schärferer Tonart.

Die größten Schwierigkeiten lagen in gewissen
Mißverständnissen und persönlichen Differenzen. Diese
wurden nun ausgeglichen. Wir verzeichnen dieses
Ereignis, dem angesichts der bevorstehenden Er-
neuerung des bayrischen Landtages eine große Be-
deutung zukommt, als ein besonders erfreuliches.




Ueber Taifune.

(Von fachmännischer Seite.)

In kurzer Zeit haben sich jetzt zwei Wirbel-
stürme ereignet, von denen jeder furchtbaren Schaden
anrichtete. Der erste zerstörte fast den ganzen Hafen
von Hongkong, der andere verheerte die Küste von
Alabama.

Die vergleichende Meteorologie hat das wichtige
Resultat ergeben, daß alle unsere Stürme eine

Wien, Freitag Reichspoſt 5. Oktober 1906 227

[Spaltenumbruch] das Pluralwahlrecht beſchloſſen werden ſollte, weil ſich
bei der dann notwendig eintretenden neuen Bewegung
für das Wahlrecht für die Vertretung der Landbevöl-
kerungs viel leichter Gelegenheit finden würde, die der
Landbevölkerung durch die Vorlage zugefügte Unge-
rechtigkeit zu bekämpfen. Redner ſei überzeugt, daß es
nicht angehe, bei ſolchen Fragen gegenüber den
breiten Volksſchichten irgendeinen Rückſchritt zu machen,
und mit Rückſicht auf die ſchon beſtehende 5. Kurie
würde die Annahme des Pluralwahlrechtes gewiß als
ein Rückſchritt aufgefaßt werden können. Das gleiche
und einfache Wahlrecht ſei vielmehr geeignet, die
Gegenſätze zwiſchen den einzelnen ſozialen Klaſſen
wenigſtens zu mildern. Redner werde daher bei § 5
für die Faſſung der Regierungsvorlage ſtimmen.

Der Proteſt der Bauern.

Abg. Schraffl führt aus, daß die bisherigen Ver-
handlungen die Erſcheinung zutage gefördert haben,
daß eine Regierungspartei, deren Vertreter im
Kabinette ſitzt, gegen die Intentionen der Regierung
auftreten könne. Daraus ſei der Schluß zu ziehen, daß
in der parlamentariſchen Regierung etwas noch immer
nicht klappt, und daß man noch immer nicht einſehen
wolle, daß parlamentariſche Regierungen auch gewiſſe
parlamentariſche Verpflichtungen haben.

Bezüglich des Antrages Tollinger glaube Redner, daß
ihm ſchon präjudiziert ſei. Die Einführung des Plural-
wahlrechtes würde gegen das Prinzip verſtoßen, das
bereits im Grundgeſetze feſtgelegt ſei. Wollte man
zulaſſen, daß in der Wahlordnung, die mit einfacher
Mehrheit beſchloſſen werden könne, ein Pluralwahlrecht
eingeführt werde, dann könnte man mit einfacher Mehr-
heit jedes beliebige Wahlrecht konſtruieren. Z. B. könnte
im künftigen Abgeordnetenhauſe die ſlaviſche Mehrheit
beſtimmen, daß jeder, der in Oeſterreich einer ſlaviſchen
Sprache mächtig iſt, mehrere Stimmen erhält. Dann
wäre der Standpunkt der Alldeutſchen gegenüber der
Wahlreform wirklich nicht ganz unbegründet, dann beſtünde
wirklich für die Deutſchen eine durch die Wahlreform
heraufbeſchworene Gefahr. Derartige grundſtürzende
Aenderungen der Wahlreform hätten bei Be-
ratung des Grundgeſetzes
zur Sprache gebracht
werden müſſen. Daß aber an den Prinzipien der
Wahlreform jetzt gerüttelt werde, darf niemand
weniger zugeben als die Deutſchen
in
Oeſterreich, und Redner ſei daher verwundert, daß
auch Dentſche für den Antrag Tollinger zu ſtimmen
beabſichtigen. Die Anſicht des Abg. Dr. Tollinger,
daß die Landgemeinden in Tirol ſich über Zurückſetzung
beſchweren, ſei falſch; ſie erhalten ja ſieben Man-
date mehr
als ſie bisher hatten. Würde der Antrag
des Abg. Dr. Tollinger angenommen werden, dann
würde dadurch die Wahlhandlung in manchen Gegenden
nahezu unmöglich werden. Die Zwei- und Dreiſtimmen-
wähler würden für ihr Privilegium nicht einmal
dankbar ſein, weil ſie dadurch von der Bevölkerung
wider Willen als Kaſte und abgeſondert ihren Einfluß
im Volke verlieren würden.

