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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge, Erster Jahrgang, Nr. 27. Leipzig (Sachsen), 8. Juli 1843.

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[Beginn Spaltensatz] oben von schmalen Bändern aus flachgedrückten Stroh-
halmen oder Weidenruthen gekreuzt. Mit ihrem Kinde
auf dem Kopfe geht eine Bäuerin an Werkeltagen auf
den entferntesten Markt oder an Sonn= und Festtagen
meilenweit zur Messe. Wenn das Kind schläft und ru-
hig ist, nimmt sie ihren Spinnrocken, der immer an
ihrem Gürtel hängt, und geht spinnend und singend und
den Korb auf dem Kopfe wiegend, einher. Wasser wird
auf gleiche Weise transportirt und von den Händen da-
bei kein anderer Gebrauch gemacht, als das Wassergefäß
auf den Kopf zu bringen. Diese Sitte des Wasserfort-
schaffens ist auch den indischen Frauen eigen und soll
großen Antheil an der anmuthigen Leichtigkeit haben,
mit der sie einhergehen.



Malaiische Rache.

Auf der Küste Koromandel unweit Madras lebte Herr
T., ein Mann von seltener Herzensgüte, geliebt von allen
Denen, die mit ihm zu thun hatten, besonders von sei-
nen Dienern, die er mit väterlicher Milde behandelte.
Er war der glückliche Vater von drei hoffnungsvollen
Kindern und hatte eine Frau, die außer einer großen
Heftigkeit keinen einzigen jener Fehler besaß, die reichen
Frauen eigen zu sein pflegen. Sie besaß ein edles Herz
und die besten Absichten von der Welt.

Geschäftsangelegenheiten nöthigten Herrn T. biswei-
len, die Seinigen auf einige Zeit zu verlassen. Als er
sich einst auf einer solchen Geschäftsreise befand, vermißte
Madame T. einen prächtigen Smaragdhalsschmuck, der
ihr über Alles werth war. Sie ließ alle Winkel der
Wohnung durchforschen und jeden Diener durchsuchen,
aber der Halsschmuck war nicht aufzufinden. Schon
gab Madame T. die Hoffnung auf, ihn wieder zu erlan-
gen, als man sich erinnerte, daß den Abend vorher ein
sechsjähriger Malaie, der mit den Kindern erzogen wurde,
einen Ring für Madame T. aus dem Kästchen geholt
hatte, in welchem der Schmuck bisher aufbewahrt gewe-
sen war. Konnte er nicht den Schmuck genommen und
verkauft haben? Dieser Verdacht bemächtigte sich wie
ein Blitz aller Seelen im Hause und wurde noch durch
den Umstand verstärkt, daß der Knabe seit einigen Tagen
mit Geld geprahlt hatte. Zwar behauptete er in dem
Verhöre, dem er unterworfen wurde, das Geld von sei-
nem Vater empfangen zu haben, und dieser bestätigte
seine Aussage, aber alle Welt hielt ihn dennoch für den
Schuldigen. Demzufolge befahl Madame T., den Kna-
ben durch die Peitsche zum Geständniß zu bringen. Der
unglückliche Vater warf sich ihr zu Füßen und bat sie
um Alles in der Welt, ihren Befehl zurückzunehmen,
aber sie war von der Schuld des jungen Malaien der-
gestalt überzeugt und durch sein hartnäckiges Leugnen so
aufgebracht, daß sie sich durch nichts erweichen ließ.

Der Knabe wurde also an einen Pfahl gebunden
und mit Ruthen gepeitscht. Der Vater, Zeuge dieses
traurigen Schauspiels, biß sich convulsivisch in die Lip-
pen, machte aber keinen Versuch mehr, das Schicksal
des Knaben zu mildern. Dieser ertrug die Schmerzen,
ohne einen einzigen Klagelaut auszustoßen. Nach 30
Hieben trug man ihn ohnmächtig in sein Bett, ohne
erfahren zu haben, was aus dem Halsschmucke gewor-
den sei. Den nächsten Morgen wurde die Auspeitschung
abermals vorgenommen, ohne zu einem andern Ziele zu
führen als die erste. Ebenso ging es am dritten. End-
lich beschloß Madame T. die Rückkehr ihres Mannes
abzuwarten, ehe sie zu neuen Maßregeln schreiten wollte.

