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Reichspost. Nr. 6, Wien, 08.01.1895.

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Wien, Dienstag Reichspost 8. Jänner 1895 6

[Spaltenumbruch]
Ein Interview bei Dr. Laurenz Müllner.

Rector Dr. Laurenz Müllner hat sich gestern einem
Redacteur der "Neuen Freien Presse" zur Verfügung
gestellt und nach den Mittheilungen dieses Blattes
folgendes gesagt:

"Ich bedaure es tief, daß von Seite der katholischen
Kirche nicht schon längst gegen dieses grelle Unwesen Stel-
lung genommen wurde. Hier hätten manche Bi-
schöfe Gelegenheit gehabt, ihre wahrhaft
christliche Gesinnung zu bethätigen.
Ich habe"
-- fuhr Prof. Müllner -- "wiewohl ich mich niemals mit
Politik befasse, nur aus dem einfachen Grunde gesprochen,
weil ich dies nicht mehr länger anhören konnte. Traurig
genug, daß nicht schon früher berufene Leute den Muth
gehabt haben, solche Angriffe abzuwehren. Ich wußte nicht,
daß der Landtagsabgeordnete Gregorig Pfaidler von Beruf
ist. Wie kann sich nun, frage ich, ein Pfaidler erlauben,
an Männern der Wissenschaft und an einer Universität
Kritik zu üben? Es war meine Pflicht, meine abwesenden
Collegen zu vertheidigen, und ich habe nur als katholischer
Priester gesprochen. In meiner Jugend hatte ich in Nikols-
burg, woselbst ich das Gymnasium besuchte, vollauf Gelegen-
heit, den Charakter der Juden konnen zu lernen. Von
diesem Tage an habe ich mir bis heute meine treuesten
Freunde bewahrt. Und diese" -- fuhr der Gelehrte in er-
regtem Tone fort -- "soll ich mir durch die Antisemiten weg-
disputiren lassen? Es ist eine unbestrittene Thatsache,
daß gerade die Juden wie nicht sobald ein Stamm die
Wissenschaften cultiviren. Mein langjähriger Hausarzt, dem
ich meine vollste Hochachtung und größtes Vertrauen ent-
gegenbringe, ist Jude. Soll ich vielleicht nun ihn wegen
der Antisemiten aufgeben? Nie und nimmermehr. Wenn
diese Leute der Meinung sind, daß die deutschnationalen
Studenten mir ihre Sympathien entziehen werden, glaube
ich nicht daran, zumal gerade die Vertreter dieser Partei
mir nach auf meine Fürbitte gütlich erfolgter Beilegung jener
unangenehmen Vorgänge die aufrichtige Versicherung gaben,
stets nach meinen Intentionen handeln zu wollen. Wenn
mir Dr. Lueger sagt, die juridische Facultät sei
im Niedergange begriffen, so kann ich das mit dem
Hinweise auf die Coryphäen daselbst als völlig unbegründet
zurückweisen. Wo es sich um die Wissenschaft handelt, soll
jede Frage nach Nationalität und Confession ausgeschlossen
sein. Sie werden sich in meinem Werke "Ueber Kunst und
Literatur", das in wenigen Wochen erscheint, davon über-
zeugen können, wie ich in dieser Hinsicht selbst an den
Werken erklärter Atheisten Kritik übe. Wo es sich um
wissenschaftliche Kritik handelt, kann nichts mein Urtheil
ändern. Gestern ging ich in den Landtag, ohne zu ahnen,
daß ich sprechen werde. Meine Rede war ganz improvisirt
Ein Erfolg würde mich nur freuen. Ich zähle mehr als
tausend Schüler, und ich bin wohl überzeugt, daß die
meisten mir und meinen Anschauungen treu ergeben sind.
Daß diese nun in meinem Sinne wirken und arbeiten, das
hoffe und wünsche ich sehnlichst, denn davon verspreche ich
mir für die kommende Zeit viel."

Bevor wir die einzelnen Auslassungen des Rectors
Müllner kritisiren, wollen wir, vorausgesetzt die
Richtigkeit des Wortlautes, nur dem Bedauern
Ausdruck geben, daß der Herr Rector es für passend
erachtete, einem jüdischen Journalisten gegenüber die
ganze katholische Kirche und insbesondere die Bischöfe
der Saumseligkeit in der Erfüllung ihrer Pflichten zu
zeihen. Wir können uns sehr wohl denken, daß der
vielfache Weihrauch, der dem Rector von jüdischer
Seite gespendet wurde, die Auszeichnung, von einem
Sueß gelobt, endlich der Vorzug, von einem "Neuen
Freien Preßjuden" interviewt zu werden, den gelehrten
Herrn Reiter zu unbedachten Aeußerungen verleitete,
aber wir hätten nicht geglaubt, daß er selbst in einem
[Spaltenumbruch] solchen erhabenen Momente sich hinreißen lassen würde,
die Bischöfe und die katholische Kirche anzu-
rempeln. Daß Juden seine besten Freunde sind, daß
sein Hausarzt Jude ist -- sind intime Details,
die zur Charakteristik das Ihre beitragen. Wenn
ferner Dr. Müllner dem Landtagsabgeordneten Gre-
gorig den "Pfaidler" vorwirft, so möge er bedenken,
daß das nicht nur eine Beleidigung des gesammten
christlichen Gewerbestandes ist, sondern auch nach
jener Eigenschaft schmeckt, die man in der Moral als
geistigen Hochmuth bezeichnet. Der Herr Professor
möge ferner bedenken, ad vocem "Pfaidler" daß
Jesus Christus die Apostel und Jünger nicht aus den
Kreisen der Pharisäer und Schriftgelehrten entnahm,
sondern aus den Reihen des Handwerks. Ebenso gut
wie Petrus ein Fischer war und Paulus ein Teppich-
wirker, hätten sie auch -- Pfaidler sein können. Und
haben Petrus und Paulus sich gescheut den Gelehrten
und Pharisäern entgegenzutreten? Was aber das Lob
des Professors Sueß betrifft, so erinnern wir den
Professor Müllner an eine Rede ebendesselben Herrn,
worin er dem Professor Maaßen das Wort zurief:
"Kork schwimmt." Wir erinnern ferner Rector
Müllner an eine Rede des Professors Sueß, worin
er folgenden Passus mit seinem gewohnten hohlen
Pathos drechselte:

"Es sind zwei Strömungen, welche das geistige Leben
der ganzen Menschheit beherrschen. Die eine Strömung
beginnt mit den dogmatifirenden Concilien von Nicäa und
Ephesus zur Zulassung der Verehrung der Heiligen, dann
zum Tridentiner Concil und gelangt endlich nach Jahr-
bunderten, fort und fort Brücken schlagend, von der niederen
Menschheit zum erhabenen Gottesbegriffe dahin, daß sie
einer sterblichen Creatur göttliche Eigenschaften beilegt, ein
Schritt, über welchen hinaus ein weiterer kaum mehr
möglich ist. Die zweite Richtung beginnt mit den großen
Seefahrern des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts.
An sie schließen sich die Entdeckung von der wahren Gestalt
der Erde, von der Bewegung der Himmelskörper. Das
genauere Verständniß des Firmaments und fortschreitend
von Schritt zu Schritt führt sie endlich zu einer freieren,
nie gekannten Beherrschung der Naturkräfte. Wo dann der
letzte Schritt ist, das weiß kein Sterblicher. Welcher dieser
beiden Richtungen die Zukunft gehört, darüber herrscht
auch unter unseren Gegnern kein Zweifel."

