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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge, Erster Jahrgang, Nr. 12. Leipzig (Sachsen), 25. März 1843.

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[Beginn Spaltensatz] erklärte selbst die Versetzung nach Weimar für den glück-
lichsten Wendepunkt seines Lebens und seinen 13jährigen
Aufenthalt daselbst für seinen wahren Lebenssommer.
Die reiche Fülle von Erfahrungen und Kenntnissen, die
damals in Weimar umgetauscht und durch die Nähe
des eben damals an ausgezeichneten Männern so rei-
chen Jena in beständiger Circulation erhalten wurden,
mußte auf Böttiger, der für Alles, was Wissenschaft
und Kunst betraf, so empfänglich war, den wohlthätig-
sten Einfluß üben. Seine überall berathende, nach= und
aushelfende Freundlichkeit, sein fast väterliches Verhält-
niß zu den fähigen und fleißigen Schülern, unter denen
Peucer, Herder's Söhne, de Wette, Zimmermann, Schu-
bert, Schumann, Schwabe obenan standen, flocht das
innigste Band zwischen Lehrer und Schülern. Wenn er
seinen geliebten Schülern die alten Meisterwerke erklärte,
verschwand sogleich die etwa einmal mitgebrachte, um-
wölkte Stirn und unter Scherzen und Lachen verstrichen
dem Lehrer wie den Schülern die Stunden im Fluge,
und doch wurde hundertmal mehr darin gelernt als in
denen, welche sich unter Gähnen zu Tagen ausdehnen.

Einer seiner ersten Bekannten in Weimar war Bode,
der Übersetzer von Montaigne's "Gedanken und Meinun-
gen ", der ihm als Maurer und Mensch gleich werth
war; auch Herder, dessen Sonntagszirkel er fleißig be-
suchte, Goethe, der ihm seinen "Hermann und Doro-
thea " vorlas, ganz besonders aber Wieland gehörte zu
den frühesten Bekanntschaften Böttiger's in Weimar.
Unzähliger anderer berühmter Bekanntschaften kann des
Raums wegen hier nicht gedacht werden.

Jm Sommer 1791 hatte sich im Palais der Her-
zogin Amalia ein Verein gebildet, in welchem sich die
Mitglieder monatlich einmal Aufsätze aus dem Felde der
Wissenschaften und Künste, Auszüge aus literarischen
Correspondenzen und neuen Schriften, kleine Gedichte,
Erzählungen, Demonstrationen physikalischer und chemi-
scher Lehren u. s. w. mittheilten. Als Böttiger im No-
vember 1791 diesen Cirkel zum ersten Male besuchte,
war Goethe Präsident und stellte Betrachtungen über
das Farbenprisma an, Herder sprach über die wahre Un-
sterblichkeit für die Nachwelt, Andere über Anderes. Am
2. März 1792 trat Böttiger in diesem Kreise mit sei-
nem ersten Vortrage auf, welcher die Prachtgefäße der
Alten zum Gegenstande hatte. Archäologie und Mytho-
logie beschäftigten ihn von nun an ohne Unterbrechung;
er war für dieses Feld wie geboren, denn er war im
Hervorheben der Ähnlichkeiten und Beziehungen äußerst
glücklich, sodaß nicht selten die Bewandertsten überrascht
waren. Seine "Sabina, oder Morgenstunden in dem
Putzzimmer einer reichen Römerin" machten ihn auch
außer Deutschland berühmt. Als Fortsetzung dieses
Werks sollte eine "Lustreise der Sabina in die Seebäder
nach Bajä und ein Besuch des Tempels der großen
Mutter Jsis" folgen, aber er ließ diesen Plan später
wieder fallen, weil er fürchtete, daß ein solches Werk
mehr schaden als nützen könnte.

So viele Freunde er in Weimar fand, so fehlte es
ihm doch auch nicht an Gegnern. Er gab daher einem
1798 erhaltenen ehrenvollen Rufe nach Kopenhagen, wo
er Ephorus aller lateinischen Schulen und Director eines
Seminars für Schulmänner mit 2500 Thlr. Gehalt
werden sollte, so weit Gehör, daß er sich wirklich in
Unterhandlungen darüber einließ, aber eine Unterhaltung
des Großherzogs mit ihm stimmte ihn um, doch sein
Verhältniß wurde durch diese Unterhaltung nicht erfreu-
licher. Viele seiner Freunde waren von Jena nach Ber-
lin ausgewandert und verwendeten sich dort mit solchem
Erfolge für ihn, daß er am 22. November 1803 einen
[Spaltenumbruch] Ruf als Oberconsistorial= und Oberschulrath nach Ber-
lin bekam. Zu gleicher Zeit waren auch seine dresdner
Freunde für ihn thätig gewesen und er sollte nach dem
Wunsche Reinhard's und des Barons von Racknitz die
Studiendirection über das damalige Pagenhaus überneh-
men. Er schwankte einige Zeit zwischen Dresden und
Berlin, aber der hochherzige Karl August entschied ihn
für Dresden.