[Spaltenumbruch]

Unterdessen erholte sich der Knabe wieder und ver-
richtete seine Dienste im Hause wie zuvor. Auch sein
Vater ließ keine Klage laut werden, obgleich er schwer
beleidigt schien, und arbeitete in dem ihm angewiesenen
Geschäftskreise wie gewöhnlich.

Herr T. kam endlich von seiner Reise zurück, die
sich um mehre Tage verspätet hatte, und breitete am
Morgen des nächsten Tages eine Menge kleiner Ge-
schenke, die er seiner Frau und seinen Kindern bestimmt
hatte, auf dem Frühstückstische aus.

Hier ist auch das Halsband, sagte er zu seiner Frau,
welches du mich zum Repariren mitzunehmen batest; ich
hoffe, du wirst nun zufrieden mit ihm sein.

Madame T. wurde bei Erblickung des Halsbandes
blaß wie eine Leiche und fiel vor innerer Bewegung in
Ohnmacht. Als sie wieder zu sich kam, brach sie in
einen Strom von Thränen und Klagen aus. Herr T.,
welcher den Grund dieses Zustandes seiner Frau nicht
kannte, wurde von einer unbeschreiblichen Angst ergriffen
und glaubte sie jeden Augenblick sterben zu sehen. "Jch
habe den armen Sidommy für den Dieb dieses Schmucks
gehalten", sagte sie mit herzzerreißender Stimme, "ich habe
einen Unschuldigen grausam züchtigen lassen."

Nachdem sich Herr T. Alles hatte ausführlich erzäh-
len lassen, ließ er sogleich Sidommy und seinen Vater
herbeirufen, erklärte dem jungen Malaien, daß seine Un-
schuld an den Tag gekommen und er das Opfer eines
unglücklichen Jrrthums gewesen wäre, und schenkte ihm
einen reichen europäischen Anzug, den er für seinen
Sohn mitgebracht hatte.

Sidommy war entzückt über dieses Geschenk und
stürzte mit Freudensprüngen aus dem Zimmer, um sei-
nen schönen Anzug zu probiren. Der Vater desselben
verneigte sich tief und folgte dem Knaben, ohne die Au-
gen zu erheben oder eine Sylbe zu sprechen.

Bald darauf kam der Knabe, mit Thränen in den
Augen, zurück und sagte seiner Herrin, daß sein Vater
das neue Kleid in Stücken zerrissen habe, behauptend,
daß kein europäischer Schmuck die Schande vertilgen
könnte, die ihm zugefügt worden wäre.

Herr T. war über diese Unverschämtheit seines Die-
ners höchst aufgebracht und wollte sie augenblicklich aufs
strengste bestrafen lassen; aber seine Frau bat für den
Diener und fand nach Dem, was vorgefallen war, sein
Benehmen sehr verzeihlich. Die Zeit, meinte sie, könne
seinen gerechten Zorn allein mildern. Man sprach daher
nicht weiter von der Sache und Alles ging wieder seinen
gewöhnlichen Gang.

Ungefähr zehn Tage darauf erhielt Herr T. einen
Brief von Madras, worin ihm die nahe Ankunft seiner
von ihm sehr geliebten Schwester gemeldet ward. Das
bewog ihn zu dem Entschlusse, derselben entgegen zu rei-
sen. Am Abend vor der Abreise bat ihn der Malaie,
seinen Sohn Sidommy mitzunehmen, eine Bitte, welche
Herr T. gern erfüllte, da er jede Gelegenheit benutzte,
den jungen Menschen für die unschuldigerweise empfan-
gene harte Behandlung zu entschädigen.

