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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 36. Köln, 6. Juli 1848.

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Reihen ihrer schlichtesten Bürger. Dort stehen die Männer, welche das Wrack des Staates retten, welche es mit kräftiger Faust durch den Schaum des Orkans zurück in den sicher schaukelnden Hafen geleiten können." Dem Buchhalter Lenz brach der Angstschweiß aus; noch nie hatte ihn der würdige Herr mit so blumenreichen Redensarten überschüttet.

"Ist es daher ein Wunder, Lenz, daß man auch auf mich sein Auge geworfen? -" Der Buchhalter wollte eine Prise nehmen, aber die Glieder versagten ihm den Dienst.

"Ist es ein Wunder, daß man auch mich aus dem Dunkel des Geschäftslebens herausreißt, um meinen Fähigkeiten den Platz anzuweisen, der ihnen im Buche des Schicksals bestimmt war?"

""Sie sind ein großer Mann!"" murmelte der Buchhalter - ""schon durch Ihre Oelspekulationen haben Sie sich weit und breit bekannt gemacht.""

Unangenehm berührte es den Hrn. Preiß, in seinen feierlichsten Momenten immer wieder an Oel und dergleichen erinnert zu werden. Der Buchhalter schien dies aber gar nicht zu merken - ""auch durch Ihre Unternehmungen in Korn, machten Sie sich sehr verdient um die Gesellschaft -"" wiederum war es Hrn. Preiß, als schüttete Jemand einen Eimer kaltes Wasser über seinen Kopf - ""wüßten die Leute aber erst, was Sie in Quadratfüßen - -"" hier verlor der Hr. Preiß die Geduld - -

"Genug, die Shrapnell's haben den Ausschlag gegeben -" rief er; "aus sicherer Quelle weiß ich, daß man mich in der Residenz zur Bildung eines neuen Ministeriums erwartet.

Der Buchhalter Lenz hätte vor Schrecken fast ein Kind gekriegt.

""Exzellenz!"" stotterte er, seine Nase erblaßte.

Auf das ganz ungegründete Gerücht hin, daß der Hr. Preiß Minister-Präsident werde, warfen ihm rohe Proletarier aber noch selbigen Abends die Fenster ein.

[Rußland]

[Fortsetzung] und wohldressirte Leute sein, die Garden allein entscheiden die Sache noch nicht. Auf den russischen Soldaten als solchen kommt es an. Mit diesem aber sieht es schlimm genug aus. Wer war jemals in Rußland und fühlte sich nicht überrascht von den Cohorten des Elends! Gelbfahle Gesichter mit eingefallenen Wangen, in denen sich der Hunger eingenistet! Denn die Speisen, die ihnen die Krone zuweist, werden ihnen von den Obersten, den Vätern der Regimenter, sorgsamst aus gewissen Hinterhalten zugetheilt. Soldaten die in den Städten auf dem Posten stehen, flehen den Daherkommenden mit leiser Stimme an: man möge einen Kopeken zur Erde werfen, den sie später nach vielem Umsichblicken vorsichtig aufheben, denn es wäre ja möglich, daß sie theilen müßten. Dann bei diesem Hunger die ungeheuren Märsche, auf welchen sie wie Fliegen sterben, was nur der erfährt, der es selber miterlebte. Aber dennoch ist der russische Soldat tapfer, weil er den Tod nicht fürchtet, der schon in Friedenszeiten mit Hunger, Strapazen und Knuten tüchtig auf ihn einhieb.

Ungarn.
Pesth, 27. Juni.

Aus Temeswar sind gestern hier neue beunruhigende Nachrichten eingegangen. Unter Anführung von Georg Stanimirovich und Novakovich rückten 700 Aufständische am 23. Juni gegen die Stadt Weißkirchen und foderten den dortigen Oberstlieutenant Dreihahn zur Unterwerfung auf. Dieser übergab ihnen ohne allen Widerstand die Stadt mit 3 Kanonen, 215 Schießgewehren, 30 Ctr. Pulver und einer Kompagnie Soldaten. Der Oberstlieutenant Dreihahn wird des Verraths beschuldigt, indem er auch 1200 Nationalgardisten hätte aufbieten können. Von Weißkirchen rückten die Aufständischen am 24. Juni gegen Werschetz bei Temeswar, wo am 25. Juni ein Treffen erwartet wurde. Georg Stanimirovich ist aus Serbien und in seinem Trupp waren auch die meisten aus Belgrad herübergekommenen Aufwiegler. Schon früher plünderte ein solcher Haufe in Titel im Csaikistenbezirke. Dagegen lauten die Nachrichten aus Karlowitz und Neusatz erfreulicher. Ein sehr großer Theil der csaikistischen, kroatischen und slawonischen Grenzer und Bauern haben in Folge der königl. Proklamationen die Lager bei Karlowitz und in den sogenannten römischen Schanzen verlassen und sind nach Hause gegangen. Der König hat neuerdings eine Proklamation an die Csaikisten gerichtet, in welcher er ihnen streng befiehlt, die in Titel weggenommenen Kanonen und Waffen zurückzustellen und ruhig nach Hause zu gehen. In Neusatz soll die ungarische Fahne wehen. Der Banus von Kroatien, Baron Joseph Jellachich, welcher am 20. Juni Innsbruck verlassen, soll in Agram eingetroffen sein. Der Agitator Dr. L. Gaj dagegen soll die Flucht ergriffen haben.

(D. A. Z.)
Pesth, 26. Juni.

Der türkische Gesandte, welcher aus Innsbruck vorgestern ankam, reiste heute weiter nach Konstantinopel. Er soll in Innsbruck den dringenden Auftrag erhalten haben, bei seiner Regierung die strenge Verwarnung des Fürsten von Serbien gegen jeden feindseligen Schritt zu befürworten, welcher das friedliche Verhältniß der Pforte mit Ungarn resp. Oesterreich stören könnte. - Aus Innsbruck hat das Ministerium günstige Nachrichten erhalten. Die serbische und die kroatische Deputation wurde als solche bei dem König nicht vorgelassen. Den einzelnen Mitgliedern derselben aber erklärte der König in einer Privataudienz, daß die Beschlüsse der agramer Landescongregation und des karlowitzer Kongresses gesetzwidrig gefaßt worden, daß sie ihm ihre Wünsche nur mittels des allgemeinen ungarischen Reichstags und des ungarischen Ministeriums vortragen können. Uebrigens werde er ihre Rechte stets unverletzt aufrecht erhalten. Der Erzherzog Johann ist bekanntlich zum Vermittler zwischen Ungarn und den Illyriern ernannt. Eine Landescongregation in Agram und eine griechische Synode in Temeswar sollen die Wünsche und Foderungen der Illyrier formuliren. Die königl. Proklamation an die Serbianer hat eine gute Wirkung gemacht. Ein großer Theil von ihnen hat die Waffen niedergelegt, ohne jedoch die Ansprüche einer nationalen Selbstständigkeit aufzugeben. In jener Stelle der Proklamation, wo der König den Serbianern ihre Sprache und "Nationalität" garantirt, sehen sie eben die Zusicherung einer nationalen Selbstständigkeit, indem es außer der Sprache keine andere Nationalität gebe als die Selbstständigkeit.

- Die Agramer Zeitung vom 24. Juni bringt unter der Rubrik "Neuestes" folgende Nachricht: Die Serben haben bei Kikinda einen glänzenden Sieg über ihre Feinde errungen. Sie erbeuteten acht Kanonen und haben nur fünf Czaikisten und drei Serben unter den Todten, während der Feind eine weit größere Anzahl von Todten und Verwundeten hat. Der österreichische Consul in Belgrad hat gegen das Bombardement und die Gewaltthaten einen Protest eingelegt.

Peterwardein, 21. Juni.

Ich freue mich, melden zu können, daß sowohl die Grenzer als auch die aufgestandene illyrische Bevölkerung in Folge der Publikation des kaiserl. Manifestes sich unserm Landesministerium unterworfen haben und somit die im Lager bei Jarek, Titel und Perlas versammelt gewesenen Csaikisten, Deutschbanater- und Peterwardeiner-Grenzer, zu Pflicht und Gehorsam zurückkehrend, auf dem Wege nach ihrer Heimath sich befinden.

(Pesth. Z.)
Belgien.
Brüssel 5. Juli.

Der greise 81jährige General Mellinet wird so eben arretirt unter dem lächerlichen Vorwand in die Affaire Risquons-Toot verwickelt zu sein. Die liberale Musterregierung fühlt sich erst sicher, sobald sie alle Größen der Septemberrevolution, der sie ihren Ursprung verdankt, unter Schloß und Riegel weiß. Mellinet war der einzige belgische General, der Lorbeeren in dem belgischen Krieg gegen die Holländer gewonnen hat und in seinem Siegeszuge nach Maestricht nur durch die Verrätherei desselben Rogier aufgehalten wurde, der ihn heute einsperren läßt.

Zu Charleroi läßt die Regierung in brutalster Weise Hrn. Delean einen Schriftsteller der Opposition expulsiren - einen an eine belgische Frau verheiratheten Franzosen, der Belgien seit sieben Jahren bewohnt und allgemein geachtet war. Zwei Professoren derselben Stadt empfangen einige Tage später ihre Entlassung wegen zu avancirter politischen Meinungen und die Regierung hört deßwegen nicht auf sich majestätisch liberal, progressiv, tolerant, gerecht und billig zu tituliren. Aber was hätten denn die Herren Rogier und Chazal gesagt, - selbst zwei Franzosen - wenn der König Wilhelm sie vertrieben hätten, an der Gränzscheide des ancien regime, als sie die belgische Gastfreundschaft benutzten, um der nassauischen Dynastie den heftigsten Krieg zu machen?

(L'Union Konstitutionelle.)
Italien.
* Turin, 28. Juni.
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* Florenz, 24. Juni.
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* Florenz, 27. Juni.
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* Modena, 22. Juni.
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Französische Republik.
* Paris, 3. Juli.