Böttiger mußte hier wieder eine Art Schulmeisterei
treiben, der er so gern entgangen wäre, aber er fand
auch reichen Genuß in den archäologischen Vorträgen,
die er seit 1805 alle Winter unter Vorzeigung er-
läuternder Bildwerke, Kupferstiche, Münzen, Gemmen
u. s. w. vor einer auserwählten Versammlung von gegen
80 Zuhörern zu halten pflegte. Von dem engbegrenz-
ten Felde der Philologie hatte er sich nach und nach
immer weitere und reichere Fluren des Wissens geöffnet
und war der Erweiterer der Philologie und im Felde der
Alterthumskunde Lehrer Deutschlands geworden, ohne ir-
gend ein anderes Wissen zu verschmähen.

Die Aufgabe, das in Verfall gerathene Pageninstitut
zu ordnen und seinem Zwecke entsprechend zu gestalten,
war endlich gelöst und nun sehnte er sich nach einer
Veränderung, doch wollte er Dresden nicht verlassen,
obgleich er sowol nach Gotha an Jakobs' Stelle als
auch nach Göttingen an Heine's Stelle kommen konnte.

Jm J. 1814 wurde das Pageninstitut durch das
russische Gouvernement mit dem Cadettenhause zu einer
Ritterakademie vereinigt, über welche er die Studien-
direction empfing. Zugleich wurde ihm in dieser Zeit die
Oberaufsicht über die Alterthümersammlungen übertragen,
die in der stürmischen Zeit einen tüchtigen Conservator
brauchten. Jm J. 1822 wurde Vöttiger bei einer neuen
Umgestaltung der Ritterakademie seiner Direction entho-
ben, um sich der Sorgfalt der beiden Antikensammlun-
gen mit ganzer Seele hingeben zu können. Diese Auf-
sicht behielt er bis an sein Lebensende, obgleich er schon
1835 mit voller Besoldung in den Ruhestand versetzt
wurde.

Mit der Oberaufsicht über die Antikensammlungen
hatte Böttiger den ihm eigentlich allein zusagenden öf-
fentlichen Wirkungskreis gefunden, in welchem er vielen
Tausenden seiner Zeitgenossen rühmlich bekannt wurde.
Am 17. November 1835 früh um 10 Uhr starb er
ohne eigentliche Schmerzen und ohne eigentliche Störun-
gen des Bewußtseins bis zur letzten Stunde, nachdem
er 10 Tage an einer durch wiederholte Erkältung ver-
schlimmerten gichtischen Krankheit der Brusteingeweide
darniedergelegen hatte.

Seine Celebrität und Gutmüthigkeit waren Ursache,
daß er es zu keinem Hauptwerke in seiner Lieblingswis-
senschaft gebracht hat. Wo irgend Jemand mit einem
literarischen oder journalistischen Unternehmen auftrat, da
figurirte auch Böttiger als Mitarbeiter und zersplitterte
so seine besten Kräfte. Seiner Gutmüthigkeit ist es auch
zuzuschreiben, wenn er in seinen vielen Beurtheilungen
fast immer nur lobend auftrat und vorzüglich in der letz-
ten Zeit seines Lebens besonders von seinen Feinden der
"große Lobhudler" genannt wurde. So viel man aber
auch an Böttiger zu tadeln haben möge, das Verdienst
ist ihm nicht abzustreiten, daß er dem Kunstliebhaber
nicht nur durch eigene Werke, sondern auch durch die
Einrichtungen, die er in der Verwaltung der ihm an-
vertrauten Kunstschätze herbeiführen half, einen nie ver-
siegenden Quell von schönen Genüssen eröffnet hat.



[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] erklärte selbst die Versetzung nach Weimar für den glück-
lichsten Wendepunkt seines Lebens und seinen 13jährigen
Aufenthalt daselbst für seinen wahren Lebenssommer.
Die reiche Fülle von Erfahrungen und Kenntnissen, die
damals in Weimar umgetauscht und durch die Nähe
des eben damals an ausgezeichneten Männern so rei-
chen Jena in beständiger Circulation erhalten wurden,
mußte auf Böttiger, der für Alles, was Wissenschaft
und Kunst betraf, so empfänglich war, den wohlthätig-
sten Einfluß üben. Seine überall berathende, nach= und
aushelfende Freundlichkeit, sein fast väterliches Verhält-
niß zu den fähigen und fleißigen Schülern, unter denen
Peucer, Herder's Söhne, de Wette, Zimmermann, Schu-
bert, Schumann, Schwabe obenan standen, flocht das
innigste Band zwischen Lehrer und Schülern. Wenn er
seinen geliebten Schülern die alten Meisterwerke erklärte,
verschwand sogleich die etwa einmal mitgebrachte, um-
wölkte Stirn und unter Scherzen und Lachen verstrichen
dem Lehrer wie den Schülern die Stunden im Fluge,
und doch wurde hundertmal mehr darin gelernt als in
denen, welche sich unter Gähnen zu Tagen ausdehnen.

