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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 74. Leipzig (Sachsen), 25. Mai 1854.

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[Beginn Spaltensatz] dier aber ging mit geschultertem Gewehr in der Nähe
des Platzes auf und ab. Jhm grauste wol bis in das
tiefste Mark, er hatte seinen Mantel über das Gesicht
geschlagen und wandelte langsam auf und nieder.

Maria hatte sich in die schwarze Faldetta gehüllt,
daß in der Nacht ihre Gestalt leichter verschwände. Ein
Gebet schickte sie zur heiligen Jungfrau der Schmer-
zensmutter, daß sie ihr helfen solle, und dann schritt
sie rasch zu dem Gerüste. Der siebente Todte war es
-- sie löste Bernardo; ihr Herz und ein Schimmer
von seinem Todtengesicht sagten ihr, daß er es war,
auch in der dunkeln Nacht. Maria nahm den Todten
auf ihre Arme, auf ihre Schulter. Sie war stark ge-
worden wie von Manneskraft und trug den Todten
in die Kirche des heiligen Franciscus.

Da setzte sie sich erschöpft auf die Stufen eines
Altars, über dem das Muttergotteslämpchen brannte.
Der todte Bernardo lag auf ihren Knien, wie der
todte Christus auf den Knien Maria's lag. Piet a
nennt man dieses Bild im Süden.

Kein Laut in der Kirche. Die Muttergotteslampe
flimmert. Draußen ein Windstoß, der vorüberpfeift.

Da erhob sich Maria. Sie ließ den todten Ber-
nardo auf die Stufen des Altars niedergleiten, ging
an die Stelle, wo das Grab von Bernardo's Vätern
lag, und öffnete dasselbe. Dann nahm sie den Todten,
küßte ihn und senkte ihn in das Grab hinunter, das
sie wieder schloß. Maria kniete lange vor dem Bilde
der Mutter Gottes und betete, daß Bernardo's Seele
Friede habe im Himmel, und dann ging sie still hin-
weg in ihr Haus und ihre Kammer.

Als der Morgen anbrach, fehlte von den Todten
auf dem Klosterplatze Bernardo's Leiche. Die Kunde
flog durch das Dorf, daß sie verschwunden sei und die
Soldaten trommelten Allarm. Man zweifelte nicht,
daß die Familie Leccia ihren Verwandten Nachts von
dem Gerüste genommen habe und auf der Stelle drang
man in ihr Haus, nahm sie gefangen und warf sie
mit Ketten geschlossen in den Thurm. Nach dem Ge-
setze des Todes schuldig, sollten sie den Tod erleiden,
obgleich sie die That leugneten.

Was geschehen war, hörte Maria Gentili in ihrer
Kammer. Ohne ein Wort zu sagen, eilte sie aus dem
Hause zu dem Grafen de Vaux, welcher nach Oletta
gekommen war. Sie warf sich ihm zu Füßen und
bat um die Freilassung der Gefangenen. Sie bekannte
sich zu der That. Jch habe meinen Geliebten begra-
ben, sagte sie, ich bin des Todes schuldig, hier ist
mein Haupt; aber laßt die in Freiheit, welche un-
schuldig leiden.

Der Graf wollte anfangs Dem nicht trauen, was
er hörte, denn er hielt es für unmöglich, sowol daß
ein schwaches Mädchen einen solchen Heldenmuth be-
sitzen, als daß es die Kraft haben könne, zu vollbrin-
gen, was Maria vollbrachte. Als er sich nun von der
Wahrheit ihrer Aussage überzeugt hatte, stand er tief
erschüttert und zu Thränen gerührt. Geh', sagte er,
großherziges Mädchen und löse selbst deines Bräuti-
gams Verwandte, und möge Gott deinen Heldenmuth
belohnen.

Am selbigen Tage nahm man die sechs Gerichte-
ten vom Gerüste und gab ihnen allen ein christliches
Begräbniß.

    ( Nach Gregorovius' "Corsica " )



[Spaltenumbruch]
Der Orient in Paris.

Die ernsten Ereignisse unserer Tage gewinnen auf die
Moden der Franzosen gewaltigen Einfluß. Turban
und Fez -- gegen Hüte eine gar malerische Tracht --
werden in Paris jetzt mehr als je getragen. Am meisten
aber tragen die Taschentücher das Gepräge der orienta-
lischen Krise an sich. Ueberall werden Taschentücher
mit den Bildnissen des Sultans, Omer=Pascha's und
anderer türkischer Notabilitäten, mit dem Flottenbrande
von Sinope, mit Versen aus dem Koran u. s. w.
auf den Boulevards feilgeboten und meist abgesetzt.
Schon gibt es osmanische Westen, Damenkleider mit
bunten orientalischen Mustern, Armbänder in Form von
Roßschweifen oder geschmückt mit Halbmonden.



