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Das wohlfeilste Panorama des Universums. Nr. 13. Prag, 1836.

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Panorama des Universums.
[Beginn Spaltensatz] Blicken angesehen. Das Merkwürdigste aber auf
diesem großen Arabermarkte ist das Friedensge-
richt,
welches aus fünf Männern bestehet, den
Kadi an der Spitze, und jeden Streit sogleich ent-
scheidet; doch soll noch ein höheres Gericht bestehen,
an welches man appelliren kann; man läßt aber
keinen Europäer zu dem Zelte, wo solches seinen
Sitz hat.

Für's Essen und Trinken ist auf diesem Markte
gut gesorgt, auch fehlt es nicht an Unterhaltung.
Gaukler, Sänger und Musiker gibt es in Menge,
und auch Tänzer produziren sich in einer Art spani-
schen Fandango, bei einer lärmenden Jnstrumental-
musik, die immer denselben Takt behält. Die meiste
Aufmerksamkeit finden die Romanzensänger. An Spiel-
unterhaltungen gibt es keinen Mangel. Das ge-
wöhnlichste Spiel wird von zwei Personen mit einer
Anzahl Steine gespielt, welche in 8 Grübchen, bald
hinein geworfen, bald hinaus genommen werden,
und mit großem Nachdenken und Ernst wird dabei
verfahren. Die zusehenden Europäer haben es noch
nicht erlernen können, und es scheint auf sehr schwie-
rigen Regeln zu beruhen.     J. J. P.



Das Carneval an der Newa.

Es ist in der That ein merkwürdiges Schau-
spiel, ein für die Russen um so anziehenderes, als
es sich im Jahre nur einmal erneuert. Dann ent-
steht, wie durch einen Zauberschlag, auf der gefror-
nen Newa eine ganze Stadt; hübsche kleine Häuser
von malerischem Ansehen, mit Balkons auf zierlichen,
geschmackvoll angestrichenen Säulen; anmuthige Tem-
pel, auf denen Fähnchen von allen Farben flattern.
Hier drängen sich auf vier Tage die Wunder zu-
sammen, welche die Neugierigen von Paris auf
die elisäischen Felder oder die Boulevards, in Wien
in den Prater ziehen -- italienische Seiltänzer,
Nachahmer Franconis, Bosco's, Seraphins
oder Martins; nicht fehlt der unverbrenn-
liche Mann, das unsichtbare Mädchen, der gelehrte
Hund, die musikalische Katze, selbst nicht der Pier-
rot
und Polichinell, der Bürger zweier Wel-
ten, der seine neapolitanische Lazzis in körnigem Rus-
sisch wiedergibt.

Mitten in dieser Stadt, die an Buntheit dem
Kleide Arlequins gleicht, erheben sich zwei unge-
heure Pyramiden, die eine stumpfe Spitze, aber eine
sehr ausgedehnte Basis haben; dieß sind russische
Eis= oder Rutschberge. Auf einer der geneigten Ebe-
nen breitet sich eine spiegelglatte Eisfläche aus, und
stößt an eine andere lange Eisbahn, welche erst am
Fuße des andern Rutschberges aufhört. Auf diesen
neben einander hinlaufenden Eisbahnen kreuzen sich
tausend leichte Schlitten, welche blitzschnell von jedem
Berge herunterstürzen, ein gefährliches, betäubendes
Vergnügen, ein wahres Bild des Lebens. Hier steht
ein Jeder für sich ein, wie Schiller in Wallen-
steins
Lager sagt; hier setzt der Führer seinen Kopf
auf das Spiel; seine beiden rückwärts gehaltenen
Hände, die dem leichten Schlittchen zum Steuerru-
der dienen, halten in ihren Handschuhen von Büffel-
haut das Vergnügen, das Leiden, vielleicht den Tod.
Wehe dem Ungeschickten! Bisweilen setzt sich auch
eine Frau vor ihn, und wagt sich an dieses gefähr-
liche Vergnügen; dann ist die Gefahr getheilt, aber
der Genuß ist auch doppelt. Ein Frauenherz schlägt
bei ihm, klopft vor Freude, vor Furcht, vielleicht
[Spaltenumbruch] aus Liebe. Welche Gefühle in einem einzigen Au-
genblicke!

Die Sitte, maskirt durch die Strassen zu gehen,
existirt in Rußland nicht mehr; aber die Mannig-
faltigkeit und das Originelle der Trachten, und der
Physiognomien der Völker und aller Länder Europa's,
geben den großen Versammlungen in St. Peters-
burg
denselben Reiz, wie anderswo die Verkleidung
während des Carnevals.