Wenn Abg. Paſtor erklärt habe, er müſſe als
Chriſt und Prieſter für das Pluralwahlrecht eintreten,
ſo frage Redner den genannten Abgeordneten, ob
diejenigen, die gegen das Pluralwahlrecht ſtimmen,
weniger Chriſten ſeien. Er verweiſe diesbezüglich auf
den Biſchof Jeglic, der wiederholt für die
Einführung des allgemeinen und gleichen
Wahlrechtes eingetreten
ſei. Was den Zenſus
von 25 Kronen anbelange, der eventuell auch auf
8 Kronen herabgemindert werden könne, ſo erſehe man
daraus, daß die Anhänger des Pluralwahlrechtes
unter einander über die Höhe des Zenſus nicht einig
werden konnten. Uebrigens würde ein Zenſus von
8 Kronen in vielen Ländern und insbeſondere
in Tirol keineswegs einen Schutz für die
kleinen Grundbeſitzer bilden, denn wie aus den
vom Tiroler Landesausſchuß gelegentlich der Beratung
der Landtagswahlreform im Tiroler Landtag ver-
haßten Tabellen hervorgehe, zahlen vielerorts mehr
als zwei Drittel der Tiroler Grundbeſitzer weniger als
8 Kronen Steuer. Der Abſatz 5 des Antrags Tollinger
beſtimme, daß derjenige, der ein Pluralwahlrecht beſitzt,
verpflichtet ſei, alle ihm zuſtehenden Stimmen
auf einen Wahlwerber zu vereinigen. Wie wolle
man dies ohne Aufhebung des Wahlgeheimniſſes
kontrollieren? Die Annahme des Antrages Tollinger
würde viele Tiroler Kleinbauern, die weniger als
25 bezw. 8 Kronen Steuern zahlen, unzufrieden
machen und in das Lager der Sozialdemo-
kraten treiben.
Es ſei nur zu wundern, daß die
Sozialdemokraten nicht mit größtem Eifer für das
Pluralwahlrecht eintreten. Redner habe, um ſich von
der Stimmung der Tiroler bäuerlichen Bevölkerung
hinſichtlich der Einführung des allgemeinen Wahl-
rechtes zu überzeugen, auch Gegenden, die von
konſervativen Abgeordneten vertreten ſeien, bereiſt und
die Wahrnehmung gemacht, daß die erdrückende
Majorität
der bäuerlichen Bevölkerung für das
gleiche Wahlrecht ſei. Im Wahlbezirke
des Abg. Dr. Tollinger
habe er in zwölf Ge-
meinden nur fünf Perſonen angetroffen,
die dagegen waren. Von dieſen waren zwei Halb-
narren, zwei Bauern
und ein Abgeord-
neter.
(Heiterkeit.)

Abg. Zazvorka ſchildert den Terrorismus der
Sozialdemokraten auf dem Lande, polemiſiert gegen
mehrere Vorredner, erklärt aber ſchließlich gegen den
Antrag Tollinger zu ſtimme.

Rothſchild, der „größte Pluralwähler“.

Abg. Dr. Ivcevic erklärt, daß er und ſeine Ge-
noſſen aus dem ſlaviſchen Verband gegen den An-
trag Tollinger ſtimmen würden, der einen Rückſchritt
ſogar gegenüber dem beſtehenden Wahlrecht bedeute.
Würde das Pluralwahlrecht angenommen, ſo würde
die Wahlreformbewegung fortdauern und die erhoffte
Beruhigung ausbleiben. Es ſei eine falſche Anſicht,
daß der Beſitz bevorzugt werden müſſe. Wenn das
Intereſſe am Staate mit der Größe des Beſitzes
wüchſe, dann wäre die logiſche Konſequenz des An-
trages, daß der 50 Kronen Steuerzahlende zwei, der
100 Kronen Zahlende 4 Stimmen haben müßte uſw.
und ſchließlich wäre Rothſchild der größte Wähler in
[Spaltenumbruch] Oeſterreich. Intelligenz und Beſitz werden bei den
Wahlen ohne[h]in großen Einfluß nehmen und bedürfen
keiner Privilegierung.

Abg. Kaiſer findet, daß gegen den Antrag Tollinger
keine ſachlichen Gründe vorgebracht wurden, ſondern
daß man nur durch die Verzerrung ins Extrem ihn
unmöglich machen wollte. Die Frage der Pluralität
fei von Anfang vorgelegen, nicht erſt neu aufgetaucht.
Redner erhebe das Verlangen nach der Pluralität
nicht nur zum Schutze der Landwirtſchaft, ſondern
auch zu dem des Staates. Daß ein Schutz des Staates
durch die Pluralität notwendig ſei, beweiſe die Aeuße-
rung Dr. Adlers, daß die Sozialdemokraten nur an
der Umänderung des Staates Intereſſe hätten. Abg.
Schraffl habe behauptet, man werde einmal den Be-
ſitzenden alles wegnehmen und habe ſich als Sozial-
demokrat entpuppt. Redner iſt für den Antrag Tollinger.

