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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 74. Leipzig (Sachsen), 25. Mai 1854.

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[Beginn Spaltensatz]

Grabesstille herrschte nun in Oletta.

Da verließ eines Tages ein Jüngling, Giulio Sa-
liceti, ohne Erlaubniß der französischen Wache sein
Dorf, um auf die Campagna hinauszugehen. Als er
wieder zurückkehrte, wurde er festgenommen und in
den Kerker geworfen; doch gab man ihm nach kurzer
Zeit die Freiheit zurück.

Der Jüngling ging aus dem Kerker nach dem
Hause seiner Verwandten, den Groll im Herzen, daß
ihm der Feind eine Schmach angethan. Er murmelte
etwas vor sich hin, und das war wol ein Fluch gegen
die verhaßten Franzosen. Ein Sergeant hörte, was
Giulio murmelte und gab ihm einen Schlag ins Ge-
sicht. Dies geschah vor dem Fenster des Hauses, und
am Fenster stand eben der Abt Saliceti, Giulio's
Verwandter, den das Volk Peverino nannte, das heißt
spanischer Pfeffer, weil er ein hitziger und jäher Mann
war. Wie Peverino den Schlag ins Antlitz seines
Verwandten fallen sah, war es ihm, als sollte ihm
das Herz im Leibe verbrennen.

Als nun Giulio seiner Sinne nicht mächtig in das
Haus stürzte, nahm ihn Peverino in seine Kammer.
Nach einer Weile sah man beide Männer heraustre-
ten, ruhig, doch unheimlich ernst.

Nachts stiegen heimlich andere Männer in das
Hans Saliceti, saßen zusammen und beriethen sich.
Was sie beriethen, war dies: sie wollten die Kirche
von Oletta, welche die Franzosen in ihre Kaserne ver-
wandelt hatten, in die Luft sprengen, dadurch sich ret-
ten und sich befreien.

Sie gruben eine Mine von Saliceti's Hause bis
unter die Kirche, und nachdem sie sich dahin durchge-
wühlt hatten, füllten sie den Minengang mit all dem
Pulver, welches sie versteckt gehalten hatten.

Am 13. Februar des Jahres 1769 gegen die
Nacht sollte die Kirche auffliegen.

Dem Giulio war das Herz vor Jngrimm so klein
geworden wie eine Flintenkugel. Morgen, sagte er
zitternd, morgen! Laßt mich die Lunte anlegen. Sie
haben mich ins Gesicht geschlagen, ich will ihnen einen
Schlag geben, der soll sie bis in die Wolken schleudern;
ich will sie aus Oletta hinauswettern mit einem Schusse
wie das Blei aus einer Tromba.

Aber die Weiber und Kinder und die es nicht
wissen? Die Explosion wird die nächsten Häuser mit-
reißen und die ganze Nachbarschaft.

Man muß sie warnen. Man muß ihnen unter
irgend einem Vorwande befehlen, um die gewisse
Stunde nach dem andern Ende des Dorfs zu gehen,
und das in aller Stille.

So thaten die verschworenen Männer.

Als nun die fürchterliche Stunde des morgenden
Abends kam, sah man Greise, Männer, Weiber, Kin-
der stumm und in ungewisser Furcht, scheu, heimlich
und schnell nach dem andern Ende des Dorfs gehen
und dort sich sammeln.

Da schöpften die Franzosen Argwohn und ein
Bote vom General Grand=Maison kam herbeigesprengt,
der gab jählings Kunde von Dem, was man diesem
bereits gemeldet hatte. Denn Jemand hatte den An-
schlag verrathen. Augenblicklich warfen sich die Fran-
zosen auf Saliceti's Haus und die Pulvermine und
verhinderten das höllische Unternehmen.

Saliceti mit einem kleinen Theile der Verschwore-
nen hieb sich mit verzweifeltem Muthe durch und ent-
kam glücklich aus Oletta. Andere aber wurden er-
griffen und in Ketten gelegt. Das Kriegsgericht ver-
urtheilte 14 Tapfere zum Tode durch das Rad
[Spaltenumbruch] und an sieben Unglücklichen wurde die Strafe wirklich
vollzogen.

Sieben Leichname sah man auf dem Platze vor
dem Kloster von Oletta öffentlich ausgestellt. Kein
Grab sollte ihnen werden. Der französische Comman-
dant hatte das Gebot erlassen, daß Der des Todes
schuldig sein solle, welcher einen der Todten vom Ge-
rüste nehmen und begraben würde.