Nun macht sich freilich Rector Müllner nichts
daraus, ob es sich um Atheisten oder Gläubige, um
Juden oder Christen handelt, in der Wissenschaft gilt
ihm dies gleich! Aber ist das auch ein richtiger
Grundsatz? Was haben wir doch immer von katho-
lischer
Wissenschaft gehört? Was soll dann das
Streben nach katholischen Lehrkanzeln, nach
einer katholischen Universität? Wozu der
Universitätsverein und die vielen Reden und Spenden
und Versammlungen zu diesem erhabenen Zwecke?
Wenn es in der "Wissenschaft" diesbezüglich keinen
Unterschied gäbe, wenn es sich gleich bliebe, ob Christen
oder Juden unterrichten, wozu der katholische Schul-
verein, wozu die katholischen Lehrerseminare, wozu
endlich der Ruf nach der confessionellen Schule?

Freilich sollten wir uns über Rector Müllner
nicht verwundern. War es denn nicht unter seinem
Rectorate, daß gerade die katholischen Stu-
dentenverbindungen über Zurücksetzungen klagen mußten?
War es denn nicht gerade bei seiner Inauguration,
daß den katholischen Studentenverbindungen die Plätze




[Spaltenumbruch]

nicht glauben und er lief zum "Modehund" hin, ihm
einen guten Morgen wünschend.

Ami betrachtete Dackel und wollte, ihn ignorirend,
weitergehen, als er plötzlich stehen blieb und ihm
einen Antrag machte: "Du Dackel, Du bist einer von
denen, die ich noch ein wenig achte. Wie wär's, wenn
wir, das Beispiel der Menschen nachahmend, eine
Coalition bildeten. Der Sohn meiner Gnädigen ist
Mitglied der großen segensreichen Coa-
lition
-- und erzählt immer, wie gut das ist;
könnten wir, Du, ich und die Bankiersflora nicht auch
eine anstandserhaltende Coalition bilden?" Dackel war
wohl erstaunt, dann hub er ins Lachen an und fragte:
"Ja Ami, bist Du wirklich vom Hochmuthsteufel be-
sessen? Müssen denn wir alle die Dummheiten nach-
machen -- die unsere Herren uns vormachen? Bleib
nur allein, mir ist unsere Hundsgesellschaft noch immer
gut genug." Damit war er fort.

Nun kam die semmelfarbige Miß langsam ge-
gangen, auch sie war sich ihrer besonderen Würde be-
wußt, war doch ihre gestickte Schabracke nach demselben
Journal gefertigt, nach dem Fräulein Elly, das Töch-
terlein ihres Herrn, die Toiletten machen läßt.

Miß musterte die Gesellschaft und da sie lauter
uncultivirten Plebs sah, so ging sie zu Ami hin, ihn
mit folgenden Worten anredend: "Guten Morgen,
Herr Ami schon auf?" -- Ami warf einen Blick auf
die Sprecherin, und als er sah, daß ihre Schabracke
nach Fig. 418 der letzten Nummer der "Wiener Mode"
gemacht sei, verzog er sein Gesicht zu einem freund-
lichen Lächeln, erwiederte den Gruß und sagte: "Ja,
liebe Miß, jetzt wird es unsereinem so bald unmöglich
sein, daher zu kommen, es sind ja nur mehr so rohe
Hunde da, die man gar nicht auf den Burgplatz herein-
lassen sollte. Wenn nichts geschieht, so muß uns
gestattet werden, daß wir uns im Volks-
garten
versammeln, denn hier ist man ja
allen möglichen Insulten ausgesetzt. -- "Da haben
Sie recht", entgegnete Miß. Wir müssen trachten,
daß wir unter uns sein können. Ich glaube, der
kleine Philax wird doch noch zu uns kommen, sein
[Spaltenumbruch] Herr ist ja Redacteur bei der Wiener Mode, das die
großartige Idee gehabt auch unser zu gedenken."

Währenddem ist Dackel zurückgekehrt zu seiner Ge-
sellschaft die durch den Pudel des Herrn Professor X.
"Caro" Zuwachs erhalten hat. Es wird soeben
fleißig darüber berathen was der Grund des Pintsch-
Stolzes sei. Caro erklärte der Gesellschaft: Eine
Zeitung bringt jetzt neben den Moden für Frauen und
Kinder auch solche für Hunde. Ja, soviel ich von
meinem Professor gehört habe, soll in der nächsten
Nummer sogar eine Anleitung darinnen sein, wie die
Windeln für die jungen Hund' g'stickt sein sollen."
Schipsl war überrascht von dieser epochalen Aner-
kennung, die von Seiten einiger gefühlvoller
Redacteure,
dem Geschlechte der Hunde gewidmet
wurde, nur fürchtete er im Geheimen, daß die Wiener
Hunde-Mode, bald von der Pariser Hunde-Mode
überflügelt wird, und war neugierig, ob der Philax,
dessen Herr ja Redacteur bei dem thierfreundlichen
Modeblatt ist, bereits nach der neuesten Mode ge-
kleidet kommen wird. Nur Caro lächelte, er
und sein Herr sind ja conservativ, sie kümmern
sich nicht um die Mode; wenn der Sommer
kommt denkt sich Caro, dann hab' ich schon meine
Modistin -- die Pudelschererin bei der Ferdinands-
brücke. Nun stürmte im Galopp Philax heran.
Aber ohne Mode-Schabracke. "Ja," riefen ihm die
andern entgegen, "Du der Du der erste in der Mode
sein sollst, Du kommst so daher? Was ist denn
das?"

"Ach, hörr's mir auf mit die Dummheiten!" be-
gann Philax. "Die Tochter von meinem Herrn, die
hat gestern ihren Papa, den Redacteur von der Mode-
zeitung, bitt', ob sie mir eine schöne Decken machen
darf. -- "Ja," hat der g'schrien, "freilich, wir werden
alle Dummheiten mitmachen."

"Hm" brummte Caro ruhig vor sich hin -- "ich
bin nur ein Hund -- aber so a Idee, uns nach der
Mod' anziag'n -- das is -- mindestens a große --
Geschmacklosigkeit!"


[Spaltenumbruch]

verstellt waren? Und haben dieselben bei dem geist-
lichen Rector jenen Schutz gefunden, den sie gerechter-
weise erwarten konnten?

Selbst das "Grazer Volksblatt" läßt es unent-
schieden, ob Dr. Müllner in seiner Vertheidigung der
Juden nicht doch zu weit gegangen sei, während das
"Vaterland" sich fast uneingeschränkt zu Gunsten Dr.
Müllner's ausspricht. In den diesbezüglichen Ausfüh-
rungen kommt das "Vaterland" auch auf den allge-
meinen katholischen Geist zu sprechen. Das "Vater-
land" sagt und wir citiren, ohni zu antworten:

Schließlich noch eins: es wurde darauf hingew[i]esen,
"wie die Kirchen vor zehn Jahren ausgesehen haben",
heute seien sie "wieder voll". Das ist, mit Verlaub, eine
arge Uebertreibung. Die Kirchen waren vor zehn und auch
vor zwanzig Jahren ebenso voll wie heute; wer das in
Abrede stellt, ist eben vor zehn und zwanz[i]g Jahren -- in
keine Kirche gegangen. Prediger von Ruf fand[e]n damals
nicht geringeren Zulauf als heute; als die beiden PP.
Klinkowström predigten, wurde die Univer[i]itätskirche sozu-
sagen gestürmt, man denke dann an P. Hünner, an P.
Rohmann S. J., P. Petrus Bremer bei den Dominicanern,
P. Rudolf bei den Franciscanern, Mgr. Wiesinger bei
St. Peter, Cooperator Steiner bei St. Augustin, man denke
an die bei den verschiedenen kirchlichen Andachten allsonn-
täglich und selbst an Wochentagen stets vollgefüllten Kirchen
der Redemptoristen und Lazaristen etc. Missionen wurden
damals mit derselben Frequenz und demselben Erfolg ab-
gehalten wie heute -- freilich, zu Demonstrationen wurden
sie nicht gebraucht. Wir schließen mit einer Mahnung an
die stürmischen Vorkämpfer des Katholicismus, gegen die sie
vielleicht nichts einzuwenden haben werden, steht sie doch in
der heiligen Schrift: Non in commotione Dominus.




