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Reichspost. Nr. 219, Wien, 26.09.1899.

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219 Wien Dienstag Reichspost 26. September 1899

[Spaltenumbruch] angerichtet. 54 Häuser standen unter Wasser, von 30
bis 40 Häusern sah man nur mehr das Dach, bei vielen
Häusern von den Wellen davongetragen wurde. In den
Mauern zeigen sich Risse und Sprünge. Decken sind
eingestürzt, Fußböden sind gehoben; 2 bis 3 Finger
hoher Schlamm bedeckt Alles. Drei Häuser gleichen
einem Trümmerhaufen; nur hie und da ragt eine kahle
Mauer aus dem Schutte. Der Wasserstand war 11/2
Meter größer als 1897; Menschen und Vieh mußten
in höher gelegene Häuser gebracht werden, das letztere
mittelst des vom n.-ö. Landesausschuß gespendeten
Poutons, der sehr gute Dienste leistete. Sowohl was
auf dem Felde stand, als was bereits in den Häusern
geborgen war, ist total vernichtet. Heu und Stroh
gleicht einer undurchdringbar zähen Masse. Die aus
Holz errichteten Wirthschaftsgebäude, meist ganz neu,
sind zertrümmert; Balken, Bretter und Dächer, selbst
ganze Hütten sind vom Wasser fortgetragen. Noth und
Elend haben entsetzliche Dimensionen angenommen.
Viele erklären, ihre Trümmerhaufen liegen zu lassen
und den Wanderstab zu ergreifen. Hoffen wir, daß
bald ausgiebige Hilfe kommt, sonst gehen die Leute dem
sicheren Ruin entgegen.

Marchegg.

Auf dem Wege zum Ruin.
Zwei Jahre sind verflossen, und kaum, daß sich die
Bewohner einigermaßen erholt haben ist unsere Stadt
von einer so furchtbaren Wasserkatastrophe heimgesucht
worden, daß ihre Folgen noch gar nicht ermessen
werden können. Was Niemand nach den wenigen
Regen geahnt hätte, ist eingetreten, ein Hoch-
wasser, wie es hier seit 1809 nicht erlebt worden ist.
Wir waren durch Telegramme von verschiedenen Orten
an der Donau in Kenntniß gesetzt; deshalb wurden
am 15. und 16. September Tag und Nacht mit
menschenmöglicher Anstengung die noch unreifen Feld-
früchte wie Kukuruz, Erdäpfel und Futter von den
tiefergelegenen Aeckern und Wiesen theilweise in Sicher-
heit gebracht. Samstag glich die ganze Umgebung von
Marchegg einen weiten See. In der Nacht zum 17. d.
drang das Wasser, nachdem es die Höhe des Stadt-
schutzdammes erreicht hatte, von zwei Seiten mit reißender
Schnelligkeit in die Stadt ein. Samstag war bereits der
ganze Ort mit Wasser angefüllt, so daß der Verkehr
nur mit Kähnen bewerkstelligt werden konnte. Weil das
Wasser auch in die Kirche eingedrungen war, konnte
kein regelmäßiger Gottesdienst abgehalten werden.
Immer höher stieg die Hochfluth, immer breiter wurde
die Wasserfläche, immer mehr Häuser wurden mit
Wasser angefüllt. Die Besorgniß der Bewohner stieg
von Stunde zu Stunde. Dienstag Mitternacht hatte
das Wasser den Höhepunkt erreicht. Der Pegel zeigte
482 Centimeter, um 22 Centimeter mehr als vor zwei
Jahren. Nur 30 Häuser wurden von der Hochfluth
nicht erreicht. Alle anderen waren mehr oder weniger
mit Wasser angefüllt. In manchem Falle hatte das
Wasser eine solche Höhe erreicht, daß die Decken ein-
zustürzen drohten. Die Möbel mußten im letzten Augen-
blick weggeschaft werden. Lobend muß hervorgehoben
werden, daß Landmarschall Baron Gudenus, der
Landesausschuß von Pirko, Landtags-Abgeordneter Josef
Baumann und Reichsrats-Abgeordneter Johann Maier.
die überschwemmte Stadt in dieser Gefahr besuchten.
Als Mittwoch Früh das Wasser zu sinken begann,
athmete Alles erleichtert auf; denn die ganze Bewohner-
schaft war auf einen kleinen Raum des Marktplatzes,
der vom Wasser verschont geblieben war, zusammen-
gedrängt. Der Schaden ist groß und läßt sich jetzt
noch gar nicht genügend taxiren. Wenn auch die
Körnerfrüchte bereits geerntet sind, so ging doch viel
davon zu Grunde. Die Zuckerrübe ist verloren; sehr
viel Wild fand in den Fluthen den Tod. Zäune
wurden weggetragen, Mauern demolirt, viele Häuser
sind dem Einsturz nahe. Ebenso ging viel Vieh,
namentlich Borstenvieh, zu Grunde. In manchen
Stallungen standen Pferde und Kühe tief im Wasser,
weil sie nicht mehr in Sicherheit gebracht werden
konnten. Wie heilsam hätte sich auch diesmal die Hilfe
der k. k. Pionniere erwiesen, die vor zwei Jahren in
der Bergung von Menschen und Thieren wahrhaft
Großartiges geleistet haben, aber es hieß, diese seien
überall in Anspruch genommen. Die ganze Stadt
sammt ihrer Umgebung bie[t]et jetzt, wo das Wasser
abgelaufen ist, einen geradezu trostlosen Anblick. Die
Bewohner unserer Stadt sind alle der Meinung, daß
der Donaudamm, der gelegentlich der Donau-Regu-
lirung nur bis Witzelsdorf errichtet wurde, schuld an
den Ueberschwemmungen sei. Bis dahin sind die
Wasserfluthen eingeengt, von dort an breiteten sie sich
über das ganze Marchfeld aus, zumal die Donau bei
Hainburg durch Berge eingeengt ist. Je mehr die
Nebenflüsse der Donau regulirt werden, umso größer
wird die Gefahr für unsere Stadt. Außerdem leidet
Marchegg viel durch die March. Dieser Fluß, der
sämmtliche Gewässer Mährens in sich vereinigt, hat
gar kein Bett, geschweige einen Schutzdamm. Von der
Regulirung der March ist schon viel gesprochen worden,
es wurde auch öfter gemessen; dabei blieb es, regulirt
wurde die March nicht. Die Regierung sieht der
constanten Weiterverarmung der Bevölkerung mit förm-
licher Fatalistik zu. Welche Hilfe wird uns jetzt werden?
Wenn das so fort geht, kommen unsere Bewohner an
den Bettelstab und müssen auswandern.

Steiermark.

St. Gallen.