Auf dem Dorfe Oletta lag das Entsetzen. Der
Todesschauer hatte jedes Herz ergriffen. Keine mensch-
liche Seele zeigte sich auf den Straßen; das Feuer auf
den Heerden war erloschen, jede Stimme todt außer
der des Weinens. Sie saßen in den Häusern und
ihre Gedanken starrten unablässig nach dem Kloster-
platze, wo die sieben Leichen auf dem Gerüste lagen.

Es kam die erste Nacht. Da saß auf ihrem Bette
in der Kammer Maria Gentili Montalti. Sie weinte
nicht, sie saß, das Antlitz auf die Brust gebeugt, die
Hände im Schoose, die Augen geschlossen. Manchmal
schluchzte ihre Seele auf.

Es war ihr, als riefe durch die Stille der Nacht
eine Stimme: O Mar i!

Die Todten rufen manchmal in der stillen Nacht
den Namen Dessen, den sie geliebt haben. Wer ant-
wortet, muß sterben.

O Bernardo! rief Maria; denn sie wollte sterben.

Bernardo aber lag vor dem Kloster auf dem Ge-
rüste und von den Todten war er der jüngste und der
siebente. Er war Maria's Verlobter, im folgenden
Monate sollte die Hochzeit sein. Nun lag er todt auf
dem Blutgerüste.

Maria Gentili stand in der dunkeln Kammer still,
sie horchte gegen die Seite hin, wo der Klosterplatz
lag, und ihre Seele hielt Zwiesprache mit einem Geiste.
Bernardo schien sie zu bitten um ein christliches Be-
gräbniß.

Der aber sollte des Todes schuldig sein, welcher
einen Todten vom Gerüste nehmen und begraben
würde. Maria wollte ihren Verlobten begraben und
dann sterben.

Sie öffnete leise die Thüre ihrer Kammer, um das
Haus zu verlassen. Sie schritt durch das Zimmer, in
welchem ihre greisen Ältern schliefen, trat an ihr La-
ger und lauschte den Athemzügen ihres Schlafs. Da
fing ihr Herz an zu zittern, denn sie war das einzige
Kind ihrer Aeltern und ihr Stab, und wie sie be-
dachte, daß ihr Tod durch Henkershand Vater und
Mutter in die Grube beugen würde, schwankte ihr die
Seele in großem Leide und sie that einen Schritt zu-
rück nach ihrer Kammer.

Da hörte sie wieder die Todtenstimme klagen: --
O Mar i! -- O Mar i, ich habe dich so sehr geliebt
und nun willst du mich verlassen? Jn meinem ge-
brochenen Leibe liegt das Herz, das in Liebe zu dir
gestorben ist -- begrabe mich, in der Kirche des Fran-
ciscus, im Grabe meiner Väter... o Mar i...

Maria öffnete die Thür des Hauses und trat in
die Nacht hinaus. Sie wankte nach dem Klosterplatze.
Die Nacht war finster. Manchmal kam der Sturm
und fegte die Wolken hinweg, daß der Mond hinun-
terschien. Wenn sein Strahl auf den Klosterplatz fiel,
war es, als wollte das Licht des Himmels nicht sehen,
was es sah, und der Mond zog die schwarzen Wol-
kenschleier wieder vor. Denn vor dem Kloster lagen
auf dem rothen Gerüste sieben Leichen, eine neben der
andern, und die siebente war eines Jünglings Leiche.

Die Eule und der Rabe schrien auf dem Thurme,
die sangen den Vocero, die Todtenklage. Ein Grena-
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]

Grabesstille herrschte nun in Oletta.

Da verließ eines Tages ein Jüngling, Giulio Sa-
liceti, ohne Erlaubniß der französischen Wache sein
Dorf, um auf die Campagna hinauszugehen. Als er
wieder zurückkehrte, wurde er festgenommen und in
den Kerker geworfen; doch gab man ihm nach kurzer
Zeit die Freiheit zurück.

Der Jüngling ging aus dem Kerker nach dem
Hause seiner Verwandten, den Groll im Herzen, daß
ihm der Feind eine Schmach angethan. Er murmelte
etwas vor sich hin, und das war wol ein Fluch gegen
die verhaßten Franzosen. Ein Sergeant hörte, was
Giulio murmelte und gab ihm einen Schlag ins Ge-
sicht. Dies geschah vor dem Fenster des Hauses, und
am Fenster stand eben der Abt Saliceti, Giulio's
Verwandter, den das Volk Peverino nannte, das heißt
spanischer Pfeffer, weil er ein hitziger und jäher Mann
war. Wie Peverino den Schlag ins Antlitz seines
Verwandten fallen sah, war es ihm, als sollte ihm
das Herz im Leibe verbrennen.