Guizot giebt jetzt ein Blatt zu London heraus, den "Spektateur de Londres". Er zeichnet seine Artikel unter dem Pseudonym "Georges de Klindworth". Wir geben hier den Schluß seines im "Spektateur" veröffentlichten Programms:

"Die Fürsten fliehen vom Thron, ohne das Schwerdt zu ziehn, oder verstehn sich zu unmöglichen und schimpflichen Transaktionen. Die Staatsmänner haben weder die Einsicht der Zukunft, noch die Empfindung der Gegenwart, noch den Muth der Vergangenheit. Die Richter bleiben auf ihren Sitzen, nicht mit der stoischen Unempfindlichkeit des Gesetzes, sondern mit der Gleichgültigkeit des Egoismus. Der Priester beugt das Haupt unter eine komödienhafte und höhnische Sympathie, als wenn es ihm erlaubt wäre abzudanken, auch ihm. Die Revolutionäre selbst sind eben so nichtig, eben so ohnmächtig als die blaßen Gegner, die sie bekämpfen. Erbärmliche Parodisten einer andern Epoche umgeben sie mit eitlem Schaugepräng die kindisch gewordene Revolution. Die Ordnungslosigkeit ist heute stationär, zugebraust durch die entgegengesetzten Winde aller Horizonte zugleich. Es ist dies die Stagnation im Sturm."

Von der Mittelklasse sagt Guizot: "Wenn wir die Mittelklasse betrachten, so begierig überall sich der Gewalt zu bemächtigen, aber zugleich so wenig muthig, so voreingenommen von Privatinteressen und trotz ihrer sogenannten Wissenschaft und dem Schulsystem, so gänzlich entblößt von Urtheilskraft und von politischer Erfahrung, so werden wir nicht verwundert sein, daß sie hier die Macht sich entschlüpfen läßt, daß sie dort nahe daran scheint, sie zu verlieren, und daß sie überall sich überfluthet oder im Schach gehalten fühlt durch den Radikalismus."

Wie wenig Herr Guizot selbst seine alte Ideologie abgestreift hat, wie wenig er dahin gelangt ist, die politischen Erscheinungen in ihrem Zusammenhang mit den wirklichen Lebensverhältnissen aufzufassen, beweist z. B. folgender Passus:

"Es giebt keine einzige Thatsache, kein einziges Ereigniß, kein einziger politischer Akt, der nicht das Resultat eines Prinzips wäre, eines falschen oder eines wahren Prinzips. So hat z. B. die materialistische Philosophie des 18. Jahrhunderts, lange Zeit geliebkost von allen europäischen Fürsten, den Sturm vorbereitet, in dem die alte französische Konstitution zu Grunde ging und dessen letzte Schläge heute neue Revolutionen im größten Theil des Kontinents hervorbringen."

Die Times hat einmal mit Recht bemerkt, daß Herr Guizot weder die Industrie, noch den Handel, noch ihre Geschichte kennt. Der ideelle Ausdruck der historischen Bedürfnisse und Bewegungen, - das Prinzip, die Thorie - gelten ihm daher für den Grund dieser Bewegungen und Bedürfnisse. So konnte es kommen, daß dieser Mann lange wähnte, sein System, seine Doktrin, seine Prinzipien ins Werk zu setzen, während er in Wirklichkeit die gegebenen Interessen einer kleiner Fraktion der französischen Bourgeoisie zum Prinzip erhob, und doktrinär verherrlichte.

15 Paris, 3. Juli.

Die neuen Thermidorier proskribiren seit acht Tagen und werden noch lange fort proskribiren. So eben ward Grandmenil, der ehemalige Gerant von La Reforme und braver Militärarzt, seit lange in der ersten Reihe der Demokraten, verhaftet; ein reicher Finanzier aus der Rue Hauteville, der das jetzt unterdrückte Blatt "Organisation du Travail" mit Geld unterstützte, war ihm bereits in den Kerker vorausgegangen; gegen Cabet ist gestern der Verhaftsbefehl unterzeichnet worden, doch hatte Cabet sich wohlweislich auf's Land zurückgezogen, Ribeyrolles Redakteur en chef von La Reforme, sieht täglich einem gleichen entgegen; Lachambaudie, der bekannte Dichter der Demokratie, ist verhaftet. Alle die je mit den Maigefangenen in Berührung gestanden, werden verhaftet. Tag und Nacht ist der lange "Arm der Gerechtigkeit" in rastloser Bewegung, und er dürfte Personen in diesen Tagen erhaschen, die vor der Mordschlacht in den höchsten Aemtern sich befanden. Unleugbar ist es oft auch persönlicher Haß, der jenen Arm lenkt. - Noch immer erfährt man neue Details über die Heldenthaten der Bourgeois und Mobilgarde. Augenzeugen versichern im vertrauten Gespräche (das Spioniren ist im besten Gange), daß die namenlosesten Ausschweifungen am Sonntage und Montage von den berauschten und aufgehetzten Mobilgarden verübt worden. Im Luxemburger Garten trieben sie 57 Gefangene zusammen, rissen ihnen die Blousen und Hemden in Fetzen zerschlugen ihnen mit Kolben und Fäusten die Gesichter, zerzausten ihnen Haar und Bart, und schossen endlich die Halbnackten und Bluttriefenden in einem Pelotonfeuer an der Mauer nieder; was noch überlebte, verendete unter Bajonettstößen. Wir haben diese 1793ger Exekution nicht gesehen, waren aber Ohrenzeugen des grausigen Geschreis, der dumpfen Schläge und Püffe, und zuletzt der Gewehrsalven; das Ganze mochte dreißig Minuten gedauert haben. Gesehen haben wir mit unsern Augen wie drei Mobile und ein republikanischer Gardist einen blutenden Blousenmann in der im Durchstichsbau begriffenen Straße St. Hyacinth, am Pantheon, bei Armen und Beinen packten, unter Flüchen in ein Loch am Mauerwerk schleuderten und von oben herab todtschossen; chien, va (Hund, geh) schrieen sie ihm nach. Als die kolossale Barrikade im Quartier Latin und XII. Arrondissement, Ecke der Straßen St. Jacques und Mathurins, wo nach Arago's Aussage der Insurgentenhauptmann in einer Unterredung "als Ehrenmann" sich vorher benommen, gestürmt war, mußten wieder vierzig Ouvriers die Waffen strecken und wurden an der Mauer des gothischen Hotel Cluny erschossen.

So eben erzählt man, auf Frau George Sand werde gefahndet; die Banditenattake der zweiten Legion auf den Volksrepräsentanten Louis Blanc bleibt unbeachtet. In mehrern Hospitälern transportirt das Verwaltungskomite derselben jetzt jeden Blessirten, der des Aufruhrs auch nur verdächtig scheint, in einen besondern Saal, wo ein Wachtposten der Nationalgarde unter einem Oberlieutenant steht; an den Saalthüren paradiren Bourgeois Gewehr im Arm. Wer eine breite Wunde von einem Pflasterstein- und Granatenbruchstück trägt, ist natürlich zum Insurgenten gestempelt. Die Gestalt der Kugeln wird jetzt schriftlich und mündlich bis zum Ekel verhandelt; daß sie oft sehr absonderlich gewesen, bezeugen die Wunden und einzelne Exemplare, z. B. zackig, oder spitzig; aber es ist augenscheinlich daß dies nicht absichtlich geschehen um Todwunden zu verursachen, sondern aus Mangel an Zeit und Kugelgußapparaten. Wenigstens ist so viel klar daß die Wandnägel, die voll Metall gegossenen Fingerhüte, die zusammengerollten Messingdräthe und Ringe von Fenster- und Bettgardinen, die Glaskügelchen aus Halsbändern und die geknäulten Zinn- und Bleistreifen von Dachrinnen aus Nothbehelf verschossen wurden; zumal in den vielen Patronen, die man während des Gefechts unter den Kleidern von Damen und Arbeiterinnen entdeckte, gerade nur gewöhnliche Kugeln waren. Das Gerede endlich von Giftkugeln erweist sich als faktische Lüge; es wird schon durch die materielle Unmöglichkeit entkräftet, Arsenik oder Grünspan in tödtender Dosis auf der Kugel zu befestigen; von Blau- und Schwefelsäure u. dgl. nicht zu sprechen.

Die Geschäfte gehen wieder scheinbar ihren Gang; man sieht weniger Nationalgardenwachen auf der Straße stehen, und das langgedehnte Feldgeschrei: Sentinelle prenez garde a vous, das bisher von Ecke zu Ecke alle 10 Minuten Nachts ertönte, nimmt ab. Unvergeßlich wird aber jedem der Anblick der Stadt in den drei letzten Bluttagen bleiben: kein Wagen, kein Civilreiter, kein Hund, kein Kind auf den Gassen, alle Fenster und Thüren zu, kein Boot auf der Seine, kein Handwerksgeräusch, kein laufendes Brunnenwasser, fast kein Schornsteindampfen. (Die meisten Einwohner mußten wegen Kommunikationsmangel fasten). - So eben kommt die Nachricht, 560 "Räuber" seien von den Bauern gefangen und hundert auf dem Fleck füsilirt worden; der Rest kommt in die Forts.

8 Paris, 3. Juli.

Den Kämpfen der Slawenrace in Böhmen, Ungarn und Polen, folgt man hier trotz unserer innern Gährungen mit sehr aufmerksamem Auge. In Bezug auf die Slawen-Propaganda, versicherte man uns gestern, sei George Sand in den Besitz von Papieren gelangt, welche den von hier verbannten Rus-

Reihen ihrer schlichtesten Bürger. Dort stehen die Männer, welche das Wrack des Staates retten, welche es mit kräftiger Faust durch den Schaum des Orkans zurück in den sicher schaukelnden Hafen geleiten können.“ Dem Buchhalter Lenz brach der Angstschweiß aus; noch nie hatte ihn der würdige Herr mit so blumenreichen Redensarten überschüttet.

„Ist es daher ein Wunder, Lenz, daß man auch auf mich sein Auge geworfen? ‒“ Der Buchhalter wollte eine Prise nehmen, aber die Glieder versagten ihm den Dienst.

„Ist es ein Wunder, daß man auch mich aus dem Dunkel des Geschäftslebens herausreißt, um meinen Fähigkeiten den Platz anzuweisen, der ihnen im Buche des Schicksals bestimmt war?“

„„Sie sind ein großer Mann!““ murmelte der Buchhalter ‒ „„schon durch Ihre Oelspekulationen haben Sie sich weit und breit bekannt gemacht.““

Unangenehm berührte es den Hrn. Preiß, in seinen feierlichsten Momenten immer wieder an Oel und dergleichen erinnert zu werden. Der Buchhalter schien dies aber gar nicht zu merken ‒ „„auch durch Ihre Unternehmungen in Korn, machten Sie sich sehr verdient um die Gesellschaft ‒““ wiederum war es Hrn. Preiß, als schüttete Jemand einen Eimer kaltes Wasser über seinen Kopf ‒ „„wüßten die Leute aber erst, was Sie in Quadratfüßen ‒ ‒““ hier verlor der Hr. Preiß die Geduld ‒ ‒

„Genug, die Shrapnell's haben den Ausschlag gegeben ‒“ rief er; „aus sicherer Quelle weiß ich, daß man mich in der Residenz zur Bildung eines neuen Ministeriums erwartet.