Einer seiner ersten Bekannten in Weimar war Bode,
der Übersetzer von Montaigne's „Gedanken und Meinun-
gen “, der ihm als Maurer und Mensch gleich werth
war; auch Herder, dessen Sonntagszirkel er fleißig be-
suchte, Goethe, der ihm seinen „Hermann und Doro-
thea “ vorlas, ganz besonders aber Wieland gehörte zu
den frühesten Bekanntschaften Böttiger's in Weimar.
Unzähliger anderer berühmter Bekanntschaften kann des
Raums wegen hier nicht gedacht werden.

Jm Sommer 1791 hatte sich im Palais der Her-
zogin Amalia ein Verein gebildet, in welchem sich die
Mitglieder monatlich einmal Aufsätze aus dem Felde der
Wissenschaften und Künste, Auszüge aus literarischen
Correspondenzen und neuen Schriften, kleine Gedichte,
Erzählungen, Demonstrationen physikalischer und chemi-
scher Lehren u. s. w. mittheilten. Als Böttiger im No-
vember 1791 diesen Cirkel zum ersten Male besuchte,
war Goethe Präsident und stellte Betrachtungen über
das Farbenprisma an, Herder sprach über die wahre Un-
sterblichkeit für die Nachwelt, Andere über Anderes. Am
2. März 1792 trat Böttiger in diesem Kreise mit sei-
nem ersten Vortrage auf, welcher die Prachtgefäße der
Alten zum Gegenstande hatte. Archäologie und Mytho-
logie beschäftigten ihn von nun an ohne Unterbrechung;
er war für dieses Feld wie geboren, denn er war im
Hervorheben der Ähnlichkeiten und Beziehungen äußerst
glücklich, sodaß nicht selten die Bewandertsten überrascht
waren. Seine „Sabina, oder Morgenstunden in dem
Putzzimmer einer reichen Römerin“ machten ihn auch
außer Deutschland berühmt. Als Fortsetzung dieses
Werks sollte eine „Lustreise der Sabina in die Seebäder
nach Bajä und ein Besuch des Tempels der großen
Mutter Jsis“ folgen, aber er ließ diesen Plan später
wieder fallen, weil er fürchtete, daß ein solches Werk
mehr schaden als nützen könnte.

So viele Freunde er in Weimar fand, so fehlte es
ihm doch auch nicht an Gegnern. Er gab daher einem
1798 erhaltenen ehrenvollen Rufe nach Kopenhagen, wo
er Ephorus aller lateinischen Schulen und Director eines
Seminars für Schulmänner mit 2500 Thlr. Gehalt
werden sollte, so weit Gehör, daß er sich wirklich in
Unterhandlungen darüber einließ, aber eine Unterhaltung
des Großherzogs mit ihm stimmte ihn um, doch sein
Verhältniß wurde durch diese Unterhaltung nicht erfreu-
licher. Viele seiner Freunde waren von Jena nach Ber-
lin ausgewandert und verwendeten sich dort mit solchem
Erfolge für ihn, daß er am 22. November 1803 einen
[Spaltenumbruch] Ruf als Oberconsistorial= und Oberschulrath nach Ber-
lin bekam. Zu gleicher Zeit waren auch seine dresdner
Freunde für ihn thätig gewesen und er sollte nach dem
Wunsche Reinhard's und des Barons von Racknitz die
Studiendirection über das damalige Pagenhaus überneh-
men. Er schwankte einige Zeit zwischen Dresden und
Berlin, aber der hochherzige Karl August entschied ihn
für Dresden.

Böttiger mußte hier wieder eine Art Schulmeisterei
treiben, der er so gern entgangen wäre, aber er fand
auch reichen Genuß in den archäologischen Vorträgen,
die er seit 1805 alle Winter unter Vorzeigung er-
läuternder Bildwerke, Kupferstiche, Münzen, Gemmen
u. s. w. vor einer auserwählten Versammlung von gegen
80 Zuhörern zu halten pflegte. Von dem engbegrenz-
ten Felde der Philologie hatte er sich nach und nach
immer weitere und reichere Fluren des Wissens geöffnet
und war der Erweiterer der Philologie und im Felde der
Alterthumskunde Lehrer Deutschlands geworden, ohne ir-
gend ein anderes Wissen zu verschmähen.