Herr T. nahm außerdem noch einen Freund mit und
kam ohne irgend einen Unfall nach Madras. Hier aber
erwartete ihn eine bittere Enttäuschung. Die Schwester
hatte nach dem Abgange ihres Briefs einen Offizier ken-
nen gelernt und demselben ihre Hand gegeben. Herr T.
hatte also die Reise umsonst gemacht und mußte ohne
die geliebte Schwester wieder zurückreisen. Er war sei-
nem Aufenthaltsorte schon sehr nahe, als er vor einem
kleinen Dorfe, das er zu passiren hatte, seine ganze Die-
nerschaft fand, die seine Ankunft erwartete. Verwundert
fragte er, was das bedeuten solle, und hörte, daß dies
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] oben von schmalen Bändern aus flachgedrückten Stroh-
halmen oder Weidenruthen gekreuzt. Mit ihrem Kinde
auf dem Kopfe geht eine Bäuerin an Werkeltagen auf
den entferntesten Markt oder an Sonn= und Festtagen
meilenweit zur Messe. Wenn das Kind schläft und ru-
hig ist, nimmt sie ihren Spinnrocken, der immer an
ihrem Gürtel hängt, und geht spinnend und singend und
den Korb auf dem Kopfe wiegend, einher. Wasser wird
auf gleiche Weise transportirt und von den Händen da-
bei kein anderer Gebrauch gemacht, als das Wassergefäß
auf den Kopf zu bringen. Diese Sitte des Wasserfort-
schaffens ist auch den indischen Frauen eigen und soll
großen Antheil an der anmuthigen Leichtigkeit haben,
mit der sie einhergehen.



Malaiische Rache.

Auf der Küste Koromandel unweit Madras lebte Herr
T., ein Mann von seltener Herzensgüte, geliebt von allen
Denen, die mit ihm zu thun hatten, besonders von sei-
nen Dienern, die er mit väterlicher Milde behandelte.
Er war der glückliche Vater von drei hoffnungsvollen
Kindern und hatte eine Frau, die außer einer großen
Heftigkeit keinen einzigen jener Fehler besaß, die reichen
Frauen eigen zu sein pflegen. Sie besaß ein edles Herz
und die besten Absichten von der Welt.

Geschäftsangelegenheiten nöthigten Herrn T. biswei-
len, die Seinigen auf einige Zeit zu verlassen. Als er
sich einst auf einer solchen Geschäftsreise befand, vermißte
Madame T. einen prächtigen Smaragdhalsschmuck, der
ihr über Alles werth war. Sie ließ alle Winkel der
Wohnung durchforschen und jeden Diener durchsuchen,
aber der Halsschmuck war nicht aufzufinden. Schon
gab Madame T. die Hoffnung auf, ihn wieder zu erlan-
gen, als man sich erinnerte, daß den Abend vorher ein
sechsjähriger Malaie, der mit den Kindern erzogen wurde,
einen Ring für Madame T. aus dem Kästchen geholt
hatte, in welchem der Schmuck bisher aufbewahrt gewe-
sen war. Konnte er nicht den Schmuck genommen und
verkauft haben? Dieser Verdacht bemächtigte sich wie
ein Blitz aller Seelen im Hause und wurde noch durch
den Umstand verstärkt, daß der Knabe seit einigen Tagen
mit Geld geprahlt hatte. Zwar behauptete er in dem
Verhöre, dem er unterworfen wurde, das Geld von sei-
nem Vater empfangen zu haben, und dieser bestätigte
seine Aussage, aber alle Welt hielt ihn dennoch für den
Schuldigen. Demzufolge befahl Madame T., den Kna-
ben durch die Peitsche zum Geständniß zu bringen. Der
unglückliche Vater warf sich ihr zu Füßen und bat sie
um Alles in der Welt, ihren Befehl zurückzunehmen,
aber sie war von der Schuld des jungen Malaien der-
gestalt überzeugt und durch sein hartnäckiges Leugnen so
aufgebracht, daß sie sich durch nichts erweichen ließ.

Der Knabe wurde also an einen Pfahl gebunden
und mit Ruthen gepeitscht. Der Vater, Zeuge dieses
traurigen Schauspiels, biß sich convulsivisch in die Lip-
pen, machte aber keinen Versuch mehr, das Schicksal
des Knaben zu mildern. Dieser ertrug die Schmerzen,
ohne einen einzigen Klagelaut auszustoßen. Nach 30
Hieben trug man ihn ohnmächtig in sein Bett, ohne
erfahren zu haben, was aus dem Halsschmucke gewor-
den sei. Den nächsten Morgen wurde die Auspeitschung
abermals vorgenommen, ohne zu einem andern Ziele zu
führen als die erste. Ebenso ging es am dritten. End-
lich beschloß Madame T. die Rückkehr ihres Mannes
abzuwarten, ehe sie zu neuen Maßregeln schreiten wollte.