Das Judenthum an der Wiener Universitat.

Vor einiger Zeit, also wo man keine Ahnung
von den Vorgängen haben konnte, die sich in dem
niederösterreichischen Landtage zwischen dem Rector der
Wiener Universität und den Abgeordneten Lueger
und Gregorig abspielen werden und die die
liberale Presse in ihrem Sinne auszubeuten versteht,
erschien aus den Prager medicinischen Kreisen ein
Artikel über die Wiener Universität in den "Narodni
Listy", der umso bemerkenswerther ist, als das citirte
Blatt durchaus keinen Anspruch an antisemitische Ge-
sinnung erheben kann. Der Artikel lautet: Ber-
liner-jüdischer Geist beherrscht
gegenwärtig
diese, in früheren Jahren über
alle Niedrigkeit erhabene Burg der Wissenschaft; die
idealen Gestalten wie Rokytansky, Skoda und Andere
sind verschwunden und in die, der reinen Wissenschaft
geweihten Räume, haben sich Verehrer des
goldenen Kalbes
eingeschlichen.

Die ehrwürdige "alma mater" wurde in eine
moderne wissenschaftliche Börse
umgewandelt, was namentlich von der Facultät, ge-
weiht dem humansten Wissen -- der Me-
dicin,
gilt.

Unter den Lehrern der medicinischen Facultät sehen
wir gerade jene Männer hauptsächlich, die ein Ein-
kommen der Millionäre besitzen (Thatsache ist, daß
einige Professoren dieser Facultät jährlich über weit
100.000 Gulden "verdienen"!), lebend im Ueberfluß
in fürstlichen Wohnungen mit Lakaien etc.

Damit die Analogie der Börse eine
vollständige ist, sehen wir in Wien neben diesen medi-
cinischen Rothschilds beklagenswerth: Galopins,
welche in Wien eine ärztliche Visite um 30 Kreuzer
abstatten und welche, wenn z. B. bei irgend einer
Krankencasse die Stelle eines Arztes ausgeschrieben
ist, hinter jedem Schneidergehilfen rennen, um ihn um
dessen Stimme ergebenst zu bitten. Diese wider-
wärtigen Erscheinung ist bei den jungen Männern, die
den Doctortitel erreichen und auf diese Art die Würde
ihres Berufes herabsetzen, glücklicher Weise eine
seltene: aber aus Erfahrung weiß man, daß die
ärztlichen Epigonen, insbesondere des jüdischen
Stammes,
zum Zwecke des Erreichens eines noch
so minimalen Fixums, so und ähnlich thun, ja selbst
weniger anständiger Mittel sich zu bedienen nicht
scheuen.

Und von wo stammt diese Demoralisation des
gegenwärtigen wissenschaftlichen Nachwuchses?! Das
Beispiel der Herren Professoren an der Wiener
Universität und deren Assistenten bleibt nicht ohne Ein-
fluß auf die ihrer Obhut anvertrauten Studirenden.

Was sehen zum Beispiele die jungen Mediciner
an der Mehrheit ihrer Lehrer in den praktischen
Fäch[e]rn? Nicht den rein idealen Drang nach Wissen,
sowie es vor Zeiten war, sondern die nicht zu unter-
drückende Sucht nach Ruhm und einen unlöschbaren
Durst nach Gold. Mit Recht kann man "das goldene
Kalb" als Zeichen und Enblem
auf das
Gebäude der medicinischen Facultät
stellen. Dann darf man sich aber allerdings auch nicht
wundern, daß der junge Mann in die Praxis tretend,
wo ihm dann der harte Existenzkampf entgegentritt,
sich aller seiner Ideale entäußert um dem Ideale seiner
Lehrer nachahmt, die ihn in der Regel sehr wenig
gelernt. Dieses Geschäft -- die Studirenden selbst zu
unterrichten -- überläßt die Mehrheit der Herren
Professoren ihren Assistenten und trachtet nur mit aller
Macht die "goldene" Praxis zu erlangen. Letztere
Situationen haben die Söhne sehr reicher Eltern,
hoher Beamten und in erster Linie die Söhne der
Herren Professoren selbst. Das sind Männer, für die
Erlangung des Katheders im Vorhinein bestimmt.
Man sieht in Wien sehr selten, daß es einem Manne

Wien, Dienſtag Reichspoſt 8. Jänner 1895 6

[Spaltenumbruch]
Ein Interview bei Dr. Laurenz Müllner.

Rector Dr. Laurenz Müllner hat ſich geſtern einem
Redacteur der „Neuen Freien Preſſe“ zur Verfügung
geſtellt und nach den Mittheilungen dieſes Blattes
folgendes geſagt:

„Ich bedaure es tief, daß von Seite der katholiſchen
Kirche nicht ſchon längſt gegen dieſes grelle Unweſen Stel-
lung genommen wurde. Hier hätten manche Bi-
ſchöfe Gelegenheit gehabt, ihre wahrhaft
chriſtliche Geſinnung zu bethätigen.
Ich habe“
— fuhr Prof. Müllner — „wiewohl ich mich niemals mit
Politik befaſſe, nur aus dem einfachen Grunde geſprochen,
weil ich dies nicht mehr länger anhören konnte. Traurig
genug, daß nicht ſchon früher berufene Leute den Muth
gehabt haben, ſolche Angriffe abzuwehren. Ich wußte nicht,
daß der Landtagsabgeordnete Gregorig Pfaidler von Beruf
iſt. Wie kann ſich nun, frage ich, ein Pfaidler erlauben,
an Männern der Wiſſenſchaft und an einer Univerſität
Kritik zu üben? Es war meine Pflicht, meine abweſenden
Collegen zu vertheidigen, und ich habe nur als katholiſcher
Prieſter geſprochen. In meiner Jugend hatte ich in Nikols-
burg, woſelbſt ich das Gymnaſium beſuchte, vollauf Gelegen-
heit, den Charakter der Juden konnen zu lernen. Von
dieſem Tage an habe ich mir bis heute meine treueſten
Freunde bewahrt. Und dieſe“ — fuhr der Gelehrte in er-
regtem Tone fort — „ſoll ich mir durch die Antiſemiten weg-
disputiren laſſen? Es iſt eine unbeſtrittene Thatſache,
daß gerade die Juden wie nicht ſobald ein Stamm die
Wiſſenſchaften cultiviren. Mein langjähriger Hausarzt, dem
ich meine vollſte Hochachtung und größtes Vertrauen ent-
gegenbringe, iſt Jude. Soll ich vielleicht nun ihn wegen
der Antiſemiten aufgeben? Nie und nimmermehr. Wenn
dieſe Leute der Meinung ſind, daß die deutſchnationalen
Studenten mir ihre Sympathien entziehen werden, glaube
ich nicht daran, zumal gerade die Vertreter dieſer Partei
mir nach auf meine Fürbitte gütlich erfolgter Beilegung jener
unangenehmen Vorgänge die aufrichtige Verſicherung gaben,
ſtets nach meinen Intentionen handeln zu wollen. Wenn
mir Dr. Lueger ſagt, die juridiſche Facultät ſei
im Niedergange begriffen, ſo kann ich das mit dem
Hinweiſe auf die Coryphäen daſelbſt als völlig unbegründet
zurückweiſen. Wo es ſich um die Wiſſenſchaft handelt, ſoll
jede Frage nach Nationalität und Confeſſion ausgeſchloſſen
ſein. Sie werden ſich in meinem Werke „Ueber Kunſt und
Literatur“, das in wenigen Wochen erſcheint, davon über-
zeugen können, wie ich in dieſer Hinſicht ſelbſt an den
Werken erklärter Atheiſten Kritik übe. Wo es ſich um
wiſſenſchaftliche Kritik handelt, kann nichts mein Urtheil
ändern. Geſtern ging ich in den Landtag, ohne zu ahnen,
daß ich ſprechen werde. Meine Rede war ganz improviſirt
Ein Erfolg würde mich nur freuen. Ich zähle mehr als
tauſend Schüler, und ich bin wohl überzeugt, daß die
meiſten mir und meinen Anſchauungen treu ergeben ſind.
Daß dieſe nun in meinem Sinne wirken und arbeiten, das
hoffe und wünſche ich ſehnlichſt, denn davon verſpreche ich
mir für die kommende Zeit viel.“