Als nun Giulio seiner Sinne nicht mächtig in das
Haus stürzte, nahm ihn Peverino in seine Kammer.
Nach einer Weile sah man beide Männer heraustre-
ten, ruhig, doch unheimlich ernst.

Nachts stiegen heimlich andere Männer in das
Hans Saliceti, saßen zusammen und beriethen sich.
Was sie beriethen, war dies: sie wollten die Kirche
von Oletta, welche die Franzosen in ihre Kaserne ver-
wandelt hatten, in die Luft sprengen, dadurch sich ret-
ten und sich befreien.

Sie gruben eine Mine von Saliceti's Hause bis
unter die Kirche, und nachdem sie sich dahin durchge-
wühlt hatten, füllten sie den Minengang mit all dem
Pulver, welches sie versteckt gehalten hatten.

Am 13. Februar des Jahres 1769 gegen die
Nacht sollte die Kirche auffliegen.

Dem Giulio war das Herz vor Jngrimm so klein
geworden wie eine Flintenkugel. Morgen, sagte er
zitternd, morgen! Laßt mich die Lunte anlegen. Sie
haben mich ins Gesicht geschlagen, ich will ihnen einen
Schlag geben, der soll sie bis in die Wolken schleudern;
ich will sie aus Oletta hinauswettern mit einem Schusse
wie das Blei aus einer Tromba.

Aber die Weiber und Kinder und die es nicht
wissen? Die Explosion wird die nächsten Häuser mit-
reißen und die ganze Nachbarschaft.

Man muß sie warnen. Man muß ihnen unter
irgend einem Vorwande befehlen, um die gewisse
Stunde nach dem andern Ende des Dorfs zu gehen,
und das in aller Stille.

So thaten die verschworenen Männer.

Als nun die fürchterliche Stunde des morgenden
Abends kam, sah man Greise, Männer, Weiber, Kin-
der stumm und in ungewisser Furcht, scheu, heimlich
und schnell nach dem andern Ende des Dorfs gehen
und dort sich sammeln.

Da schöpften die Franzosen Argwohn und ein
Bote vom General Grand=Maison kam herbeigesprengt,
der gab jählings Kunde von Dem, was man diesem
bereits gemeldet hatte. Denn Jemand hatte den An-
schlag verrathen. Augenblicklich warfen sich die Fran-
zosen auf Saliceti's Haus und die Pulvermine und
verhinderten das höllische Unternehmen.

Saliceti mit einem kleinen Theile der Verschwore-
nen hieb sich mit verzweifeltem Muthe durch und ent-
kam glücklich aus Oletta. Andere aber wurden er-
griffen und in Ketten gelegt. Das Kriegsgericht ver-
urtheilte 14 Tapfere zum Tode durch das Rad
[Spaltenumbruch] und an sieben Unglücklichen wurde die Strafe wirklich
vollzogen.

Sieben Leichname sah man auf dem Platze vor
dem Kloster von Oletta öffentlich ausgestellt. Kein
Grab sollte ihnen werden. Der französische Comman-
dant hatte das Gebot erlassen, daß Der des Todes
schuldig sein solle, welcher einen der Todten vom Ge-
rüste nehmen und begraben würde.

Auf dem Dorfe Oletta lag das Entsetzen. Der
Todesschauer hatte jedes Herz ergriffen. Keine mensch-
liche Seele zeigte sich auf den Straßen; das Feuer auf
den Heerden war erloschen, jede Stimme todt außer
der des Weinens. Sie saßen in den Häusern und
ihre Gedanken starrten unablässig nach dem Kloster-
platze, wo die sieben Leichen auf dem Gerüste lagen.

Es kam die erste Nacht. Da saß auf ihrem Bette
in der Kammer Maria Gentili Montalti. Sie weinte
nicht, sie saß, das Antlitz auf die Brust gebeugt, die
Hände im Schoose, die Augen geschlossen. Manchmal
schluchzte ihre Seele auf.

Es war ihr, als riefe durch die Stille der Nacht
eine Stimme: O Mar ì!

Die Todten rufen manchmal in der stillen Nacht
den Namen Dessen, den sie geliebt haben. Wer ant-
wortet, muß sterben.

O Bernardo! rief Maria; denn sie wollte sterben.