(Man rührt sich nicht.) Bei uns
stockt aller Verkehr. Weder Postpakete noch Frachten
sind beziehbar. Aber auch die Vertretungen und Be-
hörden rühren sich noch nicht. Am 21. d. M. sagte der
[Spaltenumbruch] hiesige Zimmermeister, daß er geglaubt habe, es werde
an den vielen ruinirten Brücken viele Arbeit für die
laufende Woche geben; aber er habe sich darin ge-
täuscht; er schickte deßhalb seine Leute zu einem gar
nicht drängenden Bau. Es ist abermals so, wie 1897.
Alles geht schleppend langsam. Nicht einmal die ein-
zelnen Gemeinden können untereinander verkehren.
Schon am 13. d. M. erbat unser Reichsraths-Abge-
ordneter, der hier anwesend war, im Vereine mit der
Bezirksvertretung in einem Telegramme an das
Ministerium des Innern Pionnierhilfe. Sie erschien nicht,
obwohl die Bevölkerung mit Aengstlichkeit darauf
wartete. Vielleicht wäre das große Unglück der sechs
ertrunkenen Personen verhütet worden, wenn eine fach-
männische Ueberfuhr hergestellt worden wäre. Die Ge-
meinde Altenmarkt ist vollständig abgesperrt, so zwar,
daß dort Nothstand herrscht. Der Obmann der Be-
zirksvertretung ist in Altenmarkt und kann gar nicht
über die Enns. Das Unglück konnte nur durch große
Vernachlässigung und Ueberlastung der Brücken sowie
durch Außerachtlassung der wichtigsten Vorsichtsmaß-
regeln geschehen. Die Vertretungen und Behörden
scheinen sich um uns gar nicht zu kümmern. Möge es
bald geschehen.

Krain.

Laibach.

(Stimmung unter den Slovenen.) Der
"Slovenec", das christlich-nationale Slovenenorgan, zieht
gegenüber einem Systemwechsel, bei dem die Czechen
grollend in die Opposition treten, die politische Lage
der Slovenen in Betracht und erklärt dabei, daß unter
diesen Verhältnissen die Stellung der slovenischen Ab-
geordneten eine sehr schwierige sei. Die slovenischen
Führer bedürfen daher eines großen Maßes von Vor-
sicht und Klugheit. Die slovenische Delegation müsse
nur trachten, sich für alle Fälle eine feste
Position im Parlamente zu sichern. Könnte das
Ministerium Thun nicht gehalten werden, dann
müßten sich die Slovenen dadurch sichern, daß sie
bei der Rechten verharren, so lange diese bestehe;
für den Fall ihres Zerfalles aber müßten sie sich volle
Actionsfreiheit wahren. Die slovenische Delegation
dürfe absolut nichts Anderes vor Augen haben, als
den Schutz der eigenen Volksinteressen. Diese Interessen
fordern Sanirung der parlamentarischen Lage. Ein
außerparlamentarisches Regime bedeute den Abso-
lutismus
einer gegnerischen Bureaukratie. Ein
normal fungirendes Parlament biete wenigstens die
Möglichkeit, die Selbstherrlichkeit der Bureaukratie
in Etwas zu hindern. Mit den slovenischen Stimmen
müsse unzählig oft gerechnet werden. Die Slovenen
lassen nicht mit ihrer Haut handeln. Dafür danken
sie. Sie werden mit ihrer Haut zu rechter
Zeit selbst disponireu und dabei ausschließlich
nur die eigenen Interessen berücksichtigen.
Namentlich die katholisch-nationalen Abgeordneten der
Slovenen seien überzeugt, daß sie sich durch gar keine
Phrasen beirren lassen dürfen. Sie haben hochwichtige
Interessen des Volkes, vor Allem die Lebensinteressen
des gedrückten Landvolkes und anderer productiver
Stände rücksichtslos zu vertreten. Ueber diese heiligen
Interessen werde die katholisch-nationale Partei nie
hinweggehen. Gerade dafür erwarte das Parlament
viel ernste Arbeit, an welcher alle Nationalitäten inter-
essirt sind. Die Slovenen wollten daher die Wieder-
belebung des Parlamentes in keiner Art hintertreiben
helfen.

Tirol.

Lienz.

Vom Abg. Franz Rohracher
erhalten wir folgende Mittheilung: Die in Nr. 216
Ihres geschätzten Blattes unter "Politische Rundschau"
erfolgte, wie ich vermuthe anderen Quellen entnommene
Wiedergabe der Worte, welche Se. Majestät der Kaiser
beim Empfange in Lienz am 20. d. an mich zu richten
geruhte, sowie deren kurze Vorgeschichte bedarf einer
Richtigstellung. Als ich nämlich auf die zweite an mich
gerichtete Frage, ob ich auch Landtags-Abge-
ordneter
sei, geantwortet: "Ein leider nur sehr
unthätiger Reichsraths-Abgeord-
neter",
bemerkte Se. Majestät: "Hoffentlich wird es
wieder besser werden," worauf ich anzufügen mir
erlaubte, daß dies sehr zu wünschen sei. In
vorzüglicher Hochachtung Franz Rohracher,
Reichsraths-Abgeordneter." -- Wir fügen dem
bei, daß wir den in Frage kommenden Wortlaut den
gleichlautenden Meldungen über die Kaiserreise, die so-
mit ungenau waren, entnommen haben.

Vorarlberg.

Bregenz.

In der in Feldkirch neueröffneten
Handelsschule, die unter der vortrefflichen
Leitung der christlichen Schulbrüder steht, haben sich
eine so große Anzahl interner und externer Zöglinge
angemeldet, so daß kaum alle untergebracht werden
können. Ein gutes Zeichen der christlichen Gesinnung
im Volke! -- Am Bahnhofe hier und in Feldkirch
ist in der Tabak-Trafik die "Reichspost" täglich zu
kaufen. Mögen christliche Männer, die dort absteigen,
stets darauf Rücksicht nehmen. Wir sind überzeugt,
daß wir mit diesem Avis Vielen einen Dienst er-
weisen.

Mähren.

Mährisch-Schönberg.

(Entenzüchterei.)
Der national-radicale "Grenzbote" vom 23. d. M.
schreibt: "In diesen Tagen hat seit Neujahr 1899 der
27. römischkatholische Priester seinen Abfall von der
katholischen Kirche angemeldet. Derselbe ist ein Nord-
mährer und wird als Pfarrer der altkatholischen Kirche
[Spaltenumbruch] in Schönberg angestellt." Daß hie und da auch ein
Geistlicher noch eines Schürzenbandes willen apostatirt,
ist ja richtig; denn auch unter dem Clerus gibt es
Spren. Aber die Apostatie unter diesem Stande bleibt
doch sporadisch. Wäre die vorstehende Mittheilung mehr
als Entenzucht, mehr als ein Bethörungsversuch, so
hätte die Heilopresse gewiß längst mit den Namen
paradirt. Sie kann das aber nicht. "Windbeutelei"
sagt das Volk.




Telegramme.
Der ungarische Reichstag.

Ministerpräsident Szell hat Sr. Majestät
dem Kaiser am 25. d. M. über die mit dem Arbeits-
programm des Reichstages zusammenhängenden An-
gelegenheiten Vortrag erstattet. Der Ministerpräsident
dürfte vielleicht Abends schon wieder nach Budapest
zurückkehren.

Eine Kriegsdemonstration in London.