Die königliche Victoria.
( Beschluß. )

Die Victoria regia ist ein Nymphäe in kolossalem
Verhältniß. Der Wurzelstock steht senkrecht, von ihm
aus gehen in Spiralordnung die sehr lang gestielten
Blätter; diese selbst schwimmen auf dem Wasser, sind
schildförmig, kreisrund, vorn und hinten ausgerandet,
am Rande in der Regel schüsselförmig erhoben, viel-
adrig, oben ganz kahl, unten haben sie netzförmig ver-
breitete, sehr stark hervortretende Rippen, letztere sind,
wie Blatt= und Blütenstiele, violettroth und mit schar-
fen Dornen besetzt. Auch der violette, mit dem Frucht-
knoten verwachsene, vierspaltige, glockenförmige Kelch
ist scharfdornig Die große Blüte enthält zahlreiche
Blumenblätter. Die Blüte öffnet sich nur Abends,
bleibt die Nacht geöffnet und schließt sich wieder vor
Tagesanbruch, am zweiten Abend öffnet sie sich wie-
der, schließt sich gegen Morgen, um nie wieder auf-
zugehen. Das erste mal erscheint die Blüte schnee-
weiß, indem sich nur die ersten Reihen der Blumen-
blätter öffnen, wobei sie einen kostbaren, den Oran-
genblüten ähnlichen Wohlgeruch aushaucht. Beim zwei-
ten male breiten sich sämmtliche Blumenblätter aus
und diese sind blaßroth, die innerste Reihe purpur-
roth. Die zahlreich vorhandenen Staubgefäße gehen
theilweise in Blumenblätter über und diese letztern bil-
den um die unveränderten Staubgefäße einen großen
purpurnen Kranz. Die Frucht ist glocken= oder becher-
förmig und enthält mehre vielsamige Fächer. Die Sa-
men sind eirund, kuglig und nußartig, frisch grün,
später dunkelbraun. Der Umfang der Blüte ist bei
vollständiger Ausbildung 3 Fuß, der der Blätter
18 Fuß.

Um die Pflanze bei uns zu ziehen, müssen beson-
dere Gewächshäuser gebaut werden, welche man Victo-
riahäuser nennt. Gewöhnlich sind die Wände aus
Eisen und Glas gebildet. Jn der Mitte eines solchen
Hauses befindet sich ein großes Bassin, in welchem das
Wasser mittels einer durchgehenden Heizröhre erwärmt
werden kann. Auf dem Enden des Bassins befindet
sich eine Schicht Erde, in welche der Same eingesteckt
wird. Die Temperatur des Beckens muß während des
Keimens 25--30° Reaumur betragen, späterhin darf
sie nicht über 23 / und nicht unter 19° sein.

Jnteressant sind die Schilderungen der Reisenden,
welche die Victoria regia entdeckten; sie können nicht
Worte finden, um den Eindruck genügend zu schil-
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] dier aber ging mit geschultertem Gewehr in der Nähe
des Platzes auf und ab. Jhm grauste wol bis in das
tiefste Mark, er hatte seinen Mantel über das Gesicht
geschlagen und wandelte langsam auf und nieder.

Maria hatte sich in die schwarze Faldetta gehüllt,
daß in der Nacht ihre Gestalt leichter verschwände. Ein
Gebet schickte sie zur heiligen Jungfrau der Schmer-
zensmutter, daß sie ihr helfen solle, und dann schritt
sie rasch zu dem Gerüste. Der siebente Todte war es
— sie löste Bernardo; ihr Herz und ein Schimmer
von seinem Todtengesicht sagten ihr, daß er es war,
auch in der dunkeln Nacht. Maria nahm den Todten
auf ihre Arme, auf ihre Schulter. Sie war stark ge-
worden wie von Manneskraft und trug den Todten
in die Kirche des heiligen Franciscus.

Da setzte sie sich erschöpft auf die Stufen eines
Altars, über dem das Muttergotteslämpchen brannte.
Der todte Bernardo lag auf ihren Knien, wie der
todte Christus auf den Knien Maria's lag. Piet à
nennt man dieses Bild im Süden.

Kein Laut in der Kirche. Die Muttergotteslampe
flimmert. Draußen ein Windstoß, der vorüberpfeift.

Da erhob sich Maria. Sie ließ den todten Ber-
nardo auf die Stufen des Altars niedergleiten, ging
an die Stelle, wo das Grab von Bernardo's Vätern
lag, und öffnete dasselbe. Dann nahm sie den Todten,
küßte ihn und senkte ihn in das Grab hinunter, das
sie wieder schloß. Maria kniete lange vor dem Bilde
der Mutter Gottes und betete, daß Bernardo's Seele
Friede habe im Himmel, und dann ging sie still hin-
weg in ihr Haus und ihre Kammer.

Als der Morgen anbrach, fehlte von den Todten
auf dem Klosterplatze Bernardo's Leiche. Die Kunde
flog durch das Dorf, daß sie verschwunden sei und die
Soldaten trommelten Allarm. Man zweifelte nicht,
daß die Familie Leccia ihren Verwandten Nachts von
dem Gerüste genommen habe und auf der Stelle drang
man in ihr Haus, nahm sie gefangen und warf sie
mit Ketten geschlossen in den Thurm. Nach dem Ge-
setze des Todes schuldig, sollten sie den Tod erleiden,
obgleich sie die That leugneten.