Abg. Dr. Geßmann polemiſiert eingangs gegen
den Abg. Dr. Lecher und geht dann auf die Ent-
ſtehungsgeſchichte der Vorlage über. — Aus dem durch
Ungarns innerpolitiſche Wandlungen hervorgegangenen
Kampf um die Einheit der Monarchie, ja ſogar um
deren Beſtand, habe ſich die Notwendigkeit einer
Wahlreform für den ungariſchen Reichstag ergeben,
obwohl freilich noch wichtiger eine Wahlreform für die
Komitate und Gemeinden geweſen wäre. Die Frage
wird demnächſt wieder akut werden und nichts ſei
demgegenüber notwendiger, als die Einführung des
allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts auch für
Oeſterreich. Aus dieſer bedingungsloſen Notwendig-
keit geht aber auch hervor, daß eine Oktroyierung
in Oeſterreich weitaus wahrſcheinlicher wäre, als
jenſeits der Leitha, und welcher Vorwurf träfe in
dieſem Falle die bürgerlichen Parteien, welche die
Wahlreform verhindert hätten. Auch die Geſtaltung
der Verhältniſſe in Rußland blieb nicht ohne Einfluß
auf die Entſchließungen des Kabinetts Gautſch, da eine
Rückwirkung desſelben auf die öſtlichen Länder der
Monarchie ſich hätte befürchten laſſen. Weit weniger
als dies ſeien die Drohungen der ſozialdemokratiſchen
Partei bezüglich der Städte und Induſtriezentren für den
Fall des Nichtzuſtandekommens der Reform ernſt zu
nehmen, wie ja der Mannheimer Parteitag beweiſe.
Anders aber ſei es in Galizien, wo weder die Loyalität
des Abg. v. Waſſilko, noch die Staatsbehörden für die
Maſſen garantieren könnten. Mit dem Pluralwahlrecht
käme die Bewegung nicht zum Abſchluſſe. Die
Pluralität wäre eine furchtbare Gefahr für die
bürgerlichen Parteien, da ſich die Beſitzer einer Stimme
unzufrieden im Lager der Sozialdemokratie ſammeln
würden. Das ſchwerſte Verſäumnis iſt es, daß wir in
Oeſterreich erſt heute dieſer Frage nahe treten. Auf die
Rede Dr. Tollingers übergehend, ſagt Doktor
Geßmann, es ſei lächerlich und für die Geiſtlichkeit
ſogar beleidigend, daß Dr. Tollinger erſt 35jährigen
eine zweite Stimme zugeſtehe, da doch das kanoniſche
Alter für die Prieſterweihe das 24., für die biſchöflichen
Weihen das 30. ſei. Wer die Lehrerreifeprüfung
gemacht, die Lehrbefähigungsprüfung aber nicht ab-
gelegt habe, dafür 35 Jahre alt, verheiratet und Vater
ſei, habe 3 Stimmen, der 60jährige römiſche Pfarrer
als Zölibatär nur durch die Matura zwei. Dagegen
haben die griechiſch-unierten und die nicht-
unierten Prieſter drei Stimmen. Wie der katholiſche
Dr. Tollinger dies beantragen, die
Polen dies unterſtützen können — dem
rutheniſchen Klerus gegenüber — ſei ganz ſonder-
bar. Bezüglich der ländlichen Bevölkerung ſagte
Redner: Erfahrungsgemäß leben die landwirtſchaft-
lichen Arbeiter meiſt im Hausſtande ihres Brotgebers
und gründen ſich erſt in ſpäteren Jahren einen ſelbſt-
ſtändigen Herd, während die induſtriellen Arbeiter
hiezu weit früher befähigt ſind. Dadurch kämen die
erſtgenannten den induſtriellen Berufsgenoiſen gegen-
über ſtark in Nachteil, obwohl eben ſie viel
mehr zur Aufbringung des Rekrutenkontingents
betragen. Der Redner beſprach ſchließlich
auch die Abhängigmachung des Wahlrechtes
vom Erlag der Steuer. Das ſei bei der öſterreichiſchen
Steuerpraxis eine ſo ungerechte und gehäſſige Sache,
daß ſie ſelbſt die um ihre Exiſtenz ringenden Liberalen
vor 18[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]0 nicht im Kampf gegen die Chriſtlich-Sozialen
anwenden konnten. Redner ſtimme gegen den Antrag
Tollinger.

Hierauf wird die Verhandlung bis 3 Uhr nach-
mittags unterbrochen.




Heute, vor der Nachmittagsſitzung des Wahl-
reformausſchuſſes, hielten die Anhänger des Plur al-
wahlrechtes eine beſondere Beratung in der Abtei-
lung IV ab, wobei namentlich Abg. Graf Stürkgh
und Abg. Grabmayr die Erſchienenen gegen die
Wahlreform zu mobiliſieren ſuchten.




Für das Pluralwahlrecht dürften
19 von den 48 Mitgliedern
des Ausſchuſſes
ſtimmen, ſo daß das Pluralwahlrecht mit ziemlich er-
heblicher Mehrheit abgelehnt werden dürfte.




Die Delegationswahlen aus Böhmen
und Mähren.

Um das bisherige Verhältnis in der Vertretung
der Deutſchen und Tſchechen aus Böhmen und
Mähren in den Delegationen, das bekanntlich auf
einem Kompromiſſe der Parteien beruht, auch nach
der Wahlreform aufrechtzuerhalten, will Abgeordneter
Dr. Sylveſter mit Genehmigung der Deutſchen
Volkspartei folgenden Antrag dem Abgeordneten-
hauſe unterbreiten, durch welchen das Kompromiß
geſetzlich fundiert würde: „Das hohe Haus wolle
beſchließen, dem nachſtehenden Geſetzentwurfe die
verfaſſungsmäßige Genehmigung zu erteilen:
Geſetzentwurf vom ..... Mit Zuſtimmung der
beiden Häuſer des Reichsrates finde Ich in
Ergänzung des Geſetzes vom 21. Dezember
1867, R.-G.-Bl. Nr. 144, anzuordnen: § 1. Im
[Spaltenumbruch] § 8 des Geſetzes vom 21. Dezember 1867, R.-G.-Bl.
Nr. 16, iſt im dritten Abſatz nach den Worten: „Es
haben mittels abſoluter Stimmenmehrheit zu wählen
die Abgeordneten aus dem Königreiche Böhmen“ ...
der erganzende Zuſatz: „und zwar die Abgeordneten
der Wahlbezirke Nr. ... bis Nr. ... (hier werden
die tſchechiſchen Bezirke aufgezählt) ſechs Delegierte,
die Abgeordneten der Wahlbezirke Nr. ... bis
Nr. ... (hier werden die deutſchen Bezirke auf-
gezählt) vier“. Weiters iſt in demſelben Abſatze
nach den Worten „der Markgrafſchaft Mähren
vier“ ... der ergänzende Zuſatz: „und zwar die
Abgeordneten der Wahlbezirke Nr. ... bis Nr. ...
(hier werden die tſchechiſchen Bezirke aufgezählt)
zwei, die Abgeordneten der Wahlbezirke Nr. ...
bis Nr. ... (hier werden die deutſchen Bezirke auf-
gezählt) zwei“, einzufügen. § 2. Mit dem Vollzuge
dieſes Geſetzes wird Mein Miniſterium beauftragt.
Dieſer Antrag iſt dem Verfaſſungsausſchuſſe zuzu-
weiſen.“