Nachmittag wurde nach
dem Trafalgar-Square eine große Volks-
versammlung
einberufen, in welcher gegen
die kriegerische Politik der Regierung
gegenüber Transvaal protestirt werden sollte, da
diese Politik bei den Boeren den Eindruck hervorrufe,
daß ihnen der Krieg aufgezwungen werde, um ihnen
ihr Land zu nehmen. Von sechs Tribünen wurde ge-
sprochen, aber die tausende Personen, welche sich einge-
funden hatten, schwenkten die britischen Fahnen und
sangen die Nationalhymne und "Rule Britannia", so
daß die Redner unverständlich blieben. Die ersten
Redner wurden mit Pfeifen und Geschrei empfangen
und mit Aepfeln beworfen. Auf Chamberlain wurden
Hochrufe ausgebracht und Präsident Krüger ausge-
pfiffen. Die Menge drang wiederholt stürmisch auf die
Redner ein, welche von berittener Polizei umringt und
beschützt wurden. Trotzdem wurde ein Redner miß-
handelt. Die anwesenden Soldaten wurden von der
Menge unter jubelnden Zurufen auf die Schultern ge-
hoben. Erst nachdem die Polizei große Verstärkung
erhalten hatte, gelang es, den Platz und die Umgebung
zu säubern. Viele Manifestanten wurden verhaftet
Mehrere Personen geriethen unter die Hufe der Pferde.
Die Zahl der Theilnehmer wird auf 30.000 geschätzt.
Die Einberufer der Volksversammlung auf dem Tra-
falgar-Square hielten noch im Laufe des Abends eine
Sitzung ab, in welcher beschlossen wurde, eine öffent-
liche Versammlung in einem der größten Säle der
Stadt zu veranstalten.

Socialdemokratische Wahlrechtsdemon-
stration in Budapest.

Nach einer heute
von der internationalen socialdemokratischen Partei
einberufenen Volksversammlung mit der
Tagesordnung: Das allgemeine, geheime Wahlrecht,
veranstalteten die Theilnehmer an derselben einen
Umzug durch die Straßen. Es ereignete sich kein
Zwischenfall.

Eine Ordre Gallifet's.

Kriegminister General
Gallifet erließ ein Circular, in welchem er
Officieren, die sich nach Deutschland, Oesterreich-
Ungarn oder Italien begeben, verbietet, an Ma-
növern
theilzunehmen oder das Terrain der
Truppenübungen ohne behördliche Erlaubniß zu be-
treten. Ebenso werde kein Officier dieser drei Mächte
ohne schriftliche Ermächtigung den französischen Ma-
növern beiwohnen können.

Die Vorgänge in der Türkei.

Der Veli von
Kossowo hat einen neuen Vorschlag betreffs des
Kirchenstreites von Kumanowa gemacht.
Die Bulgaren sollen den Serben 750 Pfund zahlen
und ein anderes Terrain für den Kirchenbau liefern;
bis dahin sollen die Serben die kleine Capelle
behalten. Die Bulgaren protestiren gegen dieses
Arrangement; auch die Serben sind mit demselben
unzufrieden und drohen mit einem Wechsel der Con-
fession.

Die allbanesische Bewegung in
Prizrend greift weiter um sich und ist bis nach
Prischtina vorgedrungen. Es wird die Absetzung des
Vali von Kossowo und die Wiederkehr des Mutessarifs
von Prizrend begehrt.

Socialistische Ruhestörungen in Spanien.

Gestern fanden hier
Ruhestörungen statt, an welchen gegen 3000
Personen theilnahmen. Die Demonstranten bewarfen das
Haus, in dem sich der Katholische Club befindet, sowie
das Stadthaus mit Steinen und zertrümmerten die
Fensterscheiben. Die Municipalgarde gab Feuer, wurde
jedoch zurückgedrängt. 11 Gardisten und einige Civil-
personen wurden verwundet. Gendarmerie zu Pferde
zerstreute schließlich die Menge. In der Stadt herrscht
Aufregung.


Der Präfect übergab
die Gewalt an die Militärbehörde.

Eine Expedition gegen den Khalifen.

Wie "Daily Telegraph"
aus Cairo vom 24. d. meldet, werden Vorbereitungen

219 Wien Dienſtag Reichspoſt 26. September 1899

[Spaltenumbruch] angerichtet. 54 Häuſer ſtanden unter Waſſer, von 30
bis 40 Häuſern ſah man nur mehr das Dach, bei vielen
Häuſern von den Wellen davongetragen wurde. In den
Mauern zeigen ſich Riſſe und Sprünge. Decken ſind
eingeſtürzt, Fußböden ſind gehoben; 2 bis 3 Finger
hoher Schlamm bedeckt Alles. Drei Häuſer gleichen
einem Trümmerhaufen; nur hie und da ragt eine kahle
Mauer aus dem Schutte. Der Waſſerſtand war 1½
Meter größer als 1897; Menſchen und Vieh mußten
in höher gelegene Häuſer gebracht werden, das letztere
mittelſt des vom n.-ö. Landesausſchuß geſpendeten
Poutons, der ſehr gute Dienſte leiſtete. Sowohl was
auf dem Felde ſtand, als was bereits in den Häuſern
geborgen war, iſt total vernichtet. Heu und Stroh
gleicht einer undurchdringbar zähen Maſſe. Die aus
Holz errichteten Wirthſchaftsgebäude, meiſt ganz neu,
ſind zertrümmert; Balken, Bretter und Dächer, ſelbſt
ganze Hütten ſind vom Waſſer fortgetragen. Noth und
Elend haben entſetzliche Dimenſionen angenommen.
Viele erklären, ihre Trümmerhaufen liegen zu laſſen
und den Wanderſtab zu ergreifen. Hoffen wir, daß
bald ausgiebige Hilfe kommt, ſonſt gehen die Leute dem
ſicheren Ruin entgegen.

Marchegg.