[Spaltenumbruch]

Unterdessen erholte sich der Knabe wieder und ver-
richtete seine Dienste im Hause wie zuvor. Auch sein
Vater ließ keine Klage laut werden, obgleich er schwer
beleidigt schien, und arbeitete in dem ihm angewiesenen
Geschäftskreise wie gewöhnlich.

Herr T. kam endlich von seiner Reise zurück, die
sich um mehre Tage verspätet hatte, und breitete am
Morgen des nächsten Tages eine Menge kleiner Ge-
schenke, die er seiner Frau und seinen Kindern bestimmt
hatte, auf dem Frühstückstische aus.

Hier ist auch das Halsband, sagte er zu seiner Frau,
welches du mich zum Repariren mitzunehmen batest; ich
hoffe, du wirst nun zufrieden mit ihm sein.

Madame T. wurde bei Erblickung des Halsbandes
blaß wie eine Leiche und fiel vor innerer Bewegung in
Ohnmacht. Als sie wieder zu sich kam, brach sie in
einen Strom von Thränen und Klagen aus. Herr T.,
welcher den Grund dieses Zustandes seiner Frau nicht
kannte, wurde von einer unbeschreiblichen Angst ergriffen
und glaubte sie jeden Augenblick sterben zu sehen. „Jch
habe den armen Sidommy für den Dieb dieses Schmucks
gehalten“, sagte sie mit herzzerreißender Stimme, „ich habe
einen Unschuldigen grausam züchtigen lassen.“

Nachdem sich Herr T. Alles hatte ausführlich erzäh-
len lassen, ließ er sogleich Sidommy und seinen Vater
herbeirufen, erklärte dem jungen Malaien, daß seine Un-
schuld an den Tag gekommen und er das Opfer eines
unglücklichen Jrrthums gewesen wäre, und schenkte ihm
einen reichen europäischen Anzug, den er für seinen
Sohn mitgebracht hatte.

Sidommy war entzückt über dieses Geschenk und
stürzte mit Freudensprüngen aus dem Zimmer, um sei-
nen schönen Anzug zu probiren. Der Vater desselben
verneigte sich tief und folgte dem Knaben, ohne die Au-
gen zu erheben oder eine Sylbe zu sprechen.

Bald darauf kam der Knabe, mit Thränen in den
Augen, zurück und sagte seiner Herrin, daß sein Vater
das neue Kleid in Stücken zerrissen habe, behauptend,
daß kein europäischer Schmuck die Schande vertilgen
könnte, die ihm zugefügt worden wäre.

Herr T. war über diese Unverschämtheit seines Die-
ners höchst aufgebracht und wollte sie augenblicklich aufs
strengste bestrafen lassen; aber seine Frau bat für den
Diener und fand nach Dem, was vorgefallen war, sein
Benehmen sehr verzeihlich. Die Zeit, meinte sie, könne
seinen gerechten Zorn allein mildern. Man sprach daher
nicht weiter von der Sache und Alles ging wieder seinen
gewöhnlichen Gang.

Ungefähr zehn Tage darauf erhielt Herr T. einen
Brief von Madras, worin ihm die nahe Ankunft seiner
von ihm sehr geliebten Schwester gemeldet ward. Das
bewog ihn zu dem Entschlusse, derselben entgegen zu rei-
sen. Am Abend vor der Abreise bat ihn der Malaie,
seinen Sohn Sidommy mitzunehmen, eine Bitte, welche
Herr T. gern erfüllte, da er jede Gelegenheit benutzte,
den jungen Menschen für die unschuldigerweise empfan-
gene harte Behandlung zu entschädigen.