Der Buchhalter Lenz hätte vor Schrecken fast ein Kind gekriegt.

„„Exzellenz!““ stotterte er, seine Nase erblaßte.

Auf das ganz ungegründete Gerücht hin, daß der Hr. Preiß Minister-Präsident werde, warfen ihm rohe Proletarier aber noch selbigen Abends die Fenster ein.

[Rußland]

[Fortsetzung] und wohldressirte Leute sein, die Garden allein entscheiden die Sache noch nicht. Auf den russischen Soldaten als solchen kommt es an. Mit diesem aber sieht es schlimm genug aus. Wer war jemals in Rußland und fühlte sich nicht überrascht von den Cohorten des Elends! Gelbfahle Gesichter mit eingefallenen Wangen, in denen sich der Hunger eingenistet! Denn die Speisen, die ihnen die Krone zuweist, werden ihnen von den Obersten, den Vätern der Regimenter, sorgsamst aus gewissen Hinterhalten zugetheilt. Soldaten die in den Städten auf dem Posten stehen, flehen den Daherkommenden mit leiser Stimme an: man möge einen Kopeken zur Erde werfen, den sie später nach vielem Umsichblicken vorsichtig aufheben, denn es wäre ja möglich, daß sie theilen müßten. Dann bei diesem Hunger die ungeheuren Märsche, auf welchen sie wie Fliegen sterben, was nur der erfährt, der es selber miterlebte. Aber dennoch ist der russische Soldat tapfer, weil er den Tod nicht fürchtet, der schon in Friedenszeiten mit Hunger, Strapazen und Knuten tüchtig auf ihn einhieb.

Ungarn.
Pesth, 27. Juni.

Aus Temeswar sind gestern hier neue beunruhigende Nachrichten eingegangen. Unter Anführung von Georg Stanimirovich und Novakovich rückten 700 Aufständische am 23. Juni gegen die Stadt Weißkirchen und foderten den dortigen Oberstlieutenant Dreihahn zur Unterwerfung auf. Dieser übergab ihnen ohne allen Widerstand die Stadt mit 3 Kanonen, 215 Schießgewehren, 30 Ctr. Pulver und einer Kompagnie Soldaten. Der Oberstlieutenant Dreihahn wird des Verraths beschuldigt, indem er auch 1200 Nationalgardisten hätte aufbieten können. Von Weißkirchen rückten die Aufständischen am 24. Juni gegen Werschetz bei Temeswar, wo am 25. Juni ein Treffen erwartet wurde. Georg Stanimirovich ist aus Serbien und in seinem Trupp waren auch die meisten aus Belgrad herübergekommenen Aufwiegler. Schon früher plünderte ein solcher Haufe in Titel im Csaikistenbezirke. Dagegen lauten die Nachrichten aus Karlowitz und Neusatz erfreulicher. Ein sehr großer Theil der csaikistischen, kroatischen und slawonischen Grenzer und Bauern haben in Folge der königl. Proklamationen die Lager bei Karlowitz und in den sogenannten römischen Schanzen verlassen und sind nach Hause gegangen. Der König hat neuerdings eine Proklamation an die Csaikisten gerichtet, in welcher er ihnen streng befiehlt, die in Titel weggenommenen Kanonen und Waffen zurückzustellen und ruhig nach Hause zu gehen. In Neusatz soll die ungarische Fahne wehen. Der Banus von Kroatien, Baron Joseph Jellachich, welcher am 20. Juni Innsbruck verlassen, soll in Agram eingetroffen sein. Der Agitator Dr. L. Gaj dagegen soll die Flucht ergriffen haben.

(D. A. Z.)
Pesth, 26. Juni.

Der türkische Gesandte, welcher aus Innsbruck vorgestern ankam, reiste heute weiter nach Konstantinopel. Er soll in Innsbruck den dringenden Auftrag erhalten haben, bei seiner Regierung die strenge Verwarnung des Fürsten von Serbien gegen jeden feindseligen Schritt zu befürworten, welcher das friedliche Verhältniß der Pforte mit Ungarn resp. Oesterreich stören könnte. ‒ Aus Innsbruck hat das Ministerium günstige Nachrichten erhalten. Die serbische und die kroatische Deputation wurde als solche bei dem König nicht vorgelassen. Den einzelnen Mitgliedern derselben aber erklärte der König in einer Privataudienz, daß die Beschlüsse der agramer Landescongregation und des karlowitzer Kongresses gesetzwidrig gefaßt worden, daß sie ihm ihre Wünsche nur mittels des allgemeinen ungarischen Reichstags und des ungarischen Ministeriums vortragen können. Uebrigens werde er ihre Rechte stets unverletzt aufrecht erhalten. Der Erzherzog Johann ist bekanntlich zum Vermittler zwischen Ungarn und den Illyriern ernannt. Eine Landescongregation in Agram und eine griechische Synode in Temeswar sollen die Wünsche und Foderungen der Illyrier formuliren. Die königl. Proklamation an die Serbianer hat eine gute Wirkung gemacht. Ein großer Theil von ihnen hat die Waffen niedergelegt, ohne jedoch die Ansprüche einer nationalen Selbstständigkeit aufzugeben. In jener Stelle der Proklamation, wo der König den Serbianern ihre Sprache und „Nationalität“ garantirt, sehen sie eben die Zusicherung einer nationalen Selbstständigkeit, indem es außer der Sprache keine andere Nationalität gebe als die Selbstständigkeit.

‒ Die Agramer Zeitung vom 24. Juni bringt unter der Rubrik „Neuestes“ folgende Nachricht: Die Serben haben bei Kikinda einen glänzenden Sieg über ihre Feinde errungen. Sie erbeuteten acht Kanonen und haben nur fünf Czaikisten und drei Serben unter den Todten, während der Feind eine weit größere Anzahl von Todten und Verwundeten hat. Der österreichische Consul in Belgrad hat gegen das Bombardement und die Gewaltthaten einen Protest eingelegt.

Peterwardein, 21. Juni.

Ich freue mich, melden zu können, daß sowohl die Grenzer als auch die aufgestandene illyrische Bevölkerung in Folge der Publikation des kaiserl. Manifestes sich unserm Landesministerium unterworfen haben und somit die im Lager bei Jarek, Titel und Perlas versammelt gewesenen Csaikisten, Deutschbanater- und Peterwardeiner-Grenzer, zu Pflicht und Gehorsam zurückkehrend, auf dem Wege nach ihrer Heimath sich befinden.

(Pesth. Z.)
Belgien.
Brüssel 5. Juli.

Der greise 81jährige General Mellinet wird so eben arretirt unter dem lächerlichen Vorwand in die Affaire Risquons-Toot verwickelt zu sein. Die liberale Musterregierung fühlt sich erst sicher, sobald sie alle Größen der Septemberrevolution, der sie ihren Ursprung verdankt, unter Schloß und Riegel weiß. Mellinet war der einzige belgische General, der Lorbeeren in dem belgischen Krieg gegen die Holländer gewonnen hat und in seinem Siegeszuge nach Maestricht nur durch die Verrätherei desselben Rogier aufgehalten wurde, der ihn heute einsperren läßt.

Zu Charleroi läßt die Regierung in brutalster Weise Hrn. Delean einen Schriftsteller der Opposition expulsiren ‒ einen an eine belgische Frau verheiratheten Franzosen, der Belgien seit sieben Jahren bewohnt und allgemein geachtet war. Zwei Professoren derselben Stadt empfangen einige Tage später ihre Entlassung wegen zu avancirter politischen Meinungen und die Regierung hört deßwegen nicht auf sich majestätisch liberal, progressiv, tolerant, gerecht und billig zu tituliren. Aber was hätten denn die Herren Rogier und Chazal gesagt, ‒ selbst zwei Franzosen ‒ wenn der König Wilhelm sie vertrieben hätten, an der Gränzscheide des ancien règime, als sie die belgische Gastfreundschaft benutzten, um der nassauischen Dynastie den heftigsten Krieg zu machen?

(L'Union Konstitutionelle.)
Italien.
* Turin, 28. Juni.
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* Florenz, 24. Juni.
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* Florenz, 27. Juni.
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* Modena, 22. Juni.
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Französische Republik.
* Paris, 3. Juli.

Guizot giebt jetzt ein Blatt zu London heraus, den „Spektateur de Londres“. Er zeichnet seine Artikel unter dem Pseudonym „Georges de Klindworth“. Wir geben hier den Schluß seines im „Spektateur“ veröffentlichten Programms:

„Die Fürsten fliehen vom Thron, ohne das Schwerdt zu ziehn, oder verstehn sich zu unmöglichen und schimpflichen Transaktionen. Die Staatsmänner haben weder die Einsicht der Zukunft, noch die Empfindung der Gegenwart, noch den Muth der Vergangenheit. Die Richter bleiben auf ihren Sitzen, nicht mit der stoischen Unempfindlichkeit des Gesetzes, sondern mit der Gleichgültigkeit des Egoismus. Der Priester beugt das Haupt unter eine komödienhafte und höhnische Sympathie, als wenn es ihm erlaubt wäre abzudanken, auch ihm. Die Revolutionäre selbst sind eben so nichtig, eben so ohnmächtig als die blaßen Gegner, die sie bekämpfen. Erbärmliche Parodisten einer andern Epoche umgeben sie mit eitlem Schaugepräng die kindisch gewordene Revolution. Die Ordnungslosigkeit ist heute stationär, zugebraust durch die entgegengesetzten Winde aller Horizonte zugleich. Es ist dies die Stagnation im Sturm.“

Von der Mittelklasse sagt Guizot: „Wenn wir die Mittelklasse betrachten, so begierig überall sich der Gewalt zu bemächtigen, aber zugleich so wenig muthig, so voreingenommen von Privatinteressen und trotz ihrer sogenannten Wissenschaft und dem Schulsystem, so gänzlich entblößt von Urtheilskraft und von politischer Erfahrung, so werden wir nicht verwundert sein, daß sie hier die Macht sich entschlüpfen läßt, daß sie dort nahe daran scheint, sie zu verlieren, und daß sie überall sich überfluthet oder im Schach gehalten fühlt durch den Radikalismus.“

Wie wenig Herr Guizot selbst seine alte Ideologie abgestreift hat, wie wenig er dahin gelangt ist, die politischen Erscheinungen in ihrem Zusammenhang mit den wirklichen Lebensverhältnissen aufzufassen, beweist z. B. folgender Passus:

„Es giebt keine einzige Thatsache, kein einziges Ereigniß, kein einziger politischer Akt, der nicht das Resultat eines Prinzips wäre, eines falschen oder eines wahren Prinzips. So hat z. B. die materialistische Philosophie des 18. Jahrhunderts, lange Zeit geliebkost von allen europäischen Fürsten, den Sturm vorbereitet, in dem die alte französische Konstitution zu Grunde ging und dessen letzte Schläge heute neue Revolutionen im größten Theil des Kontinents hervorbringen.“

Die Times hat einmal mit Recht bemerkt, daß Herr Guizot weder die Industrie, noch den Handel, noch ihre Geschichte kennt. Der ideelle Ausdruck der historischen Bedürfnisse und Bewegungen, ‒ das Prinzip, die Thorie ‒ gelten ihm daher für den Grund dieser Bewegungen und Bedürfnisse. So konnte es kommen, daß dieser Mann lange wähnte, sein System, seine Doktrin, seine Prinzipien ins Werk zu setzen, während er in Wirklichkeit die gegebenen Interessen einer kleiner Fraktion der französischen Bourgeoisie zum Prinzip erhob, und doktrinär verherrlichte.