Auf dem Wege zum Ruin.
Zwei Jahre ſind verfloſſen, und kaum, daß ſich die
Bewohner einigermaßen erholt haben iſt unſere Stadt
von einer ſo furchtbaren Waſſerkataſtrophe heimgeſucht
worden, daß ihre Folgen noch gar nicht ermeſſen
werden können. Was Niemand nach den wenigen
Regen geahnt hätte, iſt eingetreten, ein Hoch-
waſſer, wie es hier ſeit 1809 nicht erlebt worden iſt.
Wir waren durch Telegramme von verſchiedenen Orten
an der Donau in Kenntniß geſetzt; deshalb wurden
am 15. und 16. September Tag und Nacht mit
menſchenmöglicher Anſtengung die noch unreifen Feld-
früchte wie Kukuruz, Erdäpfel und Futter von den
tiefergelegenen Aeckern und Wieſen theilweiſe in Sicher-
heit gebracht. Samſtag glich die ganze Umgebung von
Marchegg einen weiten See. In der Nacht zum 17. d.
drang das Waſſer, nachdem es die Höhe des Stadt-
ſchutzdammes erreicht hatte, von zwei Seiten mit reißender
Schnelligkeit in die Stadt ein. Samſtag war bereits der
ganze Ort mit Waſſer angefüllt, ſo daß der Verkehr
nur mit Kähnen bewerkſtelligt werden konnte. Weil das
Waſſer auch in die Kirche eingedrungen war, konnte
kein regelmäßiger Gottesdienſt abgehalten werden.
Immer höher ſtieg die Hochfluth, immer breiter wurde
die Waſſerfläche, immer mehr Häuſer wurden mit
Waſſer angefüllt. Die Beſorgniß der Bewohner ſtieg
von Stunde zu Stunde. Dienſtag Mitternacht hatte
das Waſſer den Höhepunkt erreicht. Der Pegel zeigte
482 Centimeter, um 22 Centimeter mehr als vor zwei
Jahren. Nur 30 Häuſer wurden von der Hochfluth
nicht erreicht. Alle anderen waren mehr oder weniger
mit Waſſer angefüllt. In manchem Falle hatte das
Waſſer eine ſolche Höhe erreicht, daß die Decken ein-
zuſtürzen drohten. Die Möbel mußten im letzten Augen-
blick weggeſchaft werden. Lobend muß hervorgehoben
werden, daß Landmarſchall Baron Gudenus, der
Landesausſchuß von Pirko, Landtags-Abgeordneter Joſef
Baumann und Reichsrats-Abgeordneter Johann Maier.
die überſchwemmte Stadt in dieſer Gefahr beſuchten.
Als Mittwoch Früh das Waſſer zu ſinken begann,
athmete Alles erleichtert auf; denn die ganze Bewohner-
ſchaft war auf einen kleinen Raum des Marktplatzes,
der vom Waſſer verſchont geblieben war, zuſammen-
gedrängt. Der Schaden iſt groß und läßt ſich jetzt
noch gar nicht genügend taxiren. Wenn auch die
Körnerfrüchte bereits geerntet ſind, ſo ging doch viel
davon zu Grunde. Die Zuckerrübe iſt verloren; ſehr
viel Wild fand in den Fluthen den Tod. Zäune
wurden weggetragen, Mauern demolirt, viele Häuſer
ſind dem Einſturz nahe. Ebenſo ging viel Vieh,
namentlich Borſtenvieh, zu Grunde. In manchen
Stallungen ſtanden Pferde und Kühe tief im Waſſer,
weil ſie nicht mehr in Sicherheit gebracht werden
konnten. Wie heilſam hätte ſich auch diesmal die Hilfe
der k. k. Pionniere erwieſen, die vor zwei Jahren in
der Bergung von Menſchen und Thieren wahrhaft
Großartiges geleiſtet haben, aber es hieß, dieſe ſeien
überall in Anſpruch genommen. Die ganze Stadt
ſammt ihrer Umgebung bie[t]et jetzt, wo das Waſſer
abgelaufen iſt, einen geradezu troſtloſen Anblick. Die
Bewohner unſerer Stadt ſind alle der Meinung, daß
der Donaudamm, der gelegentlich der Donau-Regu-
lirung nur bis Witzelsdorf errichtet wurde, ſchuld an
den Ueberſchwemmungen ſei. Bis dahin ſind die
Waſſerfluthen eingeengt, von dort an breiteten ſie ſich
über das ganze Marchfeld aus, zumal die Donau bei
Hainburg durch Berge eingeengt iſt. Je mehr die
Nebenflüſſe der Donau regulirt werden, umſo größer
wird die Gefahr für unſere Stadt. Außerdem leidet
Marchegg viel durch die March. Dieſer Fluß, der
ſämmtliche Gewäſſer Mährens in ſich vereinigt, hat
gar kein Bett, geſchweige einen Schutzdamm. Von der
Regulirung der March iſt ſchon viel geſprochen worden,
es wurde auch öfter gemeſſen; dabei blieb es, regulirt
wurde die March nicht. Die Regierung ſieht der
conſtanten Weiterverarmung der Bevölkerung mit förm-
licher Fataliſtik zu. Welche Hilfe wird uns jetzt werden?
Wenn das ſo fort geht, kommen unſere Bewohner an
den Bettelſtab und müſſen auswandern.

Steiermark.

St. Gallen.

(Man rührt ſich nicht.) Bei uns
ſtockt aller Verkehr. Weder Poſtpakete noch Frachten
ſind beziehbar. Aber auch die Vertretungen und Be-
hörden rühren ſich noch nicht. Am 21. d. M. ſagte der
[Spaltenumbruch] hieſige Zimmermeiſter, daß er geglaubt habe, es werde
an den vielen ruinirten Brücken viele Arbeit für die
laufende Woche geben; aber er habe ſich darin ge-
täuſcht; er ſchickte deßhalb ſeine Leute zu einem gar
nicht drängenden Bau. Es iſt abermals ſo, wie 1897.
Alles geht ſchleppend langſam. Nicht einmal die ein-
zelnen Gemeinden können untereinander verkehren.
Schon am 13. d. M. erbat unſer Reichsraths-Abge-
ordneter, der hier anweſend war, im Vereine mit der
Bezirksvertretung in einem Telegramme an das
Miniſterium des Innern Pionnierhilfe. Sie erſchien nicht,
obwohl die Bevölkerung mit Aengſtlichkeit darauf
wartete. Vielleicht wäre das große Unglück der ſechs
ertrunkenen Perſonen verhütet worden, wenn eine fach-
männiſche Ueberfuhr hergeſtellt worden wäre. Die Ge-
meinde Altenmarkt iſt vollſtändig abgeſperrt, ſo zwar,
daß dort Nothſtand herrſcht. Der Obmann der Be-
zirksvertretung iſt in Altenmarkt und kann gar nicht
über die Enns. Das Unglück konnte nur durch große
Vernachläſſigung und Ueberlaſtung der Brücken ſowie
durch Außerachtlaſſung der wichtigſten Vorſichtsmaß-
regeln geſchehen. Die Vertretungen und Behörden
ſcheinen ſich um uns gar nicht zu kümmern. Möge es
bald geſchehen.

Krain.

Laibach.