Der Eiſenbahnminiſter über die Nord-
bahnverſtaatlichung.

In der heutigen Sitzung des Eiſenbahnausſchuſſes
ergriff Eiſenbahnminiſter Dr. v. Derſchatta das
Wort. Er führte aus, daß die Ablöſungsrente nicht
übermäßig hoch angeſetzt ſei. Die Gebührenbefreiung
ſei noch bei jeder Eiſenbahnverſtaatlichung zugeſtanden
worden. Die Koſten des Verwaltungsrates ſeien be-
reits in die Rente einbezogen. Mit dem Ankaufe
der Kohlengruben wäre der Miniſter
vollkommen einverſtanden,
die Koſten ſeien
aber hoch und die Mittel des Staates beſchränkt. Er
ſei von der Erſprießlichkeit einer ſolchen Transaktion
überzeugt und die Regierung werde ihr die volle Auf-
merkſamkeit zuwenden. Die Tarifverträge der Nord-
bahn mit Privatparteien ſeien der Regierung alle be-
kannt. Die neue Organiſation der Staatsbahnver-
waltung werde gewiß durchgeführt werden. Die Re-
gierung ſei mit der Abfaſſung des neuen Status be-
ſchäftigt, werde ihn in kürzeſter Zeit vollenden und dem
Staatseiſenbahnrate zur Begutachtung vorlegen.

Die tſchechiſchen Wahlkreiſe in Böhmen.

Dem „Venkov“ wird, wie uns eine Prager
Depeſche mitteilt, aus Wien gemeldet: Abgeordneter
Praſek verhandelte geſtern mit dem Abgeordneten
Cipera in Angelegenheit der definitiven Einigung
betreffs der Einteilung der ländlichen Wahlbezirke
in Böhmen. Es iſt Ausſicht vorhanden, daß dieſe
Einigung ſchon im Laufe des heutigen
Tages
zu[ſt]andekommt. Strittig iſt nur die Frage
betreffs der Zuteilung der größeren Induſtriebezirke
zu der Kategorie der ſtädtiſchen Gruppen.




Ein beigelegter Parteiſtreit.
Verſtändigung zwiſchen den Chriſtlich-
Sozialen und dem Zentrum in Bayern.

Zwiſchen dem Zentrum und den Chriſtlich-
Sozialen in Bayern, die ſchon ſeit längerer Zeit
nach langem, oft heftigem Kampfe treue Waffen-
bruderſchaft üben, iſt die Verſtändigung nun auch in
formeller Weiſe zum Ausdruck gekommen. Wie das
Organ der Münchener Chriſtlich-Sozialen, das
„Deutſche Volksblatt“ mitteilt, wurde der Heraus-
geber des genannten Blattes und Führer der Chriſt-
lich ſozialen Partei, Ingenieur Ludwig Wenng,
von der Redaktion des „Bay eriſchen Kurrier“
in München, dem offiziellen Organ des bayriſchen
Zentrums, in dieſen Tagen erſucht, die
Reda[d]tion des kommunalen Teiles des „B. Kurier“
zu übernehmen. Herr Ingenieur Wenng hat dem
Rufe Folge geleiſtet. Die Herausgabe und Redaktion
des nur wöchentlich erſcheinenden Organs der
Chriſtlich-Sozialen behält Ingenieur Wenng bei.

Aus dieſer Nachricht geht hervor, daß die Ver-
ſtändigung eine vollſtändige iſt. Die „Reichspoſt“ hat
wiederholt auf das Wünſchenswerte einer ſolchen
Verſtändigung hingewieſen, die bei der
geringen programmatiſchen Differenz der beiden
in Betracht kommenden Parteien nicht auf
allzugroße Hinderniſſe ſtoßen konnte. Iſt
doch der Antiſemitismus, der das einzige
programmatiſche Hindernis zu ſein ſchien, auch in der
bayriſchen Zentrumspartei vorhanden und erhält von
Jahr zu Jahr eine ſtärkere Betonung. In ſozial-
politiſcher Hinſicht beſteht ſoviel wie kein Unterſchied,
ebenſowenig in rein politiſcher Beziehung. Was die
etwas verſchiedene Taktik der beiden Gruppen be-
trifft, ſo iſt im Zentrum gewiß ein Raum für einen
Flügel mit ſchärferer Tonart.