15 Paris, 3. Juli.

Die neuen Thermidorier proskribiren seit acht Tagen und werden noch lange fort proskribiren. So eben ward Grandmenil, der ehemalige Gerant von La Reforme und braver Militärarzt, seit lange in der ersten Reihe der Demokraten, verhaftet; ein reicher Finanzier aus der Rue Hauteville, der das jetzt unterdrückte Blatt „Organisation du Travail“ mit Geld unterstützte, war ihm bereits in den Kerker vorausgegangen; gegen Cabet ist gestern der Verhaftsbefehl unterzeichnet worden, doch hatte Cabet sich wohlweislich auf's Land zurückgezogen, Ribeyrolles Redakteur en chef von La Reforme, sieht täglich einem gleichen entgegen; Lachambaudie, der bekannte Dichter der Demokratie, ist verhaftet. Alle die je mit den Maigefangenen in Berührung gestanden, werden verhaftet. Tag und Nacht ist der lange „Arm der Gerechtigkeit“ in rastloser Bewegung, und er dürfte Personen in diesen Tagen erhaschen, die vor der Mordschlacht in den höchsten Aemtern sich befanden. Unleugbar ist es oft auch persönlicher Haß, der jenen Arm lenkt. ‒ Noch immer erfährt man neue Details über die Heldenthaten der Bourgeois und Mobilgarde. Augenzeugen versichern im vertrauten Gespräche (das Spioniren ist im besten Gange), daß die namenlosesten Ausschweifungen am Sonntage und Montage von den berauschten und aufgehetzten Mobilgarden verübt worden. Im Luxemburger Garten trieben sie 57 Gefangene zusammen, rissen ihnen die Blousen und Hemden in Fetzen zerschlugen ihnen mit Kolben und Fäusten die Gesichter, zerzausten ihnen Haar und Bart, und schossen endlich die Halbnackten und Bluttriefenden in einem Pelotonfeuer an der Mauer nieder; was noch überlebte, verendete unter Bajonettstößen. Wir haben diese 1793ger Exekution nicht gesehen, waren aber Ohrenzeugen des grausigen Geschreis, der dumpfen Schläge und Püffe, und zuletzt der Gewehrsalven; das Ganze mochte dreißig Minuten gedauert haben. Gesehen haben wir mit unsern Augen wie drei Mobile und ein republikanischer Gardist einen blutenden Blousenmann in der im Durchstichsbau begriffenen Straße St. Hyacinth, am Pantheon, bei Armen und Beinen packten, unter Flüchen in ein Loch am Mauerwerk schleuderten und von oben herab todtschossen; chien, va (Hund, geh) schrieen sie ihm nach. Als die kolossale Barrikade im Quartier Latin und XII. Arrondissement, Ecke der Straßen St. Jacques und Mathurins, wo nach Arago's Aussage der Insurgentenhauptmann in einer Unterredung „als Ehrenmann“ sich vorher benommen, gestürmt war, mußten wieder vierzig Ouvriers die Waffen strecken und wurden an der Mauer des gothischen Hotel Cluny erschossen.

So eben erzählt man, auf Frau George Sand werde gefahndet; die Banditenattake der zweiten Legion auf den Volksrepräsentanten Louis Blanc bleibt unbeachtet. In mehrern Hospitälern transportirt das Verwaltungskomite derselben jetzt jeden Blessirten, der des Aufruhrs auch nur verdächtig scheint, in einen besondern Saal, wo ein Wachtposten der Nationalgarde unter einem Oberlieutenant steht; an den Saalthüren paradiren Bourgeois Gewehr im Arm. Wer eine breite Wunde von einem Pflasterstein- und Granatenbruchstück trägt, ist natürlich zum Insurgenten gestempelt. Die Gestalt der Kugeln wird jetzt schriftlich und mündlich bis zum Ekel verhandelt; daß sie oft sehr absonderlich gewesen, bezeugen die Wunden und einzelne Exemplare, z. B. zackig, oder spitzig; aber es ist augenscheinlich daß dies nicht absichtlich geschehen um Todwunden zu verursachen, sondern aus Mangel an Zeit und Kugelgußapparaten. Wenigstens ist so viel klar daß die Wandnägel, die voll Metall gegossenen Fingerhüte, die zusammengerollten Messingdräthe und Ringe von Fenster- und Bettgardinen, die Glaskügelchen aus Halsbändern und die geknäulten Zinn- und Bleistreifen von Dachrinnen aus Nothbehelf verschossen wurden; zumal in den vielen Patronen, die man während des Gefechts unter den Kleidern von Damen und Arbeiterinnen entdeckte, gerade nur gewöhnliche Kugeln waren. Das Gerede endlich von Giftkugeln erweist sich als faktische Lüge; es wird schon durch die materielle Unmöglichkeit entkräftet, Arsenik oder Grünspan in tödtender Dosis auf der Kugel zu befestigen; von Blau- und Schwefelsäure u. dgl. nicht zu sprechen.

Die Geschäfte gehen wieder scheinbar ihren Gang; man sieht weniger Nationalgardenwachen auf der Straße stehen, und das langgedehnte Feldgeschrei: Sentinelle prenez garde à vous, das bisher von Ecke zu Ecke alle 10 Minuten Nachts ertönte, nimmt ab. Unvergeßlich wird aber jedem der Anblick der Stadt in den drei letzten Bluttagen bleiben: kein Wagen, kein Civilreiter, kein Hund, kein Kind auf den Gassen, alle Fenster und Thüren zu, kein Boot auf der Seine, kein Handwerksgeräusch, kein laufendes Brunnenwasser, fast kein Schornsteindampfen. (Die meisten Einwohner mußten wegen Kommunikationsmangel fasten). ‒ So eben kommt die Nachricht, 560 „Räuber“ seien von den Bauern gefangen und hundert auf dem Fleck füsilirt worden; der Rest kommt in die Forts.

8 Paris, 3. Juli.

Den Kämpfen der Slawenrace in Böhmen, Ungarn und Polen, folgt man hier trotz unserer innern Gährungen mit sehr aufmerksamem Auge. In Bezug auf die Slawen-Propaganda, versicherte man uns gestern, sei George Sand in den Besitz von Papieren gelangt, welche den von hier verbannten Rus-