Bevor wir die einzelnen Auslaſſungen des Rectors
Müllner kritiſiren, wollen wir, vorausgeſetzt die
Richtigkeit des Wortlautes, nur dem Bedauern
Ausdruck geben, daß der Herr Rector es für paſſend
erachtete, einem jüdiſchen Journaliſten gegenüber die
ganze katholiſche Kirche und insbeſondere die Biſchöfe
der Saumſeligkeit in der Erfüllung ihrer Pflichten zu
zeihen. Wir können uns ſehr wohl denken, daß der
vielfache Weihrauch, der dem Rector von jüdiſcher
Seite geſpendet wurde, die Auszeichnung, von einem
Sueß gelobt, endlich der Vorzug, von einem „Neuen
Freien Preßjuden“ interviewt zu werden, den gelehrten
Herrn Reiter zu unbedachten Aeußerungen verleitete,
aber wir hätten nicht geglaubt, daß er ſelbſt in einem
[Spaltenumbruch] ſolchen erhabenen Momente ſich hinreißen laſſen würde,
die Biſchöfe und die katholiſche Kirche anzu-
rempeln. Daß Juden ſeine beſten Freunde ſind, daß
ſein Hausarzt Jude iſt — ſind intime Details,
die zur Charakteriſtik das Ihre beitragen. Wenn
ferner Dr. Müllner dem Landtagsabgeordneten Gre-
gorig den „Pfaidler“ vorwirft, ſo möge er bedenken,
daß das nicht nur eine Beleidigung des geſammten
chriſtlichen Gewerbeſtandes iſt, ſondern auch nach
jener Eigenſchaft ſchmeckt, die man in der Moral als
geiſtigen Hochmuth bezeichnet. Der Herr Profeſſor
möge ferner bedenken, ad vocem „Pfaidler“ daß
Jeſus Chriſtus die Apoſtel und Jünger nicht aus den
Kreiſen der Phariſäer und Schriftgelehrten entnahm,
ſondern aus den Reihen des Handwerks. Ebenſo gut
wie Petrus ein Fiſcher war und Paulus ein Teppich-
wirker, hätten ſie auch — Pfaidler ſein können. Und
haben Petrus und Paulus ſich geſcheut den Gelehrten
und Phariſäern entgegenzutreten? Was aber das Lob
des Profeſſors Sueß betrifft, ſo erinnern wir den
Profeſſor Müllner an eine Rede ebendesſelben Herrn,
worin er dem Profeſſor Maaßen das Wort zurief:
„Kork ſchwimmt.“ Wir erinnern ferner Rector
Müllner an eine Rede des Profeſſors Sueß, worin
er folgenden Paſſus mit ſeinem gewohnten hohlen
Pathos drechſelte:

„Es ſind zwei Strömungen, welche das geiſtige Leben
der ganzen Menſchheit beherrſchen. Die eine Strömung
beginnt mit den dogmatifirenden Concilien von Nicäa und
Epheſus zur Zulaſſung der Verehrung der Heiligen, dann
zum Tridentiner Concil und gelangt endlich nach Jahr-
bunderten, fort und fort Brücken ſchlagend, von der niederen
Menſchheit zum erhabenen Gottesbegriffe dahin, daß ſie
einer ſterblichen Creatur göttliche Eigenſchaften beilegt, ein
Schritt, über welchen hinaus ein weiterer kaum mehr
möglich iſt. Die zweite Richtung beginnt mit den großen
Seefahrern des fünfzehnten und ſechzehnten Jahrhunderts.
An ſie ſchließen ſich die Entdeckung von der wahren Geſtalt
der Erde, von der Bewegung der Himmelskörper. Das
genauere Verſtändniß des Firmaments und fortſchreitend
von Schritt zu Schritt führt ſie endlich zu einer freieren,
nie gekannten Beherrſchung der Naturkräfte. Wo dann der
letzte Schritt iſt, das weiß kein Sterblicher. Welcher dieſer
beiden Richtungen die Zukunft gehört, darüber herrſcht
auch unter unſeren Gegnern kein Zweifel.“

Nun macht ſich freilich Rector Müllner nichts
daraus, ob es ſich um Atheiſten oder Gläubige, um
Juden oder Chriſten handelt, in der Wiſſenſchaft gilt
ihm dies gleich! Aber iſt das auch ein richtiger
Grundſatz? Was haben wir doch immer von katho-
liſcher
Wiſſenſchaft gehört? Was ſoll dann das
Streben nach katholiſchen Lehrkanzeln, nach
einer katholiſchen Univerſität? Wozu der
Univerſitätsverein und die vielen Reden und Spenden
und Verſammlungen zu dieſem erhabenen Zwecke?
Wenn es in der „Wiſſenſchaft“ diesbezüglich keinen
Unterſchied gäbe, wenn es ſich gleich bliebe, ob Chriſten
oder Juden unterrichten, wozu der katholiſche Schul-
verein, wozu die katholiſchen Lehrerſeminare, wozu
endlich der Ruf nach der confeſſionellen Schule?

Freilich ſollten wir uns über Rector Müllner
nicht verwundern. War es denn nicht unter ſeinem
Rectorate, daß gerade die katholiſchen Stu-
dentenverbindungen über Zurückſetzungen klagen mußten?
War es denn nicht gerade bei ſeiner Inauguration,
daß den katholiſchen Studentenverbindungen die Plätze




[Spaltenumbruch]

nicht glauben und er lief zum „Modehund“ hin, ihm
einen guten Morgen wünſchend.

Ami betrachtete Dackel und wollte, ihn ignorirend,
weitergehen, als er plötzlich ſtehen blieb und ihm
einen Antrag machte: „Du Dackel, Du biſt einer von
denen, die ich noch ein wenig achte. Wie wär’s, wenn
wir, das Beiſpiel der Menſchen nachahmend, eine
Coalition bildeten. Der Sohn meiner Gnädigen iſt
Mitglied der großen ſegensreichen Coa-
lition
— und erzählt immer, wie gut das iſt;
könnten wir, Du, ich und die Bankiersflora nicht auch
eine anſtandserhaltende Coalition bilden?“ Dackel war
wohl erſtaunt, dann hub er ins Lachen an und fragte:
„Ja Ami, biſt Du wirklich vom Hochmuthsteufel be-
ſeſſen? Müſſen denn wir alle die Dummheiten nach-
machen — die unſere Herren uns vormachen? Bleib
nur allein, mir iſt unſere Hundsgeſellſchaft noch immer
gut genug.“ Damit war er fort.

Nun kam die ſemmelfarbige Miß langſam ge-
gangen, auch ſie war ſich ihrer beſonderen Würde be-
wußt, war doch ihre geſtickte Schabracke nach demſelben
Journal gefertigt, nach dem Fräulein Elly, das Töch-
terlein ihres Herrn, die Toiletten machen läßt.