Hier breitet sich der dicke Kaufmann im blauen
Kaftan, mit einem Barte, der bis auf die Brust
hinabreicht, in seinem von zwei Pferden gezogenen
Schlitten aus, von denen das eine fortwährend Sätze
macht und den Kopf biegt, wie eine Weidenruthe.
Die schöne Kaufmannsfrau läßt an ihrem nationalen
Kopfputze die kostbarsten Perlen und Edelsteine prah-
len, und hüllt sich in ihren Pelz von grauem Fuchs,
der vielleicht so viel weith ist, als alle Boas in
Paris zusammengenommen. Dort läßt der unbän-
dige Bewohner des Caukasus, der Tscherkesse, der
in mit Silber besetzten Taschen auf der Brust zu
beiden Seiten Patronen trägt, seine schöne Gestalt
auf einem pfeilschnellen Pferde bewundern; dann der
Perser mit spitziger Mütze und ernstem Gange; der
Türke mit dem reichen Turbane; der Bulgare mit
den kleinen Augen; die Tartaren der Garde mit
den melonenartigen Mützen; die blauen Kosaken; die
holländischen, englischen, schwedischen Matrosen, m
ihrer eigenthümlichen Kleidung; die deutschen Hand-
werker mit ihren Cigarren; die russischen schlanken
Offiziere, mit den schönen, mit Gold, Silber und
Sammet geschmückten Uniformen -- das ist so gut
und besser als ein Maskenfest.

Schon weit vom Kai kündigt ein verwirrtes
Gesumme das Carneval an; Geschrei, Gesang, un-
aufhörliches Gelächter vervollständigt das Charivari
von hundert lärmenden Orchestern. Mitten durch die
Menge bahntsich den Weg eine lange Reihe präch-
tiger Landauer, englischer Coupe's und zierlicher Schlit-
ten; das Carneval ist das Long-Champs von St.
Petersburg, der Meßsonntag von Leipzig; alle
diese glänzenden Equipagen fahren mehrmals in das
[unleserliches Material - 4 Zeichen fehlen]Bett der Newa hinab, und dann längs dem Kai hin.

"Ah da sind die Mädchen aus dem Jnstitute,
in ihren schönen Sechsspännern," spricht die Menge,
und in demselben Augenblicke ziehen dreißig bis vier-
zig Hofwagen langsam vorüber.

Während der Fastnacht pflegt man in St. Pe-
tersburg
an den Freuden dieser Art Corso die
jungen Mädchen aus den Erziehungsanstalten Theil
nehmen zu lassen, welche unter dem besondern Schutze
der Kaiserin stehen. Nichts Schöneres, als die blon-
den und brunetten Köpfchen, welche gruppenweise
zu den Kutschenschlägen herausgucken, diese Blumen-
bouquets, welche den Winter und seine Nebel Lügen
strafen, diese lebendigen Verheißungen von Liebe und
Glück für die jungen Russen, dieser Kranz knospen-
der Myrthen, womit sich das Carneval in Peters-
burg schmückt.     J. J. P.



Die Schakers oder Zitterer in Nordamerika.

Diese Sekte, welche abermal einen Beweis lie-
fert, wie groß der Jrrthum und das Mißverständ-
niß sey, wenn sich die Menschen von der geoffen-
barten und positiven Religion des Christenthums
entfernen, hat ihren Hauptsitz zu New=Libanon,
und ihre Gesammtzahl beträgt ungefähr 6000 See-
[Ende Spaltensatz]

Panorama des Universums.
[Beginn Spaltensatz] Blicken angesehen. Das Merkwürdigste aber auf
diesem großen Arabermarkte ist das Friedensge-
richt,
welches aus fünf Männern bestehet, den
Kadi an der Spitze, und jeden Streit sogleich ent-
scheidet; doch soll noch ein höheres Gericht bestehen,
an welches man appelliren kann; man läßt aber
keinen Europäer zu dem Zelte, wo solches seinen
Sitz hat.

Für's Essen und Trinken ist auf diesem Markte
gut gesorgt, auch fehlt es nicht an Unterhaltung.
Gaukler, Sänger und Musiker gibt es in Menge,
und auch Tänzer produziren sich in einer Art spani-
schen Fandango, bei einer lärmenden Jnstrumental-
musik, die immer denselben Takt behält. Die meiste
Aufmerksamkeit finden die Romanzensänger. An Spiel-
unterhaltungen gibt es keinen Mangel. Das ge-
wöhnlichste Spiel wird von zwei Personen mit einer
Anzahl Steine gespielt, welche in 8 Grübchen, bald
hinein geworfen, bald hinaus genommen werden,
und mit großem Nachdenken und Ernst wird dabei
verfahren. Die zusehenden Europäer haben es noch
nicht erlernen können, und es scheint auf sehr schwie-
rigen Regeln zu beruhen.     J. J. P.



