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[N. N.]: Von der Ode. In: Vermischte Beyträge zur Philosophie und den schönen Wissenschaften, 2,1 (1763), S. 152–177.

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daß sie könne gesungen werden. Wer könnte uns wohl untersagen, eine Fabel in ein Sylbenmaaß, welches kann gesungen werden, einzukleiden? und so kostete es wenig Mühe, die meisten Gedichte in Oden zu metamorphosiren. Ja man hat in der That viele Fabeln, die aus Strophen bestehen. Verliehrt deswegen eine Ode ihr Wesen, wenn sie von einem treuen Uebersetzer in Prose, oder in ein Sylbenmaaß, das nicht lyrisch, übergetragen wird? Man weis, daß die alten Völker ihre Gesetze, ihre merkwürdigsten Begebenheiten in Versen abgesungen haben. Man darf sich nur an die Griechen, an die Germanier, an die amerikanischen Völker erinnern. Aber das waren nichts weniger als Oden. Auch Heldengedichte können gesungen werden. Zum wenigsten ist es in Griechenland geschehen. Die Rapsodisten, welche Stücke aus der Iliade und Odyssee des Homers, die doch nimmermehr Oden sind, häufig abgesungen, geben einen augescheinlichen Beweis, daß die gewöhnliche Erklärung der Ode mangelhaft sey*). Kaum zweifle ich, wenn Aristoteles keine Erklärung von einem Heldengedichte gegeben hätte,

*) Hier ist die Beschreibung, die Herr Dacier gegeben hat: "Die Ode ist eine kurze Art eines Gedichtes, das man zu den Tönen der Leyer absingt, oder welches doch könnte abgesungen werden, und welches alle Versarten ohne Unterschied annimmt, und in einem einzigen Stücke derselben öfters verschiedene zu Beförderung des Wohlklangs unter einander mischt; welches sich alle Gegenstände gerecht macht, und die niedrigen auf eine zwar muntre, aber doch edle Weise, und die großen mit so einer Erhebung abhandelt, welche mehr die Wirkung einer Begeisterung, als eines ruhigen Verstandes zu seyn scheint, und dennoch zur Sittenlehre nützlich ist." Vielleicht sind einige von unsern Lesern bey dieser Beschreibung müde worden. Wenn sie sich erholen, oder vielmehr noch weiter ihre Geduld üben wollten, so könnten sie eine lustige Zergliederung davon in Gottfr. Ephr. Müllers historisch-kritischen Einleitungen zu nöthiger Kenntniß und nützlichem Gebrauch der alten lateinischen Schriftsteller, im 3ten Theile S. 448-455. lesen.

daß sie könne gesungen werden. Wer könnte uns wohl untersagen, eine Fabel in ein Sylbenmaaß, welches kann gesungen werden, einzukleiden? und so kostete es wenig Mühe, die meisten Gedichte in Oden zu metamorphosiren. Ja man hat in der That viele Fabeln, die aus Strophen bestehen. Verliehrt deswegen eine Ode ihr Wesen, wenn sie von einem treuen Uebersetzer in Prose, oder in ein Sylbenmaaß, das nicht lyrisch, übergetragen wird? Man weis, daß die alten Völker ihre Gesetze, ihre merkwürdigsten Begebenheiten in Versen abgesungen haben. Man darf sich nur an die Griechen, an die Germanier, an die amerikanischen Völker erinnern. Aber das waren nichts weniger als Oden. Auch Heldengedichte können gesungen werden. Zum wenigsten ist es in Griechenland geschehen. Die Rapsodisten, welche Stücke aus der Iliade und Odyssee des Homers, die doch nimmermehr Oden sind, häufig abgesungen, geben einen augescheinlichen Beweis, daß die gewöhnliche Erklärung der Ode mangelhaft sey*). Kaum zweifle ich, wenn Aristoteles keine Erklärung von einem Heldengedichte gegeben hätte,