Miß muſterte die Geſellſchaft und da ſie lauter
uncultivirten Plebs ſah, ſo ging ſie zu Ami hin, ihn
mit folgenden Worten anredend: „Guten Morgen,
Herr Ami ſchon auf?“ — Ami warf einen Blick auf
die Sprecherin, und als er ſah, daß ihre Schabracke
nach Fig. 418 der letzten Nummer der „Wiener Mode“
gemacht ſei, verzog er ſein Geſicht zu einem freund-
lichen Lächeln, erwiederte den Gruß und ſagte: „Ja,
liebe Miß, jetzt wird es unſereinem ſo bald unmöglich
ſein, daher zu kommen, es ſind ja nur mehr ſo rohe
Hunde da, die man gar nicht auf den Burgplatz herein-
laſſen ſollte. Wenn nichts geſchieht, ſo muß uns
geſtattet werden, daß wir uns im Volks-
garten
verſammeln, denn hier iſt man ja
allen möglichen Inſulten ausgeſetzt. — „Da haben
Sie recht“, entgegnete Miß. Wir müſſen trachten,
daß wir unter uns ſein können. Ich glaube, der
kleine Philax wird doch noch zu uns kommen, ſein
[Spaltenumbruch] Herr iſt ja Redacteur bei der Wiener Mode, das die
großartige Idee gehabt auch unſer zu gedenken.“

Währenddem iſt Dackel zurückgekehrt zu ſeiner Ge-
ſellſchaft die durch den Pudel des Herrn Profeſſor X.
„Caro“ Zuwachs erhalten hat. Es wird ſoeben
fleißig darüber berathen was der Grund des Pintſch-
Stolzes ſei. Caro erklärte der Geſellſchaft: Eine
Zeitung bringt jetzt neben den Moden für Frauen und
Kinder auch ſolche für Hunde. Ja, ſoviel ich von
meinem Profeſſor gehört habe, ſoll in der nächſten
Nummer ſogar eine Anleitung darinnen ſein, wie die
Windeln für die jungen Hund’ g’ſtickt ſein ſollen.“
Schipsl war überraſcht von dieſer epochalen Aner-
kennung, die von Seiten einiger gefühlvoller
Redacteure,
dem Geſchlechte der Hunde gewidmet
wurde, nur fürchtete er im Geheimen, daß die Wiener
Hunde-Mode, bald von der Pariſer Hunde-Mode
überflügelt wird, und war neugierig, ob der Philax,
deſſen Herr ja Redacteur bei dem thierfreundlichen
Modeblatt iſt, bereits nach der neueſten Mode ge-
kleidet kommen wird. Nur Caro lächelte, er
und ſein Herr ſind ja conſervativ, ſie kümmern
ſich nicht um die Mode; wenn der Sommer
kommt denkt ſich Caro, dann hab’ ich ſchon meine
Modiſtin — die Pudelſchererin bei der Ferdinands-
brücke. Nun ſtürmte im Galopp Philax heran.
Aber ohne Mode-Schabracke. „Ja,“ riefen ihm die
andern entgegen, „Du der Du der erſte in der Mode
ſein ſollſt, Du kommſt ſo daher? Was iſt denn
das?“

„Ach, hörr’s mir auf mit die Dummheiten!“ be-
gann Philax. „Die Tochter von meinem Herrn, die
hat geſtern ihren Papa, den Redacteur von der Mode-
zeitung, bitt’, ob ſie mir eine ſchöne Decken machen
darf. — „Ja,“ hat der g’ſchrien, „freilich, wir werden
alle Dummheiten mitmachen.“

„Hm“ brummte Caro ruhig vor ſich hin — „ich
bin nur ein Hund — aber ſo a Idee, uns nach der
Mod’ anziag’n — das is — mindeſtens a große —
Geſchmackloſigkeit!


[Spaltenumbruch]

verſtellt waren? Und haben dieſelben bei dem geiſt-
lichen Rector jenen Schutz gefunden, den ſie gerechter-
weiſe erwarten konnten?

Selbſt das „Grazer Volksblatt“ läßt es unent-
ſchieden, ob Dr. Müllner in ſeiner Vertheidigung der
Juden nicht doch zu weit gegangen ſei, während das
„Vaterland“ ſich faſt uneingeſchränkt zu Gunſten Dr.
Müllner’s ausſpricht. In den diesbezüglichen Ausfüh-
rungen kommt das „Vaterland“ auch auf den allge-
meinen katholiſchen Geiſt zu ſprechen. Das „Vater-
land“ ſagt und wir citiren, ohni zu antworten:

Schließlich noch eins: es wurde darauf hingew[i]eſen,
„wie die Kirchen vor zehn Jahren ausgeſehen haben“,
heute ſeien ſie „wieder voll“. Das iſt, mit Verlaub, eine
arge Uebertreibung. Die Kirchen waren vor zehn und auch
vor zwanzig Jahren ebenſo voll wie heute; wer das in
Abrede ſtellt, iſt eben vor zehn und zwanz[i]g Jahren — in
keine Kirche gegangen. Prediger von Ruf fand[e]n damals
nicht geringeren Zulauf als heute; als die beiden PP.
Klinkowſtröm predigten, wurde die Univer[i]itätskirche ſozu-
ſagen geſtürmt, man denke dann an P. Hünner, an P.
Rohmann S. J., P. Petrus Bremer bei den Dominicanern,
P. Rudolf bei den Franciscanern, Mgr. Wieſinger bei
St. Peter, Cooperator Steiner bei St. Auguſtin, man denke
an die bei den verſchiedenen kirchlichen Andachten allſonn-
täglich und ſelbſt an Wochentagen ſtets vollgefüllten Kirchen
der Redemptoriſten und Lazariſten ꝛc. Miſſionen wurden
damals mit derſelben Frequenz und demſelben Erfolg ab-
gehalten wie heute — freilich, zu Demonſtrationen wurden
ſie nicht gebraucht. Wir ſchließen mit einer Mahnung an
die ſtürmiſchen Vorkämpfer des Katholicismus, gegen die ſie
vielleicht nichts einzuwenden haben werden, ſteht ſie doch in
der heiligen Schrift: Non in commotione Dominus.




Das Judenthum an der Wiener Univerſitat.

Vor einiger Zeit, alſo wo man keine Ahnung
von den Vorgängen haben konnte, die ſich in dem
niederöſterreichiſchen Landtage zwiſchen dem Rector der
Wiener Univerſität und den Abgeordneten Lueger
und Gregorig abſpielen werden und die die
liberale Preſſe in ihrem Sinne auszubeuten verſteht,
erſchien aus den Prager mediciniſchen Kreiſen ein
Artikel über die Wiener Univerſität in den „Narodni
Liſty“, der umſo bemerkenswerther iſt, als das citirte
Blatt durchaus keinen Anſpruch an antiſemitiſche Ge-
ſinnung erheben kann. Der Artikel lautet: Ber-
liner-jüdiſcher Geiſt beherrſcht
gegenwärtig
dieſe, in früheren Jahren über
alle Niedrigkeit erhabene Burg der Wiſſenſchaft; die
idealen Geſtalten wie Rokytansky, Skoda und Andere
ſind verſchwunden und in die, der reinen Wiſſenſchaft
geweihten Räume, haben ſich Verehrer des
goldenen Kalbes
eingeſchlichen.

Die ehrwürdige »alma mater« wurde in eine
moderne wiſſenſchaftliche Börſe
umgewandelt, was namentlich von der Facultät, ge-
weiht dem humanſten Wiſſen — der Me-
dicin,
gilt.

Unter den Lehrern der mediciniſchen Facultät ſehen
wir gerade jene Männer hauptſächlich, die ein Ein-
kommen der Millionäre beſitzen (Thatſache iſt, daß
einige Profeſſoren dieſer Facultät jährlich über weit
100.000 Gulden „verdienen“!), lebend im Ueberfluß
in fürſtlichen Wohnungen mit Lakaien ꝛc.