(Stimmung unter den Slovenen.) Der
„Slovenec“, das chriſtlich-nationale Slovenenorgan, zieht
gegenüber einem Syſtemwechſel, bei dem die Czechen
grollend in die Oppoſition treten, die politiſche Lage
der Slovenen in Betracht und erklärt dabei, daß unter
dieſen Verhältniſſen die Stellung der ſloveniſchen Ab-
geordneten eine ſehr ſchwierige ſei. Die ſloveniſchen
Führer bedürfen daher eines großen Maßes von Vor-
ſicht und Klugheit. Die ſloveniſche Delegation müſſe
nur trachten, ſich für alle Fälle eine feſte
Poſition im Parlamente zu ſichern. Könnte das
Miniſterium Thun nicht gehalten werden, dann
müßten ſich die Slovenen dadurch ſichern, daß ſie
bei der Rechten verharren, ſo lange dieſe beſtehe;
für den Fall ihres Zerfalles aber müßten ſie ſich volle
Actionsfreiheit wahren. Die ſloveniſche Delegation
dürfe abſolut nichts Anderes vor Augen haben, als
den Schutz der eigenen Volksintereſſen. Dieſe Intereſſen
fordern Sanirung der parlamentariſchen Lage. Ein
außerparlamentariſches Regime bedeute den Abſo-
lutismus
einer gegneriſchen Bureaukratie. Ein
normal fungirendes Parlament biete wenigſtens die
Möglichkeit, die Selbſtherrlichkeit der Bureaukratie
in Etwas zu hindern. Mit den ſloveniſchen Stimmen
müſſe unzählig oft gerechnet werden. Die Slovenen
laſſen nicht mit ihrer Haut handeln. Dafür danken
ſie. Sie werden mit ihrer Haut zu rechter
Zeit ſelbſt disponireu und dabei ausſchließlich
nur die eigenen Intereſſen berückſichtigen.
Namentlich die katholiſch-nationalen Abgeordneten der
Slovenen ſeien überzeugt, daß ſie ſich durch gar keine
Phraſen beirren laſſen dürfen. Sie haben hochwichtige
Intereſſen des Volkes, vor Allem die Lebensintereſſen
des gedrückten Landvolkes und anderer productiver
Stände rückſichtslos zu vertreten. Ueber dieſe heiligen
Intereſſen werde die katholiſch-nationale Partei nie
hinweggehen. Gerade dafür erwarte das Parlament
viel ernſte Arbeit, an welcher alle Nationalitäten inter-
eſſirt ſind. Die Slovenen wollten daher die Wieder-
belebung des Parlamentes in keiner Art hintertreiben
helfen.

Tirol.

Lienz.

Vom Abg. Franz Rohracher
erhalten wir folgende Mittheilung: Die in Nr. 216
Ihres geſchätzten Blattes unter „Politiſche Rundſchau“
erfolgte, wie ich vermuthe anderen Quellen entnommene
Wiedergabe der Worte, welche Se. Majeſtät der Kaiſer
beim Empfange in Lienz am 20. d. an mich zu richten
geruhte, ſowie deren kurze Vorgeſchichte bedarf einer
Richtigſtellung. Als ich nämlich auf die zweite an mich
gerichtete Frage, ob ich auch Landtags-Abge-
ordneter
ſei, geantwortet: „Ein leider nur ſehr
unthätiger Reichsraths-Abgeord-
neter“,
bemerkte Se. Majeſtät: „Hoffentlich wird es
wieder beſſer werden,“ worauf ich anzufügen mir
erlaubte, daß dies ſehr zu wünſchen ſei. In
vorzüglicher Hochachtung Franz Rohracher,
Reichsraths-Abgeordneter.“ — Wir fügen dem
bei, daß wir den in Frage kommenden Wortlaut den
gleichlautenden Meldungen über die Kaiſerreiſe, die ſo-
mit ungenau waren, entnommen haben.

Vorarlberg.

Bregenz.

In der in Feldkirch neueröffneten
Handelsſchule, die unter der vortrefflichen
Leitung der chriſtlichen Schulbrüder ſteht, haben ſich
eine ſo große Anzahl interner und externer Zöglinge
angemeldet, ſo daß kaum alle untergebracht werden
können. Ein gutes Zeichen der chriſtlichen Geſinnung
im Volke! — Am Bahnhofe hier und in Feldkirch
iſt in der Tabak-Trafik die „Reichspoſt“ täglich zu
kaufen. Mögen chriſtliche Männer, die dort abſteigen,
ſtets darauf Rückſicht nehmen. Wir ſind überzeugt,
daß wir mit dieſem Avis Vielen einen Dienſt er-
weiſen.

Mähren.

Mähriſch-Schönberg.

(Entenzüchterei.)
Der national-radicale „Grenzbote“ vom 23. d. M.
ſchreibt: „In dieſen Tagen hat ſeit Neujahr 1899 der
27. römiſchkatholiſche Prieſter ſeinen Abfall von der
katholiſchen Kirche angemeldet. Derſelbe iſt ein Nord-
mährer und wird als Pfarrer der altkatholiſchen Kirche
[Spaltenumbruch] in Schönberg angeſtellt.“ Daß hie und da auch ein
Geiſtlicher noch eines Schürzenbandes willen apoſtatirt,
iſt ja richtig; denn auch unter dem Clerus gibt es
Spren. Aber die Apoſtatie unter dieſem Stande bleibt
doch ſporadiſch. Wäre die vorſtehende Mittheilung mehr
als Entenzucht, mehr als ein Bethörungsverſuch, ſo
hätte die Heilopreſſe gewiß längſt mit den Namen
paradirt. Sie kann das aber nicht. „Windbeutelei“
ſagt das Volk.




Telegramme.
Der ungariſche Reichstag.

Miniſterpräſident Szell hat Sr. Majeſtät
dem Kaiſer am 25. d. M. über die mit dem Arbeits-
programm des Reichstages zuſammenhängenden An-
gelegenheiten Vortrag erſtattet. Der Miniſterpräſident
dürfte vielleicht Abends ſchon wieder nach Budapeſt
zurückkehren.

Eine Kriegsdemonſtration in London.

Nachmittag wurde nach
dem Trafalgar-Square eine große Volks-
verſammlung
einberufen, in welcher gegen
die kriegeriſche Politik der Regierung
gegenüber Transvaal proteſtirt werden ſollte, da
dieſe Politik bei den Boeren den Eindruck hervorrufe,
daß ihnen der Krieg aufgezwungen werde, um ihnen
ihr Land zu nehmen. Von ſechs Tribünen wurde ge-
ſprochen, aber die tauſende Perſonen, welche ſich einge-
funden hatten, ſchwenkten die britiſchen Fahnen und
ſangen die Nationalhymne und „Rule Britannia“, ſo
daß die Redner unverſtändlich blieben. Die erſten
Redner wurden mit Pfeifen und Geſchrei empfangen
und mit Aepfeln beworfen. Auf Chamberlain wurden
Hochrufe ausgebracht und Präſident Krüger ausge-
pfiffen. Die Menge drang wiederholt ſtürmiſch auf die
Redner ein, welche von berittener Polizei umringt und
beſchützt wurden. Trotzdem wurde ein Redner miß-
handelt. Die anweſenden Soldaten wurden von der
Menge unter jubelnden Zurufen auf die Schultern ge-
hoben. Erſt nachdem die Polizei große Verſtärkung
erhalten hatte, gelang es, den Platz und die Umgebung
zu ſäubern. Viele Manifeſtanten wurden verhaftet
Mehrere Perſonen geriethen unter die Hufe der Pferde.
Die Zahl der Theilnehmer wird auf 30.000 geſchätzt.
Die Einberufer der Volksverſammlung auf dem Tra-
falgar-Square hielten noch im Laufe des Abends eine
Sitzung ab, in welcher beſchloſſen wurde, eine öffent-
liche Verſammlung in einem der größten Säle der
Stadt zu veranſtalten.

Socialdemokratiſche Wahlrechtsdemon-
ſtration in Budapeſt.

Nach einer heute
von der internationalen ſocialdemokratiſchen Partei
einberufenen Volksverſammlung mit der
Tagesordnung: Das allgemeine, geheime Wahlrecht,
veranſtalteten die Theilnehmer an derſelben einen
Umzug durch die Straßen. Es ereignete ſich kein
Zwiſchenfall.