<TEI>
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          <pb facs="#f0002" n="0178"/>
          <p>Reihen ihrer schlichtesten Bürger. Dort stehen die Männer, welche das                         Wrack des Staates retten, welche es mit kräftiger Faust durch den Schaum des                         Orkans zurück in den sicher schaukelnden Hafen geleiten können.&#x201C; Dem                         Buchhalter Lenz brach der Angstschweiß aus; noch nie hatte ihn der würdige                         Herr mit so blumenreichen Redensarten überschüttet.</p>
          <p>&#x201E;Ist es daher ein Wunder, Lenz, daß man auch auf mich sein Auge geworfen? &#x2012;&#x201C;                         Der Buchhalter wollte eine Prise nehmen, aber die Glieder versagten ihm den                         Dienst.</p>
          <p>&#x201E;Ist es ein Wunder, daß man auch mich aus dem Dunkel des Geschäftslebens                         herausreißt, um meinen Fähigkeiten den Platz anzuweisen, der ihnen im Buche                         des Schicksals bestimmt war?&#x201C;</p>
          <p>&#x201E;&#x201E;Sie sind ein großer Mann!&#x201C;&#x201C; murmelte der Buchhalter &#x2012; &#x201E;&#x201E;schon durch Ihre                         Oelspekulationen haben Sie sich weit und breit bekannt gemacht.&#x201C;&#x201C;</p>
          <p>Unangenehm berührte es den Hrn. Preiß, in seinen feierlichsten Momenten immer                         wieder an Oel und dergleichen erinnert zu werden. Der Buchhalter schien dies                         aber gar nicht zu merken &#x2012; &#x201E;&#x201E;auch durch Ihre Unternehmungen in Korn, machten                         Sie sich sehr verdient um die Gesellschaft &#x2012;&#x201C;&#x201C; wiederum war es Hrn. Preiß,                         als schüttete Jemand einen Eimer kaltes Wasser über seinen Kopf &#x2012; &#x201E;&#x201E;wüßten                         die Leute aber erst, was Sie in Quadratfüßen &#x2012; &#x2012;&#x201C;&#x201C; hier verlor der Hr. Preiß                         die Geduld &#x2012; &#x2012;</p>
          <p>&#x201E;Genug, die Shrapnell's haben den Ausschlag gegeben &#x2012;&#x201C; rief er; &#x201E;aus sicherer                         Quelle weiß ich, daß man mich in der Residenz zur Bildung eines neuen                         Ministeriums erwartet.</p>
          <p>Der Buchhalter Lenz hätte vor Schrecken fast ein Kind gekriegt.</p>
          <p>&#x201E;&#x201E;Exzellenz!&#x201C;&#x201C; stotterte er, seine Nase erblaßte.</p>
          <p>Auf das ganz ungegründete Gerücht hin, daß der Hr. Preiß Minister-Präsident                         werde, warfen ihm rohe Proletarier aber noch selbigen Abends die Fenster                         ein.</p>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <head>[Rußland]</head>
        <div xml:id="ar036_012" type="jArticle">
          <p><ref type="link_fsg">[Fortsetzung]</ref> und wohldressirte Leute sein, die                         Garden allein entscheiden die Sache noch nicht. Auf den russischen Soldaten                         als solchen kommt es an. Mit diesem aber sieht es schlimm genug aus. Wer war                         jemals in Rußland und fühlte sich nicht überrascht von den Cohorten des                         Elends! Gelbfahle Gesichter mit eingefallenen Wangen, in denen sich der                         Hunger eingenistet! Denn die Speisen, die ihnen die Krone zuweist, werden                         ihnen von den Obersten, den Vätern der Regimenter, sorgsamst aus gewissen                         Hinterhalten zugetheilt. Soldaten die in den Städten auf dem Posten stehen,                         flehen den Daherkommenden mit leiser Stimme an: man möge einen Kopeken zur                         Erde werfen, den sie später nach vielem Umsichblicken vorsichtig aufheben,                         denn es wäre ja möglich, daß sie theilen müßten. Dann bei diesem Hunger die                         ungeheuren Märsche, auf welchen sie wie Fliegen sterben, was nur der                         erfährt, der es selber miterlebte. Aber dennoch ist der russische Soldat                         tapfer, weil er den Tod nicht fürchtet, der schon in Friedenszeiten mit                         Hunger, Strapazen und Knuten tüchtig auf ihn einhieb.</p>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <head>Ungarn.</head>
        <div xml:id="ar036_013" type="jArticle">
          <head>Pesth, 27. Juni.</head>
          <p>Aus Temeswar sind gestern hier neue beunruhigende Nachrichten eingegangen.                         Unter Anführung von Georg Stanimirovich und Novakovich rückten 700                         Aufständische am 23. Juni gegen die Stadt Weißkirchen und foderten den                         dortigen Oberstlieutenant Dreihahn zur Unterwerfung auf. Dieser übergab                         ihnen ohne allen Widerstand die Stadt mit 3 Kanonen, 215 Schießgewehren, 30                         Ctr. Pulver und einer Kompagnie Soldaten. Der Oberstlieutenant Dreihahn wird                         des Verraths beschuldigt, indem er auch 1200 Nationalgardisten hätte                         aufbieten können. Von Weißkirchen rückten die Aufständischen am 24. Juni                         gegen Werschetz bei Temeswar, wo am 25. Juni ein Treffen erwartet wurde.                         Georg Stanimirovich ist aus Serbien und in seinem Trupp waren auch die                         meisten aus Belgrad herübergekommenen Aufwiegler. Schon früher plünderte ein                         solcher Haufe in Titel im Csaikistenbezirke. Dagegen lauten die Nachrichten                         aus Karlowitz und Neusatz erfreulicher. Ein sehr großer Theil der                         csaikistischen, kroatischen und slawonischen Grenzer und Bauern haben in                         Folge der königl. Proklamationen die Lager bei Karlowitz und in den                         sogenannten römischen Schanzen verlassen und sind nach Hause gegangen. Der                         König hat neuerdings eine Proklamation an die Csaikisten gerichtet, in                         welcher er ihnen streng befiehlt, die in Titel weggenommenen Kanonen und                         Waffen zurückzustellen und ruhig nach Hause zu gehen. In Neusatz soll die                         ungarische Fahne wehen. Der Banus von Kroatien, Baron Joseph Jellachich,                         welcher am 20. Juni Innsbruck verlassen, soll in Agram eingetroffen sein.                         Der Agitator Dr. L. Gaj dagegen soll die Flucht ergriffen haben.</p>
          <bibl>(D. A. Z.)</bibl>
        </div>
        <div xml:id="ar036_014" type="jArticle">
          <head>Pesth, 26. Juni.</head>
          <p>Der türkische Gesandte, welcher aus Innsbruck vorgestern ankam, reiste heute                         weiter nach Konstantinopel. Er soll in Innsbruck den dringenden Auftrag                         erhalten haben, bei seiner Regierung die strenge Verwarnung des Fürsten von                         Serbien gegen jeden feindseligen Schritt zu befürworten, welcher das                         friedliche Verhältniß der Pforte mit Ungarn resp. Oesterreich stören könnte.                         &#x2012; Aus Innsbruck hat das Ministerium günstige Nachrichten erhalten. Die                         serbische und die kroatische Deputation wurde als solche bei dem König nicht                         vorgelassen. Den einzelnen Mitgliedern derselben aber erklärte der König in                         einer Privataudienz, daß die Beschlüsse der agramer Landescongregation und                         des karlowitzer Kongresses gesetzwidrig gefaßt worden, daß sie ihm ihre                         Wünsche nur mittels des allgemeinen ungarischen Reichstags und des                         ungarischen Ministeriums vortragen können. Uebrigens werde er ihre Rechte                         stets unverletzt aufrecht erhalten. Der Erzherzog Johann ist bekanntlich zum                         Vermittler zwischen Ungarn und den Illyriern ernannt. Eine                         Landescongregation in Agram und eine griechische Synode in Temeswar sollen                         die Wünsche und Foderungen der Illyrier formuliren. Die königl. Proklamation                         an die Serbianer hat eine gute Wirkung gemacht. Ein großer Theil von ihnen                         hat die Waffen niedergelegt, ohne jedoch die Ansprüche einer nationalen                         Selbstständigkeit aufzugeben. In jener Stelle der Proklamation, wo der König                         den Serbianern ihre Sprache und &#x201E;Nationalität&#x201C; garantirt, sehen sie eben die                         Zusicherung einer nationalen Selbstständigkeit, indem es außer der Sprache                         keine andere Nationalität gebe als die Selbstständigkeit.</p>
          <p>&#x2012; Die Agramer Zeitung vom 24. Juni bringt unter der Rubrik &#x201E;Neuestes&#x201C;                         folgende Nachricht: Die Serben haben bei Kikinda einen glänzenden Sieg über                         ihre Feinde errungen. Sie erbeuteten acht Kanonen und haben nur fünf                         Czaikisten und drei Serben unter den Todten, während der Feind eine weit                         größere Anzahl von Todten und Verwundeten hat. Der österreichische Consul in                         Belgrad hat gegen das Bombardement und die Gewaltthaten einen Protest                         eingelegt.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar036_015" type="jArticle">
          <head>Peterwardein, 21. Juni.</head>
          <p>Ich freue mich, melden zu können, daß sowohl die Grenzer als auch die                         aufgestandene illyrische Bevölkerung in Folge der Publikation des kaiserl.                         Manifestes sich unserm Landesministerium unterworfen haben und somit die im                         Lager bei Jarek, Titel und Perlas versammelt gewesenen Csaikisten,                         Deutschbanater- und Peterwardeiner-Grenzer, zu Pflicht und Gehorsam                         zurückkehrend, auf dem Wege nach ihrer Heimath sich befinden.</p>
          <bibl>(Pesth. Z.)</bibl>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <head>Belgien.</head>
        <div xml:id="ar036_016" type="jArticle">
          <head>Brüssel 5. Juli.</head>