Damit die Analogie der Börſe eine
vollſtändige iſt, ſehen wir in Wien neben dieſen medi-
ciniſchen Rothſchilds beklagenswerth: Galopins,
welche in Wien eine ärztliche Viſite um 30 Kreuzer
abſtatten und welche, wenn z. B. bei irgend einer
Krankencaſſe die Stelle eines Arztes ausgeſchrieben
iſt, hinter jedem Schneidergehilfen rennen, um ihn um
deſſen Stimme ergebenſt zu bitten. Dieſe wider-
wärtigen Erſcheinung iſt bei den jungen Männern, die
den Doctortitel erreichen und auf dieſe Art die Würde
ihres Berufes herabſetzen, glücklicher Weiſe eine
ſeltene: aber aus Erfahrung weiß man, daß die
ärztlichen Epigonen, insbeſondere des jüdiſchen
Stammes,
zum Zwecke des Erreichens eines noch
ſo minimalen Fixums, ſo und ähnlich thun, ja ſelbſt
weniger anſtändiger Mittel ſich zu bedienen nicht
ſcheuen.

Und von wo ſtammt dieſe Demoraliſation des
gegenwärtigen wiſſenſchaftlichen Nachwuchſes?! Das
Beiſpiel der Herren Profeſſoren an der Wiener
Univerſität und deren Aſſiſtenten bleibt nicht ohne Ein-
fluß auf die ihrer Obhut anvertrauten Studirenden.

Was ſehen zum Beiſpiele die jungen Mediciner
an der Mehrheit ihrer Lehrer in den praktiſchen
Fäch[e]rn? Nicht den rein idealen Drang nach Wiſſen,
ſowie es vor Zeiten war, ſondern die nicht zu unter-
drückende Sucht nach Ruhm und einen unlöſchbaren
Durſt nach Gold. Mit Recht kann man „das goldene
Kalb“ als Zeichen und Enblem
auf das
Gebäude der mediciniſchen Facultät
ſtellen. Dann darf man ſich aber allerdings auch nicht
wundern, daß der junge Mann in die Praxis tretend,
wo ihm dann der harte Exiſtenzkampf entgegentritt,
ſich aller ſeiner Ideale entäußert um dem Ideale ſeiner
Lehrer nachahmt, die ihn in der Regel ſehr wenig
gelernt. Dieſes Geſchäft — die Studirenden ſelbſt zu
unterrichten — überläßt die Mehrheit der Herren
Profeſſoren ihren Aſſiſtenten und trachtet nur mit aller
Macht die „goldene“ Praxis zu erlangen. Letztere
Situationen haben die Söhne ſehr reicher Eltern,
hoher Beamten und in erſter Linie die Söhne der
Herren Profeſſoren ſelbſt. Das ſind Männer, für die
Erlangung des Katheders im Vorhinein beſtimmt.
Man ſieht in Wien ſehr ſelten, daß es einem Manne