Das Carneval an der Newa.

Es ist in der That ein merkwürdiges Schau-
spiel, ein für die Russen um so anziehenderes, als
es sich im Jahre nur einmal erneuert. Dann ent-
steht, wie durch einen Zauberschlag, auf der gefror-
nen Newa eine ganze Stadt; hübsche kleine Häuser
von malerischem Ansehen, mit Balkons auf zierlichen,
geschmackvoll angestrichenen Säulen; anmuthige Tem-
pel, auf denen Fähnchen von allen Farben flattern.
Hier drängen sich auf vier Tage die Wunder zu-
sammen, welche die Neugierigen von Paris auf
die elisäischen Felder oder die Boulevards, in Wien
in den Prater ziehen — italienische Seiltänzer,
Nachahmer Franconis, Bosco's, Seraphins
oder Martins; nicht fehlt der unverbrenn-
liche Mann, das unsichtbare Mädchen, der gelehrte
Hund, die musikalische Katze, selbst nicht der Pier-
rot
und Polichinell, der Bürger zweier Wel-
ten, der seine neapolitanische Lazzis in körnigem Rus-
sisch wiedergibt.

Mitten in dieser Stadt, die an Buntheit dem
Kleide Arlequins gleicht, erheben sich zwei unge-
heure Pyramiden, die eine stumpfe Spitze, aber eine
sehr ausgedehnte Basis haben; dieß sind russische
Eis= oder Rutschberge. Auf einer der geneigten Ebe-
nen breitet sich eine spiegelglatte Eisfläche aus, und
stößt an eine andere lange Eisbahn, welche erst am
Fuße des andern Rutschberges aufhört. Auf diesen
neben einander hinlaufenden Eisbahnen kreuzen sich
tausend leichte Schlitten, welche blitzschnell von jedem
Berge herunterstürzen, ein gefährliches, betäubendes
Vergnügen, ein wahres Bild des Lebens. Hier steht
ein Jeder für sich ein, wie Schiller in Wallen-
steins
Lager sagt; hier setzt der Führer seinen Kopf
auf das Spiel; seine beiden rückwärts gehaltenen
Hände, die dem leichten Schlittchen zum Steuerru-
der dienen, halten in ihren Handschuhen von Büffel-
haut das Vergnügen, das Leiden, vielleicht den Tod.
Wehe dem Ungeschickten! Bisweilen setzt sich auch
eine Frau vor ihn, und wagt sich an dieses gefähr-
liche Vergnügen; dann ist die Gefahr getheilt, aber
der Genuß ist auch doppelt. Ein Frauenherz schlägt
bei ihm, klopft vor Freude, vor Furcht, vielleicht
[Spaltenumbruch] aus Liebe. Welche Gefühle in einem einzigen Au-
genblicke!

Die Sitte, maskirt durch die Strassen zu gehen,
existirt in Rußland nicht mehr; aber die Mannig-
faltigkeit und das Originelle der Trachten, und der
Physiognomien der Völker und aller Länder Europa's,
geben den großen Versammlungen in St. Peters-
burg
denselben Reiz, wie anderswo die Verkleidung
während des Carnevals.

Hier breitet sich der dicke Kaufmann im blauen
Kaftan, mit einem Barte, der bis auf die Brust
hinabreicht, in seinem von zwei Pferden gezogenen
Schlitten aus, von denen das eine fortwährend Sätze
macht und den Kopf biegt, wie eine Weidenruthe.
Die schöne Kaufmannsfrau läßt an ihrem nationalen
Kopfputze die kostbarsten Perlen und Edelsteine prah-
len, und hüllt sich in ihren Pelz von grauem Fuchs,
der vielleicht so viel weith ist, als alle Boas in
Paris zusammengenommen. Dort läßt der unbän-
dige Bewohner des Caukasus, der Tscherkesse, der
in mit Silber besetzten Taschen auf der Brust zu
beiden Seiten Patronen trägt, seine schöne Gestalt
auf einem pfeilschnellen Pferde bewundern; dann der
Perser mit spitziger Mütze und ernstem Gange; der
Türke mit dem reichen Turbane; der Bulgare mit
den kleinen Augen; die Tartaren der Garde mit
den melonenartigen Mützen; die blauen Kosaken; die
holländischen, englischen, schwedischen Matrosen, m
ihrer eigenthümlichen Kleidung; die deutschen Hand-
werker mit ihren Cigarren; die russischen schlanken
Offiziere, mit den schönen, mit Gold, Silber und
Sammet geschmückten Uniformen — das ist so gut
und besser als ein Maskenfest.