Bernardo aber lag vor dem Kloster auf dem Ge-
rüste und von den Todten war er der jüngste und der
siebente. Er war Maria's Verlobter, im folgenden
Monate sollte die Hochzeit sein. Nun lag er todt auf
dem Blutgerüste.

Maria Gentili stand in der dunkeln Kammer still,
sie horchte gegen die Seite hin, wo der Klosterplatz
lag, und ihre Seele hielt Zwiesprache mit einem Geiste.
Bernardo schien sie zu bitten um ein christliches Be-
gräbniß.

Der aber sollte des Todes schuldig sein, welcher
einen Todten vom Gerüste nehmen und begraben
würde. Maria wollte ihren Verlobten begraben und
dann sterben.

Sie öffnete leise die Thüre ihrer Kammer, um das
Haus zu verlassen. Sie schritt durch das Zimmer, in
welchem ihre greisen Ältern schliefen, trat an ihr La-
ger und lauschte den Athemzügen ihres Schlafs. Da
fing ihr Herz an zu zittern, denn sie war das einzige
Kind ihrer Aeltern und ihr Stab, und wie sie be-
dachte, daß ihr Tod durch Henkershand Vater und
Mutter in die Grube beugen würde, schwankte ihr die
Seele in großem Leide und sie that einen Schritt zu-
rück nach ihrer Kammer.

Da hörte sie wieder die Todtenstimme klagen: —
O Mar ì! — O Mar ì, ich habe dich so sehr geliebt
und nun willst du mich verlassen? Jn meinem ge-
brochenen Leibe liegt das Herz, das in Liebe zu dir
gestorben ist — begrabe mich, in der Kirche des Fran-
ciscus, im Grabe meiner Väter... o Mar ì...

Maria öffnete die Thür des Hauses und trat in
die Nacht hinaus. Sie wankte nach dem Klosterplatze.
Die Nacht war finster. Manchmal kam der Sturm
und fegte die Wolken hinweg, daß der Mond hinun-
terschien. Wenn sein Strahl auf den Klosterplatz fiel,
war es, als wollte das Licht des Himmels nicht sehen,
was es sah, und der Mond zog die schwarzen Wol-
kenschleier wieder vor. Denn vor dem Kloster lagen
auf dem rothen Gerüste sieben Leichen, eine neben der
andern, und die siebente war eines Jünglings Leiche.

Die Eule und der Rabe schrien auf dem Thurme,
die sangen den Vocero, die Todtenklage. Ein Grena-
[Ende Spaltensatz]

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Bernardo schien sie zu bitten um ein christliches Be- gräbniß. Der aber sollte des Todes schuldig sein, welcher einen Todten vom Gerüste nehmen und begraben würde. Maria wollte ihren Verlobten begraben und dann sterben. Sie öffnete leise die Thüre ihrer Kammer, um das Haus zu verlassen. Sie schritt durch das Zimmer, in welchem ihre greisen Ältern schliefen, trat an ihr La- ger und lauschte den Athemzügen ihres Schlafs. Da fing ihr Herz an zu zittern, denn sie war das einzige Kind ihrer Aeltern und ihr Stab, und wie sie be- dachte, daß ihr Tod durch Henkershand Vater und Mutter in die Grube beugen würde, schwankte ihr die Seele in großem Leide und sie that einen Schritt zu- rück nach ihrer Kammer. Da hörte sie wieder die Todtenstimme klagen: — O Mar ì! — O Mar ì, ich habe dich so sehr geliebt und nun willst du mich verlassen? Jn meinem ge- brochenen Leibe liegt das Herz, das in Liebe zu dir gestorben ist — begrabe mich, in der Kirche des Fran- ciscus, im Grabe meiner Väter... o Mar ì... Maria öffnete die Thür des Hauses und trat in die Nacht hinaus. Sie wankte nach dem Klosterplatze. Die Nacht war finster. Manchmal kam der Sturm und fegte die Wolken hinweg, daß der Mond hinun- terschien. Wenn sein Strahl auf den Klosterplatz fiel, war es, als wollte das Licht des Himmels nicht sehen, was es sah, und der Mond zog die schwarzen Wol- kenschleier wieder vor. Denn vor dem Kloster lagen auf dem rothen Gerüste sieben Leichen, eine neben der andern, und die siebente war eines Jünglings Leiche. Die Eule und der Rabe schrien auf dem Thurme, die sangen den Vocero, die Todtenklage. Ein Grena-

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

Weitere Informationen:

Siehe Dokumentation




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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 74. Leipzig (Sachsen), 25. Mai 1854, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig074_1854/2>, abgerufen am 06.06.2024.