Eine Ordre Gallifet’s.

Kriegminiſter General
Gallifet erließ ein Circular, in welchem er
Officieren, die ſich nach Deutſchland, Oeſterreich-
Ungarn oder Italien begeben, verbietet, an Ma-
növern
theilzunehmen oder das Terrain der
Truppenübungen ohne behördliche Erlaubniß zu be-
treten. Ebenſo werde kein Officier dieſer drei Mächte
ohne ſchriftliche Ermächtigung den franzöſiſchen Ma-
növern beiwohnen können.

Die Vorgänge in der Türkei.

Der Veli von
Koſſowo hat einen neuen Vorſchlag betreffs des
Kirchenſtreites von Kumanowa gemacht.
Die Bulgaren ſollen den Serben 750 Pfund zahlen
und ein anderes Terrain für den Kirchenbau liefern;
bis dahin ſollen die Serben die kleine Capelle
behalten. Die Bulgaren proteſtiren gegen dieſes
Arrangement; auch die Serben ſind mit demſelben
unzufrieden und drohen mit einem Wechſel der Con-
feſſion.

Die allbaneſiſche Bewegung in
Prizrend greift weiter um ſich und iſt bis nach
Priſchtina vorgedrungen. Es wird die Abſetzung des
Vali von Koſſowo und die Wiederkehr des Muteſſarifs
von Prizrend begehrt.

Socialiſtiſche Ruheſtörungen in Spanien.

Geſtern fanden hier
Ruheſtörungen ſtatt, an welchen gegen 3000
Perſonen theilnahmen. Die Demonſtranten bewarfen das
Haus, in dem ſich der Katholiſche Club befindet, ſowie
das Stadthaus mit Steinen und zertrümmerten die
Fenſterſcheiben. Die Municipalgarde gab Feuer, wurde
jedoch zurückgedrängt. 11 Gardiſten und einige Civil-
perſonen wurden verwundet. Gendarmerie zu Pferde
zerſtreute ſchließlich die Menge. In der Stadt herrſcht
Aufregung.


Der Präfect übergab
die Gewalt an die Militärbehörde.

Eine Expedition gegen den Khalifen.