          <p>Der greise 81jährige General <hi rendition="#g">Mellinet</hi> wird so eben                         arretirt unter dem lächerlichen Vorwand in die Affaire Risquons-Toot                         verwickelt zu sein. Die liberale Musterregierung fühlt sich erst sicher,                         sobald sie alle Größen der Septemberrevolution, der sie ihren Ursprung                         verdankt, unter Schloß und Riegel weiß. Mellinet war der einzige belgische                         General, der Lorbeeren in dem belgischen Krieg gegen die Holländer gewonnen                         hat und in seinem Siegeszuge nach Maestricht nur durch die <hi rendition="#g">Verrätherei</hi> desselben <hi rendition="#g">Rogier</hi> aufgehalten wurde, der ihn heute einsperren läßt.</p>
          <p>Zu Charleroi läßt die Regierung in brutalster Weise Hrn. <hi rendition="#g">Delean</hi> einen Schriftsteller der Opposition expulsiren &#x2012; einen an                         eine belgische Frau verheiratheten Franzosen, der Belgien seit sieben Jahren                         bewohnt und allgemein geachtet war. Zwei Professoren derselben Stadt                         empfangen einige Tage später ihre Entlassung wegen zu <hi rendition="#g">avancirter politischen Meinungen</hi> und die Regierung hört deßwegen                         nicht auf sich majestätisch <hi rendition="#g">liberal, progressiv,                             tolerant, gerecht</hi> und <hi rendition="#g">billig</hi> zu tituliren.                         Aber was hätten denn die Herren Rogier und Chazal gesagt, &#x2012; selbst zwei                         Franzosen &#x2012; wenn der König Wilhelm sie vertrieben hätten, an der                         Gränzscheide des ancien règime, als sie die belgische Gastfreundschaft                         benutzten, um der nassauischen Dynastie den heftigsten Krieg zu machen?</p>
          <bibl> <hi rendition="#g">(L'Union Konstitutionelle.)</hi> </bibl>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <head>Italien.</head>
        <div xml:id="ar036_017_c" type="jArticle">
          <note type="editorial">Edition: <bibl>Friedrich Engels: Italien. 6. Juli 1848. In: MEGA<hi rendition="#sup">2</hi> I/7. S. 265.</bibl></note>
          <head><bibl><author>*</author></bibl> Turin, 28. Juni.</head>
          <gap reason="copyright"/>
        </div>
        <div xml:id="ar036_018_c" type="jArticle">
          <note type="editorial">Edition: <bibl>Friedrich Engels: Italien. 6. Juli 1848. In: MEGA<hi rendition="#sup">2</hi> I/7. S. 265.</bibl></note>
          <head><bibl><author>*</author></bibl> Florenz, 24. Juni.</head>
          <gap reason="copyright"/>
        </div>
        <div xml:id="ar036_019_c" type="jArticle">
          <note type="editorial">Edition: <bibl>Friedrich Engels: Italien. 6. Juli 1848. In: MEGA<hi rendition="#sup">2</hi> I/7. S. 265.</bibl></note>
          <head><bibl><author>*</author></bibl> Florenz, 27. Juni.</head>
          <gap reason="copyright"/>
        </div>
        <div xml:id="ar036_020_c" type="jArticle">
          <note type="editorial">Edition: <bibl>Friedrich Engels: Italien. 6. Juli 1848. In: MEGA<hi rendition="#sup">2</hi> I/7. S. 265.</bibl></note>
          <head><bibl><author>*</author></bibl> Modena, 22. Juni.</head>
          <gap reason="copyright"/>
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      </div>
      <div n="1">
        <head>Französische Republik.</head>
        <div xml:id="ar036_021" type="jArticle">
          <head><bibl><author>*</author></bibl> Paris, 3. Juli.</head>
          <p><hi rendition="#g">Guizot</hi> giebt jetzt ein Blatt zu London heraus, den <hi rendition="#g">&#x201E;Spektateur de Londres&#x201C;.</hi> Er zeichnet seine                         Artikel unter dem Pseudonym &#x201E;Georges de Klindworth&#x201C;. Wir geben hier den                         Schluß seines im &#x201E;Spektateur&#x201C; veröffentlichten Programms:</p>
          <p>&#x201E;Die Fürsten fliehen vom Thron, ohne das Schwerdt zu ziehn, oder verstehn                         sich zu unmöglichen und schimpflichen Transaktionen. Die Staatsmänner haben                         weder die Einsicht der Zukunft, noch die Empfindung der Gegenwart, noch den                         Muth der Vergangenheit. Die Richter bleiben auf ihren Sitzen, nicht mit der                         stoischen Unempfindlichkeit des Gesetzes, sondern mit der Gleichgültigkeit                         des Egoismus. Der Priester beugt das Haupt unter eine komödienhafte und                         höhnische Sympathie, als wenn es ihm erlaubt wäre abzudanken, auch ihm. Die                         Revolutionäre selbst sind eben so nichtig, eben so ohnmächtig als die blaßen                         Gegner, die sie bekämpfen. Erbärmliche Parodisten einer andern Epoche                         umgeben sie mit eitlem Schaugepräng die kindisch gewordene Revolution. Die                         Ordnungslosigkeit ist heute stationär, zugebraust durch die                         entgegengesetzten Winde aller Horizonte zugleich. <hi rendition="#g">Es ist                             dies die Stagnation im Sturm.&#x201C;</hi></p>
          <p>Von der <hi rendition="#g">Mittelklasse</hi> sagt <hi rendition="#g">Guizot:</hi> &#x201E;Wenn wir die Mittelklasse betrachten, so begierig überall                         sich der Gewalt zu bemächtigen, aber zugleich so wenig muthig, so                         voreingenommen von Privatinteressen und trotz ihrer sogenannten Wissenschaft                         und dem Schulsystem, so gänzlich entblößt von Urtheilskraft und von                         politischer Erfahrung, so werden wir nicht verwundert sein, daß sie hier die                         Macht sich entschlüpfen läßt, daß sie dort nahe daran scheint, sie zu                         verlieren, und daß sie überall sich überfluthet oder im Schach gehalten                         fühlt durch den Radikalismus.&#x201C;</p>
          <p>Wie wenig Herr Guizot selbst seine alte <hi rendition="#g">Ideologie</hi> abgestreift hat, wie wenig er dahin gelangt ist, die politischen                         Erscheinungen in ihrem Zusammenhang mit den wirklichen Lebensverhältnissen                         aufzufassen, beweist z. B. folgender Passus:</p>
          <p>&#x201E;Es giebt keine einzige Thatsache, kein einziges Ereigniß, kein einziger                         politischer Akt, der nicht das Resultat eines Prinzips wäre, eines falschen                         oder eines wahren Prinzips. So hat z. B. die materialistische Philosophie                         des 18. Jahrhunderts, lange Zeit geliebkost von allen europäischen Fürsten,                         den Sturm vorbereitet, in dem die alte französische Konstitution zu Grunde                         ging und dessen letzte Schläge heute neue Revolutionen im größten Theil des                         Kontinents hervorbringen.&#x201C;</p>
          <p>Die <hi rendition="#g">Times</hi> hat einmal mit Recht bemerkt, daß Herr                         Guizot weder die Industrie, noch den Handel, noch ihre Geschichte kennt. Der                         ideelle <hi rendition="#g">Ausdruck</hi> der historischen Bedürfnisse und                         Bewegungen, &#x2012; das Prinzip, die Thorie &#x2012; gelten ihm daher für den <hi rendition="#g">Grund</hi> dieser Bewegungen und Bedürfnisse. So konnte                         es kommen, daß dieser Mann lange wähnte, <hi rendition="#g">sein</hi> System, <hi rendition="#g">seine</hi> Doktrin, <hi rendition="#g">seine</hi> Prinzipien ins Werk zu setzen, während er in Wirklichkeit die gegebenen <hi rendition="#g">Interessen</hi> einer kleiner Fraktion der französischen                         Bourgeoisie zum Prinzip erhob, und doktrinär verherrlichte.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar036_022" type="jArticle">
          <head><bibl><author>15</author></bibl> Paris, 3. Juli.</head>
          <p>Die neuen Thermidorier proskribiren seit acht Tagen und werden noch lange                         fort proskribiren. So eben ward Grandmenil, der ehemalige Gerant von La                         Reforme und braver Militärarzt, seit lange in der ersten Reihe der                         Demokraten, verhaftet; ein reicher Finanzier aus der Rue Hauteville, der das                         jetzt unterdrückte Blatt &#x201E;Organisation du Travail&#x201C; mit Geld unterstützte,                         war ihm bereits in den Kerker vorausgegangen; gegen Cabet ist gestern der                         Verhaftsbefehl unterzeichnet worden, doch hatte Cabet sich wohlweislich                         auf's Land zurückgezogen, Ribeyrolles Redakteur en chef von La Reforme,                         sieht täglich einem gleichen entgegen; Lachambaudie, der bekannte Dichter                         der Demokratie, ist verhaftet. Alle die je mit den Maigefangenen in                         Berührung gestanden, werden verhaftet. Tag und Nacht ist der lange &#x201E;Arm der                         Gerechtigkeit&#x201C; in rastloser Bewegung, und er dürfte Personen in diesen Tagen                         erhaschen, die vor der Mordschlacht in den höchsten Aemtern sich befanden.                         Unleugbar ist es oft auch persönlicher Haß, der jenen Arm lenkt. &#x2012; Noch                         immer erfährt man neue Details über die Heldenthaten der Bourgeois und                         Mobilgarde. Augenzeugen versichern im vertrauten Gespräche (das Spioniren                         ist im besten Gange), daß die namenlosesten Ausschweifungen am Sonntage und                         Montage von den berauschten und aufgehetzten Mobilgarden verübt worden. Im                         Luxemburger Garten trieben sie 57 Gefangene zusammen, rissen ihnen die                         Blousen und Hemden in Fetzen zerschlugen ihnen mit Kolben und Fäusten die                         Gesichter, zerzausten ihnen <hi rendition="#g">Haar und Bart,</hi> und                         schossen endlich die Halbnackten und Bluttriefenden in einem Pelotonfeuer an                         der Mauer nieder; was noch überlebte, verendete unter Bajonettstößen. Wir                         haben diese 1793ger Exekution nicht gesehen, waren aber Ohrenzeugen des                         grausigen Geschreis, <hi rendition="#g">der dumpfen Schläge und Püffe,</hi> und zuletzt der Gewehrsalven; das Ganze mochte dreißig Minuten gedauert                         haben. Gesehen haben wir mit unsern Augen wie drei Mobile und ein                         republikanischer Gardist einen blutenden Blousenmann in der im                         Durchstichsbau begriffenen Straße St. Hyacinth, am Pantheon, bei Armen und                         Beinen packten, unter Flüchen in ein Loch am Mauerwerk schleuderten und von                         oben herab todtschossen; chien, va (Hund, geh) schrieen sie ihm nach. Als                         die kolossale Barrikade im Quartier Latin und XII. Arrondissement, Ecke der                         Straßen St. Jacques und Mathurins, wo nach Arago's Aussage der                         Insurgentenhauptmann in einer Unterredung &#x201E;als Ehrenmann&#x201C; sich vorher                         benommen, gestürmt war, mußten wieder vierzig Ouvriers die Waffen strecken                         und wurden an der Mauer des gothischen Hotel Cluny erschossen.</p>