Was geschehen war, hörte Maria Gentili in ihrer
Kammer. Ohne ein Wort zu sagen, eilte sie aus dem
Hause zu dem Grafen de Vaux, welcher nach Oletta
gekommen war. Sie warf sich ihm zu Füßen und
bat um die Freilassung der Gefangenen. Sie bekannte
sich zu der That. Jch habe meinen Geliebten begra-
ben, sagte sie, ich bin des Todes schuldig, hier ist
mein Haupt; aber laßt die in Freiheit, welche un-
schuldig leiden.

Der Graf wollte anfangs Dem nicht trauen, was
er hörte, denn er hielt es für unmöglich, sowol daß
ein schwaches Mädchen einen solchen Heldenmuth be-
sitzen, als daß es die Kraft haben könne, zu vollbrin-
gen, was Maria vollbrachte. Als er sich nun von der
Wahrheit ihrer Aussage überzeugt hatte, stand er tief
erschüttert und zu Thränen gerührt. Geh', sagte er,
großherziges Mädchen und löse selbst deines Bräuti-
gams Verwandte, und möge Gott deinen Heldenmuth
belohnen.

Am selbigen Tage nahm man die sechs Gerichte-
ten vom Gerüste und gab ihnen allen ein christliches
Begräbniß.

    ( Nach Gregorovius' „Corsica “ )



[Spaltenumbruch]
Der Orient in Paris.

Die ernsten Ereignisse unserer Tage gewinnen auf die
Moden der Franzosen gewaltigen Einfluß. Turban
und Fez — gegen Hüte eine gar malerische Tracht —
werden in Paris jetzt mehr als je getragen. Am meisten
aber tragen die Taschentücher das Gepräge der orienta-
lischen Krise an sich. Ueberall werden Taschentücher
mit den Bildnissen des Sultans, Omer=Pascha's und
anderer türkischer Notabilitäten, mit dem Flottenbrande
von Sinope, mit Versen aus dem Koran u. s. w.
auf den Boulevards feilgeboten und meist abgesetzt.
Schon gibt es osmanische Westen, Damenkleider mit
bunten orientalischen Mustern, Armbänder in Form von
Roßschweifen oder geschmückt mit Halbmonden.



Die königliche Victoria.
( Beschluß. )

Die Victoria regia ist ein Nymphäe in kolossalem
Verhältniß. Der Wurzelstock steht senkrecht, von ihm
aus gehen in Spiralordnung die sehr lang gestielten
Blätter; diese selbst schwimmen auf dem Wasser, sind
schildförmig, kreisrund, vorn und hinten ausgerandet,
am Rande in der Regel schüsselförmig erhoben, viel-
adrig, oben ganz kahl, unten haben sie netzförmig ver-
breitete, sehr stark hervortretende Rippen, letztere sind,
wie Blatt= und Blütenstiele, violettroth und mit schar-
fen Dornen besetzt. Auch der violette, mit dem Frucht-
knoten verwachsene, vierspaltige, glockenförmige Kelch
ist scharfdornig Die große Blüte enthält zahlreiche
Blumenblätter. Die Blüte öffnet sich nur Abends,
bleibt die Nacht geöffnet und schließt sich wieder vor
Tagesanbruch, am zweiten Abend öffnet sie sich wie-
der, schließt sich gegen Morgen, um nie wieder auf-
zugehen. Das erste mal erscheint die Blüte schnee-
weiß, indem sich nur die ersten Reihen der Blumen-
blätter öffnen, wobei sie einen kostbaren, den Oran-
genblüten ähnlichen Wohlgeruch aushaucht. Beim zwei-
ten male breiten sich sämmtliche Blumenblätter aus
und diese sind blaßroth, die innerste Reihe purpur-
roth. Die zahlreich vorhandenen Staubgefäße gehen
theilweise in Blumenblätter über und diese letztern bil-
den um die unveränderten Staubgefäße einen großen
purpurnen Kranz. Die Frucht ist glocken= oder becher-
förmig und enthält mehre vielsamige Fächer. Die Sa-
men sind eirund, kuglig und nußartig, frisch grün,
später dunkelbraun. Der Umfang der Blüte ist bei
vollständiger Ausbildung 3 Fuß, der der Blätter
18 Fuß.

Um die Pflanze bei uns zu ziehen, müssen beson-
dere Gewächshäuser gebaut werden, welche man Victo-
riahäuser nennt. Gewöhnlich sind die Wände aus
Eisen und Glas gebildet. Jn der Mitte eines solchen
Hauses befindet sich ein großes Bassin, in welchem das
Wasser mittels einer durchgehenden Heizröhre erwärmt
werden kann. Auf dem Enden des Bassins befindet
sich eine Schicht Erde, in welche der Same eingesteckt
wird. Die Temperatur des Beckens muß während des
Keimens 25—30° Réaumur betragen, späterhin darf
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Jnteressant sind die Schilderungen der Reisenden,
welche die Victoria regia entdeckten; sie können nicht
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[Ende Spaltensatz]

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 74. Leipzig (Sachsen), 25. Mai 1854, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig074_1854/3>, abgerufen am 16.07.2024.