Wie „Daily Telegraph“
aus Cairo vom 24. d. meldet, werden Vorbereitungen

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[5/0005] 219 Wien Dienſtag Reichspoſt 26. September 1899 angerichtet. 54 Häuſer ſtanden unter Waſſer, von 30 bis 40 Häuſern ſah man nur mehr das Dach, bei vielen Häuſern von den Wellen davongetragen wurde. In den Mauern zeigen ſich Riſſe und Sprünge. Decken ſind eingeſtürzt, Fußböden ſind gehoben; 2 bis 3 Finger hoher Schlamm bedeckt Alles. Drei Häuſer gleichen einem Trümmerhaufen; nur hie und da ragt eine kahle Mauer aus dem Schutte. Der Waſſerſtand war 1½ Meter größer als 1897; Menſchen und Vieh mußten in höher gelegene Häuſer gebracht werden, das letztere mittelſt des vom n.-ö. Landesausſchuß geſpendeten Poutons, der ſehr gute Dienſte leiſtete. Sowohl was auf dem Felde ſtand, als was bereits in den Häuſern geborgen war, iſt total vernichtet. Heu und Stroh gleicht einer undurchdringbar zähen Maſſe. Die aus Holz errichteten Wirthſchaftsgebäude, meiſt ganz neu, ſind zertrümmert; Balken, Bretter und Dächer, ſelbſt ganze Hütten ſind vom Waſſer fortgetragen. Noth und Elend haben entſetzliche Dimenſionen angenommen. Viele erklären, ihre Trümmerhaufen liegen zu laſſen und den Wanderſtab zu ergreifen. Hoffen wir, daß bald ausgiebige Hilfe kommt, ſonſt gehen die Leute dem ſicheren Ruin entgegen. Marchegg. Auf dem Wege zum Ruin. Zwei Jahre ſind verfloſſen, und kaum, daß ſich die Bewohner einigermaßen erholt haben iſt unſere Stadt von einer ſo furchtbaren Waſſerkataſtrophe heimgeſucht worden, daß ihre Folgen noch gar nicht ermeſſen werden können. Was Niemand nach den wenigen Regen geahnt hätte, iſt eingetreten, ein Hoch- waſſer, wie es hier ſeit 1809 nicht erlebt worden iſt. Wir waren durch Telegramme von verſchiedenen Orten an der Donau in Kenntniß geſetzt; deshalb wurden am 15. und 16. September Tag und Nacht mit menſchenmöglicher Anſtengung die noch unreifen Feld- früchte wie Kukuruz, Erdäpfel und Futter von den tiefergelegenen Aeckern und Wieſen theilweiſe in Sicher- heit gebracht. Samſtag glich die ganze Umgebung von Marchegg einen weiten See. In der Nacht zum 17. d. drang das Waſſer, nachdem es die Höhe des Stadt- ſchutzdammes erreicht hatte, von zwei Seiten mit reißender Schnelligkeit in die Stadt ein. Samſtag war bereits der ganze Ort mit Waſſer angefüllt, ſo daß der Verkehr nur mit Kähnen bewerkſtelligt werden konnte. Weil das Waſſer auch in die Kirche eingedrungen war, konnte kein regelmäßiger Gottesdienſt abgehalten werden. Immer höher ſtieg die Hochfluth, immer breiter wurde die Waſſerfläche, immer mehr Häuſer wurden mit Waſſer angefüllt. Die Beſorgniß der Bewohner ſtieg von Stunde zu Stunde. Dienſtag Mitternacht hatte das Waſſer den Höhepunkt erreicht. Der Pegel zeigte 482 Centimeter, um 22 Centimeter mehr als vor zwei Jahren. Nur 30 Häuſer wurden von der Hochfluth nicht erreicht. Alle anderen waren mehr oder weniger mit Waſſer angefüllt. In manchem Falle hatte das Waſſer eine ſolche Höhe erreicht, daß die Decken ein- zuſtürzen drohten. Die Möbel mußten im letzten Augen- blick weggeſchaft werden. Lobend muß hervorgehoben werden, daß Landmarſchall Baron Gudenus, der Landesausſchuß von Pirko, Landtags-Abgeordneter Joſef Baumann und Reichsrats-Abgeordneter Johann Maier. die überſchwemmte Stadt in dieſer Gefahr beſuchten. Als Mittwoch Früh das Waſſer zu ſinken begann, athmete Alles erleichtert auf; denn die ganze Bewohner- ſchaft war auf einen kleinen Raum des Marktplatzes, der vom Waſſer verſchont geblieben war, zuſammen- gedrängt. Der Schaden iſt groß und läßt ſich jetzt noch gar nicht genügend taxiren. Wenn auch die Körnerfrüchte bereits geerntet ſind, ſo ging doch viel davon zu Grunde. Die Zuckerrübe iſt verloren; ſehr viel Wild fand in den Fluthen den Tod. Zäune wurden weggetragen, Mauern demolirt, viele Häuſer ſind dem Einſturz nahe. Ebenſo ging viel Vieh, namentlich Borſtenvieh, zu Grunde. In manchen Stallungen ſtanden Pferde und Kühe tief im Waſſer, weil ſie nicht mehr in Sicherheit gebracht werden konnten. Wie heilſam hätte ſich auch diesmal die Hilfe der k. k. Pionniere erwieſen, die vor zwei Jahren in der Bergung von Menſchen und Thieren wahrhaft Großartiges geleiſtet haben, aber es hieß, dieſe ſeien überall in Anſpruch genommen. Die ganze Stadt ſammt ihrer Umgebung bietet jetzt, wo das Waſſer abgelaufen iſt, einen geradezu troſtloſen Anblick. Die Bewohner unſerer Stadt ſind alle der Meinung, daß der Donaudamm, der gelegentlich der Donau-Regu- lirung nur bis Witzelsdorf errichtet wurde, ſchuld an den Ueberſchwemmungen ſei. Bis dahin ſind die Waſſerfluthen eingeengt, von dort an breiteten ſie ſich über das ganze Marchfeld aus, zumal die Donau bei Hainburg durch Berge eingeengt iſt. Je mehr die Nebenflüſſe der Donau regulirt werden, umſo größer wird die Gefahr für unſere Stadt. Außerdem leidet Marchegg viel durch die March. Dieſer Fluß, der ſämmtliche Gewäſſer Mährens in ſich vereinigt, hat gar kein Bett, geſchweige einen Schutzdamm. Von der Regulirung der March iſt ſchon viel geſprochen worden, es wurde auch öfter gemeſſen; dabei blieb es, regulirt wurde die March nicht. Die Regierung ſieht der conſtanten Weiterverarmung der Bevölkerung mit förm- licher Fataliſtik zu. Welche Hilfe wird uns jetzt werden? Wenn das ſo fort geht, kommen unſere Bewohner an den Bettelſtab und müſſen auswandern. Steiermark. St. Gallen. (Man rührt ſich nicht.) Bei uns ſtockt aller Verkehr. Weder Poſtpakete noch Frachten ſind beziehbar. Aber auch die Vertretungen und Be- hörden rühren ſich noch nicht. Am 21. d. M. ſagte der hieſige Zimmermeiſter, daß er geglaubt habe, es werde an den vielen ruinirten Brücken viele Arbeit für die laufende Woche geben; aber er habe ſich darin ge- täuſcht; er ſchickte deßhalb ſeine Leute zu einem gar nicht drängenden Bau. Es iſt abermals ſo, wie 1897. Alles geht ſchleppend langſam. Nicht einmal die ein- zelnen Gemeinden können untereinander verkehren. Schon am 13. d. M. erbat unſer Reichsraths-Abge- ordneter, der hier anweſend war, im Vereine mit der Bezirksvertretung in einem Telegramme an das Miniſterium des Innern Pionnierhilfe. Sie erſchien nicht, obwohl die Bevölkerung mit Aengſtlichkeit darauf wartete. Vielleicht wäre das große Unglück der ſechs ertrunkenen Perſonen verhütet worden, wenn eine fach- männiſche Ueberfuhr hergeſtellt worden wäre. Die Ge- meinde Altenmarkt iſt vollſtändig abgeſperrt, ſo zwar, daß dort Nothſtand herrſcht. Der Obmann der Be- zirksvertretung iſt in Altenmarkt und kann gar nicht über die Enns. Das Unglück konnte nur durch große Vernachläſſigung und Ueberlaſtung der Brücken ſowie durch Außerachtlaſſung der wichtigſten Vorſichtsmaß- regeln geſchehen. Die Vertretungen und Behörden ſcheinen ſich um uns gar nicht zu kümmern. Möge es bald geſchehen. Krain. Laibach. (Stimmung unter den Slovenen.) Der „Slovenec“, das chriſtlich-nationale Slovenenorgan, zieht gegenüber einem Syſtemwechſel, bei dem die Czechen grollend in die Oppoſition treten, die politiſche Lage der Slovenen in Betracht und erklärt dabei, daß unter dieſen Verhältniſſen die Stellung der ſloveniſchen Ab- geordneten eine ſehr ſchwierige ſei. Die ſloveniſchen Führer bedürfen daher eines großen Maßes von Vor- ſicht und Klugheit. Die ſloveniſche Delegation müſſe nur trachten, ſich für alle Fälle eine feſte Poſition im Parlamente zu ſichern. Könnte das Miniſterium Thun nicht gehalten werden, dann müßten ſich die Slovenen dadurch ſichern, daß ſie bei der Rechten verharren, ſo lange dieſe beſtehe; für den Fall ihres Zerfalles aber müßten ſie ſich volle Actionsfreiheit wahren. Die ſloveniſche Delegation dürfe