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[2/0002] Wien, Dienſtag Reichspoſt 8. Jänner 1895 6 Ein Interview bei Dr. Laurenz Müllner. Rector Dr. Laurenz Müllner hat ſich geſtern einem Redacteur der „Neuen Freien Preſſe“ zur Verfügung geſtellt und nach den Mittheilungen dieſes Blattes folgendes geſagt: „Ich bedaure es tief, daß von Seite der katholiſchen Kirche nicht ſchon längſt gegen dieſes grelle Unweſen Stel- lung genommen wurde. Hier hätten manche Bi- ſchöfe Gelegenheit gehabt, ihre wahrhaft chriſtliche Geſinnung zu bethätigen. Ich habe“ — fuhr Prof. Müllner — „wiewohl ich mich niemals mit Politik befaſſe, nur aus dem einfachen Grunde geſprochen, weil ich dies nicht mehr länger anhören konnte. Traurig genug, daß nicht ſchon früher berufene Leute den Muth gehabt haben, ſolche Angriffe abzuwehren. Ich wußte nicht, daß der Landtagsabgeordnete Gregorig Pfaidler von Beruf iſt. Wie kann ſich nun, frage ich, ein Pfaidler erlauben, an Männern der Wiſſenſchaft und an einer Univerſität Kritik zu üben? Es war meine Pflicht, meine abweſenden Collegen zu vertheidigen, und ich habe nur als katholiſcher Prieſter geſprochen. In meiner Jugend hatte ich in Nikols- burg, woſelbſt ich das Gymnaſium beſuchte, vollauf Gelegen- heit, den Charakter der Juden konnen zu lernen. Von dieſem Tage an habe ich mir bis heute meine treueſten Freunde bewahrt. Und dieſe“ — fuhr der Gelehrte in er- regtem Tone fort — „ſoll ich mir durch die Antiſemiten weg- disputiren laſſen? Es iſt eine unbeſtrittene Thatſache, daß gerade die Juden wie nicht ſobald ein Stamm die Wiſſenſchaften cultiviren. Mein langjähriger Hausarzt, dem ich meine vollſte Hochachtung und größtes Vertrauen ent- gegenbringe, iſt Jude. Soll ich vielleicht nun ihn wegen der Antiſemiten aufgeben? Nie und nimmermehr. Wenn dieſe Leute der Meinung ſind, daß die deutſchnationalen Studenten mir ihre Sympathien entziehen werden, glaube ich nicht daran, zumal gerade die Vertreter dieſer Partei mir nach auf meine Fürbitte gütlich erfolgter Beilegung jener unangenehmen Vorgänge die aufrichtige Verſicherung gaben, ſtets nach meinen Intentionen handeln zu wollen. Wenn mir Dr. Lueger ſagt, die juridiſche Facultät ſei im Niedergange begriffen, ſo kann ich das mit dem Hinweiſe auf die Coryphäen daſelbſt als völlig unbegründet zurückweiſen. Wo es ſich um die Wiſſenſchaft handelt, ſoll jede Frage nach Nationalität und Confeſſion ausgeſchloſſen ſein. Sie werden ſich in meinem Werke „Ueber Kunſt und Literatur“, das in wenigen Wochen erſcheint, davon über- zeugen können, wie ich in dieſer Hinſicht ſelbſt an den Werken erklärter Atheiſten Kritik übe. Wo es ſich um wiſſenſchaftliche Kritik handelt, kann nichts mein Urtheil ändern. Geſtern ging ich in den Landtag, ohne zu ahnen, daß ich ſprechen werde. Meine Rede war ganz improviſirt Ein Erfolg würde mich nur freuen. Ich zähle mehr als tauſend Schüler, und ich bin wohl überzeugt, daß die meiſten mir und meinen Anſchauungen treu ergeben ſind. Daß dieſe nun in meinem Sinne wirken und arbeiten, das hoffe und wünſche ich ſehnlichſt, denn davon verſpreche ich mir für die kommende Zeit viel.“ Bevor wir die einzelnen Auslaſſungen des Rectors Müllner kritiſiren, wollen wir, vorausgeſetzt die Richtigkeit des Wortlautes, nur dem Bedauern Ausdruck geben, daß der Herr Rector es für paſſend erachtete, einem jüdiſchen Journaliſten gegenüber die ganze katholiſche Kirche und insbeſondere die Biſchöfe der Saumſeligkeit in der Erfüllung ihrer Pflichten zu zeihen. Wir können uns ſehr wohl denken, daß der vielfache Weihrauch, der dem Rector von jüdiſcher Seite geſpendet wurde, die Auszeichnung, von einem Sueß gelobt, endlich der Vorzug, von einem „Neuen Freien Preßjuden“ interviewt zu werden, den gelehrten Herrn Reiter zu unbedachten Aeußerungen verleitete, aber wir hätten nicht geglaubt, daß er ſelbſt in einem ſolchen erhabenen Momente ſich hinreißen laſſen würde, die Biſchöfe und die katholiſche Kirche anzu- rempeln. Daß Juden ſeine beſten Freunde ſind, daß ſein Hausarzt Jude iſt — ſind intime Details, die zur Charakteriſtik das Ihre beitragen. Wenn ferner Dr. Müllner dem Landtagsabgeordneten Gre- gorig den „Pfaidler“ vorwirft, ſo möge er bedenken, daß das nicht nur eine Beleidigung des geſammten chriſtlichen Gewerbeſtandes iſt, ſondern auch nach jener Eigenſchaft ſchmeckt, die man in der Moral als geiſtigen Hochmuth bezeichnet. Der Herr Profeſſor möge ferner bedenken, ad vocem „Pfaidler“ daß Jeſus Chriſtus die Apoſtel und Jünger nicht aus den Kreiſen der Phariſäer und Schriftgelehrten entnahm, ſondern aus den Reihen des Handwerks. Ebenſo gut wie Petrus ein Fiſcher war und Paulus ein Teppich- wirker, hätten ſie auch — Pfaidler ſein können. Und haben Petrus und Paulus ſich geſcheut den Gelehrten und Phariſäern entgegenzutreten? Was aber das Lob des Profeſſors Sueß betrifft, ſo erinnern wir den Profeſſor Müllner an eine Rede ebendesſelben Herrn, worin er dem Profeſſor Maaßen das Wort zurief: „Kork ſchwimmt.“ Wir erinnern ferner Rector Müllner an eine Rede des Profeſſors Sueß, worin er folgenden Paſſus mit ſeinem gewohnten hohlen Pathos drechſelte: „Es ſind zwei Strömungen, welche das geiſtige Leben der ganzen Menſchheit beherrſchen. Die eine Strömung beginnt mit den dogmatifirenden Concilien von Nicäa und Epheſus zur Zulaſſung der Verehrung der Heiligen, dann zum Tridentiner Concil und gelangt endlich nach Jahr- bunderten, fort und fort Brücken ſchlagend, von der niederen Menſchheit zum erhabenen Gottesbegriffe dahin, daß ſie einer ſterblichen Creatur göttliche Eigenſchaften beilegt, ein Schritt, über welchen hinaus ein weiterer kaum mehr möglich iſt. Die zweite Richtung beginnt mit den großen Seefahrern des fünfzehnten und ſechzehnten Jahrhunderts. An ſie ſchließen ſich die Entdeckung von der wahren Geſtalt der Erde, von der Bewegung der Himmelskörper. Das genauere Verſtändniß des Firmaments und fortſchreitend von Schritt zu Schritt führt ſie endlich zu einer freieren, nie gekannten Beherrſchung der Naturkräfte. Wo dann der letzte Schritt iſt, das weiß kein Sterblicher. Welcher dieſer beiden Richtungen die Zukunft gehört, darüber herrſcht auch unter unſeren Gegnern kein Zweifel.“ Nun macht ſich freilich Rector Müllner nichts daraus, ob es ſich um Atheiſten oder Gläubige, um Juden oder Chriſten handelt, in der Wiſſenſchaft gilt ihm dies gleich! Aber iſt das auch ein richtiger Grundſatz? Was haben wir doch immer von katho- liſcher Wiſſenſchaft gehört? Was ſoll dann das Streben nach katholiſchen Lehrkanzeln, nach einer katholiſchen Univerſität? Wozu der Univerſitätsverein und die vielen Reden und Spenden und Verſammlungen zu dieſem erhabenen Zwecke? Wenn es in der „Wiſſenſchaft“ diesbezüglich keinen Unterſchied gäbe, wenn es ſich gleich bliebe, ob Chriſten oder Juden unterrichten, wozu der katholiſche Schul- verein, wozu die katholiſchen Lehrerſeminare, wozu endlich der Ruf nach der confeſſionellen Schule? Freilich ſollten wir uns über Rector Müllner nicht verwundern. War es denn nicht unter ſeinem Rectorate, daß gerade die katholiſchen Stu- dentenverbindungen über Zurückſetzungen klagen mußten? War es denn nicht gerade bei ſeiner Inauguration, daß den katholiſchen Studentenverbindungen die Plätze nicht glauben und er lief zum „Modehund“ hin, ihm einen guten Morgen wünſchend. Ami betrachtete Dackel und wollte, ihn ignorirend, weitergehen, als er plötzlich ſtehen blieb und ihm einen Antrag machte: „Du Dackel, Du biſt einer von denen, die ich noch ein wenig achte. Wie wär’s, wenn wir, das Beiſpiel der Menſchen nachahmend, eine Coalition bildeten. Der Sohn meiner Gnädigen iſt Mitglied der großen ſegensreichen Coa- lition — und erzählt immer, wie gut das iſt; könnten wir, Du, ich und die Bankiersflora nicht auch eine anſtandserhaltende Coalition bilden?“ Dackel war wohl erſtaunt, dann hub er ins Lachen an und fragte: „Ja Ami, biſt Du wirklich vom Hochmuthsteufel be- ſeſſen? Müſſen denn wir alle die Dummheiten nach- machen — die unſere Herren uns vormachen? Bleib nur allein, mir iſt unſere Hundsgeſellſchaft noch immer gut genug.