Herr T. nahm außerdem noch einen Freund mit und
kam ohne irgend einen Unfall nach Madras. Hier aber
erwartete ihn eine bittere Enttäuschung. Die Schwester
hatte nach dem Abgange ihres Briefs einen Offizier ken-
nen gelernt und demselben ihre Hand gegeben. Herr T.
hatte also die Reise umsonst gemacht und mußte ohne
die geliebte Schwester wieder zurückreisen. Er war sei-
nem Aufenthaltsorte schon sehr nahe, als er vor einem
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[211/0003] 211 oben von schmalen Bändern aus flachgedrückten Stroh- halmen oder Weidenruthen gekreuzt. Mit ihrem Kinde auf dem Kopfe geht eine Bäuerin an Werkeltagen auf den entferntesten Markt oder an Sonn= und Festtagen meilenweit zur Messe. Wenn das Kind schläft und ru- hig ist, nimmt sie ihren Spinnrocken, der immer an ihrem Gürtel hängt, und geht spinnend und singend und den Korb auf dem Kopfe wiegend, einher. Wasser wird auf gleiche Weise transportirt und von den Händen da- bei kein anderer Gebrauch gemacht, als das Wassergefäß auf den Kopf zu bringen. Diese Sitte des Wasserfort- schaffens ist auch den indischen Frauen eigen und soll großen Antheil an der anmuthigen Leichtigkeit haben, mit der sie einhergehen. Malaiische Rache. Auf der Küste Koromandel unweit Madras lebte Herr T., ein Mann von seltener Herzensgüte, geliebt von allen Denen, die mit ihm zu thun hatten, besonders von sei- nen Dienern, die er mit väterlicher Milde behandelte. Er war der glückliche Vater von drei hoffnungsvollen Kindern und hatte eine Frau, die außer einer großen Heftigkeit keinen einzigen jener Fehler besaß, die reichen Frauen eigen zu sein pflegen. Sie besaß ein edles Herz und die besten Absichten von der Welt. Geschäftsangelegenheiten nöthigten Herrn T. biswei- len, die Seinigen auf einige Zeit zu verlassen. Als er sich einst auf einer solchen Geschäftsreise befand, vermißte Madame T. einen prächtigen Smaragdhalsschmuck, der ihr über Alles werth war. Sie ließ alle Winkel der Wohnung durchforschen und jeden Diener durchsuchen, aber der Halsschmuck war nicht aufzufinden. Schon gab Madame T. die Hoffnung auf, ihn wieder zu erlan- gen, als man sich erinnerte, daß den Abend vorher ein sechsjähriger Malaie, der mit den Kindern erzogen wurde, einen Ring für Madame T. aus dem Kästchen geholt hatte, in welchem der Schmuck bisher aufbewahrt gewe- sen war. Konnte er nicht den Schmuck genommen und verkauft haben? 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Herr T. war über diese Unverschämtheit seines Die- ners höchst aufgebracht und wollte sie augenblicklich aufs strengste bestrafen lassen; aber seine Frau bat für den Diener und fand nach Dem, was vorgefallen war, sein Benehmen sehr verzeihlich. Die Zeit, meinte sie, könne seinen gerechten Zorn allein mildern. Man sprach daher nicht weiter von der Sache und Alles ging wieder seinen gewöhnlichen Gang. Ungefähr zehn Tage darauf erhielt Herr T. einen Brief von Madras, worin ihm die nahe Ankunft seiner von ihm sehr geliebten Schwester gemeldet ward. Das bewog ihn zu dem Entschlusse, derselben entgegen zu rei- sen. Am Abend vor der Abreise bat ihn der Malaie, seinen Sohn Sidommy mitzunehmen, eine Bitte, welche Herr T. gern erfüllte, da er jede Gelegenheit benutzte, den jungen Menschen für die unschuldigerweise empfan- gene harte Behandlung zu entschädigen. Herr T. nahm außerdem noch einen Freund mit und kam ohne irgend einen Unfall nach Madras. Hier aber erwartete ihn eine bittere Enttäuschung. Die Schwester hatte nach dem Abgange ihres Briefs einen Offizier ken- nen gelernt und demselben ihre Hand gegeben. Herr T. hatte also die Reise umsonst gemacht und mußte ohne die geliebte Schwester wieder zurückreisen. Er war sei- nem Aufenthaltsorte schon sehr nahe, als er vor einem kleinen Dorfe, das er zu passiren hatte, seine ganze Die- nerschaft fand, die seine Ankunft erwartete. Verwundert fragte er, was das bedeuten solle, und hörte, daß dies

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

Weitere Informationen:

Siehe Dokumentation




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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge, Erster Jahrgang, Nr. 27. Leipzig (Sachsen), 8. Juli 1843, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig027_1843/3>, abgerufen am 06.06.2024.