Die Aufgabe, das in Verfall gerathene Pageninstitut
zu ordnen und seinem Zwecke entsprechend zu gestalten,
war endlich gelöst und nun sehnte er sich nach einer
Veränderung, doch wollte er Dresden nicht verlassen,
obgleich er sowol nach Gotha an Jakobs' Stelle als
auch nach Göttingen an Heine's Stelle kommen konnte.

Jm J. 1814 wurde das Pageninstitut durch das
russische Gouvernement mit dem Cadettenhause zu einer
Ritterakademie vereinigt, über welche er die Studien-
direction empfing. Zugleich wurde ihm in dieser Zeit die
Oberaufsicht über die Alterthümersammlungen übertragen,
die in der stürmischen Zeit einen tüchtigen Conservator
brauchten. Jm J. 1822 wurde Vöttiger bei einer neuen
Umgestaltung der Ritterakademie seiner Direction entho-
ben, um sich der Sorgfalt der beiden Antikensammlun-
gen mit ganzer Seele hingeben zu können. Diese Auf-
sicht behielt er bis an sein Lebensende, obgleich er schon
1835 mit voller Besoldung in den Ruhestand versetzt
wurde.

Mit der Oberaufsicht über die Antikensammlungen
hatte Böttiger den ihm eigentlich allein zusagenden öf-
fentlichen Wirkungskreis gefunden, in welchem er vielen
Tausenden seiner Zeitgenossen rühmlich bekannt wurde.
Am 17. November 1835 früh um 10 Uhr starb er
ohne eigentliche Schmerzen und ohne eigentliche Störun-
gen des Bewußtseins bis zur letzten Stunde, nachdem
er 10 Tage an einer durch wiederholte Erkältung ver-
schlimmerten gichtischen Krankheit der Brusteingeweide
darniedergelegen hatte.

Seine Celebrität und Gutmüthigkeit waren Ursache,
daß er es zu keinem Hauptwerke in seiner Lieblingswis-
senschaft gebracht hat. Wo irgend Jemand mit einem
literarischen oder journalistischen Unternehmen auftrat, da
figurirte auch Böttiger als Mitarbeiter und zersplitterte
so seine besten Kräfte. Seiner Gutmüthigkeit ist es auch
zuzuschreiben, wenn er in seinen vielen Beurtheilungen
fast immer nur lobend auftrat und vorzüglich in der letz-
ten Zeit seines Lebens besonders von seinen Feinden der
„große Lobhudler“ genannt wurde. So viel man aber
auch an Böttiger zu tadeln haben möge, das Verdienst
ist ihm nicht abzustreiten, daß er dem Kunstliebhaber
nicht nur durch eigene Werke, sondern auch durch die
Einrichtungen, die er in der Verwaltung der ihm an-
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Wenn er seinen geliebten Schülern die alten Meisterwerke erklärte, verschwand sogleich die etwa einmal mitgebrachte, um- wölkte Stirn und unter Scherzen und Lachen verstrichen dem Lehrer wie den Schülern die Stunden im Fluge, und doch wurde hundertmal mehr darin gelernt als in denen, welche sich unter Gähnen zu Tagen ausdehnen. Einer seiner ersten Bekannten in Weimar war Bode, der Übersetzer von Montaigne's „Gedanken und Meinun- gen “, der ihm als Maurer und Mensch gleich werth war; auch Herder, dessen Sonntagszirkel er fleißig be- suchte, Goethe, der ihm seinen „Hermann und Doro- thea “ vorlas, ganz besonders aber Wieland gehörte zu den frühesten Bekanntschaften Böttiger's in Weimar. Unzähliger anderer berühmter Bekanntschaften kann des Raums wegen hier nicht gedacht werden. 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Wo irgend Jemand mit einem literarischen oder journalistischen Unternehmen auftrat, da figurirte auch Böttiger als Mitarbeiter und zersplitterte so seine besten Kräfte. Seiner Gutmüthigkeit ist es auch zuzuschreiben, wenn er in seinen vielen Beurtheilungen fast immer nur lobend auftrat und vorzüglich in der letz- ten Zeit seines Lebens besonders von seinen Feinden der „große Lobhudler“ genannt wurde. So viel man aber auch an Böttiger zu tadeln haben möge, das Verdienst ist ihm nicht abzustreiten, daß er dem Kunstliebhaber nicht nur durch eigene Werke, sondern auch durch die Einrichtungen, die er in der Verwaltung der ihm an- vertrauten Kunstschätze herbeiführen half, einen nie ver- siegenden Quell von schönen Genüssen eröffnet hat.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

Weitere Informationen:

Siehe Dokumentation




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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge, Erster Jahrgang, Nr. 12. Leipzig (Sachsen), 25. März 1843, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig012_1843/3>, abgerufen am 06.06.2024.