So bildet hier sich ein Kreis; der Wilde nemlich hat schon das dunkele Gefühl der Einheit der Natur und zuletzt kommt der cultivirte Mensch, wenn er lange genug die einzelnen Dinge studirt hat, wieder zu der Einheit zurück, die aber nun Folge eines vernunftmäßigen Erkennens, nicht mehr bloße Ahnung ist. Völker die dem Naturzustande nahe sind, bringt die Begeisterung religiöser Gefühle zur Anbetung der Natur- kräfte und sie glauben sich abhängig von Sternen und andern Kräften der Natur. Alles wird ihnen bedeutsam und zwar nicht bloß der Bewohner einer üppigen, von Vegetation strozenden Gegend, sondern selbst der Wilde der die kahlen Wüsten durchzieht, findet reichlichen Stoff für sein r[e]ligiöses Gefühl. Die frühsten Kenntniße der Natur ge- hören nicht einem Urvolke an. Man hat lange von solchen Urvölkern geträumt und als solche genannt: die Semitischen Völker, die Aegypter, Kelten, Atlanten, Bewohner Ir[unleserliches Material]an[unleserliches Material - 2 Zeichen fehlen]Iraks und neuerlich endlich die Hindu'sInder. Die Kenntniße der Natur erscheinen bei allen wilden Völkern, nach ihren besonderen Anlagen und Wohnplätzen besonders gesta[unleserliches Material]ltet und ausge- bildet. Eigentlich ursprüngliche Wilde hat noch kein Reisender gesehen und ich muß nach meinen Erfahrungen, da ich Jahre- lang unter den Wilden des Orinoco lebte, der neuerlich auf- gestellten Meinung beipflichten als seien sie alle nur Reste ehemals gebildeter Völker. So fand ich bei den Wil- den am Orinoco, die den Himmel durch ihre Laubgewölbe nur schauen, wie durch einen Schornstein, förmlich astronomische Kenntniße, die sie hier nie erlangen konnten. Die Neigung
So bildet hier sich ein Kreis; der Wilde nemlich hat schon das dunkele Gefühl der Einheit der Natur und zuletzt kommt der cultivirte Mensch, wenn er lange genug die einzelnen Dinge studirt hat, wieder zu der Einheit zurück, die aber nun Folge eines vernunftmäßigen Erkennens, nicht mehr bloße Ahnung ist. Völker die dem Naturzustande nahe sind, bringt die Begeisterung religiöser Gefühle zur Anbetung der Natur- kräfte und sie glauben sich abhängig von Sternen und andern Kräften der Natur. Alles wird ihnen bedeutsam und zwar nicht bloß der Bewohner einer üppigen, von Vegetation strozenden Gegend, sondern selbst der Wilde der die kahlen Wüsten durchzieht, findet reichlichen Stoff für sein r[e]ligiöses Gefühl. Die frühsten Kenntniße der Natur ge- hören nicht einem Urvolke an. Man hat lange von solchen Urvölkern geträumt und als solche genannt: die Semitischen Völker, die Aegÿpter, Kelten, Atlanten, Bewohner Ir[unleserliches Material]an[unleserliches Material – 2 Zeichen fehlen]Iraks und neuerlich endlich die Hindu’sInder. Die Kenntniße der Natur erscheinen bei allen wilden Völkern, nach ihren besonderen Anlagen und Wohnplätzen besonders gesta[unleserliches Material]ltet und ausge- bildet. Eigentlich ursprüngliche Wilde hat noch kein Reisender gesehen und ich muß nach meinen Erfahrungen, da ich Jahre- lang unter den Wilden des Orinoco lebte, der neuerlich auf- gestellten Meinung beipflichten als seien sie alle nur Reste ehemals gebildeter Völker. So fand ich bei den Wil- den am Orinoco, die den Himmel durch ihre Laubgewölbe nur schauen, wie durch einen Schornstein, förmlich astronomische Kenntniße, die sie hier nie erlangen konnten. Die Neigung
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[[20]/0026]
So bildet hier sich ein Kreis; der Wilde nemlich hat schon das
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und neuerlich endlich die Hindu’sInder. Die Kenntniße der Natur
erscheinen bei allen wilden Völkern, nach ihren besonderen
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bildet. Eigentlich ursprüngliche Wilde hat noch kein Reisender
gesehen und ich muß nach meinen Erfahrungen, da ich Jahre-
lang unter den Wilden des Orinoco lebte, der neuerlich auf-
gestellten Meinung beipflichten als seien sie alle nur
Reste ehemals gebildeter Völker. So fand ich bei den Wil-
den am Orinoco, die den Himmel durch ihre Laubgewölbe
nur schauen, wie durch einen Schornstein, förmlich astronomische
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Anonym (Hg.): Alexander von Humboldts Vorlesungen über physikalische
Geographie nebst Prolegomenen über die Stellung der Gestirne. Berlin
im Winter von 1827 bis 1828. Berlin, 1934. anhand der Vorlage
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[N. N.]: Alexander von Humboldts Vorlesungen über phÿsikalische Geographie nebst Prolegomenen über die Stellung der Gestirne. Berlin im Winter von 1827 bis 1828. [Berlin], [1827/28]. [= Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Berliner Universität, 3.11.1827–26.4.1828.], S. [20]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_msgermqu2345_1827/26>, abgerufen am 24.11.2024.
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