          <p>So eben erzählt man, auf Frau George Sand werde gefahndet; die Banditenattake                         der zweiten Legion auf den Volksrepräsentanten Louis Blanc bleibt                         unbeachtet. In mehrern Hospitälern transportirt das Verwaltungskomite                         derselben jetzt jeden Blessirten, der des Aufruhrs auch nur verdächtig                         scheint, in einen besondern Saal, wo ein Wachtposten der Nationalgarde unter                         einem Oberlieutenant steht; an den Saalthüren paradiren Bourgeois Gewehr im                         Arm. Wer eine breite Wunde von einem Pflasterstein- und Granatenbruchstück                         trägt, ist natürlich zum Insurgenten gestempelt. Die Gestalt der Kugeln wird                         jetzt schriftlich und mündlich bis zum Ekel verhandelt; daß sie oft sehr                         absonderlich gewesen, bezeugen die Wunden und einzelne Exemplare, z. B.                         zackig, oder spitzig; aber es ist augenscheinlich daß dies nicht absichtlich                         geschehen um Todwunden zu verursachen, sondern aus Mangel an Zeit und                         Kugelgußapparaten. Wenigstens ist so viel klar daß die Wandnägel, die voll                         Metall gegossenen Fingerhüte, die zusammengerollten Messingdräthe und Ringe                         von Fenster- und Bettgardinen, die Glaskügelchen aus Halsbändern und die                         geknäulten Zinn- und Bleistreifen von Dachrinnen aus Nothbehelf verschossen                         wurden; zumal in den vielen Patronen, die man während des Gefechts unter den                         Kleidern von Damen und Arbeiterinnen entdeckte, gerade nur gewöhnliche                         Kugeln waren. Das Gerede endlich von Giftkugeln erweist sich als faktische                         Lüge; es wird schon durch die materielle Unmöglichkeit entkräftet, Arsenik                         oder Grünspan in <hi rendition="#g">tödtender Dosis auf der Kugel</hi> zu                         befestigen; von Blau- und Schwefelsäure u. dgl. nicht zu sprechen.</p>
          <p>Die Geschäfte gehen wieder scheinbar ihren Gang; man sieht weniger                         Nationalgardenwachen auf der Straße stehen, und das langgedehnte                         Feldgeschrei: Sentinelle prenez garde à vous, das bisher von Ecke zu Ecke                         alle 10 Minuten Nachts ertönte, nimmt ab. Unvergeßlich wird aber jedem der                         Anblick der Stadt in den drei letzten Bluttagen bleiben: kein Wagen, kein                         Civilreiter, kein Hund, kein Kind auf den Gassen, alle Fenster und Thüren                         zu, kein Boot auf der Seine, kein Handwerksgeräusch, kein laufendes                         Brunnenwasser, fast kein Schornsteindampfen. (Die meisten Einwohner mußten                         wegen Kommunikationsmangel fasten). &#x2012; So eben kommt die Nachricht, 560                         &#x201E;Räuber&#x201C; seien von den Bauern gefangen und hundert auf dem Fleck füsilirt                         worden; der Rest kommt in die Forts.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar036_023" type="jArticle">
          <head><bibl><author>8</author></bibl> Paris, 3. Juli.</head>
          <p>Den Kämpfen der Slawenrace in Böhmen, Ungarn und Polen, folgt man hier trotz                         unserer innern Gährungen mit sehr aufmerksamem Auge. In Bezug auf die                         Slawen-Propaganda, versicherte man uns gestern, sei George Sand in den                         Besitz von Papieren gelangt, welche den von hier verbannten Rus-
</p>
        </div>
      </div>
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</TEI>
[0178/0002] Reihen ihrer schlichtesten Bürger. Dort stehen die Männer, welche das Wrack des Staates retten, welche es mit kräftiger Faust durch den Schaum des Orkans zurück in den sicher schaukelnden Hafen geleiten können.“ Dem Buchhalter Lenz brach der Angstschweiß aus; noch nie hatte ihn der würdige Herr mit so blumenreichen Redensarten überschüttet. „Ist es daher ein Wunder, Lenz, daß man auch auf mich sein Auge geworfen? ‒“ Der Buchhalter wollte eine Prise nehmen, aber die Glieder versagten ihm den Dienst. „Ist es ein Wunder, daß man auch mich aus dem Dunkel des Geschäftslebens herausreißt, um meinen Fähigkeiten den Platz anzuweisen, der ihnen im Buche des Schicksals bestimmt war?“ „„Sie sind ein großer Mann!““ murmelte der Buchhalter ‒ „„schon durch Ihre Oelspekulationen haben Sie sich weit und breit bekannt gemacht.““ Unangenehm berührte es den Hrn. Preiß, in seinen feierlichsten Momenten immer wieder an Oel und dergleichen erinnert zu werden. Der Buchhalter schien dies aber gar nicht zu merken ‒ „„auch durch Ihre Unternehmungen in Korn, machten Sie sich sehr verdient um die Gesellschaft ‒““ wiederum war es Hrn. Preiß, als schüttete Jemand einen Eimer kaltes Wasser über seinen Kopf ‒ „„wüßten die Leute aber erst, was Sie in Quadratfüßen ‒ ‒““ hier verlor der Hr. Preiß die Geduld ‒ ‒ „Genug, die Shrapnell's haben den Ausschlag gegeben ‒“ rief er; „aus sicherer Quelle weiß ich, daß man mich in der Residenz zur Bildung eines neuen Ministeriums erwartet. Der Buchhalter Lenz hätte vor Schrecken fast ein Kind gekriegt. „„Exzellenz!““ stotterte er, seine Nase erblaßte. Auf das ganz ungegründete Gerücht hin, daß der Hr. Preiß Minister-Präsident werde, warfen ihm rohe Proletarier aber noch selbigen Abends die Fenster ein. [Rußland] [Fortsetzung] und wohldressirte Leute sein, die Garden allein entscheiden die Sache noch nicht. Auf den russischen Soldaten als solchen kommt es an. Mit diesem aber sieht es schlimm genug aus. Wer war jemals in Rußland und fühlte sich nicht überrascht von den Cohorten des Elends! Gelbfahle Gesichter mit eingefallenen Wangen, in denen sich der Hunger eingenistet! Denn die Speisen, die ihnen die Krone zuweist, werden ihnen von den Obersten, den Vätern der Regimenter, sorgsamst aus gewissen Hinterhalten zugetheilt. Soldaten die in den Städten auf dem Posten stehen, flehen den Daherkommenden mit leiser Stimme an: man möge einen Kopeken zur Erde werfen, den sie später nach vielem Umsichblicken vorsichtig aufheben, denn es wäre ja möglich, daß sie theilen müßten. Dann bei diesem Hunger die ungeheuren Märsche, auf welchen sie wie Fliegen sterben, was nur der erfährt, der es selber miterlebte. Aber dennoch ist der russische Soldat tapfer, weil er den Tod nicht fürchtet, der schon in Friedenszeiten mit Hunger, Strapazen und Knuten tüchtig auf ihn einhieb. Ungarn. Pesth, 27. Juni. Aus Temeswar sind gestern hier neue beunruhigende Nachrichten eingegangen. Unter Anführung von Georg Stanimirovich und Novakovich rückten 700 Aufständische am 23. Juni gegen die Stadt Weißkirchen und foderten den dortigen Oberstlieutenant Dreihahn zur Unterwerfung auf. Dieser übergab ihnen ohne allen Widerstand die Stadt mit 3 Kanonen, 215 Schießgewehren, 30 Ctr. Pulver und einer Kompagnie Soldaten. Der Oberstlieutenant Dreihahn wird des Verraths beschuldigt, indem er auch 1200 Nationalgardisten hätte aufbieten können. Von Weißkirchen rückten die Aufständischen am 24. Juni gegen Werschetz bei Temeswar, wo am 25. Juni ein Treffen erwartet wurde. Georg Stanimirovich ist aus Serbien und in seinem Trupp waren auch die meisten aus Belgrad herübergekommenen Aufwiegler. Schon früher plünderte ein solcher Haufe in Titel im Csaikistenbezirke. Dagegen lauten die Nachrichten aus Karlowitz und Neusatz erfreulicher. Ein sehr großer Theil der csaikistischen, kroatischen und slawonischen Grenzer und Bauern haben in Folge der königl. Proklamationen die Lager bei Karlowitz und in den sogenannten römischen Schanzen verlassen und sind nach Hause gegangen. Der König hat neuerdings eine Proklamation an die Csaikisten gerichtet, in welcher er ihnen streng befiehlt, die in Titel weggenommenen Kanonen und Waffen zurückzustellen und ruhig nach Hause zu gehen. In Neusatz soll die ungarische Fahne wehen. Der Banus von Kroatien, Baron Joseph Jellachich, welcher am 20. Juni Innsbruck verlassen, soll in Agram eingetroffen sein. Der Agitator Dr. L. Gaj dagegen soll die Flucht ergriffen haben. (D. A. Z.) Pesth, 26. Juni. Der türkische Gesandte, welcher aus Innsbruck vorgestern ankam, reiste heute weiter nach Konstantinopel. Er soll in Innsbruck den dringenden Auftrag erhalten haben, bei seiner Regierung die strenge Verwarnung des Fürsten von Serbien gegen jeden feindseligen Schritt zu befürworten, welcher das friedliche Verhältniß der Pforte mit Ungarn resp. Oesterreich stören könnte. ‒ Aus Innsbruck hat das Ministerium günstige Nachrichten erhalten. Die serbische und die kroatische Deputation wurde als solche bei dem König nicht vorgelassen. Den einzelnen Mitgliedern derselben aber erklärte der König in einer Privataudienz, daß die Beschlüsse der agramer Landescongregation und des karlowitzer Kongresses gesetzwidrig gefaßt worden, daß sie ihm ihre Wünsche nur mittels des allgemeinen ungarischen Reichstags und des ungarischen Ministeriums vortragen können. Uebrigens werde er ihre Rechte stets unverletzt aufrecht erhalten. Der Erzherzog Johann ist bekanntlich zum Vermittler zwischen Ungarn und den Illyriern ernannt. Eine Landescongregation in Agram und eine griechische Synode in Temeswar sollen die Wünsche und Foderungen der Illyrier formuliren. Die königl. Proklamation an die Serbianer hat eine gute Wirkung gemacht. Ein großer Theil von ihnen hat die Waffen niedergelegt, ohne jedoch die Ansprüche einer nationalen Selbstständigkeit aufzugeben. In jener Stelle der Proklamation, wo der König den Serbianern ihre Sprache und „Nationalität“ garantirt, sehen sie eben die Zusicherung einer nationalen Selbstständigkeit, indem es außer der Sprache keine andere Nationalität gebe als die Selbstständigkeit. ‒ Die Agramer Zeitung vom 24. Juni bringt unter der Rubrik „Neuestes“ folgende Nachricht: Die Serben haben bei Kikinda einen glänzenden Sieg über ihre Feinde errungen. Sie erbeuteten