Die größten Schwierigkeiten lagen in gewiſſen
Mißverſtändniſſen und perſönlichen Differenzen. Dieſe
wurden nun ausgeglichen. Wir verzeichnen dieſes
Ereignis, dem angeſichts der bevorſtehenden Er-
neuerung des bayriſchen Landtages eine große Be-
deutung zukommt, als ein beſonders erfreuliches.




Ueber Taifune.

(Von fachmänniſcher Seite.)

In kurzer Zeit haben ſich jetzt zwei Wirbel-
ſtürme ereignet, von denen jeder furchtbaren Schaden
anrichtete. Der erſte zerſtörte faſt den ganzen Hafen
von Hongkong, der andere verheerte die Küſte von
Alabama.

Die vergleichende Meteorologie hat das wichtige
Reſultat ergeben, daß alle unſere Stürme eine

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[6/0006] Wien, Freitag Reichspoſt 5. Oktober 1906 227 das Pluralwahlrecht beſchloſſen werden ſollte, weil ſich bei der dann notwendig eintretenden neuen Bewegung für das Wahlrecht für die Vertretung der Landbevöl- kerungs viel leichter Gelegenheit finden würde, die der Landbevölkerung durch die Vorlage zugefügte Unge- rechtigkeit zu bekämpfen. Redner ſei überzeugt, daß es nicht angehe, bei ſolchen Fragen gegenüber den breiten Volksſchichten irgendeinen Rückſchritt zu machen, und mit Rückſicht auf die ſchon beſtehende 5. Kurie würde die Annahme des Pluralwahlrechtes gewiß als ein Rückſchritt aufgefaßt werden können. Das gleiche und einfache Wahlrecht ſei vielmehr geeignet, die Gegenſätze zwiſchen den einzelnen ſozialen Klaſſen wenigſtens zu mildern. Redner werde daher bei § 5 für die Faſſung der Regierungsvorlage ſtimmen. Der Proteſt der Bauern. Abg. Schraffl führt aus, daß die bisherigen Ver- handlungen die Erſcheinung zutage gefördert haben, daß eine Regierungspartei, deren Vertreter im Kabinette ſitzt, gegen die Intentionen der Regierung auftreten könne. Daraus ſei der Schluß zu ziehen, daß in der parlamentariſchen Regierung etwas noch immer nicht klappt, und daß man noch immer nicht einſehen wolle, daß parlamentariſche Regierungen auch gewiſſe parlamentariſche Verpflichtungen haben. Bezüglich des Antrages Tollinger glaube Redner, daß ihm ſchon präjudiziert ſei. Die Einführung des Plural- wahlrechtes würde gegen das Prinzip verſtoßen, das bereits im Grundgeſetze feſtgelegt ſei. Wollte man zulaſſen, daß in der Wahlordnung, die mit einfacher Mehrheit beſchloſſen werden könne, ein Pluralwahlrecht eingeführt werde, dann könnte man mit einfacher Mehr- heit jedes beliebige Wahlrecht konſtruieren. Z. B. könnte im künftigen Abgeordnetenhauſe die ſlaviſche Mehrheit beſtimmen, daß jeder, der in Oeſterreich einer ſlaviſchen Sprache mächtig iſt, mehrere Stimmen erhält. Dann wäre der Standpunkt der Alldeutſchen gegenüber der Wahlreform wirklich nicht ganz unbegründet, dann beſtünde wirklich für die Deutſchen eine durch die Wahlreform heraufbeſchworene Gefahr. Derartige grundſtürzende Aenderungen der Wahlreform hätten bei Be- ratung des Grundgeſetzes zur Sprache gebracht werden müſſen. Daß aber an den Prinzipien der Wahlreform jetzt gerüttelt werde, darf niemand weniger zugeben als die Deutſchen in Oeſterreich, und Redner ſei daher verwundert, daß auch Dentſche für den Antrag Tollinger zu ſtimmen beabſichtigen. Die Anſicht des Abg. Dr. Tollinger, daß die Landgemeinden in Tirol ſich über Zurückſetzung beſchweren, ſei falſch; ſie erhalten ja ſieben Man- date mehr als ſie bisher hatten. Würde der Antrag des Abg. Dr. Tollinger angenommen werden, dann würde dadurch die Wahlhandlung in manchen Gegenden nahezu unmöglich werden. Die Zwei- und Dreiſtimmen- wähler würden für ihr Privilegium nicht einmal dankbar ſein, weil ſie dadurch von der Bevölkerung wider Willen als Kaſte und abgeſondert ihren Einfluß im Volke verlieren würden. Wenn Abg. Paſtor erklärt habe, er müſſe als Chriſt und Prieſter für das Pluralwahlrecht eintreten, ſo frage Redner den genannten Abgeordneten, ob diejenigen, die gegen das Pluralwahlrecht ſtimmen, weniger Chriſten ſeien. Er verweiſe diesbezüglich auf den Biſchof Jeglic, der wiederholt für die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechtes eingetreten ſei. Was den Zenſus von 25 Kronen anbelange, der eventuell auch auf 8 Kronen herabgemindert werden könne, ſo erſehe man daraus, daß die Anhänger des Pluralwahlrechtes unter einander über die Höhe des