abſolut nichts Anderes vor Augen haben, als den Schutz der eigenen Volksintereſſen. Dieſe Intereſſen fordern Sanirung der parlamentariſchen Lage. Ein außerparlamentariſches Regime bedeute den Abſo- lutismus einer gegneriſchen Bureaukratie. Ein normal fungirendes Parlament biete wenigſtens die Möglichkeit, die Selbſtherrlichkeit der Bureaukratie in Etwas zu hindern. Mit den ſloveniſchen Stimmen müſſe unzählig oft gerechnet werden. Die Slovenen laſſen nicht mit ihrer Haut handeln. Dafür danken ſie. Sie werden mit ihrer Haut zu rechter Zeit ſelbſt disponireu und dabei ausſchließlich nur die eigenen Intereſſen berückſichtigen. Namentlich die katholiſch-nationalen Abgeordneten der Slovenen ſeien überzeugt, daß ſie ſich durch gar keine Phraſen beirren laſſen dürfen. Sie haben hochwichtige Intereſſen des Volkes, vor Allem die Lebensintereſſen des gedrückten Landvolkes und anderer productiver Stände rückſichtslos zu vertreten. Ueber dieſe heiligen Intereſſen werde die katholiſch-nationale Partei nie hinweggehen. Gerade dafür erwarte das Parlament viel ernſte Arbeit, an welcher alle Nationalitäten inter- eſſirt ſind. Die Slovenen wollten daher die Wieder- belebung des Parlamentes in keiner Art hintertreiben helfen. Tirol. Lienz. Vom Abg. Franz Rohracher erhalten wir folgende Mittheilung: Die in Nr. 216 Ihres geſchätzten Blattes unter „Politiſche Rundſchau“ erfolgte, wie ich vermuthe anderen Quellen entnommene Wiedergabe der Worte, welche Se. Majeſtät der Kaiſer beim Empfange in Lienz am 20. d. an mich zu richten geruhte, ſowie deren kurze Vorgeſchichte bedarf einer Richtigſtellung. Als ich nämlich auf die zweite an mich gerichtete Frage, ob ich auch Landtags-Abge- ordneter ſei, geantwortet: „Ein leider nur ſehr unthätiger Reichsraths-Abgeord- neter“, bemerkte Se. Majeſtät: „Hoffentlich wird es wieder beſſer werden,“ worauf ich anzufügen mir erlaubte, daß dies ſehr zu wünſchen ſei. In vorzüglicher Hochachtung Franz Rohracher, Reichsraths-Abgeordneter.“ — Wir fügen dem bei, daß wir den in Frage kommenden Wortlaut den gleichlautenden Meldungen über die Kaiſerreiſe, die ſo- mit ungenau waren, entnommen haben. Vorarlberg. Bregenz. In der in Feldkirch neueröffneten Handelsſchule, die unter der vortrefflichen Leitung der chriſtlichen Schulbrüder ſteht, haben ſich eine ſo große Anzahl interner und externer Zöglinge angemeldet, ſo daß kaum alle untergebracht werden können. Ein gutes Zeichen der chriſtlichen Geſinnung im Volke! — Am Bahnhofe hier und in Feldkirch iſt in der Tabak-Trafik die „Reichspoſt“ täglich zu kaufen. Mögen chriſtliche Männer, die dort abſteigen, ſtets darauf Rückſicht nehmen. Wir ſind überzeugt, daß wir mit dieſem Avis Vielen einen Dienſt er- weiſen. Mähren. Mähriſch-Schönberg. (Entenzüchterei.) Der national-radicale „Grenzbote“ vom 23. d. M. ſchreibt: „In dieſen Tagen hat ſeit Neujahr 1899 der 27. römiſchkatholiſche Prieſter ſeinen Abfall von der katholiſchen Kirche angemeldet. Derſelbe iſt ein Nord- mährer und wird als Pfarrer der altkatholiſchen Kirche in Schönberg angeſtellt.“ Daß hie und da auch ein Geiſtlicher noch eines Schürzenbandes willen apoſtatirt, iſt ja richtig; denn auch unter dem Clerus gibt es Spren. Aber die Apoſtatie unter dieſem Stande bleibt doch ſporadiſch. Wäre die vorſtehende Mittheilung mehr als Entenzucht, mehr als ein Bethörungsverſuch, ſo hätte die Heilopreſſe gewiß längſt mit den Namen paradirt. Sie kann das aber nicht. „Windbeutelei“ ſagt das Volk. Telegramme. Der ungariſche Reichstag. Miniſterpräſident Szell hat Sr. Majeſtät dem Kaiſer am 25. d. M. über die mit dem Arbeits- programm des Reichstages zuſammenhängenden An- gelegenheiten Vortrag erſtattet. Der Miniſterpräſident dürfte vielleicht Abends ſchon wieder nach Budapeſt zurückkehren. Eine Kriegsdemonſtration in London. London, 24. September. Nachmittag wurde nach dem Trafalgar-Square eine große Volks- verſammlung einberufen, in welcher gegen die kriegeriſche Politik der Regierung gegenüber Transvaal proteſtirt werden ſollte, da dieſe Politik bei den Boeren den Eindruck hervorrufe, daß ihnen der Krieg aufgezwungen werde, um ihnen ihr Land zu nehmen. Von ſechs Tribünen wurde ge- ſprochen, aber die tauſende Perſonen, welche ſich einge- funden hatten, ſchwenkten die britiſchen Fahnen und ſangen die Nationalhymne und „Rule Britannia“, ſo daß die Redner unverſtändlich blieben. Die erſten Redner wurden mit Pfeifen und Geſchrei empfangen und mit Aepfeln beworfen. Auf Chamberlain wurden Hochrufe ausgebracht und Präſident Krüger ausge- pfiffen. Die Menge drang wiederholt ſtürmiſch auf die Redner ein, welche von berittener Polizei umringt und beſchützt wurden. Trotzdem wurde ein Redner miß- handelt. Die anweſenden Soldaten wurden von der Menge unter jubelnden Zurufen auf die Schultern ge- hoben. Erſt nachdem die Polizei große Verſtärkung erhalten hatte, gelang es, den Platz und die Umgebung zu ſäubern. Viele Manifeſtanten wurden verhaftet Mehrere Perſonen geriethen unter die Hufe der Pferde. Die Zahl der Theilnehmer wird auf 30.000 geſchätzt. Die Einberufer der Volksverſammlung auf dem Tra- falgar-Square hielten noch im Laufe des Abends eine Sitzung ab, in welcher beſchloſſen wurde, eine öffent- liche Verſammlung in einem der größten Säle der Stadt zu veranſtalten. Socialdemokratiſche Wahlrechtsdemon- ſtration in Budapeſt. Budapeſt, 24. September. Nach einer heute von der internationalen ſocialdemokratiſchen Partei einberufenen Volksverſammlung mit der Tagesordnung: Das allgemeine, geheime Wahlrecht, veranſtalteten die Theilnehmer an derſelben einen Umzug durch die Straßen. Es ereignete ſich kein Zwiſchenfall. Eine Ordre Gallifet’s. Paris, 25. September. Kriegminiſter General Gallifet erließ ein Circular, in welchem er Officieren, die ſich nach Deutſchland, Oeſterreich- Ungarn oder Italien begeben, verbietet, an Ma- növern theilzunehmen oder das Terrain der Truppenübungen ohne behördliche Erlaubniß zu be- treten. Ebenſo werde kein Officier dieſer drei Mächte ohne ſchriftliche Ermächtigung den franzöſiſchen Ma- növern beiwohnen können. Die Vorgänge in der Türkei. Konſtantinopel, 24. September. Der Veli von Koſſowo hat einen neuen Vorſchlag betreffs des Kirchenſtreites von Kumanowa gemacht. Die Bulgaren ſollen den Serben 750 Pfund zahlen und ein anderes Terrain für den Kirchenbau liefern; bis dahin ſollen die Serben die kleine Capelle behalten. Die Bulgaren proteſtiren gegen dieſes Arrangement; auch die Serben ſind mit demſelben unzufrieden und drohen mit einem Wechſel der Con- feſſion. Die allbaneſiſche Bewegung in Prizrend greift weiter um ſich und iſt bis nach Priſchtina vorgedrungen. Es wird die Abſetzung des Vali von Koſſowo und die Wiederkehr des Muteſſarifs von Prizrend begehrt. Socialiſtiſche Ruheſtörungen in Spanien. El Ferroi, 24. September. Geſtern fanden hier Ruheſtörungen ſtatt, an welchen gegen 3000 Perſonen theilnahmen. Die Demonſtranten bewarfen das Haus, in dem ſich der Katholiſche Club befindet, ſowie das Stadthaus mit Steinen und zertrümmerten die Fenſterſcheiben. Die Municipalgarde gab Feuer, wurde jedoch zurückgedrängt. 11 Gardiſten und einige Civil- perſonen wurden verwundet. Gendarmerie zu Pferde zerſtreute ſchließlich die Menge. In der Stadt herrſcht Aufregung. El Ferrol, 24. September. Der Präfect übergab die Gewalt an die Militärbehörde. Eine Expedition gegen den Khalifen. London, 25. September. Wie „Daily Telegraph“ aus Cairo vom 24. d. meldet, werden Vorbereitungen

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 219, Wien, 26.09.1899, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost219_1899/5>, abgerufen am 24.11.2024.