acht Kanonen und haben nur fünf Czaikisten und drei Serben unter den Todten, während der Feind eine weit größere Anzahl von Todten und Verwundeten hat. Der österreichische Consul in Belgrad hat gegen das Bombardement und die Gewaltthaten einen Protest eingelegt. Peterwardein, 21. Juni. Ich freue mich, melden zu können, daß sowohl die Grenzer als auch die aufgestandene illyrische Bevölkerung in Folge der Publikation des kaiserl. Manifestes sich unserm Landesministerium unterworfen haben und somit die im Lager bei Jarek, Titel und Perlas versammelt gewesenen Csaikisten, Deutschbanater- und Peterwardeiner-Grenzer, zu Pflicht und Gehorsam zurückkehrend, auf dem Wege nach ihrer Heimath sich befinden. (Pesth. Z.) Belgien. Brüssel 5. Juli. Der greise 81jährige General Mellinet wird so eben arretirt unter dem lächerlichen Vorwand in die Affaire Risquons-Toot verwickelt zu sein. Die liberale Musterregierung fühlt sich erst sicher, sobald sie alle Größen der Septemberrevolution, der sie ihren Ursprung verdankt, unter Schloß und Riegel weiß. Mellinet war der einzige belgische General, der Lorbeeren in dem belgischen Krieg gegen die Holländer gewonnen hat und in seinem Siegeszuge nach Maestricht nur durch die Verrätherei desselben Rogier aufgehalten wurde, der ihn heute einsperren läßt. Zu Charleroi läßt die Regierung in brutalster Weise Hrn. Delean einen Schriftsteller der Opposition expulsiren ‒ einen an eine belgische Frau verheiratheten Franzosen, der Belgien seit sieben Jahren bewohnt und allgemein geachtet war. Zwei Professoren derselben Stadt empfangen einige Tage später ihre Entlassung wegen zu avancirter politischen Meinungen und die Regierung hört deßwegen nicht auf sich majestätisch liberal, progressiv, tolerant, gerecht und billig zu tituliren. Aber was hätten denn die Herren Rogier und Chazal gesagt, ‒ selbst zwei Franzosen ‒ wenn der König Wilhelm sie vertrieben hätten, an der Gränzscheide des ancien règime, als sie die belgische Gastfreundschaft benutzten, um der nassauischen Dynastie den heftigsten Krieg zu machen? (L'Union Konstitutionelle.) Italien. * Turin, 28. Juni. _ * Florenz, 24. Juni. _ * Florenz, 27. Juni. _ * Modena, 22. Juni. _ Französische Republik. * Paris, 3. Juli. Guizot giebt jetzt ein Blatt zu London heraus, den „Spektateur de Londres“. Er zeichnet seine Artikel unter dem Pseudonym „Georges de Klindworth“. Wir geben hier den Schluß seines im „Spektateur“ veröffentlichten Programms: „Die Fürsten fliehen vom Thron, ohne das Schwerdt zu ziehn, oder verstehn sich zu unmöglichen und schimpflichen Transaktionen. Die Staatsmänner haben weder die Einsicht der Zukunft, noch die Empfindung der Gegenwart, noch den Muth der Vergangenheit. Die Richter bleiben auf ihren Sitzen, nicht mit der stoischen Unempfindlichkeit des Gesetzes, sondern mit der Gleichgültigkeit des Egoismus. Der Priester beugt das Haupt unter eine komödienhafte und höhnische Sympathie, als wenn es ihm erlaubt wäre abzudanken, auch ihm. Die Revolutionäre selbst sind eben so nichtig, eben so ohnmächtig als die blaßen Gegner, die sie bekämpfen. Erbärmliche Parodisten einer andern Epoche umgeben sie mit eitlem Schaugepräng die kindisch gewordene Revolution. Die Ordnungslosigkeit ist heute stationär, zugebraust durch die entgegengesetzten Winde aller Horizonte zugleich. Es ist dies die Stagnation im Sturm.“ Von der Mittelklasse sagt Guizot: „Wenn wir die Mittelklasse betrachten, so begierig überall sich der Gewalt zu bemächtigen, aber zugleich so wenig muthig, so voreingenommen von Privatinteressen und trotz ihrer sogenannten Wissenschaft und dem Schulsystem, so gänzlich entblößt von Urtheilskraft und von politischer Erfahrung, so werden wir nicht verwundert sein, daß sie hier die Macht sich entschlüpfen läßt, daß sie dort nahe daran scheint, sie zu verlieren, und daß sie überall sich überfluthet oder im Schach gehalten fühlt durch den Radikalismus.“ Wie wenig Herr Guizot selbst seine alte Ideologie abgestreift hat, wie wenig er dahin gelangt ist, die politischen Erscheinungen in ihrem Zusammenhang mit den wirklichen Lebensverhältnissen aufzufassen, beweist z. B. folgender Passus: „Es giebt keine einzige Thatsache, kein einziges Ereigniß, kein einziger politischer Akt, der nicht das Resultat eines Prinzips wäre, eines falschen oder eines wahren Prinzips. So hat z. B. die materialistische Philosophie des 18. Jahrhunderts, lange Zeit geliebkost von allen europäischen Fürsten, den Sturm vorbereitet, in dem die alte französische Konstitution zu Grunde ging und dessen letzte Schläge heute neue Revolutionen im größten Theil des Kontinents hervorbringen.“ Die Times hat einmal mit Recht bemerkt, daß Herr Guizot weder die Industrie, noch den Handel, noch ihre Geschichte kennt. Der ideelle Ausdruck der historischen Bedürfnisse und Bewegungen, ‒ das Prinzip, die Thorie ‒ gelten ihm daher für den Grund dieser Bewegungen und Bedürfnisse. So konnte es kommen, daß dieser Mann lange wähnte, sein System, seine Doktrin, seine Prinzipien ins Werk zu setzen, während er in Wirklichkeit die gegebenen Interessen einer kleiner Fraktion der französischen Bourgeoisie zum Prinzip erhob, und doktrinär verherrlichte. 15 Paris, 3. Juli. Die neuen Thermidorier proskribiren seit acht Tagen und werden noch lange fort proskribiren. So eben ward Grandmenil, der ehemalige Gerant von La Reforme und braver Militärarzt, seit lange in der ersten Reihe der Demokraten, verhaftet; ein reicher Finanzier aus der Rue Hauteville, der das jetzt unterdrückte Blatt „Organisation du Travail“ mit Geld unterstützte, war ihm bereits in den Kerker vorausgegangen; gegen Cabet ist gestern der Verhaftsbefehl unterzeichnet worden, doch hatte Cabet sich wohlweislich auf's Land zurückgezogen, Ribeyrolles Redakteur en chef von La Reforme, sieht täglich einem gleichen entgegen; Lachambaudie, der bekannte Dichter der Demokratie, ist verhaftet. Alle die je mit den Maigefangenen in Berührung gestanden, werden verhaftet. Tag und Nacht ist der lange „Arm der Gerechtigkeit“ in rastloser Bewegung, und er dürfte Personen in diesen Tagen erhaschen, die vor der Mordschlacht in den höchsten Aemtern sich befanden. Unleugbar ist es oft auch persönlicher Haß, der jenen Arm lenkt. ‒ Noch immer erfährt man neue Details über die Heldenthaten der Bourgeois und Mobilgarde. Augenzeugen versichern im vertrauten Gespräche (das Spioniren ist im besten Gange), daß die namenlosesten Ausschweifungen am Sonntage und Montage von den berauschten und aufgehetzten Mobilgarden verübt worden. Im Luxemburger Garten trieben sie 57 Gefangene zusammen, rissen ihnen die Blousen und Hemden in Fetzen zerschlugen ihnen mit Kolben und Fäusten die Gesichter, zerzausten ihnen Haar und Bart, und schossen endlich die Halbnackten und Bluttriefenden in einem Pelotonfeuer an der Mauer nieder; was noch überlebte, verendete unter Bajonettstößen. Wir haben diese 1793ger Exekution nicht gesehen, waren aber Ohrenzeugen des grausigen Geschreis, der dumpfen Schläge und Püffe, und zuletzt der Gewehrsalven; das Ganze mochte dreißig Minuten gedauert haben. Gesehen haben wir mit unsern Augen wie drei Mobile und ein republikanischer Gardist einen blutenden Blousenmann in der im Durchstichsbau begriffenen Straße St. Hyacinth, am Pantheon, bei Armen und Beinen packten, unter Flüchen in ein Loch am Mauerwerk schleuderten und von oben herab todtschossen; chien, va (Hund, geh) schrieen sie ihm nach. Als die kolossale Barrikade im Quartier Latin und XII. Arrondissement, Ecke der Straßen St. Jacques und Mathurins, wo nach Arago's Aussage der Insurgentenhauptmann in einer Unterredung „als Ehrenmann“ sich vorher benommen, gestürmt war, mußten wieder vierzig Ouvriers die Waffen strecken und wurden an der Mauer des gothischen Hotel Cluny erschossen. So eben erzählt man, auf Frau George Sand werde gefahndet; die Banditenattake der zweiten Legion auf den Volksrepräsentanten Louis Blanc bleibt unbeachtet. In mehrern Hospitälern transportirt das Verwaltungskomite derselben jetzt jeden Blessirten, der des Aufruhrs auch nur verdächtig scheint, in einen besondern Saal, wo ein Wachtposten der Nationalgarde unter einem Oberlieutenant steht; an den Saalthüren paradiren Bourgeois Gewehr im Arm. Wer eine breite Wunde von einem Pflasterstein- und Granatenbruchstück trägt, ist natürlich zum Insurgenten gestempelt. Die Gestalt der Kugeln wird jetzt schriftlich und mündlich bis zum Ekel verhandelt; daß sie oft sehr absonderlich gewesen, bezeugen die Wunden und einzelne Exemplare, z. B. zackig, oder spitzig; aber es ist augenscheinlich daß dies nicht absichtlich geschehen um Todwunden zu verursachen, sondern aus Mangel an Zeit und Kugelgußapparaten. Wenigstens ist so viel klar daß die Wandnägel, die voll Metall gegossenen Fingerhüte, die zusammengerollten Messingdräthe und Ringe von Fenster- und Bettgardinen, die Glaskügelchen aus Halsbändern und die geknäulten Zinn- und Bleistreifen von Dachrinnen aus Nothbehelf verschossen wurden; zumal in den vielen Patronen, die man während des Gefechts unter den Kleidern von Damen und Arbeiterinnen entdeckte, gerade nur gewöhnliche Kugeln waren. Das Gerede endlich von Giftkugeln erweist sich als faktische Lüge; es wird schon durch die materielle Unmöglichkeit entkräftet, Arsenik oder Grünspan in tödtender Dosis auf der Kugel zu befestigen; von Blau- und Schwefelsäure u. dgl. nicht zu sprechen. Die Geschäfte gehen wieder scheinbar ihren Gang; man sieht weniger Nationalgardenwachen auf der Straße stehen, und das langgedehnte Feldgeschrei: Sentinelle prenez garde à vous, das bisher von Ecke zu Ecke alle 10 Minuten Nachts ertönte, nimmt ab. Unvergeßlich wird aber jedem der Anblick der Stadt in den drei letzten Bluttagen bleiben: kein Wagen, kein Civilreiter, kein Hund, kein Kind auf den Gassen, alle Fenster und Thüren zu, kein Boot auf der Seine, kein Handwerksgeräusch, kein laufendes Brunnenwasser, fast kein Schornsteindampfen. (Die meisten Einwohner mußten wegen Kommunikationsmangel fasten). ‒ So eben kommt die Nachricht, 560 „Räuber“ seien von den Bauern gefangen und hundert auf dem Fleck füsilirt worden; der Rest kommt in die Forts. 8 Paris, 3. Juli. Den Kämpfen der Slawenrace in Böhmen, Ungarn und Polen, folgt man hier trotz unserer innern Gährungen mit sehr aufmerksamem Auge. In Bezug auf die Slawen-Propaganda, versicherte man uns gestern, sei George Sand in den Besitz von Papieren gelangt, welche den von hier verbannten Rus-

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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 36. Köln, 6. Juli 1848, S. 0178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz036_1848/2>, abgerufen am 23.11.2024.