Zenſus nicht einig werden konnten. Uebrigens würde ein Zenſus von 8 Kronen in vielen Ländern und insbeſondere in Tirol keineswegs einen Schutz für die kleinen Grundbeſitzer bilden, denn wie aus den vom Tiroler Landesausſchuß gelegentlich der Beratung der Landtagswahlreform im Tiroler Landtag ver- haßten Tabellen hervorgehe, zahlen vielerorts mehr als zwei Drittel der Tiroler Grundbeſitzer weniger als 8 Kronen Steuer. Der Abſatz 5 des Antrags Tollinger beſtimme, daß derjenige, der ein Pluralwahlrecht beſitzt, verpflichtet ſei, alle ihm zuſtehenden Stimmen auf einen Wahlwerber zu vereinigen. Wie wolle man dies ohne Aufhebung des Wahlgeheimniſſes kontrollieren? Die Annahme des Antrages Tollinger würde viele Tiroler Kleinbauern, die weniger als 25 bezw. 8 Kronen Steuern zahlen, unzufrieden machen und in das Lager der Sozialdemo- kraten treiben. Es ſei nur zu wundern, daß die Sozialdemokraten nicht mit größtem Eifer für das Pluralwahlrecht eintreten. Redner habe, um ſich von der Stimmung der Tiroler bäuerlichen Bevölkerung hinſichtlich der Einführung des allgemeinen Wahl- rechtes zu überzeugen, auch Gegenden, die von konſervativen Abgeordneten vertreten ſeien, bereiſt und die Wahrnehmung gemacht, daß die erdrückende Majorität der bäuerlichen Bevölkerung für das gleiche Wahlrecht ſei. Im Wahlbezirke des Abg. Dr. Tollinger habe er in zwölf Ge- meinden nur fünf Perſonen angetroffen, die dagegen waren. Von dieſen waren zwei Halb- narren, zwei Bauern und ein Abgeord- neter. (Heiterkeit.) Abg. Zazvorka ſchildert den Terrorismus der Sozialdemokraten auf dem Lande, polemiſiert gegen mehrere Vorredner, erklärt aber ſchließlich gegen den Antrag Tollinger zu ſtimme. Rothſchild, der „größte Pluralwähler“. Abg. Dr. Ivcevic erklärt, daß er und ſeine Ge- noſſen aus dem ſlaviſchen Verband gegen den An- trag Tollinger ſtimmen würden, der einen Rückſchritt ſogar gegenüber dem beſtehenden Wahlrecht bedeute. Würde das Pluralwahlrecht angenommen, ſo würde die Wahlreformbewegung fortdauern und die erhoffte Beruhigung ausbleiben. Es ſei eine falſche Anſicht, daß der Beſitz bevorzugt werden müſſe. Wenn das Intereſſe am Staate mit der Größe des Beſitzes wüchſe, dann wäre die logiſche Konſequenz des An- trages, daß der 50 Kronen Steuerzahlende zwei, der 100 Kronen Zahlende 4 Stimmen haben müßte uſw. und ſchließlich wäre Rothſchild der größte Wähler in Oeſterreich. Intelligenz und Beſitz werden bei den Wahlen ohnehin großen Einfluß nehmen und bedürfen keiner Privilegierung. Abg. Kaiſer findet, daß gegen den Antrag Tollinger keine ſachlichen Gründe vorgebracht wurden, ſondern daß man nur durch die Verzerrung ins Extrem ihn unmöglich machen wollte. Die Frage der Pluralität fei von Anfang vorgelegen, nicht erſt neu aufgetaucht. Redner erhebe das Verlangen nach der Pluralität nicht nur zum Schutze der Landwirtſchaft, ſondern auch zu dem des Staates. Daß ein Schutz des Staates durch die Pluralität notwendig ſei, beweiſe die Aeuße- rung Dr. Adlers, daß die Sozialdemokraten nur an der Umänderung des Staates Intereſſe hätten. Abg. Schraffl habe behauptet, man werde einmal den Be- ſitzenden alles wegnehmen und habe ſich als Sozial- demokrat entpuppt. Redner iſt für den Antrag Tollinger. Abg. Dr. Geßmann polemiſiert eingangs gegen den Abg. Dr. Lecher und geht dann auf die Ent- ſtehungsgeſchichte der Vorlage über. — Aus dem durch Ungarns innerpolitiſche Wandlungen hervorgegangenen Kampf um die Einheit der Monarchie, ja ſogar um deren Beſtand, habe ſich die Notwendigkeit einer Wahlreform für den ungariſchen Reichstag ergeben, obwohl freilich noch wichtiger eine Wahlreform für die Komitate und Gemeinden geweſen wäre. Die Frage wird demnächſt wieder akut werden und nichts ſei demgegenüber notwendiger, als die Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts auch für Oeſterreich. Aus dieſer bedingungsloſen Notwendig- keit geht aber auch hervor, daß eine Oktroyierung in Oeſterreich weitaus wahrſcheinlicher wäre, als jenſeits der Leitha, und welcher Vorwurf träfe in dieſem Falle die bürgerlichen Parteien, welche die Wahlreform verhindert hätten. Auch die Geſtaltung der Verhältniſſe in Rußland blieb nicht ohne Einfluß auf die Entſchließungen des Kabinetts Gautſch, da eine Rückwirkung desſelben auf die