*) Hier ist die Beschreibung, die Herr Dacier gegeben hat: "Die Ode ist eine kurze Art eines Gedichtes, das man zu den Tönen der Leyer absingt, oder welches doch könnte abgesungen werden, und welches alle Versarten ohne Unterschied annimmt, und in einem einzigen Stücke derselben öfters verschiedene zu Beförderung des Wohlklangs unter einander mischt; welches sich alle Gegenstände gerecht macht, und die niedrigen auf eine zwar muntre, aber doch edle Weise, und die großen mit so einer Erhebung abhandelt, welche mehr die Wirkung einer Begeisterung, als eines ruhigen Verstandes zu seyn scheint, und dennoch zur Sittenlehre nützlich ist." Vielleicht sind einige von unsern Lesern bey dieser Beschreibung müde worden. Wenn sie sich erholen, oder vielmehr noch weiter ihre Geduld üben wollten, so könnten sie eine lustige Zergliederung davon in Gottfr. Ephr. Müllers historisch-kritischen Einleitungen zu nöthiger Kenntniß und nützlichem Gebrauch der alten lateinischen Schriftsteller, im 3ten Theile S. 448-455. lesen.
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daß sie könne gesungen werden. Wer   könnte uns wohl untersagen, eine Fabel in ein Sylbenmaaß, welches kann   gesungen werden, einzukleiden? und so kostete es wenig Mühe, die meisten   Gedichte in Oden zu metamorphosiren. Ja man hat in der That viele Fabeln, die aus   Strophen bestehen. Verliehrt deswegen eine Ode ihr Wesen, wenn sie von einem treuen   Uebersetzer in Prose, oder in ein Sylbenmaaß, das nicht lyrisch, übergetragen   wird? Man weis, daß die alten Völker ihre Gesetze,   ihre merkwürdigsten Begebenheiten in Versen abgesungen haben. Man darf   sich nur an die Griechen, an die Germanier, an die amerikanischen Völker   erinnern. Aber das waren nichts weniger als Oden. Auch Heldengedichte können   gesungen werden. Zum wenigsten ist es in Griechenland geschehen. Die Rapsodisten,   welche Stücke aus der Iliade und Odyssee des Homers, die doch nimmermehr Oden   sind, häufig abgesungen, geben einen augescheinlichen Beweis, daß die   gewöhnliche Erklärung der Ode mangelhaft sey<note place="foot" n="*)">Hier ist die Beschreibung, die Herr Dacier gegeben hat:       "Die Ode ist eine kurze Art eines Gedichtes, das man zu den Tönen       der Leyer absingt, oder welches doch könnte abgesungen werden,       und welches alle Versarten ohne Unterschied annimmt, und in einem       einzigen Stücke derselben öfters verschiedene zu       Beförderung des Wohlklangs unter einander mischt; welches       sich alle Gegenstände gerecht macht, und die niedrigen auf       eine zwar muntre, aber doch edle Weise, und die großen mit       so einer Erhebung abhandelt, welche mehr die Wirkung einer       Begeisterung, als eines ruhigen Verstandes zu seyn scheint, und       dennoch zur Sittenlehre nützlich ist." Vielleicht sind einige       von unsern Lesern bey dieser Beschreibung müde worden. Wenn sie       sich erholen, oder vielmehr noch weiter ihre Geduld üben wollten,       so könnten sie eine lustige Zergliederung davon in Gottfr. Ephr.       Müllers historisch-kritischen Einleitungen zu nöthiger       Kenntniß und nützlichem Gebrauch der alten lateinischen       Schriftsteller, im 3ten Theile S. 448-455. lesen. </note>. Kaum zweifle ich, wenn Aristoteles keine Erklärung von einem Heldengedichte   gegeben hätte,
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[154/0004] daß sie könne gesungen werden. Wer könnte uns wohl untersagen, eine Fabel in ein Sylbenmaaß, welches kann gesungen werden, einzukleiden? und so kostete es wenig Mühe, die meisten Gedichte in Oden zu metamorphosiren. Ja man hat in der That viele Fabeln, die aus Strophen bestehen. Verliehrt deswegen eine Ode ihr Wesen, wenn sie von einem treuen Uebersetzer in Prose, oder in ein Sylbenmaaß, das nicht lyrisch, übergetragen wird? Man weis, daß die alten Völker ihre Gesetze, ihre merkwürdigsten Begebenheiten in Versen abgesungen haben. Man darf sich nur an die Griechen, an die Germanier, an die amerikanischen Völker erinnern. Aber das waren nichts weniger als Oden. Auch Heldengedichte können gesungen werden. Zum wenigsten ist es in Griechenland geschehen. Die Rapsodisten, welche Stücke aus der Iliade und Odyssee des Homers, die doch nimmermehr Oden sind, häufig abgesungen, geben einen augescheinlichen Beweis, daß die gewöhnliche Erklärung der Ode mangelhaft sey *). Kaum zweifle ich, wenn Aristoteles keine Erklärung von einem Heldengedichte gegeben hätte, *) Hier ist die Beschreibung, die Herr Dacier gegeben hat: "Die Ode ist eine kurze Art eines Gedichtes, das man zu den Tönen der Leyer absingt, oder welches doch könnte abgesungen werden, und welches alle Versarten ohne Unterschied annimmt, und in einem einzigen Stücke derselben öfters verschiedene zu Beförderung des Wohlklangs unter einander mischt; welches sich alle Gegenstände gerecht macht, und die niedrigen auf eine zwar muntre, aber doch edle Weise, und die großen mit so einer Erhebung abhandelt, welche mehr die Wirkung einer Begeisterung, als eines ruhigen Verstandes zu seyn scheint, und dennoch zur Sittenlehre nützlich ist." Vielleicht sind einige von unsern Lesern bey dieser Beschreibung müde worden. Wenn sie sich erholen, oder vielmehr noch weiter ihre Geduld üben wollten, so könnten sie eine lustige Zergliederung davon in Gottfr. Ephr. Müllers historisch-kritischen Einleitungen zu nöthiger Kenntniß und nützlichem Gebrauch der alten lateinischen Schriftsteller, im 3ten Theile S. 448-455. lesen.

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Zitationshilfe: [N. N.]: Von der Ode. In: Vermischte Beyträge zur Philosophie und den schönen Wissenschaften, 2,1 (1763), S. 152–177, hier S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_ode_1763/4>, abgerufen am 02.05.2024.