Schon weit vom Kai kündigt ein verwirrtes
Gesumme das Carneval an; Geschrei, Gesang, un-
aufhörliches Gelächter vervollständigt das Charivari
von hundert lärmenden Orchestern. Mitten durch die
Menge bahntsich den Weg eine lange Reihe präch-
tiger Landauer, englischer Coupe's und zierlicher Schlit-
ten; das Carneval ist das Long-Champs von St.
Petersburg, der Meßsonntag von Leipzig; alle
diese glänzenden Equipagen fahren mehrmals in das
[unleserliches Material – 4 Zeichen fehlen]Bett der Newa hinab, und dann längs dem Kai hin.

„Ah da sind die Mädchen aus dem Jnstitute,
in ihren schönen Sechsspännern,“ spricht die Menge,
und in demselben Augenblicke ziehen dreißig bis vier-
zig Hofwagen langsam vorüber.

Während der Fastnacht pflegt man in St. Pe-
tersburg
an den Freuden dieser Art Corso die
jungen Mädchen aus den Erziehungsanstalten Theil
nehmen zu lassen, welche unter dem besondern Schutze
der Kaiserin stehen. Nichts Schöneres, als die blon-
den und brunetten Köpfchen, welche gruppenweise
zu den Kutschenschlägen herausgucken, diese Blumen-
bouquets, welche den Winter und seine Nebel Lügen
strafen, diese lebendigen Verheißungen von Liebe und
Glück für die jungen Russen, dieser Kranz knospen-
der Myrthen, womit sich das Carneval in Peters-
burg schmückt.     J. J. P.



Die Schakers oder Zitterer in Nordamerika.

Diese Sekte, welche abermal einen Beweis lie-
fert, wie groß der Jrrthum und das Mißverständ-
niß sey, wenn sich die Menschen von der geoffen-
barten und positiven Religion des Christenthums
entfernen, hat ihren Hauptsitz zu New=Libanon,
und ihre Gesammtzahl beträgt ungefähr 6000 See-
[Ende Spaltensatz]

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Die zusehenden Europäer haben es noch nicht erlernen können, und es scheint auf sehr schwie- rigen Regeln zu beruhen. J. J. P. Das Carneval an der Newa. Es ist in der That ein merkwürdiges Schau- spiel, ein für die Russen um so anziehenderes, als es sich im Jahre nur einmal erneuert. Dann ent- steht, wie durch einen Zauberschlag, auf der gefror- nen Newa eine ganze Stadt; hübsche kleine Häuser von malerischem Ansehen, mit Balkons auf zierlichen, geschmackvoll angestrichenen Säulen; anmuthige Tem- pel, auf denen Fähnchen von allen Farben flattern. 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Mitten durch die Menge bahntsich den Weg eine lange Reihe präch- tiger Landauer, englischer Coupe's und zierlicher Schlit- ten; das Carneval ist das Long-Champs von St. Petersburg, der Meßsonntag von Leipzig; alle diese glänzenden Equipagen fahren mehrmals in das ____Bett der Newa hinab, und dann längs dem Kai hin. „Ah da sind die Mädchen aus dem Jnstitute, in ihren schönen Sechsspännern,“ spricht die Menge, und in demselben Augenblicke ziehen dreißig bis vier- zig Hofwagen langsam vorüber. Während der Fastnacht pflegt man in St. Pe- tersburg an den Freuden dieser Art Corso die jungen Mädchen aus den Erziehungsanstalten Theil nehmen zu lassen, welche unter dem besondern Schutze der Kaiserin stehen. Nichts Schöneres, als die blon- den und brunetten Köpfchen, welche gruppenweise zu den Kutschenschlägen herausgucken, diese Blumen- bouquets, welche den Winter und seine Nebel Lügen strafen, diese lebendigen Verheißungen von Liebe und Glück für die jungen Russen, dieser Kranz knospen- der Myrthen, womit sich das Carneval in Peters- burg schmückt. J. J. P. Die Schakers oder Zitterer in Nordamerika. Diese Sekte, welche abermal einen Beweis lie- fert, wie groß der Jrrthum und das Mißverständ- niß sey, wenn sich die Menschen von der geoffen- barten und positiven Religion des Christenthums entfernen, hat ihren Hauptsitz zu New=Libanon, und ihre Gesammtzahl beträgt ungefähr 6000 See-

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




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Zitationshilfe: Das wohlfeilste Panorama des Universums. Nr. 13. Prag, 1836, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_panorama13_1836/6>, abgerufen am 24.11.2024.