öſtlichen Länder der Monarchie ſich hätte befürchten laſſen. Weit weniger als dies ſeien die Drohungen der ſozialdemokratiſchen Partei bezüglich der Städte und Induſtriezentren für den Fall des Nichtzuſtandekommens der Reform ernſt zu nehmen, wie ja der Mannheimer Parteitag beweiſe. Anders aber ſei es in Galizien, wo weder die Loyalität des Abg. v. Waſſilko, noch die Staatsbehörden für die Maſſen garantieren könnten. Mit dem Pluralwahlrecht käme die Bewegung nicht zum Abſchluſſe. Die Pluralität wäre eine furchtbare Gefahr für die bürgerlichen Parteien, da ſich die Beſitzer einer Stimme unzufrieden im Lager der Sozialdemokratie ſammeln würden. Das ſchwerſte Verſäumnis iſt es, daß wir in Oeſterreich erſt heute dieſer Frage nahe treten. Auf die Rede Dr. Tollingers übergehend, ſagt Doktor Geßmann, es ſei lächerlich und für die Geiſtlichkeit ſogar beleidigend, daß Dr. Tollinger erſt 35jährigen eine zweite Stimme zugeſtehe, da doch das kanoniſche Alter für die Prieſterweihe das 24., für die biſchöflichen Weihen das 30. ſei. Wer die Lehrerreifeprüfung gemacht, die Lehrbefähigungsprüfung aber nicht ab- gelegt habe, dafür 35 Jahre alt, verheiratet und Vater ſei, habe 3 Stimmen, der 60jährige römiſche Pfarrer als Zölibatär nur durch die Matura zwei. Dagegen haben die griechiſch-unierten und die nicht- unierten Prieſter drei Stimmen. Wie der katholiſche Dr. Tollinger dies beantragen, die Polen dies unterſtützen können — dem rutheniſchen Klerus gegenüber — ſei ganz ſonder- bar. Bezüglich der ländlichen Bevölkerung ſagte Redner: Erfahrungsgemäß leben die landwirtſchaft- lichen Arbeiter meiſt im Hausſtande ihres Brotgebers und gründen ſich erſt in ſpäteren Jahren einen ſelbſt- ſtändigen Herd, während die induſtriellen Arbeiter hiezu weit früher befähigt ſind. Dadurch kämen die erſtgenannten den induſtriellen Berufsgenoiſen gegen- über ſtark in Nachteil, obwohl eben ſie viel mehr zur Aufbringung des Rekrutenkontingents betragen. Der Redner beſprach ſchließlich auch die Abhängigmachung des Wahlrechtes vom Erlag der Steuer. Das ſei bei der öſterreichiſchen Steuerpraxis eine ſo ungerechte und gehäſſige Sache, daß ſie ſelbſt die um ihre Exiſtenz ringenden Liberalen vor 18_0 nicht im Kampf gegen die Chriſtlich-Sozialen anwenden konnten. Redner ſtimme gegen den Antrag Tollinger. Hierauf wird die Verhandlung bis 3 Uhr nach- mittags unterbrochen. Heute, vor der Nachmittagsſitzung des Wahl- reformausſchuſſes, hielten die Anhänger des Plur al- wahlrechtes eine beſondere Beratung in der Abtei- lung IV ab, wobei namentlich Abg. Graf Stürkgh und Abg. Grabmayr die Erſchienenen gegen die Wahlreform zu mobiliſieren ſuchten. Für das Pluralwahlrecht dürften 19 von den 48 Mitgliedern des Ausſchuſſes ſtimmen, ſo daß das Pluralwahlrecht mit ziemlich er- heblicher Mehrheit abgelehnt werden dürfte. Die Delegationswahlen aus Böhmen und Mähren. Um das bisherige Verhältnis in der Vertretung der Deutſchen und Tſchechen aus Böhmen und Mähren in den Delegationen, das bekanntlich auf einem Kompromiſſe der Parteien beruht, auch nach der Wahlreform aufrechtzuerhalten, will Abgeordneter Dr. Sylveſter mit Genehmigung der Deutſchen Volkspartei folgenden Antrag dem Abgeordneten- hauſe unterbreiten, durch welchen das Kompromiß geſetzlich fundiert würde: „Das hohe Haus wolle beſchließen, dem nachſtehenden Geſetzentwurfe die verfaſſungsmäßige Genehmigung zu erteilen: Geſetzentwurf vom ..... Mit Zuſtimmung der beiden Häuſer des Reichsrates finde Ich in Ergänzung des Geſetzes vom 21. Dezember 1867, R.-G.-Bl. Nr. 144, anzuordnen: § 1. Im § 8 des Geſetzes vom 21. Dezember 1867, R.-G.-Bl. Nr. 16, iſt im dritten Abſatz nach den Worten: „Es haben mittels abſoluter Stimmenmehrheit zu wählen die Abgeordneten aus dem Königreiche Böhmen“ ... der erganzende Zuſatz: „und zwar die Abgeordneten der Wahlbezirke Nr. ... bis Nr. ... (hier werden die tſchechiſchen Bezirke aufgezählt) ſechs Delegierte, die Abgeordneten der Wahlbezirke Nr. ... bis Nr. ... (hier werden die deutſchen Bezirke auf- gezählt) vier“. Weiters iſt in demſelben Abſatze nach den Worten „der Markgrafſchaft Mähren vier“ ... der ergänzende Zuſatz: „und zwar die Abgeordneten der Wahlbezirke Nr. ... bis Nr. ... (hier werden die tſchechiſchen Bezirke aufgezählt) zwei, die Abgeordneten der Wahlbezirke Nr. ... bis Nr. ... (hier werden die deutſchen Bezirke auf- gezählt) zwei“, einzufügen. § 2. Mit dem Vollzuge dieſes Geſetzes wird Mein Miniſterium beauftragt. Dieſer Antrag iſt dem Verfaſſungsausſchuſſe zuzu- weiſen.