“ Damit war er fort. Nun kam die ſemmelfarbige Miß langſam ge- gangen, auch ſie war ſich ihrer beſonderen Würde be- wußt, war doch ihre geſtickte Schabracke nach demſelben Journal gefertigt, nach dem Fräulein Elly, das Töch- terlein ihres Herrn, die Toiletten machen läßt. Miß muſterte die Geſellſchaft und da ſie lauter uncultivirten Plebs ſah, ſo ging ſie zu Ami hin, ihn mit folgenden Worten anredend: „Guten Morgen, Herr Ami ſchon auf?“ — Ami warf einen Blick auf die Sprecherin, und als er ſah, daß ihre Schabracke nach Fig. 418 der letzten Nummer der „Wiener Mode“ gemacht ſei, verzog er ſein Geſicht zu einem freund- lichen Lächeln, erwiederte den Gruß und ſagte: „Ja, liebe Miß, jetzt wird es unſereinem ſo bald unmöglich ſein, daher zu kommen, es ſind ja nur mehr ſo rohe Hunde da, die man gar nicht auf den Burgplatz herein- laſſen ſollte. Wenn nichts geſchieht, ſo muß uns geſtattet werden, daß wir uns im Volks- garten verſammeln, denn hier iſt man ja allen möglichen Inſulten ausgeſetzt. — „Da haben Sie recht“, entgegnete Miß. Wir müſſen trachten, daß wir unter uns ſein können. Ich glaube, der kleine Philax wird doch noch zu uns kommen, ſein Herr iſt ja Redacteur bei der Wiener Mode, das die großartige Idee gehabt auch unſer zu gedenken.“ Währenddem iſt Dackel zurückgekehrt zu ſeiner Ge- ſellſchaft die durch den Pudel des Herrn Profeſſor X. „Caro“ Zuwachs erhalten hat. Es wird ſoeben fleißig darüber berathen was der Grund des Pintſch- Stolzes ſei. Caro erklärte der Geſellſchaft: Eine Zeitung bringt jetzt neben den Moden für Frauen und Kinder auch ſolche für Hunde. Ja, ſoviel ich von meinem Profeſſor gehört habe, ſoll in der nächſten Nummer ſogar eine Anleitung darinnen ſein, wie die Windeln für die jungen Hund’ g’ſtickt ſein ſollen.“ Schipsl war überraſcht von dieſer epochalen Aner- kennung, die von Seiten einiger gefühlvoller Redacteure, dem Geſchlechte der Hunde gewidmet wurde, nur fürchtete er im Geheimen, daß die Wiener Hunde-Mode, bald von der Pariſer Hunde-Mode überflügelt wird, und war neugierig, ob der Philax, deſſen Herr ja Redacteur bei dem thierfreundlichen Modeblatt iſt, bereits nach der neueſten Mode ge- kleidet kommen wird. Nur Caro lächelte, er und ſein Herr ſind ja conſervativ, ſie kümmern ſich nicht um die Mode; wenn der Sommer kommt denkt ſich Caro, dann hab’ ich ſchon meine Modiſtin — die Pudelſchererin bei der Ferdinands- brücke. Nun ſtürmte im Galopp Philax heran. Aber ohne Mode-Schabracke. „Ja,“ riefen ihm die andern entgegen, „Du der Du der erſte in der Mode ſein ſollſt, Du kommſt ſo daher? Was iſt denn das?“ „Ach, hörr’s mir auf mit die Dummheiten!“ be- gann Philax. „Die Tochter von meinem Herrn, die hat geſtern ihren Papa, den Redacteur von der Mode- zeitung, bitt’, ob ſie mir eine ſchöne Decken machen darf. — „Ja,“ hat der g’ſchrien, „freilich, wir werden alle Dummheiten mitmachen.“ „Hm“ brummte Caro ruhig vor ſich hin — „ich bin nur ein Hund — aber ſo a Idee, uns nach der Mod’ anziag’n — das is — mindeſtens a große — Geſchmackloſigkeit!“ Humohr. verſtellt waren? Und haben dieſelben bei dem geiſt- lichen Rector jenen Schutz gefunden, den ſie gerechter- weiſe erwarten konnten? Selbſt das „Grazer Volksblatt“ läßt es unent- ſchieden, ob Dr. Müllner in ſeiner Vertheidigung der Juden nicht doch zu weit gegangen ſei, während das „Vaterland“ ſich faſt uneingeſchränkt zu Gunſten Dr. Müllner’s ausſpricht. In den diesbezüglichen Ausfüh- rungen kommt das „Vaterland“ auch auf den allge- meinen katholiſchen Geiſt zu ſprechen. Das „Vater- land“ ſagt und wir citiren, ohni zu antworten: Schließlich noch eins: es wurde darauf hingewieſen, „wie die Kirchen vor zehn Jahren ausgeſehen haben“, heute ſeien ſie „wieder voll“. Das iſt, mit Verlaub, eine arge Uebertreibung. Die Kirchen waren vor zehn und auch vor zwanzig Jahren ebenſo voll wie heute; wer das in Abrede ſtellt, iſt eben vor zehn und zwanzig Jahren — in keine Kirche gegangen. Prediger von Ruf fanden damals nicht geringeren Zulauf als heute; als die beiden PP. Klinkowſtröm predigten, wurde die Univeriitätskirche ſozu- ſagen geſtürmt, man denke dann an P. Hünner, an P. Rohmann S. J., P. Petrus Bremer bei den Dominicanern, P. Rudolf bei den Franciscanern, Mgr. Wieſinger bei St. Peter, Cooperator Steiner bei St. Auguſtin, man denke an die bei den verſchiedenen kirchlichen Andachten allſonn- täglich und ſelbſt an Wochentagen ſtets vollgefüllten Kirchen der Redemptoriſten und Lazariſten ꝛc. Miſſionen wurden damals mit derſelben Frequenz und demſelben Erfolg ab- gehalten wie heute — freilich, zu Demonſtrationen wurden ſie nicht gebraucht. Wir ſchließen mit einer Mahnung an die ſtürmiſchen Vorkämpfer des Katholicismus, gegen die ſie vielleicht nichts einzuwenden haben werden, ſteht ſie doch in der heiligen Schrift: Non in commotione Dominus. Das Judenthum an der Wiener Univerſitat. Vor einiger Zeit, alſo wo man keine Ahnung von den Vorgängen haben konnte, die ſich in dem niederöſterreichiſchen Landtage zwiſchen dem Rector der Wiener Univerſität und den Abgeordneten Lueger und Gregorig abſpielen werden und die die liberale Preſſe in ihrem Sinne auszubeuten verſteht, erſchien aus den Prager mediciniſchen Kreiſen ein Artikel über die Wiener Univerſität in den „Narodni Liſty“, der umſo bemerkenswerther iſt, als das citirte Blatt durchaus keinen Anſpruch an antiſemitiſche Ge- ſinnung erheben kann. Der Artikel lautet: Ber- liner-jüdiſcher Geiſt beherrſcht gegenwärtig dieſe, in früheren Jahren über alle Niedrigkeit erhabene Burg der Wiſſenſchaft; die idealen Geſtalten wie Rokytansky, Skoda und Andere ſind verſchwunden und in die, der reinen Wiſſenſchaft geweihten Räume, haben ſich Verehrer des goldenen Kalbes eingeſchlichen. Die ehrwürdige »alma mater« wurde in eine moderne wiſſenſchaftliche Börſe umgewandelt, was namentlich von der Facultät, ge- weiht dem humanſten Wiſſen — der Me- dicin, gilt. Unter den Lehrern der mediciniſchen Facultät ſehen wir gerade jene Männer hauptſächlich, die ein Ein- kommen der Millionäre beſitzen (Thatſache iſt, daß einige Profeſſoren dieſer Facultät jährlich über weit 100.000 Gulden „verdienen“!), lebend im Ueberfluß in fürſtlichen Wohnungen mit Lakaien ꝛc. Damit die Analogie der Börſe eine vollſtändige iſt, ſehen wir in Wien neben dieſen medi- ciniſchen Rothſchilds beklagenswerth: Galopins, welche in Wien eine ärztliche Viſite um 30 Kreuzer abſtatten und welche, wenn z. B. bei irgend einer Krankencaſſe die Stelle eines Arztes ausgeſchrieben iſt, hinter jedem Schneidergehilfen rennen, um ihn um deſſen Stimme ergebenſt zu bitten. Dieſe wider- wärtigen Erſcheinung iſt bei den jungen Männern, die den Doctortitel erreichen und auf dieſe Art die Würde ihres Berufes herabſetzen, glücklicher Weiſe eine ſeltene: aber aus Erfahrung weiß man, daß die ärztlichen Epigonen, insbeſondere des jüdiſchen Stammes, zum Zwecke des Erreichens eines noch ſo minimalen Fixums, ſo und ähnlich thun, ja ſelbſt weniger anſtändiger Mittel ſich zu bedienen nicht ſcheuen. Und von wo ſtammt dieſe Demoraliſation des gegenwärtigen wiſſenſchaftlichen Nachwuchſes?! Das Beiſpiel der Herren Profeſſoren an der Wiener Univerſität und deren Aſſiſtenten bleibt nicht ohne Ein- fluß auf die ihrer Obhut anvertrauten Studirenden. Was ſehen zum Beiſpiele die jungen Mediciner an der Mehrheit ihrer Lehrer in den praktiſchen Fächern? Nicht den rein idealen Drang nach Wiſſen, ſowie es vor Zeiten war, ſondern die nicht zu unter- drückende Sucht nach Ruhm und einen unlöſchbaren Durſt nach Gold. Mit Recht kann man „das goldene Kalb“ als Zeichen und Enblem auf das Gebäude der mediciniſchen Facultät ſtellen. Dann darf man ſich aber allerdings auch nicht wundern, daß der junge Mann in die Praxis tretend, wo ihm dann der harte Exiſtenzkampf entgegentritt, ſich aller ſeiner Ideale entäußert um dem Ideale ſeiner Lehrer nachahmt, die ihn in der Regel ſehr wenig gelernt. Dieſes Geſchäft — die Studirenden ſelbſt zu unterrichten — überläßt die Mehrheit der Herren Profeſſoren ihren Aſſiſtenten und trachtet nur mit aller Macht die „goldene“ Praxis zu erlangen. Letztere Situationen haben die Söhne ſehr reicher Eltern, hoher Beamten und in erſter Linie die Söhne der Herren Profeſſoren ſelbſt. Das ſind Männer, für die Erlangung des Katheders im Vorhinein beſtimmt. Man ſieht in Wien ſehr ſelten, daß es einem Manne

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 6, Wien, 08.01.1895, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost006_1895/2>, abgerufen am 21.11.2024.