“ Der Eiſenbahnminiſter über die Nord- bahnverſtaatlichung. In der heutigen Sitzung des Eiſenbahnausſchuſſes ergriff Eiſenbahnminiſter Dr. v. Derſchatta das Wort. Er führte aus, daß die Ablöſungsrente nicht übermäßig hoch angeſetzt ſei. Die Gebührenbefreiung ſei noch bei jeder Eiſenbahnverſtaatlichung zugeſtanden worden. Die Koſten des Verwaltungsrates ſeien be- reits in die Rente einbezogen. Mit dem Ankaufe der Kohlengruben wäre der Miniſter vollkommen einverſtanden, die Koſten ſeien aber hoch und die Mittel des Staates beſchränkt. Er ſei von der Erſprießlichkeit einer ſolchen Transaktion überzeugt und die Regierung werde ihr die volle Auf- merkſamkeit zuwenden. Die Tarifverträge der Nord- bahn mit Privatparteien ſeien der Regierung alle be- kannt. Die neue Organiſation der Staatsbahnver- waltung werde gewiß durchgeführt werden. Die Re- gierung ſei mit der Abfaſſung des neuen Status be- ſchäftigt, werde ihn in kürzeſter Zeit vollenden und dem Staatseiſenbahnrate zur Begutachtung vorlegen. Die tſchechiſchen Wahlkreiſe in Böhmen. Dem „Venkov“ wird, wie uns eine Prager Depeſche mitteilt, aus Wien gemeldet: Abgeordneter Praſek verhandelte geſtern mit dem Abgeordneten Cipera in Angelegenheit der definitiven Einigung betreffs der Einteilung der ländlichen Wahlbezirke in Böhmen. Es iſt Ausſicht vorhanden, daß dieſe Einigung ſchon im Laufe des heutigen Tages zuſtandekommt. Strittig iſt nur die Frage betreffs der Zuteilung der größeren Induſtriebezirke zu der Kategorie der ſtädtiſchen Gruppen. Ein beigelegter Parteiſtreit. Verſtändigung zwiſchen den Chriſtlich- Sozialen und dem Zentrum in Bayern. Zwiſchen dem Zentrum und den Chriſtlich- Sozialen in Bayern, die ſchon ſeit längerer Zeit nach langem, oft heftigem Kampfe treue Waffen- bruderſchaft üben, iſt die Verſtändigung nun auch in formeller Weiſe zum Ausdruck gekommen. Wie das Organ der Münchener Chriſtlich-Sozialen, das „Deutſche Volksblatt“ mitteilt, wurde der Heraus- geber des genannten Blattes und Führer der Chriſt- lich ſozialen Partei, Ingenieur Ludwig Wenng, von der Redaktion des „Bay eriſchen Kurrier“ in München, dem offiziellen Organ des bayriſchen Zentrums, in dieſen Tagen erſucht, die Redadtion des kommunalen Teiles des „B. Kurier“ zu übernehmen. Herr Ingenieur Wenng hat dem Rufe Folge geleiſtet. Die Herausgabe und Redaktion des nur wöchentlich erſcheinenden Organs der Chriſtlich-Sozialen behält Ingenieur Wenng bei. Aus dieſer Nachricht geht hervor, daß die Ver- ſtändigung eine vollſtändige iſt. Die „Reichspoſt“ hat wiederholt auf das Wünſchenswerte einer ſolchen Verſtändigung hingewieſen, die bei der geringen programmatiſchen Differenz der beiden in Betracht kommenden Parteien nicht auf allzugroße Hinderniſſe ſtoßen konnte. Iſt doch der Antiſemitismus, der das einzige programmatiſche Hindernis zu ſein ſchien, auch in der bayriſchen Zentrumspartei vorhanden und erhält von Jahr zu Jahr eine ſtärkere Betonung. In ſozial- politiſcher Hinſicht beſteht ſoviel wie kein Unterſchied, ebenſowenig in rein politiſcher Beziehung. Was die etwas verſchiedene Taktik der beiden Gruppen be- trifft, ſo iſt im Zentrum gewiß ein Raum für einen Flügel mit ſchärferer Tonart. Die größten Schwierigkeiten lagen in gewiſſen Mißverſtändniſſen und perſönlichen Differenzen. Dieſe wurden nun ausgeglichen. Wir verzeichnen dieſes Ereignis, dem angeſichts der bevorſtehenden Er- neuerung des bayriſchen Landtages eine große Be- deutung zukommt, als ein beſonders erfreuliches. Ueber Taifune. (Von fachmänniſcher Seite.) In kurzer Zeit haben ſich jetzt zwei Wirbel- ſtürme ereignet, von denen jeder furchtbaren Schaden anrichtete. Der erſte zerſtörte faſt den ganzen Hafen von Hongkong, der andere verheerte die Küſte von Alabama. Die vergleichende Meteorologie hat das wichtige Reſultat ergeben, daß alle unſere Stürme eine

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 227, Wien, 05.10.1906, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost227_1906/6>, abgerufen am 23.11.2024.